Europäisches MedienfreiheitsgesetzAbgeschwächter Sonderstatus für Medien auf großen Plattformen

Diese Woche verhandelten EU-Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten über einen umstrittenen Sonderstatus für Medien auf großen Plattformen. Doch das ist nicht der einzige Streitpunkt im EU-Medienfreiheitsgesetz: Um das staatliche Hacken von Journalist:innen ringen sie weiterhin.

Eine Hand hält eine sehr bunte Zeitung
Sind Medien künftig auf Plattformen etwas Besonderes? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Good Good Good

Bis vier Uhr morgens verhandelten die Vertreter:innen von EU-Parlament, Kommission und den Mitgliedstaaten über den European Media Freedom Act (EMFA). Nun haben sich die EU-Institutionen im Trilog bei der Frage nach dem umstrittenen Sonderstatus von Medien auf großen Plattformen weitgehend geeinigt. Dieser soll kommen – allerdings deutlich schwächer, als das EU-Parlament und Journalistenverbände wollten.

Das bestätigten uns mehrere mit den Verhandlungen vertraute Personen. Die spanische Ratspräsidentschaft wollte die Informationen auf Anfrage nicht kommentieren. Ein Sprecher sagte aber, dass sich die Verhandlungen auf diesem Trilog auf einem guten Weg befänden.

Das ausgegebene Ziel des EMFA ist der Schutz der Pressefreiheit. Diese will die Verordnung nicht nur gegen den Einfluss von autokratischen Regierungen wie in Polen unter der PiS-Partei oder im Orbanschen Ungarn verteidigen, sondern auch gegen die Macht von großen Plattformen.

Sonderregeln für Medien bei VLOPs

Um das letztgenannte Ziel geht es in Artikel 17 des EMFA. Dieser regelt die Beziehung zwischen Medien und den durch den Digital Services Act designierten, sehr großen Plattformen (VLOPs). Als solche gelten Online-Dienste mit mehr als 45 Millionen monatlichen Nutzer:innen in der EU. Nun haben sich die drei EU-Institutionen geeinigt: Der Sonderstatus für „anerkannte“ Medien kommt, allerdings bleibt das letzte Wort bei den Plattformen.

Anbieter:innen von Mediendiensten kommen an diesen Sonderstatus, indem sie bei den VLOPs bestimmte Angaben machen. Sie müssen unter anderem erklären, dass sie redaktionell unabhängig sind und KI-generierte Inhalte kennzeichnen. Die Plattform kann dann entscheiden, ob sie diese Erklärung akzeptiert.

Das letzte Wort haben Musk, Zuckerberg und co.

Ist ein Mediendienstanbieter einmal akzeptiert, können seine Posts nicht mehr einfach gelöscht werden. Gemäß dem Trilog-Ergebnis muss die Plattform das Medium zuerst über seine Löschabsicht informieren und den Schritt begründen. Grundlage dafür sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Gegen diese Entscheidung soll das betroffene Medium Einspruch einlegen können. Die Plattform entscheidet, ob sie diesem stattgibt.

Damit haben sich an diesem Punkt die Mitgliedstaaten weitgehend durchgesetzt. Das EU-Parlament wollte eigentlich, dass im Konfliktfall eine nationale Medienaufsichtsbehörde das letzte Wort hat.

24-Stunden-Schonfrist als Kompromiss

Allerdings gibt es für die Löschung eine Frist, die sogenannte „Stay-Up-Regelung“. 24 Stunden lang darf Instagram, X oder ein anderer VLOP den Inhalt eines anerkannten Mediums in der Regel nicht löschen oder in seiner Sichtbarkeit einschränken. Damit sollen die Mediendienstanbieter:innen genug Zeit haben, auf die Löschabsicht zu reagieren.

Damit werden Posts von anerkannten Medien zukünftig anders behandelt als die von normalen Nutzer:innen. Dieser Sonderstatus ist umstritten. Zu den Kritiker:innen einer solchen Regelung gehört die Electronic Frontier Foundation (EFF). „Der Deal ist schlecht für Internet-Nutzer:innen“, sagt Christoph Schmon, International Policy Director bei der EFF. Online-Plattformen würden in Zwangshosting-Dienste verwandelt und könnten Inhalte nicht mehr schnell entfernen.

„Wenn das Europäisches Medienfreiheitsgesetz in dieser Form beschlossen wird, könnte es die Gleichheit der Rede untergraben, Desinformation im Internet fördern und Randgruppen bedrohen“, befürchtet Schmon. Artikel 17 könne zu der absurden Situation führen, dass einflussreiche Medien und große Plattformen darüber verhandeln, welche Inhalte sichtbar sein sollen.

Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) wiederum hätte die Medienausnahme am liebsten ausgeweitet und argumentiert, dass Plattformen nicht das Recht haben dürften, journalistische Inhalte zu löschen. Mit der jetzigen Einigung zeigte sich der DJV aber zufrieden. „Die 24-Stunden-Regelung ist ein Kompromiss, mit dem wir leben können. Damit wird für die großen Plattformen klar, dass sie nicht willkürlich über Löschungen entscheiden können. Das war uns wichtig und hat sich offenbar nun durchgesetzt“, sagte Hendrik Zörner vom DJV gegenüber netzpolitik.org.

