Manfred Weber: Für ein europäisches Internet mit bayerischer Prägung

Manfred Weber ist, wenn man so will, das freundliche Gesicht der CSU. Der Niederbayer brachte es mit vergleichsweise liberalen, europafreundlichen Äußerungen zum Spitzenkandidaten von Europas Konservativen für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Doch ist Weber ein glaubwürdiger Verfechter der Netzfreiheit? Der Kandidat im netzpolitischen Porträt.

Manfred Weber als Jung-Abgeordneter 2007. Der Klobrillenbart war damals noch en vogue. – Alle Rechte vorbehalten European Union 2007 – EP

Manfred Weber sagt die richtigen Worte. Datenschutz, Kooperation, Grundrechte. Es ist der fünfte europäische Datenschutztag in Berlin, Januar 2011, und er hält einen Vortrag zum Thema „Europäischer Datenschutz unter Lissabon – Europäisches Parlament als Wächter“. Das Parlament schütze die Rechte der Bürgerinnen, und dazu würden auch die „moderneren“ Rechte zählen, wie eben der Datenschutz, sagt der Niederbayer.

Aber dann fällt da ein anderes Wort: Datenaustausch. Denn den brauche es auch, sagt Weber, und zwar gegen internationalen Terrorismus und organisierte Kriminalität. Und das sind dann auch die Stichworte, die die fünfzehn Jahre seiner politischen Tätigkeit durchziehen.

Weber wird 1972 in Niederkatzhofen, Kreis Landshut, geboren. Der studierte Ingenieur gründet zwei Beratungsunternehmen, bevor er 2002 in die Politik wechselt. Als Kandidat der CSU wird er zuerst Mitglied des Bayerischen Landtags, 2004 wechselt er ins Europäische Parlament. Von Brüssel aus mischt er weiter in der bayerischen Politik mit und legte sich dabei  mit den Parteigrößen Edmund Stoiber und Horst Seehofer an.

Heute ist Weber der Favorit im Rennen um das Amt des EU-Kommissionschefs. Beim Gipfel der Staats- und Regierungschef*innen heute und morgen in Brüssel könnte bereits eine Entscheidung für Weber fallen.

Die erste Wortmeldung im EU-Parlament zu netzpolitischen Themen war 2005, als er sich zur Debatte um das Schengener Informationssystem äußerte. Mit diesem sollten die verschiedenen Polizeibehörden der Mitgliedsstaaten Daten zu Gesuchten, Vermissten und von der Einreise ausgeschlossenen Personen austauschen. „Wir müssen es zum Normalfall der europäischen Ermittlungsarbeit im Bereich der organisierten Kriminalität machen, dass Beamte aus verschiedensten Ländern gemeinsam ermitteln, gemeinsam Verbrechensbekämpfung betreiben“, so Weber damals. Die Datenbank wurde schließlich statt 2007 erst 2013 in Betrieb genommen – mit Kosten von 160 Millionen Euro statt 15 Millionen, wie eigentlich geplant.

Europäische Kontodaten für amerikanische Geheimdienste

2009 wollten die EU-Innenminister das Swift-Abkommen beschließen, mit dem US-Terrorbehörden pauschalen Zugriff auf europäische Bankdaten bekommen hätten. Vor allem wollten sie das aber vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon tun, mit dem sie die Zustimmung des Parlaments gebraucht hätten. Das konnte der überzeugte Parlamentarier Weber nicht gut finden, er sprach von einer „Brüskierung“ der Volksvertretung.

Auch inhaltlich sträubte Weber sich gegen Swift: Ein Zugriff von US-Behörden auf Daten von EU-Bürgern, ohne dass diese dass auch nur mitbekommen. Der Nutzen des Ganzen war sowieso umstritten. Der Datenschutz müsste beachtet werden, sagte Weber dazu, „und zwar nach EU-Standards.“

Dann trat der Vertrag von Lissabon in Kraft und das EU-Parlament verweigerte Swift die Zustimmung, die es zur Verlängerung nötig gehabt hätte. In einem neuen Entwurf wurden Daten dann nur noch auf Verdacht, nicht mehr allgemein herausgegeben. Die Bürgerinnen dürfen Widerspruch gegen die Weitergabe ihrer Daten einlegen, ihr Recht vor einem Gericht einklagen dürfen sie aber nicht. Das kritisierte auch Weber, er lobte aber auch die Unterstützung der USA beim Aufbau eines europäischen Terrorabwehrsystems. Sobald dieses System stehe, sei Swift dann sowieso überfällig, und bis dahin könne man die Jagd nach Terroristen nicht ruhen lassen.

Fluggastdatenspeicherung: Nein, doch, oh!

