DoppelausbauWie sich das Digitalministerium selbst eine Grube gräbt

Im Digitalministerium braut sich ein handfester Skandal zusammen. Ein Bericht der Bundesnetzagentur zum Doppelausbau soll bewusst verschleppt worden sein, um der Telekom Deutschland mehr Spielraum zu verschaffen. Die peinliche Affäre offenbart einmal mehr, wie verworren die deutsche Infrastrukturpolitik ist. Ein Kommentar.

Das Digitalministerium von Volker Wissing (FDP) scheint zu Gunsten der Telekom Deutschland einen brisanten Bericht der Bundesnetzagentur verschleppt zu haben. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Zu beneiden ist die Bundesregierung nicht gerade. Jahrzehntelang hat Deutschland die Digitalisierung verschlafen, es krankt an allen Ecken und Enden. Auch der selbsternannten Fortschrittsregierung fällt der Fortschritt sichtlich schwer. Historisch gewachsene Verknotungen und Interessenslagen haben über die Zeit zu einer inkohärenten und oft genug widersprüchlichen Digital- und Netzpolitik geführt, das lässt sich nur mühsam abschütteln. Mal blockieren die Länder, mal der Koalitionspartner, mal einflussreiche Wirtschaftslobbys. Und am Ende will keiner Schuld gewesen sein.

Aktuell lässt sich dies an den haarsträubenden Vorgängen im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) ablesen, so sie denn stimmen. Auf Staatssekretär:innenebene, wie Tagesspiegel Background (€) berichtet, soll ein Bericht der Bundesnetzagentur unterdrückt respektive verzögert worden sein. Der sollte endlich ein jahrelang umherschwirrendes Phänomen untersuchen, wonach die Telekom Deutschland mit dem strategischen Überbau bestehender Netze ihre Wettbewerber ausbremst. So der Vorwurf.

Medienberichten zufolge kam der eigentlich für Ende vergangenen Jahres erwartete Bericht der Bundesnetzagentur im Januar schließlich im Ministerium an – und tatsächlich soll er „Auffälligkeiten“ festgestellt und Konsequenzen für das Gebaren der Telekom gefordert haben, etwa verschärfte Berichtspflichten für den Platzhirschen. Ob dies so stimmt, ist freilich nicht öffentlich bekannt. Bis heute, Ende März, liegt der Bericht nicht der Öffentlichkeit vor.

Liegen soll das daran, dass die für die Telekom unangenehmen Ergebnisse an den Marktführer durchgestochen wurden, von (fast) höchster Ebene. Daraufhin soll die Telekom selbst eine „relevante Anzahl“ an Überbaufällen, insgesamt 200, an die eigens eingerichtete Monitoringstelle nachgemeldet haben, bei denen ihre Netze überbaut worden sein sollen – wohl, damit die bislang bekannten rund 300 Meldungen nicht ganz so einseitig ausfallen (einen Zwischenstand haben wir im Spätherbst veröffentlicht). Also musste der Bericht der Bundesnetzagentur überarbeitet werden, Fortgang ungewiss.

Achillesferse „Infrastrukturwettbewerb“

Alleine das ist skandalös genug. Aber es legt erneut offen, dass die deutsche Infrastrukturpolitik immer und immer wieder die Quadratur des Kreises versucht und sich damit selbst zum Scheitern verurteilt. Denn wer unbeirrt am Paradigma des sogenannten Infrastrukturwettbewerbs festhält, wird genau diesen bekommen. Mit allen Vor- und Nachteilen.

So wird neben das bestehende DSL-Kupferkabel ein weiteres von einem Kabelanbieter gelegt, und irgendwann gesellt sich vielleicht ein Glasfaserkabel hinzu – oder eben auch mehrere. Soll doch der Markt entscheiden, welche Technik sich letztlich als beste, günstigste und zuverlässigste durchsetzt. Ob es volkswirtschaftlich klug ist, vor allem abseits von Ballungsgebieten wiederholt teure Bauarbeiten durchzuführen oder die Finanzierung bereits durchgeplanter Projekte zunichtezumachen, kommt in dieser Logik nicht vor.

