Soziale MedienWarum Polizeibehörden nicht beliebig twittern dürfen

Fotos von niedlichen Tierbabys zu posten, gehört nicht zu den Kernaufgaben der Polizei und hat grundsätzlich auch nichts auf deren Twitter-Accounts zu suchen. Der Jurist Friedrich Schmitt erklärt, wo die rechtlichen Grenzen für polizeiliche Social-Media-Arbeit verlaufen.

Tweet der Polizei München mit Foto vom Kuscheltier-Hasen
Polizei München twittert ein Foto von „Hasi“, dem Kuscheltier-Hasen – Alle Rechte vorbehalten Screenshot / Polizei München

Friedrich Schmitt ist Jurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Öffentliches Recht der Universität Freiburg. Dieser Artikel basiert auf einer im Jahrbuch Informationsfreiheit und Informationsrecht 2019 erschienen Untersuchung zur polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit auf Twitter.

Friedrich Schmitt zum Auftreten der Behörden in Sozialen Netzwerken - Alle Rechte vorbehalten Theresa Dilg

Wer im Internet nach der Polizei sucht, merkt schnell: Viele Polizeibehörden haben die sozialen Medien für sich und ihre Öffentlichkeitsarbeit entdeckt. Sie bedienen sich auf Twitter, Facebook und Instagram oft eines informellen Umgangstons und kommunizieren scheinbar auf Augenhöhe mit privaten Nutzer:innen. Aus der Perspektive des Verfassungsrechts hat polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit aber nicht in erster Linie „locker“ oder „lustig“ zu sein. Polizeiliche Kommunikation muss vor allem rechtsstaatlichen Mindeststandards genügen, die Grundrechte achten und mit der Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung vereinbar sein.

Polizeibehörden haben keine Meinungsfreiheit

Unter der Ordnung des Grundgesetzes ist der Einzelne grundsätzlich frei, seine Freiheit wird nur punktuell durch Ge- und Verbote beschränkt. Der Staat ist dagegen nie im eigentlichen Sinne „frei“, seine Befugnisse richten sich nach rechtlich festgelegten Kompetenzen und außerhalb dieser Kompetenzen dürfen staatliche Stellen – das heißt auch die Polizei – nicht tätig werden.

Im Gegensatz zu Individuen sind staatliche Stellen deshalb keine Träger von Grundrechten und haben insbesondere keine Meinungsfreiheit. Im Gegenteil: Der Staat ist an die Grundrechte gebunden, das heißt, er muss die Grundrechte der Bürger:innen achten und schützen. Polizeibehörden können sich in der Konsequenz nicht auf „ihre“ Meinungsfreiheit oder andere Grundrechte berufen, wenn sie sich im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit beispielsweise auf Twitter äußern.

Öffentlichkeitsarbeit ist nur in den Grenzen der Kompetenzordnung zulässig

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die staatliche Öffentlichkeitsarbeit gleichwohl „in Grenzen nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch notwendig“. Die Öffentlichkeitsarbeit – und dies schließt die Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien ein – ist deshalb das Recht und die Pflicht aller staatlichen Stellen, auch der Polizeibehörden.

Dieses Recht gilt allerdings nur in den Grenzen der gesetzlichen Kompetenzordnung: Das heißt, Polizeibehörden dürfen nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren, Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Außerhalb dieses – ohnehin weiten – Aufgabenkreises dürfen Polizeibehörden nicht handeln und folglich auch nicht kommunizieren. Praktisch bedeutet dies, dass sich Polizeibehörden keineswegs beliebig zu jedem Thema einlassen dürfen: Fotos von niedlichen Tieren gehören grundsätzlich nicht zum polizeilichen Aufgabenkreis.

Polizeibehörden müssen neutral, sachlich und richtig kommunizieren

Die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit unterliegt außerdem der staatlichen Pflicht zu neutraler, sachlicher und richtiger Kommunikation. Damit sind Grenzen für die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit verbunden.

