In der europäischen Politik ist dieser Tage gerne von digitaler Souveränität die Rede. Eine konkrete Möglichkeit, sich aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von einigen wenigen Konzernen aus den USA und China zu lösen, liegt dabei aus Sicht des Ökonomen Knut Blind auf der Hand. Seine Antwort lautet: Open Source.
Der Forscher ist Leiter des Geschäftsfelds Innovation und Regulierung am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Dort hat er kürzlich eine Studie im Auftrag der EU-Kommission fertiggestellt, die den konkreten Nutzen von Open-Source-Software für die europäische Wirtschaft deutlich macht. Bis zu 100 Milliarden im Jahr an ökonomischer Wertschöpfung könne Open-Source-Software in der EU generieren, glaubt Blind.
Doch bis dahin ist aus Sicht des Forschers noch einiges zu tun. Seine Studie, die in den kommenden Wochen erscheinen soll, macht Handlungsempfehlungen für die europäische Politik, wie das Open-Source-Ökosystem gestärkt werden kann. Wir haben mit Knut Blind über die Ergebnisse seiner Forschung gesprochen.
netzpolitik.org: Wie kam es eigentlich zu der Studie?
Blind: Hintergrund war im Prinzip mal zu wissen, welche wirtschaftliche Bedeutung Open-Source-Software und -Hardware für die Europäische Union hat. Die letzte Studie [der EU-Kommission] zu dem Thema gab es vor 15 Jahren, das war in den Anfängen von Open Source. Über die Zeit sind viele Unternehmen – auch große Player – eingestiegen und haben Open Source in existierende, erfolgreiche Geschäftsmodelle integriert und Open Hardware ist dazugekommen. Letztlich ging es auch darum, mit welchen Maßnahmen wir dieses Potenzial stärken können.
netzpolitik.org: Sie nennen Zahlen, was die wirtschaftliche Bedeutung von Open Source angeht. Etwa, dass es zumindest 260.000 Menschen in der EU gibt, die zur Open-Source-Softwareentwicklung beitragen. Den ökonomischen Effekt beziffern sie auf 65 bis 95 Milliarden Euro allein 2018. Könnten Sie erklären, wie sie diese Zahlen errechnet haben?
Blind: Die Schätzung von 260.000 Menschen, die zur Entwicklung beitragen, ist eher eine Untergrenze. Wir haben alle diejenigen gezählt, die eine regionale Zuordnung zu den Mitgliedstaaten in ihren Github-Accounts gemacht haben. Es gibt natürlich noch andere Entwicklungsplattformen, aber GitHub ist die größte Quelle und stellt Daten zur Verfügung, die solche Analysen erlauben.
Der wirtschaftliche Impact von Open Source lag 2018 bei 65 bis 95 Milliarden für die Europäische Union. Das heißt, er liegt zukünftig wahrscheinlich eher bei über 100 Milliarden pro Jahr. Diese Schätzungen gehen auf ein makroökonomisches Cobb-Douglas-Modell zurück, das die Beiträge verschiedener Produktionsfaktoren, wie Kapital und Beschäftigung, aber auch Open Source, zum Bruttosozialprodukt bestimmt.
netzpolitik.org: Wenn Open-Source-Software derart positive Auswirkungen hat, warum wurde sie bislang politisch kaum gefördert?
Blind: Man hat, glaube ich, sehr auf den freiwilligen Charakter von Open-Source-Projekten gezählt. Was wir aber sehen ist, dass Projekte immer schwerer nachhaltig Mitwirkende finden. Es gibt auch in diesem Bereich einen Fachkräftemangel. Ich habe Bitkom bei der Initiierung des Open-Source-Monitors-Deutschland unterstützt, in dessen Rahmen eine Umfrage unter Unternehmen durchgeführt wurde. Das größte Problem der Unternehmen ist, die Entwickler auf dem Arbeitsmarkt zu finden, die Code zu Open-Source-Repositories beitragen können. Die Politik ist folglich hier gefragt, stärker das Thema Open Source in der Ausbildung zukünftiger Softwareentwickler, aber auch Gründer zu positionieren.
Auch müssen wir über öffentliche Finanzierung nachdenken. Die EU-Kommission hat in der Vergangenheit Open-Source-Projekte gefördert, doch im aktuellen Arbeitsprogramm von Horizon Europe gibt es bisher nicht sehr viele Ansatzpunkte zu Open Source drin. Da gibt es sicherlich noch Spielraum.
Die Unterstützung von Open Source ist im Vergleich zu anderen Themen begrenzt. Vielleicht auch deshalb, weil wir in Europa keine großen Player wie in den USA haben, wo Google, Microsoft und Amazon massiv in Open-Source-Aktivitäten investieren. In Europa sind es dagegen eher kleine und mittleren Unternehmen ohne große Lobby, die zu Open Source beitragen.
netzpolitik.org: Warum investieren in den USA große Tech-Firmen in Open Source, während hierzulande vor allem Einzelpersonen und KMUs beitragen?
Blind: Nicht nur Microsoft und IBM, sondern auch die großen Plattformen wie Google, Facebook und Amazon nutzen und entwickeln inzwischen Open-Source-Software. In Europa sind es eher kleinere Software-Entwickler, die bei Open Source mitentwickeln, und dann darum herum ihre Dienstleistungen oder ihre Geschäftsmodelle aufbauen. Es ist natürlich auch eine Wettbewerbsfrage, ob man es zulässt, dass große Player Open-Source-Projekte kapern.
netzpolitik.org: Würden Sie sagen, dass Open Source besser zu Europas wirtschaftlichen Wertesystem passt als das amerikanische, in dem große Tech-Konzerne dominieren?
