Urheberrechtsreform: Estnische EU-Ratspräsidentschaft wirbt für Upload-Filter

Estland hat in der zweiten Hälfte des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft inne und ist damit auch für die Verhandlungen über eine neue EU-Urheberrechtsrichtlinie verantwortlich. Obwohl das Land als digitaler Vorreiter gilt, wirbt es einem Leak zufolge für eine sehr restriktive Richtlinie.

Ist bei der EU-Kommission für die neue Urheberrechtsrichtlinie zuständig: Der ehemalige estnische Premierminister Andrus Ansip. CC-BY 2.0 EU2017EE Estonian Presidency

Geht es um den digitalen Fortschritt in Europa, zeigen viele zuerst auf Estland. Seit Juli hat das baltische Land nun turnusgemäß erstmals den Vorsitz im EU-Rat inne und ist damit unter anderem für die Koordination der Mitgliedsstaaten in den Gesetzgebungsverfahren der EU zuständig. In Hinblick auf die umstrittene Neuordnung der EU-Regeln zum Urheberrecht würden die Esten nun allerdings einen Kurs einschlagen, der alles andere als fortschrittsfreundlich ist, kritisiert die internationale Nichtregierungsorganisation European Digital Rights (EDRi).

In zwei Artikeln setzt sich EDRi mit einem von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch geleakten Dokument der Ratspräsidentschaft zur geplanten Urheberrechtsrichtlinie auseinander. In einer inhaltlichen Analyse kritisieren die Aktivisten, dass Estland mit seinem Schreiben bei anderen EU-Staaten dafür werbe, „wahllose Internetüberwachung und Onlinezensur zu stärken“. Der estnische Vorschlag sei noch restriktiver als die ursprünglichen Pläne der Kommission.

Strategische Verschärfung?

Konkret werden in dem geleakten Dokument zwei Optionen für den umstrittenen Artikel 13 des Richtlinienvorschlags vorgestellt. Alternative A ist dabei im Kern deckungsgleich mit dem Vorschlag der EU-Kommission: Plattformen sollen dazu gezwungen werden, Filtersysteme zu installieren, die alle hochgeladenen Inhalte durchleuchten und ein Hochladen urheberrechtlich geschützten Materials unterbinden. EDRi kritisiert, dass Versuche, den Vorschlag zu entschärfen, lediglich kosmetischer Natur seien. So sei der Ausdruck „Technologien zur Erkennung von Inhalten“ („Content Recognition Technologies“) zwar vermieden worden, doch das angestrebte Verfahren lasse sich qua Definition nicht anwenden, ohne den gesamten Inhalt zu durchsuchen.

Die vorgeschlagene Alternative B verschärfe diesen Vorschlag aber nochmals, so EDRi, indem Plattformen haftbar für die Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer gemacht werden sollen. Dies widerspreche der derzeit gültigen eCommerce-Richtlinie, nach der Plattformbetreiber erst nach Hinweisen auf Urheberrechtsverletzungen die Verantwortung für diese tragen. Der Vorschlag sei so extrem, „dass er die erste Option fast wie einen vernünftigen Kompromiss erscheinen lässt“ – aus strategische Gründen, wie die Aktivisten vermuten.

Warum Estland plötzlich gegen ein offenes Netz ist

Warum aber schlägt das digital progressive Estland in Sachen Urheberrecht eine so restriktive Richtung ein? In einem zweiten Text führt EDRi-Direktor Joe McNamee hierfür fünf Gründe an.

Unter anderem weist er darauf hin, dass gerade kleinere EU-Staaten darauf hoffen, durch eine erfolgreiche Präsidentschaft des EU-Rates ihr Ansehen steigern zu können: „Die Mitgliedstaaten, die die EU-Präsidentschaft innehaben, scheinen immer zu glauben, dass die Augen der Welt auf sie gerichtet sind“, so McNamee. Deshalb würden sie versuchen, offene Verhandlungen in ihrer halbjährigen Amtszeit zum Abschluss zu bringen, um Prestige zu gewinnen. Weil der Filter-Kompromiss am einfachsten durchzusetzen sei, werfe die estnische Präsidentschaft ihre Prinzipien eines offenen und innovationsfreundlichen Netzes über Bord und unterstütze eine Maßnahme, die zu einem geschlossenen und Google-zentrierten Internet führe.

Ein zentraler Punkt sei zudem die Nähe der estnischen Ratspräsidentschaft zur EU-Kommission. So ist der ehemalige estnische Premierminister Andrus Ansip heute als Vizepräsident der Kommission für den digitalen Binnenmarkt zuständig und trägt damit die Gesamtverantwortung für die Urheberrechtsrichtlinie. Die EU-Kommission stelle Estland für die Zeit der Präsidentschaft zudem Personal zur Verfügung, so McNamee:

Kleinere Mitgliedsstaaten wie Estland haben nur kleine Regierungsbürokratien und müssen plötzlich sechs Monate lang den Rat der Europäischen Union leiten. Die Europäische Kommission hat Verständnis für die damit verbundenen Herausforderungen und stellt dem Vorsitz großzügigerweise Mitarbeiter für den Zeitraum des Vorsitzes zur Verfügung. Es ist schwer vorstellbar, dass dies die Stimmen in der Präsidentschaft nicht zugunsten der Positionen der Kommission stärkt.

1 Ergänzungen

  1. Die entscheidende Frage ist: Wer hat an den Entwürfen gearbeitet, wer hat Vorlagen geliefert, welche Vergünstigungen kompensieren die Bereitschaft?

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