Doch so gut sich die Telekom Deutschland, an welcher der Bund weiterhin signifikante Anteile hält, als Reibebaum eignet: Ganz ohne Eigennutz agieren ihre Konkurrenten, die nun personalisierte Brandbriefe an Kanzler Olaf Scholz, Digitalminister Volker Wissing und Finanzminister Christian Lindner verschicken, bei weitem nicht. Genau so wie ihr übermächtiger Wettbewerber haben sie großes Interesse daran, sich möglichst große Kuchenstücke am Zukunftsmarkt Glasfaser zu sichern.

Letzten Endes verlangen sie von der Regierung einen durchaus schwerwiegenden Markteingriff, um ihrerseits regionale Glasfasermonopole zu schaffen – auf nichts anderes laufen ihre Forderungen hinaus. So ist es alles andere als ein Zufall, dass sich die Branche bis heute nicht einmal auf gemeinsame Standards in puncto Open Access verständigen kann, obwohl angeblich alle den anbieterübergreifenden offenen Netzzugang wollen. Der Statusbericht, den das Gigabitforum schon vor einem Jahr vorlegen wollte, kommt genauso wenig vom Fleck wie der aktuelle Bericht zum Doppelausbau.

Und trotzdem kann man den kleineren Betreibern nur schwerlich einen Vorwurf machen. Natürlich stellen sie ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen voran. Und natürlich wäre ein Umschwenken hin zu symmetrischer Regulierung folgerichtig eine Abkehr von der bisherigen asymmetrischen Regulierung, die europaweit die Ex-Monopolisten in Zaum halten soll. Fällt diese Brandmauer, droht ein Internet der großen Konzerne, wie es etwa der EU-Binnenkommissar Thierry Breton fordert.

Kohärenter Ansatz überfällig

In einem hat Breton aber wohl recht: Es braucht einen womöglich radikal neuen Ansatz in der Infrastrukturpolitik. Dabei darf jedoch nicht aus den Augen geraten, dass die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, wozu inzwischen zeitgemäße Internetanschlüsse zählen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch demokratiepolitisch wichtig ist.

Zum Teil hat die Politik bereits erkannt, dass der Markt alleine nicht alle Probleme lösen kann. Insbesondere in ländlichen Gegenden haben schlussendlich staatliche Interventionen den Ausbau weiter vorangebracht als die vollmundigen Versprechen der Branche. Für die hat sich der Ausbau solcher Regionen in der Vergangenheit wirtschaftlich schlicht nicht gelohnt und wird sich auch in Zukunft meist nicht lohnen.

Doch trotz aller Fortschritte wartet Deutschland weiterhin auf die Einlösung des Versprechens von Ex-Kanzlerin Merkel, bis zum Jahr 2018 allen Haushalten mindestens 50-MBit/s-Leitungen zu liefern. Nicht einmal die Verpflichtung, staatlich geförderte Netze für andere Betreiber zu öffnen, lässt sich offenbar, knapp zehn Jahre nach Beginn des subventionierten Ausbaus, reibungslos umsetzen.

Das ständige Feilen an den Rändern, ob durch indirekt frisierte Berichte, EU-Sonderregelungen für ausgerechnet kleinere deutsche Netzbetreiber oder das allmählich zum Treppenwitz sich wandelnde Recht auf Breitband, wird die Probleme langfristig nicht lösen, sondern sie nur weiter einzementieren.

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17 Ergänzungen

  1. Die FDP hat klargemacht, dass sie für den Meistbietenden arbeitet, Christian Lindner ganz vorne weg. Und genau das tun die FDP-Minister konsequent. Und zumindest Wissing ist weder dumm noch unfähig, allerdings mittlerweile erstaunlich schamlos.

    Sollte die FDP aus dem Bundestag fliegen, landen die alle sehr weich, deren persönliche Zukunft im privilegierten Teil der Gesellschaft ist gesichert. Und nur darum geht es für die „Liberalen“ schließlich, da sind sie ehrlich.

