In den sozialen Medien schreibt jede Polizei ihre eigenen Regeln

Ein Blick auf den rechtlichen Rahmen von twitternden Polizeien zeigt: Es gibt weder einschlägige Urteile noch bundesweite Einheitlichkeit. Stattdessen kocht jede Polizei ihr eigenes Süppchen. In internen Richtlinien wird etwa das rechtlich problematische Blockieren von NutzerInnen geregelt.

CC-BY-NC-SA 4.0 Stella Schiffczyk / netzpolitik.org

Dass die Polizei twittert, ist innerhalb von knapp drei Jahren eine Selbstverständlichkeit geworden. Doch welche Regeln gelten eigentlich für die Arbeit der Polizei in den sozialen Medien? Wir haben hier zusammengetragen, was die Polizei darf und wann sie sich in rechtliche Grauzonen begibt.

Ungeklärt ist etwa, ob die Polizei einzelne Nutzer auf Twitter und Facebook blockieren darf. Das Vorgehen der Hamburger Polizei gegen Kritiker sorgte dabei zuletzt für Erklärungsbedarf. Beim Blockieren stützen sich die Social-Media-Teams der Polizei auf interne Richtlinien, die sie nicht der Öffentlichkeit preisgeben.

Wem die Polizei folgen und was sie liken darf, ist leichter zu beantworten. Grundsätzlich ist der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei durch das Neutralitätsgebot ein rechtlicher Rahmen gesetzt. Dieses gilt auf Twitter genauso wie auf der Straße. Die Polizei ist angehalten, sachlich richtig und darüber hinaus möglichst neutral, wertfrei und ausgewogen zu berichten, sagt Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie an der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Entscheidend ist, dass die Polizei nicht in die politische Willensbildung eingreift.

Der Currybude auf Twitter folgen ist drin

Im Gespräch betont Heike Krischok, Juristin an der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, dass die Neutralität im Neutralitätsgebot als politische Nichteinmischung ausgelegt wird. Dass die Polizei auf Twitter einen lockeren Tonfall einschlägt und sich an Humor versucht, hält Krischok für vertretbar. Solange es nicht zu groben Missverständnissen aufseiten der BürgerInnen kommt, sei der Einsatz von Humor und Ironie kein Hindernis einer sachlich richtigen Berichterstattung.

Aus Sicht der Expertin darf die Polizei in sozialen Medien selektiv berichten. In unserer Recherche stellten wir fest, dass überproportional oft im Vergleich mit anderen Delikten zu Drogen- und Sexualstrafdelikten getwittert wird. Eine solche redaktionelle Auswahl der Inhalte sei unvermeidbar, sagte Krischok.

Auch das Liken der Lieblingscurrybude auf Facebook ist der Polizei gestattet. Solche Interaktionen mit Drittseiten sind rechtlich irrelevant, insofern es sich nicht um eine politische Seite handelt, argumentiert die Juristin.

Wer wird blockiert?

Ein rechtlicher Graubereich tut sich in der Interaktion mit NutzerInnen in sozialen Netzwerken auf. Der umstrittenste Fall ist das Blockieren von Einzelpersonen durch die Polizei. Eine Übertragung des Blockierens auf den nicht-digitalen Raum kommt einem Platzverweis gleich. Der ausgeschlossenen Person wird die Teilnahme an einer öffentlichen Debatte durch die Polizei verwehrt.

Die Polizeien halten trotz Kritik am umstrittenen Blockieren fest und wenden das Instrument regelmäßig an. In Berlin, Frankfurt und München haben die Social-Media-Teams der Polizei interne Richtlinien zum Blockieren von NutzerInnen–, und zwar jede ihre eigene.

Besonders zurückhaltend wird in Sachsen-Anhalt mit Blockade verfahren. Das Innenministerium Sachsen-Anhalt gab auf Anfrage an, bei drei der vier Twitter-Accounts der Polizei Sachsen-Anhalt „@polizeiPDOst, @polizeiPDNord und @FHPolizeiLSA gab und gibt es keine blockierten und stumm geschalteten Accounts“.

In München wird das Blockieren von NutzerInnen verwendet, um gegen rechte Hetze und wiederholte Beleidigung vorzugehen. In einer Stellungnahme heißt es, es sei notwendig dieses Instrument als Ultima Ratio in der Hand zu haben. Ihre PolizeikollegInnen in Frankfurt legen die Voraussetzung zum Blockieren deutlich großzügiger aus. Auf Anfrage von netzpolitik.org schreiben sie: „Das Abgeben von Kommentaren ohne jeden erkennbaren Sachbezug können zur Blockade/Sperrung führen“.

