Sowohl Politiker der SPD-Fraktion wie auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser fordern die Einführung der IP-Vorratsdatenspeicherung. Begründet wird dies mit dem Fall der Terrorverdächtigen von Castrop-Rauxel, die einen Giftstoffanschlag geplant haben sollen. Dort konnte ein Terrorverdächtiger nach Angaben der Sicherheitsbehörden mittels einer IP-Adresse ermittelt werden, die der Mobilfunkanbieter Vodafone für sieben Tage gespeichert hatte. Anbieter speichern manche Verkehrsdaten etwa zu Abrechnungszwecken oder zur Fehlersuche für einen begrenzten Zeitraum.
„Der Fall Castrop-Rauxel zeigt, dass es dringend eine klare Regelung für die Speicherdauer von IP-Adressen braucht“, sagte SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann gegenüber der Rheinischen Post. „Wir sollten mit Ampel-Mehrheit die Rechtsgrundlage schaffen, dass künftig die IP-Adressen immer für 14 Tage gespeichert werden“, forderte er gegenüber der Zeitung.
Laut dem Bericht sieht man das auch im Bundesinnenministerium so. Eine Sprecherin von Nancy Faeser (SPD) sagte, dass der Europäische Gerichtshof ausdrücklich entschieden habe, dass IP-Adressen gespeichert werden dürfen, um schwere Kriminalität bekämpfen zu können. Das vom Bundesjustizministerium präferierte Quick-Freeze-Verfahren sei kein Ersatz, sondern nur eine Ergänzung. Dabei können Daten mit möglichem Bezug zu Straftaten bei den Anbietern „eingefroren“ werden, damit sie nicht routinemäßig gelöscht werden.
Weiter Streit in der Ampel
Der Rheinischen Post sagte ein Sprecher von Marco Buschmanns (FDP) Ministerium: „Aus Sicht des Bundesjustizministeriums ist es besonders wichtig, den Ermittlungsbehörden nach vielen Jahren der rechtlichen Unsicherheit nun ein Instrument zur Verfügung zu stellen, dessen Rechtssicherheit außer Frage steht.“ Im vergangenen September hatte der Europäische Gerichtshof die bisherigen deutschen Regelungen gekippt, da eine anlasslose Speicherung der Daten nicht mit Unionsrecht vereinbar ist. Eine wie von der SPD geforderte Speicherung würde keine Rechtssicherheit bieten, denn die Daten dürfen nur für den absolut notwendigen Zeitraum gespeichert werden. „Die Bestimmung dieses Zeitraums wäre daher erneut mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet“, so der Sprecher weiter gegenüber dem Medium.
In der Ampel-Koalition ist man sich also weiterhin alles andere als einig. Während das Justizministerium die Vorratsdatenspeicherung nicht will und stattdessen schon einen Entwurf für das Quick-Freeze-Verfahren vorgelegt hat, will die Innenministerin eine neue Vorratsdatenspeicherung und an das Äußerste gehen, was das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zulässt.
Wie viele verfassungswidrige Gesetzesvorschläge oder Gesetze muss eine Partei eigentlich auf den Weg bringen, und wie oft muss sie sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widersetzen, ehe sie offiziell als verfassungsfeindliche Organisation eingestuft wird?
Das läuft anders. Das geht so lange, bis das Verständnis von Grundrechten und Grundgesetz gesellschaftlich ausreichend erodiert sind und genug Teilaspekte der Vorhaben bei den Gerichten durchkommen. Mit Letzterem begründen die Innenministerin und ihre SPD-Unterstützer*innen ja den Vorstoß jetzt („Wir gehen so weit wir irgendwie nur dürfen!“). Im Idealfall für sie und ungünstigsten Fall für die offene, demokratische Gesellschaft, entsteht dadurch sogar langsam eine Umkehrung des Rechtsverständnisses, so dass der Widerspruch zur anlasslosen Massenüberwachung und dem autoritären Sicherheitsstaat als etwas Grundgesetzfeindliches aufgefasst werden.
Die Umkehrung des Rechtsstaatsverständnisses ist längst Realität. In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wäre die Devise: „Grundrechtseinschränkungen so wenig wie möglich, so viel wie nötig.“ SPD und CDU bekunden immer offener ihre Absicht, es genau umgekehrt zu machen; es wird explizit davon gesprochen, dass man die Urteile des BVerfG sehr genau analysieren und sich dann so weit wie möglich an die Grenzen herantasten wolle. Gepaart wird das mit der von Ihnen schon angesprochenen Zermürbungstaktik, auch bereits für verfassungswidrig erklärte Vorhaben so oft wieder auszugraben, bis die Rechtsprechung aufgibt oder mittels geschickter Personalentscheidungen „auf Linie gebracht“ ist.
Ähnlich zu „Datenschutzstrategien“… man transportiert also Schutzfunktionen als bremsende Elemente, und stellt sich als die Handelnden dar.
solange eine Partei sich selbst bescheinigt auf dem „Boden der Demokratie“ zu stehen scheint es da keine Grenze nach oben zu geben.
immer dran denken: der Bundestag bestimmt die Verfassungsrichter*innen. da setzt man als Parteien dann gerne „kooperative“ Menschen.
MRT: Das sehe ich auch so, vgl. hierzu diesen Link und meinem damaligen Kommentar unten:
https://netzpolitik.org/2022/schwerwiegende-grundrechtliche-bedenken-bundeslaender-kritisieren-chatkontrolle/#comments
Auch wenn mein Kommentar damals durchaus sinnvoll ergänzt wurde, bleibt bei der gängigen Praxis der Ernennung der Verfassungsrichter bzw. deren Nähe zu Parteien ein fader Beigeschmack.
