Wikimedia-Vorstand im Interview: Das freie Internet und was wir dafür tun können

Der Drang von Konzernen, Informationen und Wissen zu kommerzialisieren wächst und wächst. Wie können wir uns dagegenstemmen und dafür sorgen, dass Wissen im Netz weiterhin frei bleibt? Welchen Einfluss hat die EU-Urheberrechtsreform auf Projekte wie Wikipedia? Darüber sprechen wir mit Abraham Taherivand von Wikimedia Deutschland.

Abraham Taherivand ist geschäftsführender Vorstand bei Wikimedia. CC-BY-SA 4.0 René Zieger

Darüber, was das Internet ist und sein sollte, scheiden sich die Geister: Mittel für mehr Demokratisierung? Raum zum freien Austausch von Wissen? Oder doch idealer Absatzmarkt, wo das reibungslose Funktionieren des Kapitalismus erst möglich wird? Im Jahr 2018 scheint es fast so, als hätte sich letztere Ideologie gänzlich durchgesetzt. Die „Big 5“ beherrschen weite Teile des Netzes und beeinflussen die gesellschaftliche Meinungsbildung. Zur aktuellen Lage, alternativen, nicht-kommerziellen Freiräumen und Möglichkeiten der Kritik haben wir mit Abraham Taherivand gesprochen. Abraham ist geschäftsführender Vorstand bei Wikimedia Deutschland und hält am Freitag einen Vortrag auf der „Das ist Netzpolitik“ -Konferenz.

Communitybasierte Arbeit als Zukunftsmodell

netzpolitik.org: Du wirst auf der „Das ist Netzpolitik“ Konferenz über das „freie Internet“ sprechen. Was meinst du damit und warum ist das wichtig?

Abraham Taherivand: Das freie Internet ist für mich ein Leitbild des digitalen Raums, bei dem Chancengleichheit und Gemeinsinn die wichtigsten Grundlagen sind. Ein freies Internet steht ganz konkret für diskriminierungsfreien Zugang, freie Inhalte und das ungehinderte Teilen von Informationen und Wissen. Dafür steht die Wikipedia, die als größtes Wissensprojekt der Menschheit auf dem Prinzip der freien und kollaborativen Zusammenarbeit aufbaut. Wir sehen heute deutlicher als je zuvor, wie wichtig faktenbasiertes, unabhängig erstelltes, ausgehandeltes Wissen für die gesellschaftliche Meinungsbildung ist. Ich denke, die communitybasierte Arbeit der Wikipedia gibt auch für andere Plattformen eine Orientierung in Zeiten, in denen das Vertrauen in Online-Medien zunehmend Schaden nimmt. Daher sehe ich im Prinzip des freien, kollaborativen Arbeitens ein Zukunftsmodell weit über die Wikimedia-Projekte hinaus.

netzpolitik.org: War das Internet jemals frei? Kannst du uns etwas über die Entwicklung des Internets sagen und begründen, warum es gerade heute wichtig ist, aktiv zu werden?

Abraham Taherivand: Wenn man unser Leitbild als Maßstab heranzieht, war das Netz zumindest in seinen Anfangsjahren umfassend frei und ist es auch heute noch in bestimmten Bereichen. Heute allerdings überhaupt noch über “das Netz” als Ganzes zu sprechen, geht meist schief. Dafür ist es einfach zu vielgestaltig geworden. Was man aber durchaus konstatieren kann, ist, dass gerade der alltägliche Umgang der Menschen mit diesem vielgestaltigen Netz zunehmend wieder unter Kontrolle gestellt wird – teils staatlich, großenteils kommerziell getrieben – und hierüber sind so tiefgreifende Eingriffe in das Leben der Menschen möglich geworden, dass die Freiräume umso vehementer verteidigt werden müssen.

Die Urheberrechtsreform ist „Gift für freies Wissen“

netzpolitik.org: Wie ist deine Sicht auf die Abstimmung zur EU-Urheberrechtsreform und welche Folgen wird diese nach sich ziehen? Welche Folgen hat dies für Projekte wie Wikipedia oder Wikidata?

Abraham Taherivand: Die EU-Parlamentsabstimmung zugunsten von Upload-Filtern und einem EU-weiten Leistungsschutz für kleinste Textschnipsel ist ein Rückschlag für alle, die für Meinungsfreiheit und Vielfalt im Netz kämpfen. Wir sind dafür, dass Kreative auch im digitalen Raum angemessen vergütet werden, aber die Mittel sind hier völlig verfehlt; mehr noch, sie können einen immensen Kollateralschaden für das freie Netz anrichten.

Für die Wikipedia haben wir zwar erfolgreich eine Ausnahme von der Filterpflicht erwirkt, die Wikimedia-Projekte sind jedoch stark vernetzt und das Freie Wissen macht an ihren Grenzen nicht Halt. Darum wird es in jedem Falle auch Konsequenzen für die Wikipedia haben, wenn um sie herum der Austausch von Inhalten schwieriger wird. Zudem ist unklar, inwieweit auch das Medienarchiv Wikimedia Commons aus den neuen Haftungsregeln herausgehalten bleibt. Sowohl Wikipedia als auch Wikidata enthalten zudem unzählige Fundstellen, die auf Presse-Erzeugnisse verweisen, weshalb ein Leistungsschutzrecht für Presse-Verleger sie in eine rechtliche Grauzone manövrieren würde. Es ist Gift für Freies Wissen, wenn für Fundstellen zukünftig Lizenzen erworben werden müssen.

netzpolitik.org: Welche Möglichkeiten gibt es für Nutzerinnen und Nutzer, das freie Internet zu stärken? Was müsste die Politik tun, um gegen Kommerzialisierung vorzugehen und Meinungsfreiheit zu stärken?

Abraham Taherivand: Die Politik müsste dafür sorgen, dass nicht jede Art von Verhalten zum Gegenstand von Scanning durch Automaten wird, und damit aufhören, den Plattformen bzw. ihren (privatwirtschaftlichen) Betreibern immer mehr entscheidende gesellschaftliche Funktionen zuzuweisen. Wir stehen erst am Anfang umfassender politischer Versuche, Content-Regulierung auf Plattformen mittels künstlicher “Intelligenz” zum Normalfall zu machen, wo eigentlich diffizile rechtliche Abwägungen mit Bezug zu Grundrechten vonnöten wären.
 
 

Am Freitag, 21. September, findet in der Berliner Volksbühne unsere diesjährige Konferenz „Das ist Netzpolitik“ statt. Von 10:00 bis 18:30 Uhr geht es auf diesem Treffen der digitalen Zivilgesellschaft darum, wie wir alle eine lebenswerte, faire und offene digitale Gesellschaft gestalten können – und um die politischen Kämpfe auf dem Weg dorthin. Neben Vorträgen und Podien gibt es auch ein feines Kunst- und Workshop-Programm. In den Tagen bis zur Konferenz stellen wir euch in dieser Preview-Reihe das Programm vor. Bisher veröffentlicht:

Der Hashtag für die Veranstaltung lautet #14np, denn wir feiern mit dieser Konferenz unser 14-jähriges Bestehen. Kommt vorbei und diskutiert und plant und feiert mit uns!

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