Die Polizei Berlin schreibt, blockiert werde, wer mehrfach gegen den „guten Ton“ verstößt – etwa durch „vulgäre Ausdrücke oder Formulierungen, die andere als verbale Entgleisung/Beleidigung auffassen könnten“. Ähnlich wie die Polizei Hamburg beruft man sich in Berlin auf die Netiquette als Ermächtigungsgrundlage.

Noch mehr Spielraum lässt sich die Polizei Thüringen. Dort antwortete man auf unsere Anfrage, dass „derzeit keine Vorschrift, Richtlinie oder Handlungsleitfaden zum Umgang mit Sozialen Netzwerken“ existiert. Allgemein würde blockiert, wer „grob gegen die Netiquette verstößt“. Dort wo Regeln existieren, lassen sie den Raum dafür offen, auf einfache Art KritikerInnen durch Blockieren loszuwerden.

Klage für Informationsfreiheit

Die von Netzpolitik.org angefragten JuristInnen werten das Blockieren von unliebsamen Nutzern als problematisch. Der Kriminologieprofessor Singelnstein und die Juristin Krischok sehen darin einen Eingriff in das Grundrecht auf Informationsfreiheit. Denn wenn eine Nutzerin von der Polizei blockiert wird, wird der Zugang zu behördlichen Informationen erschwert oder sogar verhindert. Die Gesellschaft für digitale Freiheitsrechte (GFF) strebt derzeit eine Klage gegen das Blockieren durch Polizei an. Der Verein sieht neben der Informationsfreiheit auch das Recht auf Gleichbehandlung und potenziell die Pressefreiheit verletzt.

Die Polizei sieht durch Blockierung von Nutzern keine Einschränkung ihres Auftrags. NutzerInnen könnten auf die offizielle Webseite ausweichen oder sich Zweitaccounts zulegen, heißt es auf Anfrage. Doch das bringt weitere Schwierigkeiten mit sich. Zum einen stellen einige Polizeien ihre Pressemitteilungen gar nicht auf der offiziellen Webseite zur Verfügung. Stattdessen ist presseportal.de verlinkt, ein kommerzieller Anbieter. Der Zugang zu Informationen ohne Anmeldung und Tracking ist demnach nicht überall gewährleistet, obwohl das in der Vergangenheit bereits von Datenschutzbeauftragten gefordert wurde. Zudem findet Berichterstattung zu Geschehnissen in Echtzeit oft ausschließlich auf Twitter statt.

Moderation statt Zensur

Ob ein Blockieren des Accounts für mindestens sechs Monate eine angemessene Reaktion auf einen unpassenden Kommentare ist, ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine gesellschaftspolitische Frage. Der enorme Unterschied zwischen den Maßstäben, die in Frankfurt und München angelegt werden zeigt, dass eine Debatte über die Verhältnismäßigkeit von Verstoß und Strafe nötig wäre.

Auch zeigt der Blick auf die Lage, dass der Gestaltungsspielraum der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit auf Twitter durch das Neutralitätsgebot kaum eingeschränkt wird. Dass die Polizei auf Twitter nicht nur moderierend, sondern zum Teil zensierend eingreift, indem sie NutzerInnen blockiert, macht deutlich, dass Polizeiarbeit einheitliche, verbindliche und ausgewogene Regeln braucht.

Mit der angestrebten Klage der Gesellschaft für digitale Freiheitsrechte (GFF) könnte es hierzu ein Urteil geben. Sollte die Rechtsprechung zum Blockieren zugunsten der Polizei ausfallen, bräuchte es wohl Ausgleichsmechanismen, etwa Beschwerdestellen für fälschlich blockierte NutzerInnen. Denn die Kombination aus Prüfpflichten, einseitiger Sanktionierung und mangelnder Kontrolle allein begünstigt eine Dynamik des Overblocking.

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Eine Ergänzung

  1. > In den sozialen Medien schreibt jede Polizei ihre eigenen Regeln
    Und viele BloggerInnen nennen sich Journalisten.

    Ich erblicke 4 Artikel über die twitternde Polizei. Selten hat ein Thema so viel Aufmerksamkeit erhalten, dabei ist es eigentlich gar kein Thema in den Social Medias. Daher frage ich mich, woher 4 Leute die Motivation nehmen, über eigentlich immer das selbe zu schreiben? Wurde jemand beim Falschparken erwischt und will deswegen eine Diskussion vom Zaun brechen?

    Okay, lasst diskutieren. Aber worüber genau? Die Leute finden es toll, wenn ihre Polizei sich bei Social Media beteiligt und bisher gab es keinerlei Klagen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.