Nur eine knappe Woche nach dem Bekanntwerden von Ermittlungen wurde heute das Verfahren gegen das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte seit 16 Monaten gegen die Aktionskünstler ermittelt. Der Verdacht lautete: „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ – Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs. Bekannt wurde das Ermittlungsverfahren durch eine Kleine Anfrage der Linkspartei im thüringischen Landtag. Mittlerweile gibt es Anhaltspunkte für ein politisch motiviertes Verfahren, der zuständige Staatsanwalt ist laut einem Bericht von Zeit Online ein Spender der AfD.
Laut einer Pressemitteilung des Thüringer Justizministeriums wird das Verfahren nun eingestellt, weil es keinen hinreichenden Tatverdacht gibt. Das sei Ergebnis einer heute stattgefunden Besprechung der Leitung der Staatsanwaltschaft Gera, dem Generalstaatsanwalt und dem grünen Thüringer Justizminister Dieter Lauinger. Der ermittelnde Staatsanwalt wird auf eigenen Wunsch vorläufig bis zur endgültigen Klärung der medial gegen ihn erhobenen Vorwürfe mit anderen Aufgaben in der Staatsanwaltschaft Gera betraut. Ebenso wird er von seinen Aufgaben als Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Gera entbunden.
„Ich begrüße ausdrücklich die übereinstimmende rechtliche Auffassung von Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwaltschaft und Ministerium in der heutigen Sitzung“, sagt Justizminister Dieter Lauinger. Damit könne dieses Verfahren endlich abgeschlossen werden.
Stefan Pelzer vom Zentrum für politische Schönheit kommentiert gegenüber netzpolitik.org: „Wir freuen uns, dass auch Justizminister Lauinger und die Behördenleitung endlich zu diesem Schluss gekommen sind. Am Freitag waren wir nach Lauingers Meinung noch „selbst Schuld“ – und jetzt diese Entwicklung. Unsere Anwälte haben nun die Überstellung der Ermittlungsakte innerhalb von 24 Stunden gefordert. Wir freuen uns auf diese Lektüre und werden selbstverständlich der Öffentlichkeit detaillierte Einsicht in die Tätigkeit dieses AfD-Staatsanwaltes geben.“
Verfahren sorgte bundesweit für Aufschrei
Das Verfahren gegen die Künstler hatte bundesweit für Empörung gesorgt. Matthias Lilienthal, Intendant der Müchener Kammerspiele, sagte gegenüber netzpolitik.org: „Es ist auf der einen Seite eine bodenlose Unverschämtheit, ein Kunstkollektiv zu einer kriminellen Vereinigung zu erklären, auf der anderen Seite freue ich mich darüber, weil es das erste Mal seit vielen Jahren ist, dass Kunst zu etwas Bedrohlichem geworden ist.“ Lilienthal hatte die Einstellung des Verfahrens gegen das Zentrum für politische Schönheit gefordert, „stattdessen sollte gegen Björn Höcke wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt werden“, so der Intendant weiter.
Auch Thomas Ostermeier, der künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne, stellte sich hinter das ZPS. Er sagt: „Dass die Staatsanwaltschaft in Thüringen gegen das Zentrum für politische Schönheit wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelte, finde ich skandalös. Das Kollektiv hat meine volle Solidarität.“
Das Ermittlungsverfahren gegen das ZPS wurde im Jahr 2017 eine Woche nach der aufsehenerregenden Mahnmal-Aktion vor dem Haus des rechtsradikalen Politikers Björn Höcke aufgenommen. Das Zentrum für Politische Schönheit hatte im November 2017 unter anderem ein Stelenfeld direkt gegenüber Höckes Haus aufgebaut – um dessen Umgang mit dem Holocaust und der deutschen Erinnerungskultur zu kritisieren.
Höcke nannte ZPS „kriminelle Vereinigung“
Ein auffälliges Detail des Verfahrens: Nur Tage nachdem der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke die Aktionskünstler auf einer Veranstaltung des rechtsradikalen Compact-Magazins „kriminelle Vereinigung“ genannt hatte, wurden die Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Gera aufgenommen. Auch die AfD Thüringen twitterte, dass es sich beim ZPS um eine kriminelle Vereinigung handele. Ob diese Äußerungen zu dem Verfahren führten, ist bislang nicht bekannt.
