Homer Simpsons ausgestreckter Zeigefinger schwebt über zwei roten Knöpfen. Über dem linken Knopf steht „Laschet, der eigentlich bei allem scheitert“, rechts davon „Söder, der nur Bayern bevorzugen wird“. Auf Homers Stirn klebt das Logo der CDU. Im Vorraum des Kontrollraums lachen seine Kollegen. „He’s about to do something stupid“ lautet die Überschrift des im April veröffentlichten Memes.
Zu finden ist das Bild auf Instagram, wo eine anonyme Meme-Guerilla digitalen Wahlkampf betreibt. Mit bekannten Meme-Motiven und eigenen Textschnipseln versuchen die Macher:innen, ihre favorisierte Partei zu unterstützen und die Konkurrenz lächerlich zu machen. Die Accounts von „fdp_memes“, „die.linke.memes“, „real.cdu.memes“, und „spd_memes“ haben rund 15.000 Follower, dahinter kommen „gruenememes“ und „csu.memes“. In den letzten Monaten sind die Kanäle stetig gewachsen, die Inhalte haben virales Potenzial.
Meme-Macher:innen bilden einen beachtenswerten Faktor in der politischen Öffentlichkeit. Dafür liefern die Aktivist:innen beständig Nachschub. Die Bemühungen von connectcdu, der digitalen Speerspitze der CDU, und der Erfolg der parteipolitischen Kanäle zeigen, wie Memes junge Wähler:innen erreichen und neue Zielgruppen erschließen sollen.
fdp_memes erinnert mithilfe des „For the Better, Right?“ Meme an die Ausweitung des Staatstrojaners durch die Große Koalition. Die SPD hatte entgegen vorheriger Aussagen einem Einsatz der Überwachungswerkzeuge im Vorfeld von Straftaten zugestimmt. Das genutzte Imagemakro, das als beliebte Vorlage für Memes dient, setzt sich aus vier Screenshots zusammen, die aus dem zweiten Teil der Star Wars Saga stammen. Das gefällt fast 3.000 Personen.
Der Kanal csu.memes postet einen breit grinsenden Armin Laschet mit Sturmgewehr in der Hand. Über dem Bild steht: „Die Union, wenn die Linken Eigentum enteignen wollen.“ In der Kommentarspalte darunter argumentiert eine Nutzerin dagegen: „Laschet enteignet doch selber andauernd die Privateigentümer von Leuten, die über Kohlevorkommen wohnen 😂“. Kontra kommt auch von „spd_memes“ und „oedp_memes“, die Kanäle agieren auch untereinander.
Inoffizieller Wahlkampf
In den Profilbeschreibungen betonen die Meme-Macher:innen ihre Unabhängigkeit. Sie kennzeichnen ihre Profile als „inoffiziell“ oder „Satire/Parodie“. Dabei orientiert sich beispielsweise spd_memes am rot-weißen Wahlkampfdesign der SPD. Die am Profil angehefteten Vorschaubilder für Story-Highlights erinnern durch die Farbgebung eher an einen professionellen Unternehmens-Account als an einen Satirekanal. Auch die anderen Profile halten sich an die jeweiligen Kennfarben der Parteien.
Die einheitliche Ästhetik, die stete Postingfrequenz und die Themenvielfalt deuten auf engagierte politische Arbeit hin. Anonymität lässt den Betreiber:innen künstlerische Freiheit, manche der Memes würden wegen ihrer Sprache, Radikalität und Polemik wohl kaum in die Öffentlichkeitsstrategie der Parteien passen.
Matthias Hinze, Pressesprecher von Die Linke, gibt sich auf Anfrage erfreut, wenn junge Menschen linke Themen pointiert in die sozialen Medien bringen. Er befürwortet die Arbeit von die.linke.memes, auch wenn der Kanal seiner Aussage nach unabhängig von der offiziellen Social-Media-Arbeit der Partei agiert.
Laut der FDP-Pressestelle seien die Menschen hinter fdp_memes nicht bekannt. Der Kanal nehme keinerlei Einfluss auf den regulären Wahlkampf. Die Anfragen an die Pressestellen von SPD und CSU blieben unbeantwortet.
Einer der Kanalbetreiber, der hier lieber anonym bleiben möchte und dessen Name der Redaktion bekannt ist, misst Memes im Wahlkampf eine wichtige Bedeutung zu, obwohl einige Politiker:innen seiner favorisierten Partei ihrem Einsatz skeptisch gegenüberstehen. Er vermutet, dass auch die anderen Kanäle keine formalen Verbindungen zu den Parteien halten.
