Wochenrückblick KW48Auf der Spur von trägen Behörden und getrackten Sneakern

Diese Woche haben wir den deutschen Datenschutzbehörden auf die Finger geschaut und herausgefunden: gegen die Gesichtersuchmaschine Clearview tun sie viel zu wenig. Außerdem berichten wir über einen digitalen Kleinkrieg, den das Arbeitsamt führt, und von einer Jagd nach alten Sneakern.

grüner Frosch auf Holzmatte
Ob dieser Frosch so verschmitzt grinst, weil seine Verbraucherschutzverband jetzt Facebook verklagen darf? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com David Clode

Unsere Spendenkampagne ist in vollem Gange. Damit wir euch auch 2022 mit kritischen Berichten und investigativen Recherchen aus dem netzpolitischen Universum versorgen können, brauchen wir Geld. Sebastian Meineck und Markus Reuter erklären, was eure Spenden bewirken. In den nächsten Tagen folgen noch zahlreiche weitere Videos. Genau 343.750 Euro fehlen uns noch, bis wir die Million zusammen haben. Unterstütze uns jetzt mit deiner Spende und sage es unter dem Hashtag #1MillionForDigitalRights weiter.

Nach dem Werbeblock zu den Dingen, die diese Woche passiert sind:
Der Gesichtersuchmaschine Clearview droht in Großbritannien eine Millionenstrafe: Nachdem Australien das umstrittene Unternehmen schon Anfang November aufgefordert hatte, alle Daten seiner Bürger:innen zu entfernen, zieht jetzt auch die britische Datenschutzbehörde nach. Gegen das Unternehmen, das behauptet, weltweit mehr als 10 Milliarden Bilder von Menschen aus dem Internet erfasst zu haben, formiert sich international Widerstand. Und was machen deutsche Datenschutzbehörden? Christina Braun und Sebastian Meineck haben nachgefragt und erschreckend ernüchternde Antworten bekommen.

Auch an anderer Stelle drücken sich Behörden vor der Verantwortung. Das Bundeskriminalamt lässt Inhalte, die Kindesmissbrauch zeigen, nicht löschen, sondern setzt andere Prioritäten. Gleichzeitig nutzen Politiker:innen den Schutz von Kindern ständig als Argument, um unbescholtene Bürger:innen ohne Anlass zu überwachen – Stichwort Chatkontrolle und Vorratsdatenspeicherung. Ein Skandal, findet Markus Reuter.

Deutsche Behörden und ihre IT-Projekte

Auch keine allzu gute Figur machen deutsche Behörden, wenn es um Digitalisierungsprojekte in den eigenen Reihen geht: Mit „De-Mail“ wollte die Bundesregierung ein Mittel zur sicheren Kommunikation im Internet schaffen. Millionen von Briefe auf Papier wollte die Verwaltung dadurch einsparen. Dass das nicht geklappt hat, ist schon lange klar, doch jetzt sagt es auch der Bundesrechnungshof ganz deutlich: „Das BMI ist gescheitert“. Markus Reuter berichtet.

Währenddessen liefert sich die Bundesagentur für Arbeit ein Wettrüsten mit Open-Data-Aktivist:innen. Die hatten eine Schnittstelle der Jobbörse dokumentiert, um den automatisierten Zugriff auf die Daten zu erleichtern. Die Arbeitsagentur versuchte dann die Schnittstelle zu schließen, doch zwei Tage später war die Dokumentation wieder online. Markus Reuter hat beide Seiten gefragt, was sie antreibt.

Ein IT-Projekt der geheimen Art fädelt die Hacker-Behörde ZITiS offenbar mit der Firma DSIRF aus Österreich ein  und lässt sich deren Staatstrojaner „Subzero“ vorführen, berichtet Andre Meister. Ob deutsche Geheimdienste oder Polizeien den Trojaner haben und nutzen, verrät die Bundesregierung nicht mal dem Parlament.

Letzte Woche drehte sich in Berlin alles um den Koalitionsvertrag der zukünftigen Bundesregierung. Doch auch auf Landesebene bildet sich ein neues Regierungsbündnis: Es ist wieder rot-rot-grün. Wir haben uns auch diesen Koalitionsvertrag genau angesehen und berichten, was Berliner:innen in der Netzpolitik erwartet.

