Wir befinden uns im Jahr zwei der Coronapandemie, mitten in der vierten Welle. In deutschsprachigen Ländern ist die Impfquote zu niedrig, aber der Online-Händler Amazon bietet weiterhin prominent Bücher und Videos an, die Impfskepsis verbreiten. Bei der Suche nach Begriffen wie „Corona“ oder „Impfung“ warnen viele der Top-Ergebnisse vor „Impfschaden durch Corona Impfung – Die ganze Wahrheit!“, bezeichnen Covid-19 ominös als „Teil eines Plans“ oder wollen Leser:innen erklären, warum sich die Autor:innen nicht impfen lassen.
16 Ergebnisse zeigt die so wichtige erste Suchseite bei Amazon an. Bei der nicht eingeloggten Suche nach „Impfung“ lassen sich derzeit zehn der Ergebnisse klar der Impfgegnerschaft und Verschwörungsecke zuordnen. Nur drei beschäftigen sich wissenschaftlich seriös mit der Thematik, das erste davon – ein Buch des Infektionsbiologen Stefan H. E. Kaufmann – taucht allerdings erst auf Platz vier in der Ergebnisliste auf. Die restlichen Treffer bieten etwa einen gelben Impfpass an, ein anderes will Corona-Impfungen aus „spiritueller Sicht“ beleuchten.
Etwas bunt gemischter fällt die Suche nach „Corona“ aus. Zwar behauptet auch dort das erste, mit einem bedrohlichen Totenkopf bebilderte Ergebnis, einen „Impfschaden durch Corona Impfung“ nachweisen zu können. Insgesamt erzählen dort aber nur sechs der 16 Treffer Verschwörungsgeschichten. Wissenschaftlich fundiertes Kontra liefert diese Suchanfrage jedoch nicht. Die sonstigen Ergebnisse verteilen sich auf die Produkte einer einschlägig benannten Biermarke, gehen künstlerisch mit der Pandemie um oder versuchen erneut, spirituellen Rat zu geben.
Die fragwürdigen Vorschläge beschränken sich nicht auf die Suchfunktion von Amazon. Sie finden sich als Empfehlungen unter vielen Artikelseiten und bevölkern diverse Bestseller-Listen.
Manipulierte Empfehlungen
Neu ist das Problem nicht. Schon vor der Coronapandemie hatten Wissenschaftler:innen darauf hingewiesen, wie leicht sich die algorithmischen Systeme von Amazon beeinflussen lassen, etwa durch koordinierte Bewertungen. So gibt es starke Hinweise darauf, dass gut und zahlreich benotete Produkte prominent in den Ergebnislisten oder den Empfehlungen unter einzelnen Artikeln angezeigt werden. Das kann dazu führen, dass solche Artikel vermehrt gekauft werden, was wiederum Einfluss auf deren Platzierung bei Amazon hat. Diese Mechanik scheint sich weiterhin beobachten zu lassen.
Eine Datenauswertung von netzpolitik.org ergab im Vorjahr, dass die Empfehlungen von Amazon selbst solche Kund:innen auf Verschwörungsinhalte leiten können, die gar nicht danach suchen. Dazu zählen Desinformation rund um das Coronavirus, aber auch antisemitische Hetzliteratur und sonstige rechtsextreme Verschwörungserzählungen. Offenkundig schafft es die weltweit größte Online-Handelsplattform bis heute nicht, seriöse Artikel in seinem Angebot bevorzugt zu behandeln.
Dabei geht es gar nicht darum, potenziell schädliche, aber legale Inhalte aus dem Katalog zu nehmen. Weder ist medizinische Desinformation zwangsläufig illegal, noch verstoßen solche Inhalte gegen die derzeit gültigen Richtlinien des Unternehmens. Indes hat Amazon aber die Möglichkeit, Einfluss auf die Gewichtung der automatisiert ausgelieferten Suchergebnisse zu nehmen. Von diesem Hausrecht will Amazon augenscheinlich keinen Gebrauch machen.
Zwischen Meinungsfreiheit und schädlichen Inhalten
„Wir sind uns bewusst, dass in unserem Store kontrovers diskutierte Titel erhältlich sind und es unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wo die Grenze zum Schutz der Meinungsfreiheit zu ziehen ist“, sagt ein Amazon-Sprecher. Inhalte, die illegal sind oder gegen die hauseigenen Richtlinien verstoßen, würden entfernt. Die Shopping- und Suchfunktionen seien aber nicht darauf ausgelegt, Ergebnisse zu liefern, die sich an einer bestimmten Meinung festmachen lassen, so der Sprecher.