Ein Thema, dass Weber einige Jahre seiner Laufbahn als EU-Politiker hindurch verfolgte, war die Speicherung von Fluggastdaten sowie deren Weitergabe an andere Staaten. 2008 zweifelte er noch die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen an: „Wir speichern Millionen, Milliarden von Daten über zehn Jahre hinweg für vielleicht ein, zwei, zehn oder zwanzig Fälle. Ist das verhältnismäßig? Das ist die Sorge, die uns alle bewegt.“ Beim damaligen Entwurf bemängelte er auch, dass es eigentlich um den Aufbau von 27 einzelnen staatlichen Speichersystemen ginge. Das sollten die Innenminister doch bitte bei sich zuhause verhandeln.

2013 unterstützte Weber dann aber die Speicherung von Fluggastdaten, und auch deren Weitergabe an die USA. Es würden darum gerungen, wie der Datenschutz für europäische Bürger hochgehalten werden könne, aber die USA seien Partner im Kampf gegen Terrorismus. Der Entwurf wurde im zuständigen Ausschuss zunächst abgelehnt, drei Jahre später aber schafften die Konservativen es, die Speicherung doch noch durchzusetzen.

Parteipolitiker: Seit 2014 ist Weber Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei. - Manfred Weber Press Kit

Die große Konstante: Alles gegen den Terrorismus

Der Kampf gegen den Terrorismus, real oder eingebildet, ist die große Konstante bei den netzpolitischen Betätigungen Webers. „Auf der einen Seite der Kampf gegen eine große Herausforderung – den Terror -, auf der anderen Seite der Datenschutz“, sagte er 2008 im EU-Parlament. Aber dagegen stand dann direkt: „Ich möchte ausdrücklich unterstreichen, dass das Ja zum Datenaustausch immer wieder betont werden muss.“ Weber ist für mehr Datenaustausch, innerhalb der EU, mit EU-Einrichtungen und von der EU mit anderen.

„Nationale Lösungen reichen nicht aus. Wir brauchen im Kampf gegen den Terror eine stärkere internationale Vernetzung. Analog zu der von uns geschaffenen Terrorwarndatei auf Bundesebene braucht es eine europa- und weltweite Vernetzung aller mit Terrorbekämpfung befassten Behörden. Konkret fordere ich den Aufbau einer EU-Terrorwarndatei nach deutschem Vorbild.“ Das war 2010. Ein Jahr später, nach dem Anschlag auf der norwegischen Insel Utøya, forderte er einen europaweiten Bann auf extremistische Webseiten.

„Die Terrorgefahr existiert weiter, die Bedrohung ist nach wie vor da“, sagte er 2014. Damals ging es um die Vorratsdatenspeicherung. Und da mag Weber dann die europäischen Werte noch so hochhalten – dass der Europäische Gerichtshof ein eindeutiges Nein gegeben hat, und das gleich zweimal, war nicht genug. „Wir haben große Achtung vor dem Richterspruch des EuGH“, sagte Weber damals im Parlament, aber die Vorratsdatenspeicherung brauche es halt einfach trotzdem.

Aber: Sie soll zumindest europäisch sein, denn dann sind ja die europäischen Rechte geschützt. Denn den Mitgliedsstaaten kann man in Sachen Vorratsdatenspeicherung wohl kaum vertrauen, sich daran zu halten. Blöd nur, dass es in Deutschland gerade Webers CSU, zusammen mit Unionspartner CDU und williger Mittäterin SPD ist, die in dieser Sache gegen das EuGH-Urteil verstößt.

Nach dem Anschlag in Straßburg 2018 forderte er eine europäische Gefährderdatenbank: „Wir brauchen in diesen Fällen mehr Europa, nicht weniger Europa.“ Dazu gehört auch immer wieder die Überwachung der Grenzen, zum Beispiel die Forderung nach „systematischen Checks“ von Einreisenden, um gegen Overstayer vorgehen zu können, oder ein europäisches System zum Abgleich von Fingerabdruckdaten. Schon für den Vertrag von Prüm, mit dem unter anderem DNA-Daten und Autoregistrierungen ausgetauscht werden, hatte er 2007 nur Lob.

Und wer spielt immer mit beim oft heraufbeschworenen Widerstandsbündnis gegen den Terror? Die USA, der Partner im Kampf gegen eine „globale Herausforderung“.