Aus Thüringer Justizkreisen und von der Staatsanwaltschaft Gera hieß es letzte Woche, dass eine Passage in einer Pressemitteilung des Zentrums, in der stand, dass man den AfD-Rechtsaußen Höcke seit zehn Monaten beobachte und es sich um „die aufwendigste Langzeitbeobachtung des Rechtsradikalismus in Deutschland“ handle, die Ermittlungen von Amts wegen ausgelöst hätten. Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Künstler gab es schon seit vielen Jahren nicht mehr.
„Bei Verfahren nach § 129 steht den Ermittlungsbehörden das gesamte Arsenal an Ermittlungsmethoden zur Verfügung“, erklärt Peer Stolle, Strafverteidiger aus Berlin, gegenüber netzpolitik.org. Dazu gehören Maßnahmen wie Postkontrolle, Telefonüberwachung, langfristige Observation, Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern, Rasterfahndung und der große Lauschangriff.
Hinweise auf politisch-motivierte Ermittlungen
Das Verfahren hatte auch in der rot-rot-grünen Thüringer Landesregierung für Aufregung gesorgt. So stellte sich der Kulturminister Thüringens Benjamin Hoff hinter die Künstler und wandte sich gegen eine Kriminalisierung. Die Vorsitzende der Linkspartei in Thüringen, Susanne Hennig, twitterte: „#Solidarität mit dem #ZPS. Egal, wie jede Einzelne die Beiträge von @politicalbeauty findet, @die_linke_th wird die #Kunstfreiheit immer verteidigen. Die Staatsanwaltschaft Gera macht scheinbar wieder gegen linke & humanistische Aktivist*innen mobil.“ Unterstützung gab es auch von linken Bundestagsabgeordneten und der Grünen Jugend.
Die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Linke) wies auf Twitter darauf hin, dass der zuständige Staatsanwalt Michael Zschächner politisch motiviert handle. Er falle seit mehreren Jahren insbesondere mit Ermittlungen gegen linke Strukturen auf und würde gegen diese hyperaktiv agieren. König-Preuss führt gleich mehrere Beispiele für die Aktivitäten von Zschächner an. Ähnlich äußerte sich die mitregierende Landtagsfraktion der Linken in einer Pressemitteilung, welche die Ermittlungen als Angriff auf die Kunstfreiheit bezeichnete und auf eine Häufung „merkwürdiger Verfahren“ verwies. In der Pressemitteilung wird auch auf den Zusammenhang aufmerksam gemacht, dass Höcke vor der Eröffnung des Verfahrens das Zentrum als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet hatte. Die linke Bundesvorsitzende Katja Kipping verweist auf einen Fall, in dem der Staatsanwalt aus Gera nicht gegen Rechte ermitteln wollte.
Viele Fragen offen
Zusammen mit der AfD-Nähe durch die Spende für die rechtsradikale Partei hat dies nun auch für personelle Schritte in Gera gesorgt. Generalstaatsanwalt Andreas Becker und der amtierende Leiter der Staatsanwaltschaft Gera, Oberstaatsanwalt Steffen Flieger, sagen: „Die Entscheidung, den Staatsanwalt bis zur Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe mit anderen Aufgaben zu betrauen, erfolgte aus Fürsorgeaspekten und auf Vorschlag des Betroffenen.“
Trotz dieser Entwicklung bleibt die Frage, welche Überwachungsmaßnahmen die Staatsanwaltschaft gegen die Aktionskünstler unternommen hat, ob die Erkenntnisse mit anderen Behörden geteilt wurden und wie es sein konnte, dass dieses Ermittlungsverfahren überhaupt eröffnet wurde und dann so lange lief.
Stefan Pelzer: “ […] Unsere Anwälte haben nun die Überstellung der Ermittlungsakte innerhalb von 24 Stunden gefordert. Wir freuen uns auf diese Lektüre und werden selbstverständlich der Öffentlichkeit detaillierte Einsicht in die Tätigkeit dieses AfD-Staatsanwaltes geben.“
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