… ja, ja, es sind wieder mal die Sozialdemokraten.
Wenn IP-Adressen gespeichert werden sollen, dann:
1. müssen die Behörden, wie in diesem Fall, mit Transparenz beweisen (!), dass der Täter wirklich nur (!) mit einer IP-Adresse hat ermittelt werden können – und nicht anders. Von Transparenz kann aber bis jetzt keine Rede sein – im Gegenteil: Es fällt auf, dass immer dann, wenn Entscheidungen gegen die Vorratsdatenspeicherung ins Haus stehen (EuGH), plötzlich angeblich nur (!) mit einer IP-Adresse ein oder mehrere Täter ermittelt werden konnten – und nicht anders, also (vgl. § 100a StPO), die Ermittlung mit anderen Methoden „aussichtslos“ war. Besonders CDU/SPD schreiten dann zu medienwirksamer Betonung, dass ohne die Speicherung alle ins Verderben gestürzt worden wären
2. es in jedem (!) Fall immer einen Unsicherheitsfaktor gibt, selbst wenn die IP-Adressen mehrere Wochen gespeichert würden – wo soll die Grenze sein? Wären die Adressen sagen wir 30 Tage gespeichert und wäre die Tat oder irgendeine verdächtige Äußerung zwei Tage vor Ablauf dieser Frist getätigt worden, hätte dies genausowenig zum Erfolg geführt wie es nach Meinung der Behörden in der obigen Konstellation der Fall gewesen wäre, hätte Vodafone die IP nicht zu Abrechnungszwecken gespeichert.
3. müsste bei so einem grundrechtsintensiven Eingriff wie hier genau dargelegt werden, wieso gerade die IP zur Identifikation beigetragen haben soll, d. h. der Ermittlungszusammenhang muss im Nachhinein einer (leider nicht vorhandenen) Kontrollinstanz offengelegt werden (s. a. Punkt 1). Dies geht aus dem BKA-Bericht nicht vor; die angeblich vorliegenden Dokumente sind nicht zitiert, daher nicht einsehbar und der Vorgang in seiner Schlüssigkeit nicht nachvollziehbar
4. wären selbst bei einer Speicherung die Identifikationen umgehbar, da IP-Adressen bekanntlich verschleiert werden können. In diesem Fall spricht das für ein eher unprofessionelles Vorgehen der Täter.
Ach, spätestens wenn die Union den Rentner*innen genug Angst gemacht hat um wieder an die Macht zu kommen würde man auch den Abmahnanwälten Zugriff auf die IPs geben – „schwere Verbrechen“ sind da nur der Anfang, sind die Daten erst mal vorhanden wird man sie auch „wirtschaftlich“ nutzen wollen.
Da muss man tatsächlich vorsichtig sein. Die Parteien in Berlin hatten ja schon bei der Corona-Gesetzgebung einige Probleme damit die Zweckbindung der Daten explizit in den Gesetzestext zu packen.
Wenn jetzt wirklich langsam dem Letzten Menschen klar wird, dass es Menschen gibt, denen die Rechtsprechung, der Rechtsstaat und besonders aktuell ausgesprochenes Recht völlig egal ist.
Warum nicht ehrlich „SPD-Politiker fordern erneut Verfassungsbruch“ titeln?
IP-Nummern – Na Super.
Was ist mit Anonymisierungs-Netzwerken wie (z.B.) TOR?
Ich habe als erste Meldung gehört, dass es aus den USA einen ersten Hinweis auf DIE Täter durch Geheimdienste gegeben haben soll. Das BKA dagegen behauptet das es so gewesen sei, wie oben dargestellt. Welche Version stimmt? Wenn es aber so ist, dass die US-Geheimdienste an das BKA Informationen gegeben haben, dann ist spätestens hier die Trennung von Geheimdiensten und Polizei aufgehoben. Entspricht das noch unserem Rechtsverständnis?
(Bitte diesen Kommentar nehmen und den ersten wegen Verschreiber nicht – Danke:)
Bei aller Liebe zur Demokratie und Staaten, langsam muss man sich technisch wehren.
Verschlüsseln wos geht und über Proxy, VPN und Tor umleiten.
Wo nix ist das man auswerten kann, kann einem dieser Vorstoß wenig a haben. Sehr traurig.
Bitte, keine proxy, egal welche ^^
Totaltransparenz der Bürger, Intransparenz des Staates, strukturelles Rechtsextremismusproblem bei Polizei , Behörden und Ministerien.
Die perfekten Zutaten für Missbrauch und Korruption.
„strukturelles Rechtsextremismusproblem bei Polizei , Behörden und Ministerien.“
Der Prozentsatz an rechtsextremen Verdachtsfällen in Behörden lag im sehr niedrigen einstelligen Prozentsatz, nicht höher als in der Gesamtbevölkerung.
Die Zielzahl ist hier allerdings Null. Strukturell könnte meinen, dass es zu leicht ist, auch demensprechend zu handeln sich zu formieren, unsanktioniert zu bleiben, oder bei Datenzugriff gar nicht erst aufzufallen. Ob der Begriff dabei angebracht ist, will ich allerdings hier nicht behandeln.
Weil hier Tor empfohlen wird, eine Frage:
Neuerdings sehe ich bei .onion-Seiten die immergleichen Middlenodes.
Die wechseln erst nach einem Torbrowser-Neustart. Danach aber wieder dasselbe verhalten.
Das erscheint mir neu. Hat das noch jemand?