Das Gebot staatlicher Neutralität wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor allem als Gebot politischer Neutralität ausgelegt. Für Berufsbeamt:innen gilt grundsätzlich: „Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen.“

Wenn also polizeiliche Twitter-Profile den Accounts politischer Parteien, von ausgewählten Glaubensgemeinschaften oder sonst eindeutig partikular engagierten Organisationen folgen, so verstößt dieses Verhalten gegen den Grundsatz der staatlichen Neutralität. Polizeibehörden dürfen sich im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit – egal ob offline oder online – weder politisch noch religiös positionieren.

Nach dem Gebot der Sachlichkeit sind staatliche Informationen mit angemessener Zurückhaltung mitzuteilen. Nicht vereinbar mit diesem Grundsatz sind diffamierende oder verfälschende Darstellungen. Wenn sich die Polizei München unter dem Hashtag #WiesnWache dennoch eines lockeren Plaudertons und Kraftausdrücken bedient oder sich neuerdings über Menschen lustig macht, die sich nach der Reichweite von Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie erkundigen, verstößt die Behörde deshalb gegen das Sachlichkeitsgebot.

Die Praxis polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit zeigt, dass Social-Media-Aktivitäten für Verstöße gegen das Gebot der Richtigkeit anfällig sind. Polizeiliche Fehlinformationen bergen dabei Gefahren für den Prozess der freien und öffentlichen Meinungsbildung, der auf eine zutreffende Tatsachengrundlage angewiesen ist. Vertieft werden diese Gefahren durch den Umstand, dass die Öffentlichkeit staatlichen Informationen regelmäßig besondere Glaubwürdigkeit zuschreibt und deshalb ihr Vertrauen schenkt.

Konkrete Beispiele für polizeiliche Verstöße gegen das Gebot der Richtigkeit sind vor diesem Hintergrund eine (Falsch-)Meldung zu Molotowcocktails, die nie flogen, ein Tweet zu einem elektrischen Türknauf, der nicht mit dem Stromnetz verbunden war, oder die nur mutmaßende Zurechnung einer Straftat zu einer Demonstration. Kommt es zu polizeilichen Fehlinformationen, sind diese richtig zu stellen.

Polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit darf nicht in Grundrechte eingreifen

Polizeibehörden müssen bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit darüber hinaus die Grundrechte von möglicherweise betroffenen Personen achten. Insofern werden die Grundrechte vor allem praktisch relevant, wenn die Polizei in ihrer Öffentlichkeitsarbeit Versammlungen thematisiert oder kommentiert: Am Beispiel einer polizeilichen Fotoveröffentlichung, die eine Versammlung und dabei erkennbar einzelne Teilnehmer:innen abbildete, hat die jüngere Rechtsprechung zum einen erkannt, dass die damit verbundenen Grundrechtseingriffe rechtswidrig sind: Es gibt keine Befugnisnorm, die die Polizei zu Grundrechtseingriffen im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit ermächtigt.

Zum anderen führt der Zweck „Öffentlichkeitsarbeit“ keineswegs zu einer Besserstellung der Polizei: Der mit den Veröffentlichungen verbundene „Abschreckungs- und Einschüchterungseffekt“ bleibt davon nicht nur unberührt, die Versammlungsteilnehmer:innen müssen in den Worten des Gerichts vielmehr „mit einem erheblich gesteigerten Verbreitungsgrad der Lichtbilder und einem entsprechend breiten […] Bekanntwerden ihrer Versammlungsteilnahme rechnen“.

Im Klartext bedeutet dies: Polizeibehörden dürfen Bildnisse von Versammlungsteilnehmern nicht für ihre Öffentlichkeitsarbeit bei Twitter (oder anderen sozialen Medien) veröffentlichen.

Missliebige Äußerungen erlauben keine Blockierungen

Enge Grenzen ziehen die Grundrechte im Übrigen, wenn Polizeibehörden einzelne Twitter-Profile blockieren. Zwar sind polizeiliche Stellen unstreitig dazu befugt, auf Grundlage ihres „virtuellen Hausrechts“ andere Nutzer:innen von ihren Profilen auszuschließen. Die Rechtsprechung hat aber mit Blick auf die Social-Media-Präsenzen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten Voraussetzungen für die Ausübung des „virtuellen Hausrechts“ entwickelt, die auch für Polizeibehörden gelten (dürften).