Södergram boomt
Neben den anonymen Kanälen gibt es einen Ausreißer, der ganz offiziell agiert: „connectcdu“ sorgt mit seinen Memes für Spott bei Gefolgschaft und Konkurrenz. Seit Januar diesen Jahres hat sich der CDU-Wahlkampfkanal auf die „lustigen“ Bildchen spezialisiert. Den Grund dafür möchte connectcdu auf Anfrage von netzpolitik.org nicht nennen.
Obwohl die technischen Hürden der Produktion relativ niedrig sind, ist für die Aneignung der digitalen Kulturtechnik Meme ein gewisses Fingerspitzengefühl nötig. Die israelische Kulturwissenschaftlerin Limor Shifman spricht diesbezüglich von einer eigens benötigten „Meme Literacy“.
Da die politischen Meme-Macher:innen in Deutschland über Kommentare miteinander interagieren und die Bildmotive einem ständigen Recyclingkreislauf unterworfen sind, bleiben „schlechte“ Memes nicht ungesühnt. Wenn Bild und Text nicht zusammenpassen, könne es schnell „cringe“ werden, erklärt der anonyme Kanalbetreiber im Gespräch mit netzpolitik.org. Für die Macher:innen tritt das Gegenteil des gewünschten Effekts eintreten – wie bei connectcdu. Die haben das sogar in ihre Selbstbeschreibung aufgenommen. „Wer den Cringe findet, darf ihn behalten“, heißt es dort vom „Kampagnenservice“.
Während viele der Kommentare unter den „connectcdu“-Posts negativ sind und die empfundene Peinlichkeit der Beiträge kommentieren, läuft der Instagram-Hype um Markus „Daddy“ Söder von ganz allein. Sogennante „Södermemes“ unter Hashtags wie #södergram oder #södermemes bekommen viele Likes. Der Kanal „HubsiundHorsti2.0“ führt mit knapp 220.000 Followern die Fan-Szene an. Im Gegensatz zu den Memes der Parteikanäle sind die Söder-Bildchen auf den ersten Blick unpolitisch. Es geht nicht um TV-Trielle und Wahlprogramme. Meistens geht es um Alkohol.
In den Kommentarspalten diskutieren die Follower kaum miteinander, sie verlinken eher Freund:innen und nehmen Söder in der Rolle hin, die ihm die Kanalbetreiber:innen zuschreiben: Partyhengst, Frauenheld und standfester Trinker. Kein Wahlkampf im klassischen Sinne. Oder doch?
„Positive“ Assoziationen
Nach eigenen Angaben trinkt Söder kaum Alkohol, er bevorzugt Coca Cola Light. Der junge Söder trat bereits mit sechzehn in die CSU ein und hängte sich ein Poster von Franz Josef Strauß über das Bett. Von groben Skandalen blieb der bayrische Ministerprädisent bisher verschont. Das von HubsiundHorsti2.0 propagierte Bild der hartgesottenen Feier-Ikone lässt sich also nicht so recht mit der Realität vereinen.
Vielleicht möchte HubsiundHorsti2.0 gerade deshalb provozieren. Eine Interviewanfrage ließ der Kanal unbeantwortet. Tatsächlich handelt die Memefigur Söder immer aus einer – wenn auch fragwürdigen – Position der Stärke. „CR7-Besieger Maggus“, „King Maggus the First“ oder schlicht „Daddy“ trinkt alle unter den Tisch, prophezeit siegreiche WM-Turniere und verspricht im Zusammenhang mit Corona-Lockerungen feuchtfröhliche Abende. Das sind grundlegend „gute“ Nachrichten. Politische Auseinandersetzungen oder Rückschlage sucht man auf dem Kanal vergebens.
Die meistens verwendete Kombination aus Söders Gesicht und den satirischen Sprüchen funktioniert. Die Memes erhalten mitunter Likes in fünfstelliger Höhe. Es gibt Nachahmer:innenkanäle von HubsiundHorsti2.0. Die Fans kommentieren die Posts mit eigenen Textkreationen, die ins gewohnte Schema passen: Mal hat „Big Time Player Maggus“ eine hundertprozentige Matchrate auf Tinder, mal reißt „Biercules“ Söder das Festzelt ab.
Person über Inhalt
Zwischen Söder und den Södermemes besteht eine inhaltliche Diskrepanz. Wer Söder nur aus Södergram kennt, der läuft Gefahr, ein falsches Bild des Politikers zu bekommen. Eines, das in manchen Wählerkreisen vielleicht sogar besser ankommt als das eines bayerischen Landeschefs, der auch unbeliebte Entscheidungen treffen muss.
