Bayerisches Polizeigesetz19 Personen wochenlang in Präventivgewahrsam

Das bayerische Polizeiaufgabengesetz erlangte letztes Jahr bundesweite Bekanntheit. Im Eilverfahren führte die CSU damit den zeitlich unbegrenzten Präventivgewahrsam ein. Seit das Gesetz in Kraft ist, sind mindestens 19 Personen für mehrere Wochen eingesperrt worden – ohne Anklage und oft ohne den Beistand einer Anwältin. Nun wurde bekannt, dass fast ausschließlich Ausländer:innen betroffen sind.

Bayerisches Polizeigesetz Präventivgewahrsam Symbolbild
Der Präventivgewahrsam soll keine Strafe sein, sondern eine vorbeugende Maßnahme. Für die Betroffenen dürfte der Unterschied jedoch gering sein: Sie sind zunächst eingesperrt. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Frank Mckenna @frankiefoto

Seit einer Änderung im bayerischen Polizeigesetz im August 2017 genügt es, eine Person als abstrakt gefährlich einzustufen, um sie wochenlang einzusperren. Das gab es in der Bundesrepublik Deutschland noch nie. Mit der Regelung verschob die CSU die Grenzen des Denkbaren. Es folgten weitere Verschärfungen im Mai 2018. Seither laufen mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das bayerische Polizeigesetz.

Am Freitag wurde der Abschlussbericht der Prüfkommission zum bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) vorgestellt. Daraus geht hervor, dass fast ausschließlich Personen ohne deutschen Pass vom mehrwöchigen Präventivgewahrsam betroffen sind. Einige wurden anschließend abgeschoben.

Wegen „Trunksucht“ und „Aggressivität“ ins Gefängnis

Seit der Änderung des Gesetzes gilt: Um eine Person einzusperren, genügen bereits geringfügige Verstöße gegen die Rechtsordnung. Das sind beispielsweise „Trunksucht“ verbunden mit „Aggressivität“ und „Zechbetrügereien“.

In dieser Zeit wurde durchschnittlich eine Person im Monat in Bayern für zwei Wochen und länger in Präventivgewahrsam genommen, das geht aus den Schriftlichen Anfragen der Landtagsabgeordneten Katharina Schulze (Grüne) und Markus Rinderspacher (SPD) hervor. Insgesamt sind es 23 Fälle, wobei einige Personen mehrfach betroffen waren.

Logo der Prüfkommission zum bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG)

Aus den Abschlussbericht der vom Innenministerium beauftragten Prüfkommission erfahren wir nun mehr über die Betroffenen und die Umstände der Anwendung. Dort steht, dass der Präventivgewahrsam „nicht nur als Ultima Ratio zur Anwendung gebracht wurde“. Vielmehr wurden Personen eingesperrt und wochenlang festgehalten, bis organisatorische Fragen geklärt waren, etwa eine „Änderung der Unterbringung“.

Betroffen waren zuerst Ausländer

Aus dem Bericht erfährt man zudem: Die meisten Personen, die von der bayerischen Polizei in Präventivgewahrsam genommen wurden, haben keinen europäischen Pass und folglich keinen sicheren Aufenthaltsstatus. Unter den insgesamt 19 Personen, die länger als zwei Wochen im Gefängnis waren, sind nur drei Deutsche. Viele der Betroffenen leben in Wohnheimen und Erstaufnahmelagern, sie stehen von Beginn an unter ständiger Beobachtung.

Wenn man die Beschreibungen der Fälle durchschaut, muss man sich fragen, was sich die Polizei davon erhofft, jemanden wochenlang einzusperren. Dort wird etwa dieser Fall beschrieben: Ein Mann kündigt an, dass er sich bei einem negativen Asylbescheid das Leben nehmen will. Auch seine Familie wolle er umbringen, falls es keine Zukunft für sie in Deutschland gäbe. Die bayerische Polizei sperrt ihn für 27 Tage ein. Begründet wird der Präventivgewahrsam etwa mit der „Hoffnung auf Besinnung“.

In einem weiteren Fall wird die Polizei auf zwei Männer aufmerksam, die mehrfach unter Alkoholeinfluss Gewalt angewendet haben. Beide leben in einer Wohneinrichtung mit Sicherheitsdienst. Die Polizei stellt fest: Es bestehe die Wahrscheinlichkeit, dass die Männer betrunken erneut gewalttätig würden. Also sperrt man sie präventiv ein. Das Ziel sei die „langfristige Besserung“, so steht es im Bericht der Prüfkommission. Die Männer bleiben einen Monat in Gewahrsam. Was danach passiert, ist nicht bekannt. Hätten sie in ihrem Eigenheim gewohnt statt in einem Wohnheim, wären sie vermutlich nicht im Gefängnis gelandet.