„Auch Algorithmen in den Blick nehmen“

Auch aus Sicht von Reporter ohne Grenzen sollte es nicht den Plattformen überlassen bleiben, über Löschung und Sperrung von Medieninhalten zu entscheiden. Falls ein Medium einer Moderationsentscheidung widerspreche, sollte ein Gericht die Entscheidung treffen. „Aus unserer Sicht sollten aber nicht alle Medien Privilegien bei der Inhaltemoderation genießen, sondern nur jene, die sich professionellen ethischen und journalistischen Standards verpflichtet haben, wie beispielsweise dem ISO-Standard der Journalism Trust Initative“, sagt Ilja Braun, Referent Advocacy bei Reporter ohne Grenzen.

Die NGO fordert, auch Algorithmen in den Blick zu nehmen. „Statt nur auf Löschungen und Sperrungen vermeintlich oder tatsächlich illegaler Inhalte abzuzielen, wäre es zudem wünschenswert, wenn es eine Verpflichtung für Plattformen gäbe, verlässliche Inhalte aktiv sichtbarer zu machen, sie also in ihren Rankings und Empfehlungsalgorithmen zu bevorzugen“, betont Braun gegenüber netzpolitik.org.

Auch EFF und andere Organisationen hatten in einem gemeinsamen Statement im Januar die Kuratierung von Inhalten durch Algorithmen als „deutlich ernstere Bedrohung“ beschrieben als eine Moderation durch Facebook und Co.

Streit um Schutz vor Staatstrojanern

Neben Artikel 17 wurden in der Nacht auf Donnerstag noch viele weitere Bestimmungen des EMFA verhandelt. So macht der EMFA neue Vorgaben zum öffentlichen Rundfunk der Mitgliedstaaten, Transparenzvorschriften zu staatlicher Werbung und einem neuen EU-weiten Gremium, welches die bisherige Koordinationsgruppe der nationalen Medienaufsichtsbehörden (ERGA) ersetzen soll. Dieses neue Gremium soll zwar formal unabhängig sein, allerdings ist das Sekretariat direkt der EU-Kommission unterstellt und wird von diesem finanziert. Damit hat sich die Forderung des Parlaments auf „funktionale Unabhängigkeit“ nicht erfüllt.

Es steht nun weitgehend fest, wie der EMFA aussehen soll. Aber: „Nothing is agreed until everything is agreed“, heißt es aus dem EU-Parlament. Nichts ist beschlossen, solange nicht alles beschlossen ist.

Einen Kampf müssen die drei Trilog-Parteien noch ausfechten: Wann Staaten Journalist:innen überwachen und hacken dürfen. Die Verhandlungen hierzu sind für den Trilog am 15. Dezember angesetzt. Die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament haben grundverschiedene Ansichten.

Dass strengere Regeln hier notwendig sind, zeigte sich vor allem durch die Erkenntnisse rund um Pegasus und Predator. Mit den beiden Staatstrojanern haben Behörden unter anderem in Ungarn und Griechenland Journalist:innen ausspioniert.

EU-Länder wollen weitreichende Ausnahmen

Die EU-Staaten wollen sich beim Hacken und Überwachen von Journalist:innen jedoch nicht reinreden lassen. Der EMFA soll nach ihrem Willen Ausnahmen vorsehen wenn es ein „übergeordnetes öffentliches Interesse“ gibt oder die nationale Sicherheit berührt sei. Zuletzt durchsuchten Sicherheitsbehörden in Frankreich die Geräte und Räume einer Investigativjournalistin auf Grundlage einer solchen Ausnahme.

Auch der EMFA-Vorschlag des Europaparlaments schließt das Hacken von Journalist:innen nicht vollständig aus, setzt ihm aber engere Grenzen. Der Vorschlag sieht vor, dass nationale Behörden nur Staatstrojaner einsetzen können, wenn der Einsatz nicht im Zusammenhang zur journalistischen Arbeit der Betroffenen steht und er nicht im Zugang zu journalistischen Quellen resultiert. Außerdem gilt ein Richtervorbehalt.

Einzelne Fraktionen und über 80 zivilgesellschaftliche Akteur:innen hatten einen komplettes Verbot von Spyware-Einsätzen gegen Journalist:innen gefordert. Die Organisationen, unter ihnen auch der Chaos Computer Club und viele europäische Journalistenverbände, warnten in einem offenen Brief: „Die Fähigkeit von Spyware, auf alle Daten zuzugreifen und die volle Kontrolle über ein Gerät zu übernehmen, kann technisch nicht eingeschränkt werden.“

Wie verhält sich die Kommission?

Entscheidend für die Verhandlungen am 15. Dezember könnte die Position der EU-Kommission in dieser Frage werden. Tagesspiegel Background (€) berichtete, dass die Kommission signalisiert habe, den Gesetzesvorschlag zurückzuziehen, wenn die Mitgliedstaaten hier nicht einlenken würde. Das wäre überraschend, schließlich finden sich die vom Ministerrat vorgeschlagenen Ausnahmen auch im ursprünglichen Vorschlag der Kommission.

2 Ergänzungen

  1. Wenn die sogenannte „nationale Sicherheit“ als Ausnahme dafür bleibt, dass den Regierungen unterstellte Sicherheitsbehörden in der EU allen Ernstes Journalisten hacken dürfen (? nach allem, was im Zuge von Pegasus herauskam, nach dem, was wir hier bei uns aus dem NSA-Untersuchungsausschuss wissen, ….?!) , – dann müssen wir wohl das Wort Pressefreiheit als Heuchelei ansehen.

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