So arbeitet die Prüfkommission zum bayerischen Polizeiaufgabengesetz

Ist das bayerische Polizeiaufgabengesetz verfassungskonform? Die Frage beschäftigt derzeit mehrere Gerichte. Zeitgleich lässt das Innenministerium das umstrittene Gesetz durch eine Kommission prüfen, um dessen „Optimierungspotenzial“ festzustellen. Die Mitglieder haben Zugriff auf Unterlagen der Polizei.

Innenminister Joachim Hermann mit seinen Polizeivizepräsidenten – Alle Rechte vorbehalten Bayerns Polizei

Fünf Männer und eine Frau sollen das „Optimierungspotenzial“ des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) prüfen. In kaum einem Bundesland hat die Polizei laut Gesetz so weitgehende Befugnisse zur Überwachung von Personen im Gefahrenvorfeld wie in Bayern. Die Frage, die die sechsköpfige Kommission beantworten soll, ist jedoch eng gestellt: Ist das – bereits geltende – Gesetz für Polizist:innen in der Praxis anwendbar oder gibt es Änderungsbedarf?

Dass ein Ministerium seine Arbeit evaluieren lässt, ist zunächst nicht weiter ungewöhnlich. Doch in diesem Fall handelt es sich um ein Gesetz, dass voraussichtlich mindestens in Teilen für verfassungswidrig erklärt werden wird. Derzeit sind mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig. Inwiefern kann man als unabhängige Kommission die mutmaßliche Verfassungswidrigkeit einer Befugnis außer Acht lassen – und lediglich ihre Verständlichkeit optimieren?

„Maximale Offenheit und Transparenz“

Auftraggeber der „Kommission zur Begleitung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes“ ist das CSU-geführte Innenministerium unter Joachim Hermann. Dieser verspricht „maximale Offenheit und Transparenz“ in der Zusammenarbeit. Die Mitglieder der Kommission sind mit einer Ausnahme Jurist:innen, die meisten arbeiten in Gerichten, einer kommt aus der Wissenschaft. Sie trafen sich zum ersten Mal im Juni 2018 und seitdem durchschnittlich alle drei Wochen. Innerhalb der Runde gilt der Datenschutzbeauftragte Thomas Petri als kritische Stimme.

Anlass für Hermann eine solche Prüfkommission einzusetzen, war der massive Protest gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz im vergangenen Sommer. Zwischen 2017 und 2018 hat die CSU zwei Gesetzesnovellen verabschiedet, die die Polizei mit zahlreichen neuen Befugnissen ausstattet. Seither dürfen die bayerischen Beamt:innen solchen Personen, die sie für verdächtig halten, aber denen sie noch keine Planung oder Vorbereitung einer Straftat nachweisen können, eine elektronische Fußfessel anlegen. Sie dürfen ihre Post öffnen, ihr Konto sperren und sie für standardmäßig drei Monate in Präventivhaft nehmen. Zudem sind viele technische Überwachungsmaßnahmen erlaubt worden, etwa das staatliche Hacken von Computern und Handys.

Die CSU hat diese Befugnisse verabschiedet, obwohl mehr als 40 000 Menschen in der Münchener Innenstadt dagegen protestierten, eine der größten Demonstrationen für Bürgerrechte seit Jahren. Als die Kritik unerwartet laut wurde, behauptete Innenminister Joachim Hermann (CSU) zunächst, das Gesetz diene in erster Linie dem Datenschutz. Später forderte Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Polizist:innen sollten an Schulen und Universitäten gehen, um dort das Gesetz zu erklären.