Die EU fühlt Facebook und Amazon auf den Zahn

Verbraucher:innenverbände dürfen Facebook wegen Datenschutzverletzungen verklagen. Das hat der Generalanwalt der EU entschieden und gibt damit dem deutschen Verbraucherzentrale Bundesverband Recht. Das könnte den Konzern teuer zu stehen kommen und neuer Ärger steht schon vor der Tür. Warum sich der Konzern jetzt besonders warm anziehen muss, lest ihr im Bericht von Alexander Fanta.

Black Friday haben wir gerade so hinter uns gebracht, jetzt steht die vorweihnachtliche Shopping-Hölle an. Viel wertvoller als der Handel mit Weihnachtsgeschenken, ist aber der mit Daten. Konzerne wie Amazon betreiben bereits Datenpools, in denen Firmen und Organisationen ihre wertvollen Datensätze für andere zur Nutzung anbieten können. Als Zwischenhändler für Daten häufen sie dabei nicht nur Gewinne sondern auch Macht an. Das will die EU jetzt mit einem neuen Gesetz für neutrale Marktplätze für Daten stoppen. Alexander Fanta erklärt, wie das funktionieren soll und warum das Gesetz die Abhängigkeit von Amazon schwächt.

Nicht nur das neue EU-Gesetz fühlt Amazon auf den Zahn. Ein neues Add-on soll jetzt auch die Suche auf der Plattform des Konzerns transparenter machen. Der „Amazon Brand Detector“ zeigt Verbraucher:innen an, ob eine Marke zu Amazon gehört oder nicht. Immer wieder steht der Konzernriese im Verdacht, eigene Produkte in den Suchergebnissen zu bevorzugen und damit seine Marktmacht auszunutzen. Jana Ballweber hat sich angeschaut, ob Amazon sich bei der Produktplatzierung selbst bevorzugt.

Aber es gibt diese Woche nicht nur Erfreuliches aus Brüssel zu berichten: In der EU könnte es bald schon Ärger mit Apples neuem Anonymisierungsdienst Private Relay geben. Die „Internet-Tarnkappe“, die Apple zahlenden Nutzer:innen der iCloud anbietet, kombiniert Eigenschaften von zwei beliebten Werkzeugen gegen digitale Überwachung, nämlich von VPN-Diensten und dem Tor-Browser. „Hinter verschlossenen Türen warnen EU-Beamte vor Private Relay“, schreibt Alexander Fanta

All about the Money

Weiter geht’s mit noch mehr Regulierungsbestrebungen der EU — und diesmal geht es ums Geld. Im Kampf gegen Geldwäsche könnten neue EU-Regeln es künftig nämlich sehr schwierig machen, auf anonyme Wallets zuzugreifen. Wenn es nach den EU-Ländern geht, sollen Kryptobörsen bald dazu verpflichtet werden, Informationen über ihre Kundschaft zu sammeln. Alexander Fanta erklärt, warum die EU Kryptowährungen stärker regulieren will.

Online-Journalismus finanziert sich in der Regel nicht durch Kryptowährungen, sondern häufig durch personalisierte Werbung. Leser:innen müssen sich oft durch Cookie-Banner und irreführende Einwilligungsabfragen klicken, ehe sie endlich zum gewünschten Artikel kommen. Das ist nicht nur nervig, sondern auch unnötig, findet Gastautor Lars Konzelmann. In seinem Artikel erfahrt ihr, welche Alternativen er empfiehlt, um die Digitalwirtschaft aus dem „Würgegriff der großen Werbekonzerne“ zu befreien.

Eine Alternative zu Werbung und Datensammelei sind Spenden. Darauf setzt jetzt der Messenger Signal: Nachdem er sich bislang aus einzelnen Großspenden finanziert hat, möchte das Projekt jetzt die Nutzer:innen als regelmäßige Spender:innen gewinnen. Markus Reuter berichtet von den Plänen.

Barrierefreies Internet, die Jagd nach getrackten Sneakern und Archivperlen beim ZDF

Was passiert eigentlich mit unseren alten Schuhen, wenn wir sie in Altkleidercontainer oder Recycling-Boxen werfen? Ein Recherche-Team hat für die „Sneakerjagd“ alte Turnschuhe von elf Prominenten mit GPS-Trackern verwanzt und ist ihnen auf ihrer Odyssee rund um die Welt hinterhergereist. Im Interview spricht Christina Braun mit dem Projektleiter Christian Salewski darüber, wie man mit Location-Tracking investigativen Journalismus machen kann und wie es dazu kam, dass der linke Schuh von Jan Delay Amok lief.

