Open-Access-Alternativen boomen: Der Druck auf Großverlag Elsevier wächst [Update]

Die Liste deutscher Wissenschaftseinrichtungen, die ihre Verträge mit dem Großverlag Elsevier gekündigt haben, wird immer länger. Sie können dabei auf die Unterstützung der betroffenen Forschenden bauen. Hinzu kommt das Comeback universitätsbasierter Publikationsformen, wie eine Studie aus Großbritannien zeigt.

Eine Veranstaltung von Elsevier in den Niederlanden. CC-BY-SA 2.0 Ministerie van Buitenlandse Zaken

Elsevier ist der größte Wissenschaftsverlag der Welt, quer über Disziplinen hinweg benötigen Forschende für ihre Arbeit Zugang zu Beiträgen aus den Zeitschriften des Verlages. Umso bemerkenswerter ist es deshalb, wenn sich Wissenschaftseinrichtungen zur Beendigung sämtlicher Verträge mit Elsevier entschließen: Eine solche Entscheidung ist mit Erschwernissen im Forschungsalltag verbunden, Beiträge können dann nur umständlich über Fernleihe, durch direkte Anfrage bei den AutorInnen oder simpel, aber rechtlich fragwürdig über Plattformen wie Sci-Hub gelesen werden.

Lange Zeit konnte Elsevier diese starke Verhandlungsposition für Preissteigerungen weit über der Inflationsrate ausnutzen – und das, obwohl gleichzeitig der überwiegend digitale Zugriff auf wissenschaftliche Beiträge die Kosten für Druck und Distribution hat sinken lassen.

Im Laufe des letzten Jahres entschieden jedoch 75 Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland, sich nicht länger mit dem Status quo zufriedenzugeben und befinden sich seit Anfang 2017 in einem vertragslosen Zustand. Im Rahmen kollektiver Lizenzverhandlungen unter dem Namen „Projekt DEAL“ sollen nicht nur bundesweite Lizenzverträge für das gesamte Portfolio elektronischer Zeitschriften abgeschlossen werden, sondern außerdem alle Publikationen von Autorinnen und Autoren aus deutschen Einrichtungen automatisch Open Access unter offener Lizenz frei zugänglich gemacht werden. Eine Lösung, wie sie beispielsweise in den Niederlanden bereits praktiziert wird.

Stand: 24.08.2017, Quelle: Projekt DEAL.

Schon 125 Einrichtungen ohne Vertrag mit Elsevier

Nach einem halben Jahr ohne Vertrag mit Elsevier verzeichnet die Koalition der Wissenschaftseinrichtungen immer weiteren Zulauf. Mittlerweile haben fünfzig weitere Wissenschaftseinrichtungen angekündigt, ihre Verträge Ende 2017 auslaufen zu lassen – unter ihnen renommierte Einrichtungen wie die Berliner Charité und die Berliner Universitäten FU, HU und TU.

Anfang 2018 werden sich somit insgesamt bereits 125 Wissenschaftseinrichtungen – 50 Universitäten, 34 Fachhochschulen, 38 Forschungseinrichtungen und 3 Regionalbibliotheken – in einem vertragslosen Zustand mit Elsevier befinden. Von den großen Verbänden fehlen damit nur noch die Max-Planck-Gesellschaft sowie die Fraunhofer-Gesellschaft, die aber im Rahmen der „Allianz der Wissenschaftsorganisationen“ ebenfalls „Projekt DEAL“ unterstützen (PDF der Erklärung).

Umfrage an ETH Zürich: 90 Prozent wollen Open Access

Einer der Gründe dafür, dass die Wissenschaftsorganisationen bislang keinen Grund sehen, von ihrer harten Open-Access-Linie abzuweichen, dürfte in der Unterstützung durch die primär betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter bestehen. Deren Unmut hält sich offenbar bislang in Grenzen bzw. richtet sich eher gegen Großverlage wie Elsevier, deren Profite auf weitgehend unvergüteten Einreichungen und Begutachtungen der Forschenden basieren.

