Trotz EntschärfungenVersammlungsfreiheit in NRW wird spürbar eingeschränkt

Seit Monaten wird in NRW gegen das geplante Versammlungsgesetz demonstriert. Nun hat die Landesregierung den Entwurf entschärft. Obwohl dies ein Erfolg der Proteste ist, halten Bürgerrechtsorganisationen die Pläne weiterhin für versammlungsfeindlich.

Polizist vor einer Demo
Hat in Zukunft auf Demos mehr zu sagen: Die Polizei in NRW. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Future Image

Nach massiver Kritik und Protesten hat die schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen ihr geplantes Versammlungsgesetz an einigen Stellen überarbeitet. In seiner ursprünglichen Version hätte das Gesetz die Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt. Die heute im Innenausschuss eingebrachten Änderungen ziehen dem Gesetz nun ein paar Zähne, deutliche Einschränkungen für das Grundrecht bleiben aber bestehen.

Eine Änderung erlaubt nun wieder „kommunikative Gegenproteste“ zu Demonstrationen. In der ersten Fassung wären Proteste zum Beispiel gegen Nazi-Aufmärsche fast unmöglich geworden. Das so genannte „Militanzverbot“ wurde umbenannt und leicht entschärft, was Fußballfans und Gewerkschafter*innen freuen dürfte, die sich nun in einheitlicher Kleidung versammeln dürfen. Neue Befugnisse für die Polizei bei der Videoüberwachung von Demonstrationen, beim Einrichten von Kontrollstellen und beim Erfassen der Namen von Ordner*innen bleiben jedoch. In letzter Minute hinzu kam im Gesetzentwurf auch ein pauschales Verbot von Demonstrationen auf Autobahnen.

Gesetz könnte schon Mitte Dezember verabschiedet werden

Die Änderungen wurden heute im Innenausschuss des Landtags in NRW angenommen. Christos Katzidis, der innenpolitische Sprecher der CDU NRW sprach von einem „hervorragenden Kompromiss“, der Rechtssicherheit für Demonstrationen schaffe. Die Opposition ist weiterhin unzufrieden: SPD und Grüne kritisieren, Freiheitsrechte stünden nicht im Fokus des Gesetzes.

So kritisiert die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Verena Schäffer, dass der Gesetzentwurf Versammlungen vor allem als eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit behandle. „Es handelt sich also vielmehr um ein Demonstrationsverhinderungsgesetz“, so Schäffer.

Bürgerrechtsorganisationen wie das Grundrechtekomitee lehnen in einer Erklärung auch den neuen Entwurf als „undemokratisch“ ab, weil sich am Kern der Kritik nichts ändere: Es handle sich um einen Entwurf, der Versammlungen polizeilich einschnüre.  

Auch das Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen“, das in den letzten Monaten immer wieder demonstriert hatte, sieht das Gesetz weiterhin als „versammlungsfeindlich“. Bündnissprecherin Gizem Koçkaya sagt: „Nach wie vor werden Versammlungen offensichtlich als Gefahr angesehen, obwohl sie Grundpfeiler der Demokratie sind“. 

Nach Polizeigewalt gegen Journalisten und Demonstrierende bei einer Bürgerrechtsdemonstration im Frühsommer lagen die Pläne der Landesregierung lange auf Eis, zumal das Thema im Bundestagswahlkampf offenbar ungelegen kam. Nun steht das Gesetz am 15.12. erneut auf der Tagesordnung im Landtag und könnte dann verabschiedet werden.

Leicht entschärft

An einigen Stellen wurde der Gesetzesentwurf konkretisiert oder entschärft. So wird im Änderungsantrag von CDU und FDP klargestellt, dass „nicht auf Behinderung zielende kommunikative Gegenproteste“ nicht unter das Störungsverbot fallen. Dieses soll das Stören anderer Versammlungen härter bestrafen. Der Versammlungsrechtler Michael Breitbach sagt gegenüber netzpolitik.org, die Änderung sei zu begrüßen, lasse aber Verhaltensweisen, die eine Demonstration zwar stören, aber nicht verhindern würden, im rechtlichen Graubereich. Dies kann zu einer willkürlichen Auslegung durch die Polizei führen.