Die Szene bekommt regelmäßig neues Material, da Söder auf seinen offiziellen Social-Media-Kanälen Selfies veröffentlicht, die sich ganz hervorragend für die Produktion von Memes eigenen. Ein rechtliches Vorgehen gegen HubsiundHorsti2.0 und andere wäre auch fragwürdig. Als Person des öffentlichen Lebens muss sich der bayrische Ministerpräsident in der Regel die satirische Verwendung seiner Bilder gefallen lassen, sagt der Urheberrechtsexperte und Mit-Blogger Leonhard Dobusch.
Bisher lässt sich nicht messen, wie groß der Einfluss der Södermemes auf die Imagebildung des Politikers ist. Sie tragen aber definitiv – zum Guten oder Schlechten – zu seiner Bekanntheit bei. Eine klare Meinung fehlt auch den offiziellen Stellen: Weder die Pressestelle der CSU noch connectcdu wollten sich zum Phänomen Södermeme äußern.
Die Daddy-Fetischisierung Söders und der Instagram-Hype können das derzeitigen Straucheln der Unionsparteien in den Umfrageergebnissen wohl nicht aufhalten.
Memes sind Macht
Laut Shifman sind Memes regelrechte Machtinstrumente und können politische Bewegungen formen. Das birgt auch Risiken: Die Autorin Angela Nagle beschreibt in ihrem Buch „Kill all Normies“, wie rechtspopulistische Memes im Rahmen der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 ihren Weg in den Mainstream fanden. Über Facebook-Seiten mit Namen wie “Army of Jesus” oder “STOP A.I.” (Stop All Invaders) verbreiteten russische Trollfabriken im Vorfeld der Wahl Memes über bezahlte Facebook-Werbeanzeigen.
Politische Akteure wie Donald Trump Jr., der erzkonservative Sohn Donald Trumps, der sich in seinem Instagram-Profil selbst als „General in the Meme Wars“ bezeichnet und dem mehr als fünf Millionen Accounts folgen, vergiften mit einem Dauerfeuer an populistischen Memes das politische Klima. Diskursfähige Inhalte bleiben logischerweise auf der Strecke.
Eine Recherche von correctiv.org zeigt, dass auch hierzulande über 240 aktive Memekanäle auf Instagram rechtspopulistische Inhalte und Desinformationen verbreiten. Memes gehören genauso zum propagandistischen Standard-Repertoire von umstrittenen Gruppierungen wie den Querdenker:innen oder QAnon Deutschland, die allerdings eher auf dem Messenger-Dienst Telegram aktiv sind.
Memes stellen Sachverhalte einfach und plakativ dar. Die Algorithmen von Facebook und Instagram bevorzugen Inhalte, die Aufmerksamkeit erzeugen und Emotionen hervorrufen – Dinge, die Memes sehr gut können. In Konsequenz werden sie von den Plattformen hervorgehoben und in die Newsfeeds gespült, was wiederum dazu führt, dass sie mehr Menschen teilen und wahrnehmen. Kritische Stimmen fordern deshalb, dass Wahlkampf wieder vermehrt außerhalb sozialer Netzwerke stattfinden soll.
Politische Teilhabe
Memes sind inzwischen fest in Pop- und Politikkultur etabliert und ein Gradmesser für gesellschaftliche Entwicklungen. Ihr Wirkungspotential ist groß, da sie niedrigschwellig und mit minimalem technischen Aufwand produziert werden. Über Portale wie imgflip.com können auch Laien innerhalb von Sekunden eigene Memes erstellen.
Sie gestatten als partizipative Netzkultur die Teilhabe am politischen Geschehen. Sie ermöglichen Aktivist:innen Kritik an Zensurmaßnahmen, zum Beispiel durch das in China verbreitete „Caonima”-Meme. 2009 war „Wir wählen die Atomkraft“ eines der ersten Memes, das im Bundestagswahlkampf Verwendung fand. Es zeigte Merkel neben Mister Burns, dem Bösewicht aus der Serie „Die Simpsons“. 2013 bekamen Bildmontagen von Merkels Markenzeichen, den zu einer Raute geformten Händen, auch internationale Aufmerksamkeit.
Gerade im Rahmen netzpolitischer Themen haben Memes eine lange Tradition. Der Protest gegen Uploadfilter zog einen regelrechten Memesturm nach sich. Durch die Urheberrechtsreform sah die Öffentlichkeit Memes und Fan-Fiction selbst durch Zensur bedroht, obwohl die EU-Kommission versprach, dass keine Gefahr für die Internetkultur besteht: Memes seien vom Gesetz ausgenommen.
Das richtige Meme zum richtigen Zeitpunkt kann gesellschaftliche Diskurse beschleunigen und verbreitern. Dabei bleibt zu hoffen, dass sich die Meme-Guerilla in Deutschland weiterhin vorrangig an Inhalten orientiert und nicht einem verrohten Wahlkampf, wie er vermehrt in den USA stattfand, den Weg bereitet.