Der „Komplex Schweinfurt“

An einem Tag im Juni 2018 werden acht Personen auf einmal in Präventivgewahrsam genommen, der Fall wird später als „Komplex Schweinfurt“ gehandelt. Einer der Männer bleibt zwei Monate eingesperrt, die anderen zwischen 15 und 18 Tagen. Sie haben keine Straftat begangen oder geplant, es handelt sich laut den Beamten um eine Vorsichtsmaßnahme, „um Schlimmeres zu verhindern“. Zuvor hatten sich die Männer auf dem Hof ihres Wohnheims in Schweinfurt versammelt, um sich gegen die Polizei zu stellen, als die einen ihrer Mitbewohner festnehmen wollte.

Für die Polizei war der Einsatz nach einigen Stunden vorbei, doch die acht Männer blieben wochenlang in Gewahrsam. Während ihrer Zeit im Gefängnis bekamen sie keine Anwältin zur Seite gestellt, die sie hätte unterstützen und Akten einsehen können. Am Ende werden sie abgeschoben, die Männer haben keinen europäischen Pass. Der Grund für ihre Ausweisung und ihr heutiger Aufenthaltsort sind unbekannt.

Zeitliche Begrenzung im Gesetz nötig

Die sechs Mitglieder der Prüfkommission empfehlen nun eine zeitliche Begrenzung des Präventivgewahrsams auf unter drei Monate. Stand heute ist der bayerische Präventivgewahrsam zeitlich unbegrenzt möglich. Das gibt es in keinem anderen deutschen Bundesland. Heribert Prantl kommentierte die Verabschiedung des Gesetzes in der Süddeutschen Zeitung:

Das alles ist eigentlich unvorstellbar; bei diesem Gesetz denkt man an Guantanamo, Erdogan oder die Entrechtsstaatlichung in Polen. Die Haft ad infinitum wurde aber im Münchner Landtag beschlossen. […] Dieses Gesetz ist eine Schande für einen Rechtsstaat.

Auch ein Anwaltsbeistand soll zukünftig im Polizeigesetz geregelt werden. Innenminister Joachim Hermann (CSU) hat bereits angekündigt, an dieser Stelle einzulenken. Von den insgesamt 19 Personen, die wochenlang inhaftiert waren, haben nur zwei einen Anwalt bekommen. In drei weiteren Fällen wurde ein Verfahrenspfleger eingesetzt.

„Wir sind alle Gefährder“

Der Abschlussbericht belegt, dass vor allem Personen ohne deutschen Pass von der neuen Befugnis im Polizeigesetz betroffen sind. Womöglich wird nun ein verpflichtender Anwaltsbeistand eingeführt und die Höchstdauer des Präventivgewahrsams reduziert.

Dass von dem Präventivgewahrsam vor allem Ausländer:innen betroffen sind, ist jedoch keine Überraschung. Zwar ist die Formulierung offen gehalten, doch viele der weiteren neu eingeführten Regelungen im Polizeigesetz richten sich ganz explizit gegen Personen ohne europäischen Pass, etwa die Durchsuchung von Wohnheimen. Die bayerische Polizei führte im Jahr 2018 einhundert Razzien in Wohnheimen für Asylsuchende durch. Dabei kontrollierte sie die Dokumente von 9.880 Personen. Wer hier die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zieht, ist schnell mit weiteren Maßnahmen belegt.

Am härtesten betroffen sind zweifelsohne jene, die keinen sicheren Aufenthaltsstatus in der EU haben. Sie werden zunächst in Präventivgewahrsam genommen und anschließend abgeschoben. Auf den Demonstrationen in München und Düsseldorf wurde skandiert „Wir sind alle Gefährder“. Es ist ein Akt der Solidarität, der jedoch nichts daran ändert, dass viele der Demonstrant:innen einen europäischen Pass haben und nicht abgeschoben werden können. Der Bericht der Prüfkommission macht nun klar, wer in erster Linie betroffen ist. Er liefert allerdings keine Antwort auf diese Ungleichheit.