      1. Der Alkohol-Lobby kann die Legalisierung anderer Drogen ziemlich egal sein. Klare Darstellung von Alkohol als Rauschgift neben allen anderen, auch illegalen, Drogen wäre deren Problem. Und da steht die FDP sauber: Freiheit!

  2. Ich baue seit 2 Jahren bei mir Glasfaser mit der Telekom aus. Ich kann nicht erkennen, dass die Telekom will, dass das funktioniert. So sagt auch der Techniker: Bei Kupfer hat er immer alle Informationen auf dem Handy, um Probleme schnell zu erkennen und zu beheben. Bei Glasfaser gibt es so ein System nicht, weswegen er viel rumfährt, um auf vollendete Tatsachen zu stoßen, ohne etwas tun zu können.
    Ob die Telekom sich diesen unorganisierten Quatsch fördern lässt konnte ich leider nicht herausfinden.

  3. In diesem Artikel ist es gelungen, parteipolitische Verantwortung nicht zu benennen.
    Die kryptische Buchstabenanordnung FDP taucht nur unter dem Bild auf.

    Doch wie passt diese Pfusch-Posse in die FDP-Ideologie „der Markt muss es richten“, der Markt, der Markt, der alles regulierende Markt?

    1. Das liegt vielleicht an der sogenannten politischen Verantwortung. Und am Designprinzip. Man könnte z.B. Ministerien zu schaffen einer 2/3-Mehrheit unterwerfen, und entweder damit, oder per Grundgesetz erzwungen, Regeln für Abhängigkeiten bzw. zur Unabhängigkeit und Ernennung von Posten aufstellen. Aber was könnte man nicht alles machen…

  4. Die FDP ist die wohl ideologisch am stärksten verhärte Partei. Ihr Heilsversprechen ist umfassende Freiheit, ihr Mantra lautet „der Markt weiß alles, kann alles, und macht alles richtig“. Dieser nur vordergründig als angenehm freiheitlich daherkommende Idee stehen der Staat und seine Sozialsysteme im Weg, welche unschädlich gemacht werden sollen, damit „der Markt“ sich frei entfalten, und letztlich herrschen kann. Wer angetreten ist, den Staat zu schwächen, ihn unwirksam zu machen, der vertritt politisch extreme Positionen. Wenn dazu noch der Einsatz von Gewalt käme, dann wäre es eine extremistische Partei. Wer ganzen Bevölkerungsgruppen die sozialen Absicherungen abspricht, übt jedoch Gewalt aus.

    Angesichts des bevorstehenden Absinkens unter die 5-Prozent-Hürde begreift sich der FDP-Führungskader im politischen Endzeit-Stadium. Machtpositionen müssen geräumt werden, die verbleibende Zeit muss effektiv libertär genutzt werden, möglichst so, dass der Handlungsrahmen von Folge-Regierungen nachhaltig geschwächt wird. Wer nichts mehr zu verlieren hat, kann sich Narrenfreiheit, dekadentes Verhalten erlauben. Nachdem Investitionen erfolgreich von der FDP blockiert und verhindert wurden, ist der nächste Schritt dem Staat die Einnahmen weiter zu beschneiden, also zum Abschied noch Steuersenkungen durchzusetzen. Macht das Sinn?

    Für die FDP schon:
    https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/lindner-steuerentlastung-102.html

  5. Doppelausbau gestoppt, „Fachkräfte““mangel“ gelöst, CO2 eingespart, in der Breite mehr und schneller ausgebaut.

    Fun Fact: Laut Netzpolitik.org (https://netzpolitik.org/2018/danke-helmut-kohl-kabelfernsehen-statt-glasfaserausbau/) gab es bereits 1981 Pläne für einen bundesweiten Glasfaserausbau. Diese wurden von Christian Schwarz-Schilling (CDU) begraben. Mutmaßlich wegen Verwicklungen des Familienunternehmens seiner Frau in seine politische Entscheidungen nicht ganz uneigennützig.