Das unlesbare Gesetz

Unverständnis für den Einsatz der Kommission zur Prüfung des Gesetzes gab es sogar von der sonst unkritischen „deutschen Polizeigewerkschaft“ (DPolG). Deren stellvertretender Landesvorsitzender Jürgen Ascherl sagte der Süddeutschen Zeitung, es sei nicht einsichtig für ihn, warum das Gesetz zuerst im Landtag beschlossen wird, um danach über Änderungen zu sprechen: „Vom Grundsatz her würde es andersherum eher Sinn machen.“

Besonders umstritten ist, dass weitreichende Befugnisse im PAG lediglich eine „drohende Gefahr“ voraussetzen, statt wie bisher eine „konkrete Gefahr“. Vom Bundesverfassungsgericht wurde diese niedrigere Eingriffsschwelle für Ausnahmefälle des Terrorismus gebilligt. Im bayerischen Polizeigesetz wird es „auf beinahe sämtliche polizeilichen Befugnisse“ angewendet, sagt der Sachverständige Markus Löffelmann, Richter am Landgericht München. Eine der Fragen der Kommission ist, ob Polizist:innen diese Unterscheidung in der Praxis überhaupt sicher treffen können.

Bereits vor der Verabschiedung des Polizeiaufgabengesetzes haben Expert:innen im Innenausschuss Kritik an der mangelnden Anwendbarkeit des Gesetzestextes für Polizeibeamt:innen geübt. Der Rechtswissenschaftler Josef Lindner schrieb in seiner Stellungnahme, dass „das Polizeiaufgabengesetz (PAG) allmählich das Stadium der Unlesbarkeit erreicht hat“. Auch Markus Möstl, Juraprofessor aus Bayreuth, gab zu Protokoll, dass die Fülle und Komplexität der vorliegenden Vorschläge ihn „an Grenzen“ führe.

Die Suche nach Betroffenen

Die Kommission hat für ihre Arbeit Zugriff auf Unterlagen von Polizei und Gerichten. So liegen in mindestens 29 Fällen Richteranordnungen zum Präventivgewahrsam vor, die die Kommission nun auf Gemeinsamkeiten prüft. Außerdem wurden die drei großen Polizeigewerkschaften und der Landespolizeipräsident befragt und Statistiken eingeholt. Im Abschlussbericht der Kommission sollen dann die „strukturelle Umstände der Gesetzesanwendung“ kommentiert werden, nicht jedoch die untersuchten Einzelfälle und „erst Recht nicht das Verhalten einzelner Polizistinnen oder Polizisten“, heißt es im Arbeitsbericht der Kommission.

Bisher hat die Kommission in mindestens einem Fall festgestellt, dass eine Person in Präventivgewahrsam genommen wurde, ohne eine Anwältin oder einen Anwalt beigestellt zu bekommen. Das ist nach der neuen Gesetzeslage zwar zulässig, doch die Kommission kritisierte in ihrem Zwischenbericht den mangelnden Rechtsbeistand angesichts der Intensität der Maßnahme. Innenminister Joachim Hermann kündigte hier bereits Korrektur im Gesetz an. Er sagt: „Bisher waren die Mitarbeiter im Innenministerium wohl der Meinung, das sei hinreichend klar.“

Der „Komplex Schweinfurt“

Doch die Kommission schließt nicht aus, dass es weitere Fälle gibt, von denen sie bisher nichts weiß. Um mehr über etwaige Betroffene zu erfahren, hat sie fünf Vertreter:innen des Bündnisses „NoPAG“ zu einem Gespräch eingeladen. „NoPAG“ ist bundesweit das größte Protestbündnis gegen Polizeigesetze und besteht aus circa 100 Organisation, darunter Journalistenverbände, Parteien und Umweltinstitute. In dem vorab zugesandten Fragenkatalog der Kommissionsmitglieder wird das Interesse der Kommission an ihr bisher unbekannten Fällen deutlich:

Sind Ihnen bereits Fälle bekannt geworden, in denen betroffene Personen auf Grundlage einer „drohenden Gefahr“ eingriffsintensiven polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt waren? Für eine kurze, aussagekräftige Schilderung des Sachverhalts wäre die Kommission dankbar.