17:24 Uhr: In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass eine „drohende Gefahr“ für einen Präventivgewahrsam genüge. Das war zwar in einem Referentenentwurf zum Polizeiaufgabengesetz (PAG) vorgesehen, wurde aber so nicht verabschiedet. Richtig ist: Präventivgewahrsam kann bei geringfügigen Verstößen gegen die Rechtsordnung verhängt werden. Vielen Dank an unsere aufmerksamen Leser!

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12 Ergänzungen

  1. Danke für diesen sehr informativen Artikel. Ich halte ihn für sehr gut gelungen. Nur die Aussage

    >> Seit einer Änderung im bayerischen Polizeigesetz im August 2017 genügt es, eine Person als
    >> abstrakt gefährlich einzustufen, um sie wochenlang einzusperren. Das gab es noch nie in
    >> Deutschland.

    würde ich noch mal relativieren. Wäre ja schön, wenn es sowas vorher „noch nie in Deutschland“ gegeben hätte, aber sowas wie Gestapo-„Schutzhaft“ oder noch nicht mal formal juristisch abgesicherte Inhaftierungen sind eben doch historische Vorläufer, für das, was da kürzlich durch die Hintertür in Bayern eingeführt wurde.

  2. Bayern, ein Polizeistaat?

    Ein breites Bündnis hält das aktuelle bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) für nicht verfassungsgemäß, weil es gegen zentrale rechtsstaatliche Grundsätze verstößt.
    Wie beschrieben sind mit Inkrafttreten dieses PAG im Bundesland Bayern “19 Personen für mehrere Wochen eingesperrt worden – ohne Anklage und oft ohne den Beistand einer Anwältin.“
    So etwas erinnert mehr an einen Polizeistaat als an eine freiheitliche Demokratie!

    1. Ist es auch nicht, das ist reine Willkür und dafür gibt es normalerweise „Schranken-Schranken“ im Gesetz – wie auch immer das passieren konnte, dass so ein Gesetz einfach abgewinkt wird.

      Zu Recht verlieren Menschen den Glauben an die Demokratie durch solche Aktionen, denn so ein Vorgehen ist mit freiheitlich demokratischen Grundwerten nicht zu vertreten – es erinnert vielmehr an das Gebaren von Autokraten.

  3. Da kann man mal sehen, wie Bayern und auch andere Länder das Grundgesetz, die Menschenrechtskonvention Artikel 6 verletzt und viele weitere Grundrechte der EU (z.B. A.6,19, 20,21,47,48,49,50). Da es sich aber in den meisten Fällen um Ausländer ohne Status handelt, haben diese keine EU- Rechte. Also kann man mal einfach so wegsperren und die Menschenrechte übergehen. Es wird Zeit, das §339 STGB Amtsmissbrauch -wie vor der Änderung durch Willi Geiger- eingeführt wir, das alle Beamten und Politiker sich strafbar machen, wenn sie Bockmist bauen. Deutschland schehrt sich ein Dreck um EU- und Menschenrecht, das sieht man auch an aktuell laufende Verfahren. Wenn man dann noch feststellt, das kein einziger der aktuell gegebenen Richter am Bundesverfassungsgericht seit 2015 (Kirchhof, Masing und Paulus(Änderung §6 BVerfGG)) kein gesetzlicher Richter gemäß Artikel 101 Abs. 1 S 2 GG (BVerfGE 82, 286), dann wundert es nicht, das in allen Ländern etwas schief läuft.(Ausnahme Prof. Dr. Christine Langenfeld Dr. Yvonne Ott) Die Menschen haben das Vertrauen der Regierung und Justitz verloren.

  4. Die beiden Links bei „Schriftlichen Anfragen der Landtagsabgeordneten Katharina Schulze (Grüne) und Markus Rinderspacher (SPD) “ führen wohl versehentlich zu einer Login Seite, ich hatte auf die schriftlichen Anfragen gehofft.

  5. Ich lebe seit etwas mehr als 5 Jahren in Bayern und die Polizei hier greift häufig mit Mitteln durch, die sich mit Begriffen wie „Rechtsstaatlichkeit“ nicht mehr vereinbaren lassen. Viele Leute hier finden das gut – man glaubt, dies habe eine abschreckende Wirkung und die Kriminalitätsstatistik scheint das zu belegen. Ich halte das für absolut grenzwertig und gerade dieser Artikel beschreibt wie die Polizei in Bayern immer mehr zu einer Art „Staat im Staat“ wird. Für mich hat das schon was von Krimineller Vereinigung.

