Bundesgerichtshof bestätigt Abschaffung der Störerhaftung, aber auch Netzsperren

Wer ein offenes WLAN anbietet, kann nicht mehr abgemahnt werden, wenn jemand darüber rechtswidrig Filme, Musik oder Spiele teilt. Das hat heute der Bundesgerichtshof bestätigt. Allerdings verweisen die Richter auf Netzsperren, Passwortschutz, Nutzerregistrierung oder gar eine Abschaltung des Zugangs.

CC-BY-SA 2.0 Arkangel

Betreiber von offenen WLANs und Tor-Exit-Nodes haften nicht für Urheberrechtsverletzungen, die über ihren Anschluss getätigt wurden. Allerdings können sie zur Sperrung von bestimmten Inhalten und Seiten verpflichtet werden. Das hat heute der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Damit bestätigen die Richter die im letzten Jahr beschlossene Neufassung des Telemediengesetzes, die die jahrelang geltende Störerhaftung abgeschafft hat. Die Gesetzesreform sei zudem vereinbar mit europäischem Recht, urteilten die obersten Zivilrichter.

Worum es in dem Fall geht

Es ist ein Fall, den es so in den vergangenen Jahren wahrscheinlich zu tausenden gegeben hat. Jemand öffnet seinen WLAN-Anschluss und bietet damit der Öffentlichkeit einen kostenlosen und unkomplizierten Zugang zum Internet an. Ohne Passwort oder Registrierung. Irgendwann trudelt eine Abmahnung ein, weil über den Internetanschluss urheberrechtlich geschütztes Material geteilt wurde. Der Rechteinhaber fordert den WLAN-Betreiber zur Unterlassung und der Zahlung eines hohen Schadenersatzes auf.

So auch in dem Fall, den der Bundesgerichtshof jetzt verhandelte. Ein Mann unterhielt über seinen Internetanschluss mehrere WLAN-Hotspots und zwei Tor-Exit-Nodes – die Punkte, an denen das anonymisierende Tor-Netzwerk in das übliche Internet übergeht. Nachdem eine unbekannte Person 2013 über dieses Netz rechtswidrig ein Computerspiel zum Herunterladen angeboten hatte, mahnte der Computerspiele-Produzent den Mann ab. Möglich machte das die Störerhaftung: Sie besagte, dass der Betreiber eines Internetanschlusses für alle darüber begangenen Urheberrechtsverletzungen haftet.

Diese Regelung gehört seit letztem Jahr der Vergangenheit an. Nach mehreren Anläufen schaffte die Bundesregierung die Störerhaftung mit einer Änderung des Telemediengesetzes ab. Ein von vielen Seiten kritisiertes Schlupfloch ließ die Bundesregierung aber den Rechteinhabern: Sie haben die Möglichkeit, Anbieter von offenen Internetanschlüssen zur Sperrung bestimmter Inhalte und Seiten zu verpflichten.

Das Urteil: Netzsperren möglich

Die Richter entschieden: Stellt jemand seinen Internetanschluss der Allgemeinheit offen zur Verfügung, kann er nicht mehr auf Unterlassung verklagt werden, wenn von diesem Anschluss rechtswidrig Inhalte geteilt werden. Dabei ist egal, ob es sich um einen WLAN- oder Kabelanschluss handelt und ob darüber, wie im vorliegenden Fall, ein Tor-Exit-Node zur Verfügung gestellt wird. Abmahnkosten aus der Zeit vor Änderung des Telemediengesetzes müssen beglichen werden, weil dies zur damaligen Zeit rechtens war.

Jedoch kommt unter anderem ein Sperranspruch des Rechteinhabers gegenüber dem Betreiber in Betracht. Der Rechteinhaber kann also verlangen, dass bestimmte Internetseiten oder Dienste künftig gesperrt werden. Dies sei auch mit dem europäischen Recht vereinbar, urteilten die Richter. Offen ließ der Bundesgerichtshof dabei, ob der Rechteinhaber diesen Anspruch im vorliegenden Fall geltend machen kann und mit welchen technischen Mitteln die Sperre zu erfolgen hat. In der Pressemitteilung führt der Bundesgerichtshof lediglich einige Möglichkeiten auf, die es in sich haben:

Der Anspruch auf Sperrmaßnahmen ist nicht auf bestimmte Sperrmaßnahmen beschränkt und kann auch die Pflicht zur Registrierung von Nutzern, zur Verschlüsselung des Zugangs mit einem Passwort oder – im äußersten Fall – zur vollständigen Sperrung des Zugangs umfassen.

Damit geht der Bundesgerichtshof, unter Verweis auf das europäische Recht, über das Telemediengesetz hinaus. Dort heißt es über die Sperren, diese müssten „zumutbar und verhältnismäßig sein“. Im nächsten Artikel wird ausgeschlossen, dass Behörden jemanden zu Passwortsperren, zur Nutzerregistrierung oder gar zur Abschaltung des Zugangs verpflichten können.

Das sehen die BGH-Richter offenkundig anders. In ihrer Entscheidung bekräftigen sie das Schlupfloch der Netzsperren und erwähnen zudem explizit einen Passwortschutz des WLANs, Registrierungspflicht für deren Nutzer und sogar die Abschaltung des Internetzugangs als Möglichkeiten. Das schafft neue Unsicherheiten für Betreiber von offenen Internetanschlüssen. Es tritt ein, wovor Oppositionspolitiker und Sachverständige schon bei Verabschiedung gewarnt hatten. „Anstatt hier eine Lösung zu schaffen, verlagert der Gesetzgeber die Problematik auf eine andere Ebene“, warnte damals der IT-Verband eco.