Sind dem Bündnis über den „Komplex Schweinfurt“ hinaus weitere Fälle in Bayern bekannt, in denen ein Gewahrsam länger als zwei Wochen gedauert hat?

Dass die Kommission den Fall des in Schweinfurt in einer Asylbewerberunterkunft in Präventivgewahrsam genommenen Mannes nach Akteneinsicht als „Komplex Schweinfurt“ bezeichnet, zeigt wie brisant dieser Fall ist. Im August 2018 hatte der Fall für Aufmerksamkeit gesorgt, da es einer der ersten bekannten Anwendungsfälle des im Mai in Kraft getretenen Polizeigesetzes war. Der Kommission selbst sind jedoch nach eigenen Angaben mindestens 11 weitere Fälle bekannt, in denen ein Gewahrsam länger als zwei Wochen gedauert hat.

Alternative Pressekonfernez des Bündnis "NoPAG"
Alternative Pressekonferenz des Bündnis „NoPAG“ mit Jörg Jovy, Mathes Breuer, Laura Meschede und
Thomas Lechner - Alle Rechte vorbehalten Johannes König

Die Vertreter:innen des Bündnisses „NoPAG“ lehnten ein Gespräch mit der Kommission hinter verschlossenen Türen ab. Gegenüber netzpolitik.org sagt ein Sprecher, man wolle „nicht als Feigenblatt missbraucht“ werden. Stattdessen veranstaltete das Bündnis eine alternative Pressekonferenz auf der sie die Fragen der Kommission beantwortete (Video). Zur Frage nach Anwendungsfällen auf Grundlage der „drohenden Gefahr“ heißt es dort:

Uns erteilt die Staatsregierung keine Auskunft, wir schlagen vor, dass die Kommission eine statistische Erfassung der PAG-Anwendungen veranlasst und dazu die Sachverhalte abfragt. Das verstehen wir auch unter dem Auftrag der Kommission.

Optimierungspotenziale

Die sechs Mitglieder der Prüfkommission wurden vom Innenministerium eingesetzt und sollen „Optimierungspotenziale“ innerhalb des höchst umstrittenen Polizeigesetzes feststellen. Dafür haben sie Zugriff auf Unterlagen der Polizei und aus Gerichten: Material, das sich viele Journalist:innen wünschen würden. In den nächsten Wochen wird ihr Abschlussbericht vorliegen. Dort werden die Jurist:innen wohl weitere Vorschläge zur Ausgestaltung der einzelnen Befugnisse machen, etwa ein verpflichtender Anwaltsbeistand oder ein vorgeschalteter Richtervorbehalt. Das Innenministerium unter Joachim Hermann wird diese Änderungsvorschläge wohl dankbar aufnehmen, auch angesichts der ausstehenden Verfassungsbeschwerden.

Doch interessant wäre, was aller Voraussicht nach nicht im Abschlussbericht stehen wird, aber aus den Unterlagen hervorgehen dürfte: die Anzahl der Betroffenen und ihre Gemeinsamkeiten. Wer sind die Personen, die von der bayerischen Polizei auf der neuen Gesetzesgrundlage überwacht oder sogar in Präventivhaft genommen worden sind? Darüber aufzuklären, fällt leider nicht unter die Aufgabe der Kommission.

Eine Ergänzung

  1. Wenn ich den Artikel richtig verstehe, hat dass bayerische Innenministerium ein Gesetz auf den Weg gebracht, das nach der Methode Versuch und Irrtum entwickelt, beschlossen und dann in der Realität auf Irrtümer hin geprüft wird? Wobei die Realität dann zeigen wird, wie Gerichte mit den sehr weit und großzügig ausgelegten Eingriffsbefugnissen dann umgehen, wenn gegen diese von einzelnen Betroffenen oder anderen Personen/Gruppen umgegangen wird?

    So nach dem Motto, lass uns mal schauen, wie lange man den Delinquenten unter Wasser drücken kann, bis er gerade noch lebt?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.