In diesem Zusammenhang ist auch eine kürzlich veröffentlichte Umfrage unter Forschenden an der Schweizer Elite-Universität ETH Zürich aufschlussreich. Wie Christian Gutknecht bei wisspub.net berichtet, sind neunzig Prozent der Befragten der Meinung, dass wissenschaftliche Publikationen grundsätzlich online frei zugänglich sein sollten. Und über fünfzig Prozent wären bereit, auf den Zugriff auf bestimmte Zeitschriften zu verzichten, falls der Verlag aus Sicht der ETH Zürich inakzeptable Preise verlangt – nur 28 Prozent können sich das eher bzw. gar nicht vorstellen.

Quelle: Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (2017).

Diese Ergebnisse könnten auch die deutschen Wissenschaftseinrichtungen in ihrer Haltung bestärken, dürfte die Stimmung unter den Forschenden an deutschen Einrichtungen ähnlich sein.

Studie über neue akademische Publikationsformen

Die großen Wissenschaftsverlage wie Elsevier kommen aber nicht nur in den Preis- und Lizenzverhandlungen stärker unter Druck. Wie eine Studie des britischen Joint Information Systems Committee zu „Changing Publishing Ecologies“ (PDF) dokumentiert, nehmen Wissenschaftseinrichtungen in Großbritannien – allen voran Universitäten und ihre Bibliotheken – Publikationsprozesse wieder vermehrt selbst in die Hand. Die von Janneke Adema und Graham Stone verfasste Studie belegt ein Wachstum von neuen Universitätsverlagen sowie bibliotheksbasierten Veröffentlichungsangeboten, die in der Regel von vornherein auf Open Access hin ausgerichtet sind. Konkret wurden elf von 13 neuen Universitätsverlagen in den letzten zehn Jahren gegründet, Tendenz steigend.

Bibliotheken wiederum bieten vermehrt auch Dienste wie das Hosting von Software für Open-Access-Journale an – etwas, das im deutschsprachigen Raum beispielsweise auch die FU Berlin oder die Universität Wien anbieten. Hinzu kommen gemeinnützige und einrichtungsübergreifende Journal-Hosting-Plattformen wie die Open Library of the Humanities, deren institutionelle Finanzierung es erlaubt, auf Publikationsgebühren zu verzichten.

Wissenschaft sitzt am längeren Hebel

Solange die Wissenschaftseinrichtungen und die an ihnen tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kollektiv solidarisch bleiben, sitzen sie gegenüber den Großverlagen am längeren Hebel: Sie finanzieren und liefern die Inhalte, auch die Begutachtung wird von öffentlich finanzierten Forschenden kostenlos übernommen und der Löwenanteil an Einnahmen stammt aus öffentlichen Bibliotheksetats. Dass für den offenen Zugang zu Forschungsergebnissen dann nicht noch über bestehende Subskriptionsgebühren hinaus zusätzliche Gebühren verlangt werden, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Parallel wächst der Sektor von gemeinnützigen Publikationsplattformen, welche dem Gemeingutcharakter von wissenschaftlichem Wissen ohnehin viel besser entsprechen als die profit-orientierten Modelle der privaten Großverlage.

[Update, 25. August 2017, 13:20 Uhr]: Kurz nach Veröffentlichung dieses Beitrags haben auch 16 Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft die Kündigung ihrer Lizenzverträge mit Elsevier zum Jahresende 2017 verkündet, die Gesamtzahl der vertragslosen Einrichtungen wächst damit auf über 140. In einer Aussendung zu dieser Entscheidung wird darauf verwiesen, dass „die Erfahrungen der ‚Aussteiger‘ zu Beginn des Jahres gezeigt [haben], dass ein vertragsloser Zustand ohne Probleme zu bewältigen ist“.

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