Die wesentliche Bedingung für Blockierungen sind danach „Störungen der Aufgabenwahrnehmung“. Welches Verhalten aber „stört“, richtet sich nicht maßgeblich nach der jeweiligen Netiquette, sondern ist in Übereinstimmung mit den Grundrechten zu bestimmen: Äußerungen, die von der Meinungsfreiheit geschützt werden, sind grundsätzlich keine „Störungen“, sondern die Ausübung verfassungsrechtlich gesicherter Freiheit. Dies gilt auch für überspitzte und missliebige Äußerungen – denn gerade die Kritik an staatlichen Stellen steht nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes.

Die Deutungshoheit über polizeiliches Handeln liegt bei der Gesellschaft

Die Öffentlichkeitsarbeit ist zwar das Recht und die Pflicht aller staatlichen Stellen. Es ist deshalb im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass viele Polizeibehörden Gebrauch von den Möglichkeiten sozialer Medien machen. Dabei darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass es sich bei der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit um die Ausübung hoheitlicher Gewalt handelt, die nur in den Grenzen des (Verfassungs-)Rechts zulässig ist und sich deshalb nicht „frei“ auf Twitter und Co. entfalten kann.

Wenn die scheinbar „auf Augenhöhe“ – tatsächlich aber von einer mit Hoheits- und Zwangsbefugnissen ausgestatteten Behörde – praktizierte Öffentlichkeitsarbeit der Polizei dabei auf die Erlangung der Deutungshoheit über polizeiliches Handeln zielt, so ist schließlich mit dem Bundesverfassungsgericht darauf hinzuweisen: In einer Demokratie muss sich die Willensbildung „vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen“. Mit anderen Worten: Die Berichterstattung und der Diskurs über polizeiliches Handeln sind gesellschaftliche Vorgänge, die die Polizei weder an sich ziehen noch steuern darf.

Die Polizeibehörden sollten sich deshalb auf die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben beschränken und nicht zum Akteur im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung aufschwingen.

12 Ergänzungen

  1. Twitter ist vor allem ein Instrument der Herrschenden. Bezeichnend ist der Begriff „Follower“, der vorwiegend Lesenden unmissverständlich ihre Rolle klar macht: Ihr folgt jenen, die etwas zu sagen haben. Ihr seid nicht jene, die bestimmen wo es lang geht. Ihr gehört zur Herde und folgt dem Leithammel.

    Wie naiv muss man sein, um zu glauben, dass man Twitter (wie andere sogenannte Soziale Medien) kostenlos benutzen könnte. Es sind sie Plattform-Firmen, sämtlich Monopolisten, die ihre unbedarften User benutzen, zum Zweck der Steigerung von Macht und Profit. Wer dieses Spiel mitmacht, macht sich zum Konzern-Diener und Daten-Lieferanten.

    Polizisten müssen ja seit ihrer Vertreibung aus dem Paradies zu zweit auf Streife gehen. Ein Bonmot sagt: Der eine kann lesen und der andere kennt die Zahlen. Das stammt noch aus Zeiten, in denen noch keine Bachelors rekrutiert wurden.

    Nun hat es sich aber herumgesprochen, dass die Ausbildung von Polizisten eher von Bologna-Defiziten geprägt ist. Daher sei dafür plädiert, dass Polizisten im Social-Media-Zeitalter zu viert auf Streife gehen, wobei einer Fähigkeiten im Bereich Medien-Kompetenz haben möge, inklusive Leseverständnis von Plattform-AGBs. Und der vierte muss unbedingt umfassende juristische Fähigkeiten besitzen, um Alltags-Situationen wie Polizeigewalt und Racial Profiling bis an die Grenzen des erlaubten auszuschöpfen. Wenn man nun die Realität als Maßstab anlegt, dann spricht vieles dafür, autonome Polizeiroboter mit hinreichender Artificial Intelligence auf die Straße zu bringen.

    1. Das ist eine anlasslose Aufforderung/Werbung in der breiten Oeffentlichkeit zur Unterstuetzung von Fahndungsaufrufen. Beinhaltet die Aufgabe dieser Polizeidienststelle eine derartige Aktion? Wenn ja, kann sie natuerlich durchaus humorvoll sein. Wenn nein, ist sie zu unterlassen.