  6. Ehrlich gesagt, verstehe ich hier die Aufregung nicht.

    Das PAG ist notwendig um für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Wissen Sie denn, weshalb es eingeführt wurde? Weil es in Bayern 1 oder 2 Morde gab, bei denen die Ermordeten vorher zur Polizei sind und gesagt haben, dass ihr Ehemann/sonstiger sie ermorden möchte. Die Polizei gab enttäuscht die Antwort, wenn keine konkreten Hinweise vorliegen – und konkret bedeutet in diesem Zusammenhang Zeit oder Ort, dann reicht diese allgemeine Morddrohung – auch wenn sie bei den Vorstrafen des Ehemannes etc. glaubhaft erscheint, nicht aus für einen Gewahrsam oder eine Schutzmaßnahme.

    Das ist nun – Gott sei Dank – möglich.

    Der bayr. Innenminister hat schon bestätigt, dass künftig ein Anwalt bereit gestellt wird. Diese Änderung ist notwendig geworden, weil es sich bei den Inhaftierten fast ausschließlich um Ausländer handelt, denen das deutsche Rechtssystem nicht vertraut ist. Solchartige Änderungen sind gebräuchlich, zumal man diese Situation nicht zwangsläufig vorhersehen konnte.

    Interessant finde ich, dass es im Artikel so dargestellt wird, als wäre Abschiebung etwas böses bzw. rechtswidriges.

    Wir leben hier in einem Rechtsstaat. Es entscheidet nicht der Autor einer Zeitschrift über Aufenhaltserlaubnisse – auch nicht die Polizei – sondern die Justiz. Erfolgt also eine Abschiebung wurde diese im Vorhinein durch die Justiz/Judikative auf Grundlage der Vorgaben der Legislative/Bundestags angeordnet und von der Polizei/Exekutive ausgeführt..

    1. das gesetz ist doch erstmal unabhängig von Abschiebungen. Es wird halt zusätzlich dazu dass es ein gesetz ist das total daneben ist, auch noch dafür missbraucht Leute in Haft zu halt bis man sie abschieben kann.

      Aber das Problem ist, es ist ein gesetz, das eben genau den Rechtsstaat aushebelt. denn es entscheidet eben Kein Richter mehr in einer Verhandlung bei der der beschuldigte sich verteidigen kann und einen Rechtsbeistand hat, darüber ob du ins Gefängnis kommst oder nicht. und somit eben nicht mehr die Judikative. Sondern eben die Executive. Und verstößt somit gegen alles was eine Demokratie und einen Rechtsstaat ausmacht.

      Das Problem dass die Polizei nicht handeln kann wenn noch nichts passiert ist, ist ein Problem das es über all auf der welt gibt, und ist auch nichts neues dass dadurch immer wieder mal etwas passiert, und wenn das zu einem Mord führ den man verhindern hätte können, ist das extrem tragisch. Aber dafür die Freiheit aufzugeben, für die unzählige von Menschen bereit waren zu sterben und gestoben sind. Ist eindeutig zu viel. Ja es ist wichtig dass man Straftaten verhindert, ja es ist wichtig dass man terrorismus vorbeugt. Aber nein dafür darf man nicht die Freiheit aufgeben und einen Polizeistaat schaffen. Und mich wundert dass hier der aufschrei nicht deutlich größer ist.

      und wenn diese Morde der grund für das gesetz wären, hätten sie einfach dafür gesorgt dass so etwas in zukunft Polizeischutz ermöglicht und die Drohung selbst in zukunft besser verfolgt werden kann und besser zu verurteilungen führen kann.

    2. Seltsamerweise haben die dokumentierten Fälle, bis auf einen, nichts mit (Selbst-)morddrohungen zu tun (Unterbringung in einer Psychiatrie wäre selbs hier das Mittel der Wahl gewesen) , also ein Vorgehen, das eigentlich in einem Rechtsstaat keinen Platz haben darf. „Wir leben hier in einem Rechtsstaat“ sagen Sie doch selbst und legen in sich so zu Recht, wie es Ihnen passt. Merken Sie den Widerspruch?

      „rechtsstaatliche“ Gründe für Präventivhaft: „Änderung der Unterbringung“, „Hoffnung auf Besinnung“, „langfristige Besserung“ ohne Anwalt und Verfahren.
      – „Wir leben hier in einem Rechtsstaat“ (zitiert nach Gerd Gerdsen)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.