Laut votewatch.eu hat Weber von allen EU-Parlamentariern am zweitöftesten mit seiner Fraktion gestimmt. - Manfred Weber Press Kit

Auch trotz NSA ging es weiter wie zuvor

Nur einmal schien Weber die Allianz mit den USA gegen den Terror in Frage zu stellen: Im Gefolge der NSA-Affäre 2013. „Meine Daten gehören mir. Das ist das Grundprinzip der europäischen Denkweise zum Datenschutz“, sagte Weber damals im EU-Parlament. Das Verhalten der Amerikaner sei „inakzeptabel“, Freunde würde man nicht belauschen, Bürger von befreundeten Staaten nicht ausspionieren. Und dennoch: „Der US-Weg ist nicht der unsere, aber wir arbeiten partnerschaftlich zusammen, um gemeinsam unsere Aufgaben zu erledigen.“

Entsprechend handelte Webers EVP dann auch. Sowohl Swift-Abkommen als auch Fluggastdatenspeicherung gerieten massiv in die Kritik – warum Daten an die USA weitergeben, wenn die sie sich sowieso nehmen? Das Parlament forderte per Beschluss die Aussetzung des Swift-Abkommens – aber gegen die Stimmen der EVP, die der USA lieber für ihr Engagement danken wollte. Die Kommission überging das Parlament dann sowieso, Swift wurde nicht ausgesetzt.

Ein Parlamentarier äußerte sich damals glücklich über dieses Ergebnis: Axel Voss. Man könne die USA nicht dazu zwingen, sich die Swift-Daten illegal zu holen, sagte der aus der Copyright-Debatte berühmt-berüchtigte CDU-Politiker damals. Das sogenannte Safe-Harbour-Gesetz zum Schutz kommerzieller Daten sollte man aber aussetzen, denn hier sei die Datenspeicherung wesentlich eklatanter als bei der NSA. Dem stimmte sein Fraktionskollege Weber zu: Die USA seien immer noch Freunde, aber für konsequenten Datenschutz sei eine Neuverhandlung notwendig. Das Abkommen wurde dann auch im Jahr darauf für ungültig erklärt, Weber freute sich über die Gelegenheit zur Durchsetzung europäischer Regeln.

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Abstimmung zu Transparenz ohne Öffentlichkeit

Zum damals sehr umstrittenen Anti-Piraterieabkommen ACTA äußerte sich Weber in diesem ManfredWeberTV-Clip eher blass. Das EU-Parlament stimmte schließlich gegen das Abkommen, Webers EVP allerdings dafür.

Bei den Kämpfen um das EU-Lobbyregister bekleckerte sich Webers EVP letztes Jahr nicht gerade mit Ruhm. Gerade ein Gesetz, in dem es um mehr Transparenz für das Parlament ging, sollte nach Willen der Fraktion in geschlossener Sitzung besprochen werden. Der Antrag fiel aber durch und das Parlament entschied sich überraschend für den Entwurf.

Wohlstand: Europamacht plus Digitalisierung

Auch aktuell, im Rahmen seiner Kandidatur für das Amt des Kommissionspräsidenten, äußert sich Weber noch zu netzpolitischen Fragen. In einem Gastbeitrag für Spiegel Online schrieb er im April, dass „globale Regeln für das Internet natürlich das beste wären“, aber zu lange dauern würden. Die Selbstverpflichtungen der amerikanischen Konzerne sei gescheitert, „das Internet muss europäischer werden“, so seine Forderung.

Einen Monat später forderte er dann eine Klarnamenpflicht im Internet. Warum das keine gute Idee ist, haben wir schon einmal an einigen Beispielen aufgezeigt. Wegen einer kolportierten Vorziehung der endgültigen Abstimmung zur Urheberrechtsreform im Europäischen Parlament musste sich Weber kurz davor von Netzaktivisten den Spitznamen „#Lügenmanni“ gefallen lassen.

Es fehlt Weber immer noch nicht an hohen Tönen für die europäische Digitalisierung: „Wir müssen jetzt damit anfangen, diese digitale Revolution mit europäischem Geist aufzubauen.“ Was gehört für ihn zu diesem europäischen Geist? Copyright, Sorgen über Digitalisierung hören und die digitalen Lücken zwischen den Regionen Europas schließen.

Und wo fängt man damit an? Richtig, in Niederbayern. „Wie können wir den Wohlstand in unserer Region halten? Eine wesentliche Antwort darauf wird die Digitalisierung geben“, sagte Weber dort 2015.

Trotz dieser Lokalverbundenheit ist Manfred Weber aber vor allem eins: Ein überzeugter Europäer. Das kann ihm wohl niemand absprechen. Auch an Einsatz für mehr Demokratie auf EU-Ebene und an Lippenbekenntnissen zu Digitalisierung und Datenschutz fehlt es nicht. Aber im Weltbild des treuen CSUlers heißt eben europäische Integration auch: Datenintegration gegen den Terrorismus. Daran dürfte sich auch nichts ändern, falls Weber Kommissionspräsident wird.

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