    ‚Auch seine Entscheidung, Kupfer zu verwenden, traf im In- wie auch Ausland auf Verwunderung: Es war bereits Anfang der 1980er Jahre abzusehen, dass Glasfaserkabel die „Technologie der Zukunft“ ist.‘ (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Christian_Schwarz-Schilling)

    Das war vor 43 Jahren.

    Lesson Learned: Es sind nicht immer nur die aktuellen Versagerinnen der FDP-geführten Ministerien an allem schuld.

    1. Darüber hinaus wollte Kohl unbedingt Kabelfernsehen als privates Medium, und das natürlich als begrenzt verfügbar und damit von seinen Spezis kontrollierbar. Und natürlich mit dem Bürger als Konsumenten, nicht als aktivem Teilnehmer oder gar Anbieter, das sollte möglich asymmetrisch sein.

        1. > Hat hervorragend funktioniert, muss man Kohl zugestehen.

          Was hat hervorragend funktioniert? Was „muss“ man Kohl „zugestehen“?

          Ich halte solche hingerotzten Sprüche für dämlich, weil kriminelles Veralten nicht bewundert werden sollte. Dies muss hier gesagt werden, weil jüngere ziemlich wenig Ahnung von den damaligen Verhältnissen zu Kohls Zeiten haben.

          Als Einstieg für eine kritischere Betrachtung mit Hinweis auf das „System Kohl“ eignet sich dieser Artikel des RND von heute:

          Zitat: „Wolfgang Schäuble enthüllt posthum in seinen Memoiren mögliche Verwicklungen in die CDU-Spendenaffäre der 1980er und 1990er Jahre. Er spricht von einer ‚schwarzen Kasse‘ in der Unionsfraktion, die von Helmut Kohl genutzt wurde. Demnach sei er selbst Teil des Systems Kohl gewesen.“
          https://www.rnd.de/politik/memoiren-von-wolfgang-schaeuble-frueher-schwarze-kasse-kohls-in-unionsfraktion-OHEYDS65MFLWVIARNUUYH2VI2M.html

          1. „[…] wollte Kohl unbedingt Kabelfernsehen als privates Medium, und das natürlich als begrenzt verfügbar und damit von seinen Spezis kontrollierbar. Und natürlich mit dem Bürger als Konsumenten, nicht als aktivem Teilnehmer oder gar Anbieter,“.

            Das hat offensichtlich hervorragend funktioniert, und das muss man Kohl trivialerweise zugestehen: er hat erreicht, was er wollte.

            Das hat nichts mit Bewunderung zu tun, ganz im Gegenteil. Kohl hat einige Dinge erreicht, die noch heute massiv nachwirken, und daraus sollte man lernen und Konsequenzen ziehen. Ist natuerlich einfacher, Strohmaenner aufzubauen und abzubrennen.

    2. > Lesson Learned: Es sind nicht immer nur die aktuellen Versagerinnen der FDP-geführten Ministerien an allem schuld.

      Gegenwärtiges Versagen ist gegenwärtig zu verantworten.
      Davon kann auch kein Blick zurück in die Vergangenheit ablenken.

      1. Die FDP-Ministerien versagen nicht, die FDP-Ministerien liefern. Speziell Wissing ist ganz sicher nicht dumm und weiss, was er fuer wen tut.

        Auch Merkel war gnadenlos erfolgreich, halt fuer eine eher kleine Zielgruppe.

        1. > Die FDP-Ministerien versagen nicht, die FDP-Ministerien liefern.

          Stimmt. Wer ein leeres Paket bestellt hat, hat von der FDP nichts außer Verpackung geliefert bekommen.

          Lindners Bauchladen hat derzeit nur magenta Tüten ohne Inhalt im Angebot. Darin kann die eigene Zukunft eingetütet werden. Sie lassen sich aber auch prima aufblasen und platzen mit lautem Knall.

          1. Einige Leute machen gute Geschäfte im derzeitigen Zustand, und die FDP erhält diesen Zustand gegen erhebliche gesellschaftliche Änderungsanstrengungen. Das ist nicht nichts, das ist das Ergebnis aktiven Einsatzes.

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