Schlagkräftige Gegenkultur
Gegenüber dem kontinuierlichen Mitgliederverlust der SPD und CDU steht eine kritische Jugend, die sich politisch engagiert und für ihre Interessen eintritt. Die Macher:innen der parteinahen Instagram-Kanäle zeigen, dass das auch ohne das Zutun und den Segen der offiziellen Parteibürokratie funktioniert.
Spätestens nach der Fridays-for-Future-Bewegung und den „Zerstörungsvideos“ von Rezo sollten die Bundestagsparteien verstanden haben, dass die politische Gegenkultur junger Aktivist:innen großes Mobilisierungspotential besitzt. Memes sind die Stimme einer neuen Generation, die längst gelernt hat, wie man sie lautstark einsetzt.
Meinung ist aber auch überbewertet. Immerhin ist eine verfestigte unumstößliche Meinung etwas grundsätzlich anderes als die Antwort auf eine auf der Straße gestellte Frage o.ä.
Es geht noch konkreter aber immer noch unverbindlich.
Natürlich estimieren Menschen oft, wie ihre Meinung zu einem Thema wäre. Würden aber bei „Situationen mit Verantwortung“ anders entscheiden oder sogar noch mehr Informationen einholen und vertraute Bekannte fragen, bevor es zu einer Entscheidung kommt. Umfragen suggerieren oftmals Unverbindlichkeit, und berühren den Bereich damit kaum. Am Schlimmsten ist dann, wenn aus Vertrauensseligkeit oder aufgrund einer Harmlosigkeitsannahme ad hoc geantwortet wird, z.B. im Standart-Gossip-Modus, in dem es eher auf soziale Interaktion mit dem direkten Umfeld, sowie auf „im Gespräch bleiben“ ankommt, als auf eine allgemeinverbindliche Analyse des Themas. Dann gibt es noch die Variante, zu artikulieren, was einen ärgert (ehrlich), aber nicht die Kapazität haben, es auch zu formulieren, so dass irgendein Versatzstück herauskommt.
Dann gibt es sicherlich ganze Abteilungen hier wie dort, deren Ziel es ist diese und andere Mechanismen so auszunutzen, dass möglichst viele Menschen auf bestimmte Weise antworten, und dann in der Folge auch mehr Leute so handeln. Der Schaden ist groß, da man so versucht eine Konsolidierung der Demokratie zu verhindern. Aber selbst hierzulande kann die Dummheit locker mithalten, und man meint, den Menschen nur besser erklären zu müssen, warum das unverbindliche Kreuz auf die Stelle der eigenen Kandidaten/Partei gehört.
Das ist sicherlich irgendwo zwischen prekär abgehoben, Zauberlehrling, und Sklavenhalterphantasien…
Hier könnte man noch anfügen: Umfragen, bzw. deren Besprechung in den Medien, suggerieren oft Verbindlichkeit, wodurch dann eine reale Diskrepanz entsteht, da die Menschen eher mit Unverbindlichkeit antworten. Wenn sie wirklich wissen wollen, wie die Menschen denken, müssen sie sich mit ihnen unterhalten. Das ist ein hoher Aufwand, und benötigt in der Regel mindestens einen Philosophen.
Ausgenutzt wird u.a. dass durch Emotionalisierung, aber auch durch andere Mittel wie Zeitraub, u.a., die Menschen effektiv möglichst viel ad-hoc nach Kalkül entscheiden sollen, bzw. äquivalent dazu umsetzen sollen. Selbst wenn sie 1000 mal über das Thema „nachdenken“ – sofern sie auf Framing, Strohmannformulierungen u.ä. reinfallen, sind sie immer noch bestenfalls bei ad-hoc unterwegs, vor allem aber haben sie keine relevante Information, um das Thema einzuschätzen (vgl.: „wichtig ist, …“). Dann tritt vielleicht noch eine Verfestigung der Meinung (aber nicht Information) auf. Das entspricht dann eher Glauben, dürfte aber eher die armen Trottel betreffen, die immer wieder CDU oder SPD wählen, als die noch ärmeren Trottel, die ohne einen Fluchtweg auf der Metaebene auch nur denken zu wollen, mindestens nachplappern, dass Echsenmenschen gerne mal Säuglinge fressen, oder etwa Bill Gates der Musikindustrie den Spass zu nehmen gedenkt, alle Menschen zu chippen.
(Hier geht es nicht um den Lokalpolitiker, der eine verkehrsberuhigte Zone umsetzt. Es ist die Trennung von Kirche und Staat, die hier einfach nicht konsequent genug umgesetzt worden ist.)