Rechtlich ist potenziell schädlicher Desinformation ohnehin nur schwer beizukommen. „Eine Regulierung von Desinformation, die es zum Ziel hat, freie und unabhängige Meinungsbildung zu ermöglichen, kann nicht durch staatliche Maßnahmen durchgesetzt werden“, sagte jüngst Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und Europabeauftragter der Medienanstalten, anlässlich der Vorstellung eines Rechtsgutachtens.
Dennoch gilt: Über sieben Milliarden Impfungen gegen das Coronavirus wurden laut Our World in Data inzwischen weltweit verabreicht. Gefährliche Nebenwirkungen der zugelassenen Impfstoffe ließen sich bislang nur sehr selten beobachten. „Weder in der Impfstoff- noch in der Placebogruppe traten Todesfälle auf, die auf die Injektion des Impfstoffs oder der Kochsalzlösung zurückzuführen waren“, heißt es in einer FAQ des Robert-Koch-Instituts (RKI). Zugleich ist wissenschaftlich hinlänglich bewiesen, dass die Impfstoffe vor einer Ansteckung schützen oder, sollte es dennoch zu einem sogenannten Impfdurchbruch kommen, für einen weniger schweren Krankheitsverlauf sorgen als ohne Impfung.
Geschäfte gehen vor
Wer sich auf Amazon über Corona oder Impfungen informieren möchte, erhält jedoch ein ganz anderes Bild. Einzig ein zum RKI führender Hinweis zu COVID-19-Impfstoffen, den der Online-Händler bei einschlägigen Suchanfragen oben einblendet, lässt die Vermutung zu, dass Amazon zwischen gut und schlecht unterscheiden kann. Offensichtlich priorisiert das Unternehmen aber den eigenen Geschäftserfolg. Fragen danach, oder ob menschliche Moderator:innen potenziell gefährliche, automatisierte Suchergebnisse händisch überprüfen, will Amazon nicht beantworten.
Wie der Suchalgorithmus von Amazon im Detail funktioniert, ist ein gut gehütetes Geschäftsgeheimnis. „Leider bleibt es eine Black Box, wie Online-Plattformen ihre Inhalte kuratieren“, sagt Angela Müller von der zivilgesellschaftlichen Organisation AlgorithmWatch. Einblicke wie die Facebook Papers zeigten, dass Online-Dienste durchaus – zumindest bis zu einem gewissen Grad – davon Kenntnis haben, inwiefern ihre Plattformen und deren Empfehlungsalgorithmen negative Konsequenzen auf Individuen und Gesellschaft haben, sagt Müller. „Aber so lange das Wissen dazu intern bleibt, wird sich nichts verändern.“
Bislang setzt die EU auf einen freiwilligen Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation im Netz. Der enthält eine Selbstverpflichtung für teilnehmende Unternehmen, bestimmte Vorkehrungen zum Schutz vor Desinformation zu treffen. Dazu zählt unter anderem die „Verringerung der Sichtbarkeit von Desinformation durch eine bessere Auffindbarkeit vertrauenswürdiger Inhalte“, zudem sollten die Unterzeichnenden in „technische Mittel zur Priorisierung relevanter, authentischer und zuverlässiger Informationen bei Suchanfragen“ investieren.
Amazon will sich nicht festlegen
Große Anbieter wie Facebook oder Twitter haben die Vereinbarung unterschrieben, Amazon ist hingegen nicht an Bord. Ob das Unternehmen in Erwägung zieht, den Verhaltenskodex zu unterschreiben, hat die Handelsplattform gegenüber netzpolitik.org nicht beanwortet. Aus EU-Kommissionskreisen heißt es lediglich, dass Unternehmen wie Amazon zu einem Beitritt „ermutigt“ werden.
Anfangs hatte die EU-Kommission vor allem politische Desinformation und Online-Werbung in sozialen Netzwerken im Blick, arbeitet aber derzeit an einer Erweiterung des Kodexes. Künftig soll sich das freiwillige Regelwerk auch ausdrücklich an alle Online-Dienste richten, die zur Monetarisierung von Desinformation genutzt werden können. Das schließt E-Commerce-Plattformen wie Amazon ein.
Letztlich soll diese co-regulatorische Regelung auch im Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) landen, an dem die EU derzeit arbeitet. Ob sie wirklich zu einem besseren digitalen Ökosystem führt, muss sich allerdings noch zeigen. Schließlich patzten Facebook & Co. ordentlich im Umgang mit Falschinformationen in der Coronapandemie, obwohl sie mitunter den Kodex unterzeichnet haben.