Es bleibt abzuwarten, ob und für welche Sperrmaßnahme sich das Oberlandesgericht Düsseldorf entscheidet, an das der BGH den Fall zurückverwiesen hat.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

11 Ergänzungen

  1. Ja SUPER!
    Vom Regen in die Traufe also …
    Bloß den Menschen nicht zu viel Freiheit einräumen, sonst könnten sie ja mündie Bürger werden und damit eine Bedrohung. Ist auch klar, der Internetzugang, der nicht von der Telekom kommt, ist halt nicht so leicht zu kontrollieren. Das muss natürlich bestraft werden!

    Das öffnet natürlich die Tür für Internetzensur auf ISP-Ebene. Wobei, die war ja mit dem Vodafone/kinox.to-Fall ja schon auf.

    Zensur an ISP-Ebene ist wesentlich gefählicher als DNS-Sperren a la Zensursula. Man kann ja schließlich den eigenen ISP nicht einfach so wechseln, und viel Auswahl gibt es auch nicht. Eine solche Zensur kann ja auch wesentlich subtiler sein, denn es ist gar nicht so einfach, überhaupt zu erkennen, ob dein ISP dir Sachen wegzensiert, oder ob der Server tatsächlich down ist. Ich weiß nicht, ob euch die Tragweite einer ISP-Zensur (egal mit welcher Begründung auch immer!) überhaupt bewusst ist.
    ISPs haben Macht, und die nutzt der Staat hier eiskalt aus.

    1. Also ich finde es jetzt nicht so schwierig bei offenem Wlan den Traffic via TOR oder VPN rauszuleiten.

      Wenn man schon Provider werden will, dann ist einem das doch eigentlich auch einen Raspi o.ä. als AP wert, oder?

  2. Danke, dass Ihr das korrekt beschrieben habt. Denn das, was jetzt ist, ist gefühlt noch schlimmer, als die Störerhaftung.

  3. Jemand kann also nicht mehr auf Unterlassung verklagt/abgemahnt werden.

    Er kann aber auf Netzsperren, etc, in Anspruch genommen werden…kann er dafuer auch kostenpflichtig abgemahnt werden? Dann braeuchten die Anwaelte nur das Formschreiben zu aendern, und die Kostennote anzupassen…

  4. Hurra! Damit ist die Störerhaftung de facto wieder eingeführt. Sie heißt jetzt natürlich nicht mehr so. Der Effekt wird derselbe sein wie bei der formellen Störerhaftung: Kaum jemand wird in Zukunft ein offenes WLAN anbieten wollen, weil er weiterhin rechtlich für jeden inkriminierten Fall in seinem Netz angegangen werden kann.
    Und findige Abkassierer werden Ideen zu einem neuen Gebührenfüllhorn austüfteln…

    1. Das deutlich kritischere Problem der strafrechtlichen Haftung wurde sowieso nie gelöst: Was passiert, wenn jemand über mein freies WLAN Morddrohungen ausspricht oder noch besser Kinderpornos tauscht?

      Das WLAN bleibt zu, so traurig das auch ist.

      1. @A
        Wenn jemand über dein WLAN Morddrohungen oder Kinderpornos verschickt, dann haftest du dafür nicht und kannst nicht belangt werden. Es könnte dir aber auferlegt werden irgendwelche Sperren ein zu bauen damit das nicht erneut passiert.
        Rechtslage ändert sich da nicht und ist so wie beim Rechteinhaber der wegen Geld klagt.

        1. @anonymous
          Es wäre mir neu, dass auch das Strafrecht angepasst wurde. Hast du dafür Quellen? Was von meinem Anschluss aus passiert wird erstmal mir zugerechnet und ich habe dann die Hausdurchsuchung am Hals.

          1. Für eine Hausdurchsuchung reicht u.U. schon ein „falscher“ Suchbegriff. Ebenso kannst du alleine aufgrund bestimmter Suchbegriffe auf einer der internen Listen oder als Ausländer schnell zu einem sogenannten Gefärder werden. So traurig es ist, alleine Wissen oder das Streben danach ist wieder gefährlich. Mich erinnert das an sehr dunkle Kapitel der Geschichte. Meine Physik- und Chemielehrer währen heute zumindest mit einem Bein im Knast.

            Besonders Ausländer sollten sogar profane Suchen in der Suchmaschine ihres Vertrauens ausschließlich über TOR machen. Wer meint dies gelte nur für Diktaturen, irrt gewaltig.

        2. Die Hausdurchsuchung kannst Du sowohl als Zeuge als auch als Beschuldigter am Hals haben, macht also ohnehin keinen Unterschied und das Ergebnis ist das gleiche.

  5. Wie oft hat der tagesscheu Sprecher jetzt schon offenes W-Lan für alle verkündet? Die tun was, klasse! Jetzt werden die ISPs auf zuruf alles mögliche sperren müssen und das Inet ist dann halt etwas zu, aber W-Lan ist offen. Tor Node Betreiber gehen damit auf sehr unsichere Zeiten zu, denn die können nicht einfach Inhalte sperren.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.