Der ursprüngliche Entwurf erlaubte es der Polizei auch, am Rande oder vor Demonstrationen ohne rechtliche Einschränkungen Kontrollstellen zu errichten, an denen sie die Identität von Demonstrierenden überprüfen und Personen und Sachen durchsuchen darf. Das soll jetzt nur noch gehen, wenn es „tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür gibt, dass jemand verbotene Gegenstände wie Waffen dabei hat. Personalien darf die Polizei auch aufnehmen, wenn es Anhaltspunkte für das Begehen von Straftaten gibt.

Das diese Kriterien für polizeiliche Eingriffe klargestellt werden, ist laut Breitbach „rechtsstaatlich zwingend“, was genau als „tatsächliche Anhaltspunkt“ zählt bleibe aber weiterhin offen. Der Gesetzgeber könnte auch vollständig auf die Kontrollstellen verzichten – in den Landesversammlungsgesetzen von Berlin und Schleswig-Holstein gibt es sie zum Beispiel nicht.

Im Entwurf steht auch, dass alle Versammlungen eine Leitung haben müssen, die für den friedlichen Ablauf der Versammlung sorgen muss und zur Kooperation mit der Polizei aufgefordert ist. Die Änderungen stellen jetzt klar, dass Spontandemonstrationen keine Versammlungsleitung haben müssen.

„Militanzverbot“ heißt jetzt „Gewalt- und Einschüchterungsverbot“, sonst ändert sich wenig

Das umstrittene „Militanzverbot“ heißt jetzt „Gewalt- und Einschüchterungsverbot“. Dabei handelt es sich um eine Verschärfung des bundesweit geltenden Uniformierungsverbot auf Demonstrationen. Ursprünglich sollte es unter Strafe stellen, durch Uniformierung, paramiltärisches Auftreten oder „in vergleichbarer Weise“ Gewaltbereitschaft zu vermitteln und dadurch einschüchternd zu wirken. Das „in vergleichbarer Weise“ wurde jetzt gestrichen.

In der Begründung des Änderungsantrag heißt es explizit, friedliche, einheitlich gekleidete Fußballfans oder Gewerkschaftsmitglieder würden nicht unter diese Regelung fallen. Diese Gruppen hatten lautstark Kritik am Militanzverbot geäußert. Dort steht auch: „Eine grundsätzliche Veranlassung zu Änderungen an der Formulierung des Gewalt- und Einschüchterungsverbots sehen die Fraktionen von CDU und FDP allerdings nicht.“

Menschen ziehen bei einem Protest über Felder
Die hier von Demonstrant:innen bei einem Klimaprotest genutzten weißen Overalls stellt die Begründung des Gesetzentwurfs in eine Reihe mit den Uniformen von SA und SS. - CC-BY-NC 2.0 endegelaende

Auch Klimaaktivist*innen haben Sorge, durch das Tragen von weißen Maleranzügen in Zukunft unter das Militanzverbot zu fallen. In der Begründung des Gesetzentwurfes nannte die Landesregierung sie als Teil der Motivation für das Militanzverbot, stellte sie sogar in eine Reihe mit uniformierten Aufmärschen von SA und SS. Von dieser Aussage distanzieren sich die Regierungsfraktionen in den Änderungen nicht.

Die Vorsitzende der Grünen Landtagsfraktion, Verena Schäffer, kritisierte die fehlende Richtigstellung im Innenausschuss und nannte den Vergleich „historisch falsch, unsachlich, und einfach unsäglich“. Das Grundrechtekomittee kritisiert hingegen, dass auch der geänderte Entwurf die grundlegende Freiheit der Versammlung, selbst darüber zu entscheiden wie sie farblich und vom Auftreten gestaltet werden solle, der staatlichen Direktive unterstelle.