  2. NP-Zitat: „(…) Konkrete Beispiele für polizeiliche Verstöße gegen das Gebot der Richtigkeit sind vor diesem Hintergrund eine (Falsch-)Meldung zu Molotowcocktails, die nie flogen, ein Tweet zu einem elektrischen Türknauf, der nicht mit dem Stromnetz verbunden war, oder die nur mutmaßende Zurechnung einer Straftat zu einer Demonstration. Kommt es zu polizeilichen Fehlinformationen, sind diese richtig zu stellen. (…)“

    Die taz hat die “Presse- & Medienarbeit der Polizei“ bereits im April ’19 kritisch hinterfragt und auch einen schlüssigen Grund benannt warum diese angesehene Institution manchmal auch lügt: „(…) Die Polizei lügt. Nicht generell, aber doch zu oft, um ihre Meldungen ungeprüft zu übernehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Polizisten selbst Akteure sind, wenn es also ein Interesse der Behörde gibt, sich selbst in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. (…)“

    https://taz.de/Kommentar-zu-Radfahrerunfall/!5586880/

      1. Nicht nur ich habe ein Problem damit, dass die Polizei den Bürgerinnen und Bürgern so leicht, locker, flockig als Kumpel auf Twitter rüber kommt und beim geringsten Verdacht auf eine Straftat die Ermittlungsmaschinerie anwirft (Legalitätsprinzip) und bspw. illegale Ermittlungen (geheime Videoobservation o, richterl. Beschluss) in Freiburg durchführt. Die Landespolizeien sind bundesweit nur Strafverfolgungsbehörden mit hoheitlichen Sicherheits- und Ordnungsaufgaben, welche im Zweifelsfall den Bürgerinnen und Bürgern gewaltig auf die Füße treten.

        1. Korrektur: Die heimliche, illegale Videoüberwachung gegen ein alternatives Wohnprojekt, durch die BA-WÜ Polizei, fand in Tübingen statt und nicht in Freiburg.

  3. Wie ist in diesem Zusammenhang die Existenz von Polizei-Interessenverbänden wie der Deutschen Polizeigewerkschaft oder der Gewerkschaft der Polizei zu bewerten, welche durch die Polizei eigenständig gebildet wurden? Sind diese dann nicht verfassungswidrig, da sie insbesondere in Grundrechtsfragen meinungsbildend auftreten?

    Falls sie nicht als der Polizei an sich angehörig klassifiziert werden, und damit den genannten Kompetenzzuordnungen und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit unterworfen sind, sollten sie mindestens die Bezeichnung „Polizei“ aus dem Namen entfernen.

  4. Mist, jetzt hab ich das alles gelesen und ich twittere garnicht für die Polizei. Blöd, weil mir das im Grunde auch vorher schon klar war. Klar war mir auch, dass die Polizei sich da anders verhält.

    Fragt sich nun: Liest die Polizei das auch?

    1. > Fragt sich nun: Liest die Polizei das auch?

      „Die Polizei“ kann nicht lesen, sie ist ein Exekutiv-Organ. Aber es gibt Polizisten, die lesen können. Sie sind die Augen (und Ohren) der Polizei.

      Allerdings ist es mit dem Lesen „an sich“ nicht getan. Es braucht ein Textverständnis, das wiederum ein geeignetes Organ hinter den Augen voraussetzt. Und damit ist das Hauptproblem des Lesens (nicht nur bei der Polizei) benannt.

  5. Hmmm…also zuerst dachte ich mir, hoffentlich findet jemand den Hasen. Das gibt ja ein Trauma, wenn der Weg ist. Also gut, wenn die Polizei das so macht.
    Aber Twitter ist doch auch ein Werbenetzwerk und Werbung über die Polizeiarbeit wär schon schräg.
    Kurz, ich mußte irgendwie mehr über den Artikel nachdenken, als der Satzbau es vermuten lässt.
    In diesem Sinne toller Artikel für jemanden, der wie ich es kaum versteht, warum Menschen trotz steter Aufklärung überhaupt diese sozialen Medien nutzen.
    Danke

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.