Blind: Durchaus. Open Source passt sehr gut in die europäische, von KMUs geprägten Unternehmenskultur. Aber natürlich ist auch hier die Politik gefordert, dieses europäische Ökosystem zu fördern, zu pflegen und zu hegen.
netzpolitik.org: In Ihrer Studie machen Sie eine Reihe von Empfehlungen. Ein Punkt betrifft die Frage, wie Europa mit Open-Source-Software Industriepolitik betreiben könnte. Wie kann man sich das vorstellen? Soll die EU-Kommission etwa in öffentlichen Aufträgen die Verwendung von Open-Source-Software vorschreiben?
Blind: Zum Beispiel, ja. Es gibt durchaus empirische Evidenz dafür, dass das funktioniert. Frankreich hat seine öffentlichen Beschaffungsrichtlinien geändert und weist nun darauf hin, dass Open-Source-Lösungen bevorzugt werden. Das hat dazu geführt, dass es dort wesentlich mehr französische Beiträge zu Open Source gibt und mehr Startups in diesem Bereich gegründet werden. Auch die Beschäftigung im IT-Sektor ist gestiegen.
Das sollte man weitertreiben. In der europäischen Beschaffungsrichtlinie taucht das Thema Open Source bislang nicht explizit auf.
Es geht dabei auch um technologische Souveränität. Wir haben vor kurzem ein Papier zum Thema geschrieben, in dem wir argumentieren, dass Open Source eine Möglichkeit ist, um die Unabhängigkeit Europas zu sichern. Gerade etwa von amerikanischen Playern.
netzpolitik.org: Das Thema digitaler Souveränität ist gerade in aller Munde. Glauben Sie, jetzt ist gerade ein besonders guter Moment für Open Source?
Blind: Gerade bei Software sind die beiden Themen eng miteinander verwandt. Angesichts von Corona gibt es eine gewisses „Window of Opportunity“. Denn die meisten haben festgestellt, dass in globalen Lieferketten Abhängigkeiten zu spüren waren, vor allem im Warenverkehr. Aber diese Abhängigkeiten sind auch im Software-Bereich da. Es gibt schon seit Jahrzehnten Bestrebungen, sich von bestimmten proprietären Software-Hersteller unabhängiger zu machen.
Open Source kann auch zur Nachhaltigkeit beitragen. Eine Möglichkeit von Open Source ist, dass man durch verbrauchsärmere Technologie oder längere Produktnutzungszeiten Ressourcen spart und schont. Damit steht Open Source auch im Kontext des Green Deals der EU ganz oben auf der politischen Agenda. Jedoch ist Open Source hier eine Möglichkeit, die bislang noch kaum angesprochen wurde.
Danke für das Interview. Bin mir noch nicht sicher, wie ich es einschätzen soll, wenn Open-Source-Projekte gerade von großen US-Datenkraken gefördert/umgesetzt werden.
Denn im Kerngeschäft lassen sich doch die großen US-Datenklauer nicht ins Betriebsgeheimnis, sprich in den Software-Code schauen.
Von daher: Wäre eine Open-Souce Initiative getragen von großen Playern dann nicht einfach eine weitere Art Kontrolle des Marktes (,den die Großen ja ohnehin schon kontrollieren)?
Als Vergleich nehme ich die Energiebranche. Da gab es die Idee der Dezentralisierung des Strommarktes (es bestand die Gefahr des Verlustes der MarktKontrolle seitens der großen Versorger). Zack wurde die Politik „manipuliert“ und nun ist die Ökostrombranche in einem Rahmen (zurück-)gebracht, dass die großen wieder die Kontrolle haben…
Klingt doch erstmal gut. Wurde in der Studie auch untersucht, wie es gehen könnte mit der Finanzierung, wenn z.B. Genossenschaften eine Chance bekommen, den Markt zu „erobern“ (wenn die nicht ohnehin schon Treiber sind)?
Hier ein gutes Beispiel…https://geno.social/explore – Mastodon-Instanzen werden angeboten und betrieben..
Was wir brauchen ist ein absolutes Verbot der Verwendung proprietärer Software von Unternehmen, die ganz oder teilweise aus dem Ausland operieren, für alle Organisationen, die ganz oder teilweise über Steuergeld oder staatlich geregelte Abgaben finanziert werden und persönliche Haftstrafen für alle Mitarbeiter die dagegen verstoßen oder Verstöße bei ihren Untergebenen zulassen. Dann könnten sich Behörden, Schulen, Universitäten, ÖR, Pflichtversichungen, etc. entscheiden ob sie heimische proprietäre Produkte nutzen, oder auf Open-Source setzen wollen. Die Privatunternehmen werden dann schon freiwillig folgen. Möglich wäre das Ganze theoretisch jetzt schon, wenn man argumentieren will dass man durch das Ausführen von unbekanntem Code dem Autor des Codes Zugang zum Endgerät und allen darauf verfügbaren Daten gibt und dass diese Daten in den Händen fremder Mächte (z.B. durch Profilbildung) unter Umständen einen schweren Nachteil für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik darstellen könnten. (Winderp, Zoom, etc. => Landesverrat)
Bitte. Open Source wird nicht aus Innovationsgründen eingesetzt, sondern weil die Anschaffungskosten verschwindend sind.
Große Open Source Nutzer wie AWS oder Google oder Microsoft hätten natürlich gerne, dass die Entwicklung aus den Steuern bezahlt wird, die sie eben nicht zahlen.