Absolutes Demo-Verbot auf Autobahnen

Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist im aktuellen Entwurf völlig neu: Versammlungen auf Autobahnen sollen pauschal verboten werden. Wer aktuell auf Autobahnen demonstrieren will, muss oft vor Gericht ziehen oder sich mit einer Alternativroute zufrieden geben. Trotzdem finden regelmäßig Demos auf Autobahnen statt – auch in NRW.

Der Versammlungsrechtler Michael Breitbach nennt das absolute Autobahnverbot gegenüber netzpolitik.org „unverhältnismäßig“, die unmittelbaren Gefahren müssten im Einzelfall mit den Zielen der Demonstration abgewogen werden.

Die Regierungsfraktionen erläuterten die neue Regelung im Innenausschuss nicht. Die Frage von Verena Schäffer nach den Hintergründen des Verbots wurde nicht beantwortet. Das Grundrechtekomitee und der Republikanische Anwaltsverein gehen davon aus, dass sich dieser Teil, wie auch andere im Gesetz, gegen Proteste der Klimabewegung richten.

Weiterhin mehr Befugnisse für die Polizei

Das neue Gesetz soll es der Polizei auch erlauben, Bild- und Tonaufnahmen auf Demonstrationen anzufertigen, wenn sie „unübersichtlich“ sind. Daran ändert sich nichts, die Änderungen stellen lediglich klar, dass bei den Aufnahmen die Verhältnismäßigkeit und der Datenschutz beachtet werden müssen.

Auch unverändert bleibt, dass die Polizei Veranstalter*innen von Demonstrationen dazu auffordern kann, die Namen und Adressen der eingesetzten Ordner*innen herauszugeben. Dazu muss die Polizei „tatsächliche Anhaltspunkte“ sehen, dass von der Versammlung „eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht“. Einzelne Ordner*innen kann sie dann als ungeeignet ablehnen. Diese Regelung stand bei Gegner*innen des Gesetzes in der Kritik, da sie genutzt werden kann, die Mitglieder politischer Gruppen zu erfassen. Auch sei es bei großen Demonstrationen für die Veranstaltenden logistisch oft gar nicht möglich, die Identität aller Ordner*innen vorab zu erfassen.

Das neue Versammlungsgesetz wird zudem Blockadetrainings und Blockaden erschweren, sind sich Bürgerrechtler*innen sicher. Mit dem jetzigen Entwurf würde jede Form von Blockierungen strafbar. Sitzblockaden und ähnliches gehören zum demokratischen Protestrepertoire des zivilen Ungehorsams.

Protestbewegung will weiter Druck machen

Auch wenn die vorgenommenen Gesetzesänderungen letztlich ein Erfolg der Protestbewegung sein dürften, ist diese alles andere als zufrieden. Die „Entwarnung“ der FDP habe sich als Nebelkerze herausgestellt: „NRW hat zwar eine „liberale“ Partei in der Regierung, bekommt aber das „illiberalste“ Versammlungsrecht in ganz Deutschland“, sagt die Bündnissprecherin Gizem Koçkaya. Für die „angebliche Bürgerrechtspartei“ sei das Gesetz ein „Armutszeugnis“.

Das Bündnis kündigte an, auch nach einer Verabschiedung weiterhin Druck zu machen und zusätzlich juristische Schritte gegen das Gesetz vorzunehmen.

2 Ergänzungen

    1. Da es um die Versammlungsfreiheit geht, ist versammlungsfeindlich schon das richtige Wort, zumal die Bürgerrechtsorganisationen dieses Wort in ihrer Kritik am Gesetz benutzten. Aber versammlungsfeindlich kann natürlich schnell verfassungswidrig sein.

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