Während Investigativ-Journalisten alte Sneaker durch die ganze Welt jagen, kämpfen Blinde und sehbehinderte Menschen für mehr Bildunterschriften bei Posts in den Sozialen Medien. Denn für Menschen, die nichts sehen können, ist das Netz voller Barrieren. Eine der größten: Bilder ohne Bildbeschreibungen. Chris Köver und Serafin Dinges haben mit Dagmar, die seit 2007 erblindet ist, im Podcast darüber gesprochen, wie man das Netz in Zukunft barrierefreier machen kann.

Um Barrieren geht es auch im nächsten Beitrag: Illegale YouTube-Uploads sind für die Öffentlich-Rechtlichen ein ärgerliches Verlustgeschäft — sollte man meinen. Dabei können Videos, die auf Youtube illegal hochgeladen werden, auch dabei helfen, längst vergessene Archivperlen in der ZDF-Mediathek wiederzufinden: Denn was auf YouTube gut läuft, kriegt auch in der Mediathek viele Klicks ab. „Zeit, Lehren daraus zu ziehen“, findet Leonhard Dobusch. In seiner aktuellen Episode „Neues aus dem Fernsehrat“ lest ihr, wie sich YouTube und die Mediathek gegenseitig ergänzen könnten.

Von düsteren Überwachungsdystopien und intelligenten Roboterhunden

„Wir haben keinerlei Vorstellung davon, was alles gewusst wird“, sagt Soziologe Harald Welzer über kommerzielle Datenkonzerne. Constanze Kurz dokumentiert einen Teil seines Gespräches mit Datenschützer Stefan Brink. Es geht um unsere schöne neue Datenwelt, Gesichtserkennung, Beschäftigten-Datenschutz und die Veränderung der Arbeitsverhältnisse — auch in Zeiten von Corona.

Derweil trainieren dem Namen „ATLAS-Verbund“ polizeilichen Spezialeinheiten aus verschiedenen EU-Staaten für gemeinsame Einsätze gegen Terroranschläge. Matthias Monroy berichtet über die aktuellen Aktivitäten des Verbunds. Mit dabei sind Sprengstoffdrohnen und intelligente Roboterhunde.

Ein Musiktipp und eine Bitte

Zum Schluss haben wir noch eine musikalische Einlage, die wir euch nicht vorenthalten können: Informationsfreiheit gibt es jetzt nämlich auch als Song. Für ihre Weihnachtsspendenkampagne haben die Transparenzaktivist:innen von „Frag den Staat“ aus Danger Dans „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ einen eigenen Remix gezaubert — und gezeigt, dass sie auch musikalisch die richtigen Töne treffen. Markus Reuter hat sich das Musikvideo für euch angeschaut.

Was Frag den Staat sonst noch so macht, könnt ihr hinter dem ersten Türchen unseres digitalen Kalenders der guten Orte lesen. Bis Weihnachten stellen wir euch dort jeden Tag einen zivilgesellschaftlichen Player vor, der das Internet ein Stückchen besser macht. Es lohnt sich also, vorbeizuschauen!

Hatten wir schon gesagt, dass wir noch 343.750 Euro bis zum Jahresende brauchen? Hier könnt ihr direkt spenden.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

  1. Es scheint heute ( 10.12.2021 ) ein Ergebnis im Assange Prozess in GB zu geben: habt Ihr jemanden, der mir erklären kann, wie das alles möglich sein kann, was sich da in der Justiz abspielt? Mein Radiosender klingt so, als käme er nicht einmal direkt frei, wenn er heute endlich gewinnt ?! Ich hatte mich schon über das Verhalten des britischen Staates vs. Alan Rusbridger und David Miranda gewundert, aber bei Julian Assange fehlt mir inzwischen so wirklich jeder Zusammenhang mit Rechtsstaatlichkeit … – kennt Ihr Euch da aus, wie das überhaupt möglich ist ? Ich möchte mich nicht „gewöhnen“ an Unrecht in Europa.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.