Ausweitung der Transparenz
Hier könnte ein gestärkter DSA helfen, hofft Angela Müller von AlgorithmWatch. Im Vorschlag der Kommission sieht dieser Zugänge zu den Datenbergen der Anbieter vor – allerdings nur für Forschende mit akademischer Zugehörigkeit. Dies werde der „wichtigen Watchdog-Funktion von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Journalist:innen nicht gerecht“, sagt Müller. Der Datenzugang müsse auch auf diese weiteren Forschenden ausgeweitet werden.
Zudem sollten die anstehenden Verhandlungen zwischen Kommission, EU-Ländern und Parlament rund um das Gesetz eine weitere Lücke schließen, nämlich die Ausnahmeklausel zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Online-Dienste könnten diese als Schlupfloch nutzen, um externe Forschung weiterhin abzublocken, warnt Müller.
Mehr Transparenz würde zwar nicht unmittelbar gefährliche Desinformation von prominenten Auslagen im Netz verdrängen, dürfte aber zumindest das Wissen über die Funktionsweise der automatisierten Systeme sowie die öffentliche Diskussion darüber verbessern. „Stärkere Transparenz ist unbedingt notwendig, um eine faktenbasierte Debatte dazu zu haben, in welcher Weise Plattformen uns als Einzelpersonen sowie unsere demokratische Öffentlichkeit beeinflussen“, sagt Müller. „Solange wir diese Transparenz nicht haben, verbleibt ein Großteil der Diskussion im Spekulativen.“
Die Wiener Linie werben damit das man eine U-Bah Zug mit 900 Personen vollstopfen kann, und das zum beginnenden Höhepunkt der 4. Welle die in einem Lockdwon endete.
Öffis sparen Platz
https://www.wienerlinien.at/web/wiener-linien/flächennutzung
(Die Kampagne wurde im Jänner 2021 gestartet, zu einem Zeitpunkt wo die Situationen ebenso katastrophal war, und wurde neu aufgerollt im Herbst, wobei diesmal sehr explizit mit 900 Fahrgästen beworben wird.)
Wen nicht mal die Verantwortlichen von halbstaatliche Einrichtungen Hirn haben, dann erwarte ich mir von Privaten auch nicht mehr.
Womit sich die Frage stellt, ob die schlimmste Nebenwirkung der Pandemie die Hirnlosigkeit wurde?
Da ich beruflich oft mit antiquarischen Büchern zu tun habe, kann ich sagen, dass ist nix neues oder Corona-Spezifisches bei Amazon, oder bei den anderen Bücherbörsen.
Bücher über „Kriegsverbrecherin Merkel“, abstruseste Verschwörungsideologien, Rosenbergs „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ und viele tausend Titel mehr aus der Ecke Revisionismus, Hassverbrechen, Reichsbürgertum, Mysogynie, schwarze Pädagogik, etc., etc., dazu 1001 Präparate und Geräte der Marke Esogeschwurbel – wird alles kommentarlos unter „Geschichtswissenschaften“, „Sachbücher Medizin und Gesundheit“, „Kinder und Erziehung“, „Nahrungszusatz und Gesundheit“ usw. usw. einsortiert.
Dazu noch 2,3,25 lobende 5-Sterne-Kommentare, dass es endlich mal ein Buch gibt, dass die Lügen der „Freimaurer in Bundestag und ARDZDF“ aufdeckt – Null redaktionelle Arbeit, Null Kontrolle auf Qualität (und Rechtmäßigkeit) der Artikelbeschreibungen, Null Interesse daran, was die Lohnsklaven da in den Hallen zusammen klauben und aus den Transportern Richtung Briefkästen werfen.
Dass die anderen Buchbörsen (Momox, Rebuy, booklooker, ZVAB, Eurobuch, abebooks, achtung-buecher.de, buchfreund.de usw.) da nicht ganz so schlimm sind, liegt wohl daran, dass die sich keine Kommentar-funktion und Empfehlungs-Algorithmen leisten können und die Bücher ganz simpel nach Preis listen.
Amazon wirkt auf mich öfter wie eine Mischung aus Bücherladen und Ramschflohmarkt, der von einem Neonazi auf LSd geführt wird: „Das wird man ja wohl noch verkaufen dürfen!“
Der Artikel sollte auch erwähnen, dass Amazon über den Suchergebnissen zu Covid etc. einen Link zum RKI zum Thema Informationen rundum Corona und der Schutzimpfung bereitstellt, das wir im Screenshot abgeschnitten.