Facebook hält seine Löschrichtlinien und Angaben zur Qualifikation der zuständigen Mitarbeiter geheim. Das Bundesjustizministerium (BMJV) kritisierte das bereits im letzten Jahr. Seitdem tappt es selbst im Dunkeln und schaffte es nicht, sich Einblick in die Löschpraktiken des Sozialen Netzwerks zu verschaffen. Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel (LINKE) hervor.
Eine Recherche des SZ-Magazins im letzten Dezember zeigte deutlich, dass bei den Lösch-Teams von Facebook einiges im Argen liegt. Sie gehören nicht zu Facebook selbst, sondern zu seinem Dienstleister Arvato. Die SZ erfuhr von Problemen mit Arbeitsbedingungen und psychischer Belastung und bekam gleichzeitig Einblick in die von dem Unternehmen definierte Meinungsfreiheit in Form der Löschregeln. Diese akzeptierten beispielsweise Mordaufrufe bei bestimmten Verbrechen, die Facebook anerkennt, etwa: „Hängt Kinderschänder“. Damit macht sich Facebook zum privaten Hüter über die Anerkennung von Verbrechen und Meinungsäußerungen.
Jusitzminister Heiko Maas reagierte damals auf die Berichte der SZ. Er forderte „dringend mehr Transparenz“ und verlangte: „Der Maßstab für das Löschen muss das deutsche Recht sein.“ Seitdem sind mehr als vier Monate vergangen. Doch das BMJV weiß immer noch nicht aus eigener Anschauung, wie die Löschteams von Facebook arbeiten. Um sich Einblicke in die Welt von Facebooks Löschteams zu verschaffen, wartet das BMJV noch darauf, Zugang zu den Räumen von Arvato zu bekommen. Man habe dazu, so die Antwort auf Hänsels Anfrage, „jüngst eine schriftliche Anfrage an Facebook gestellt“.
Nicht nur die spät gestellte „schriftliche Anfrage“ zum Besuch bei den Arvato-Löschteams deutet auf eine nachsichtige Haltung gegenüber Facebook hin. Es fehlt in den Antworten des BMJV auch Kritik an den geheimgehaltenen Löschregeln. Das BMJV weicht der Frage aus, wie diese mit geltenden Rechtsnormen vereinbar seien, und verweist darauf, dass aus den Gemeinschaftsstandards von Facebook hervorgehe, welche Inhalte dargestellt werden dürfen und welche nicht. Damit übergeht das BMJV jedoch die Tatsache, dass die Gemeinschaftsstandards nur einen Teil der Löschregeln abstrahiert wiedergeben und somit konkrete Entscheidungen weiter intransparent bleiben und dem Willen Facebooks unterstehen.
Fragestellerin Hänsel kritisiert gegenüber netzpolitik.org, die Bundesregierung bleibe „beim Machtmonopol von Facebook weitgehend passiv“ und habe auf viele wichtige Fragen keine Erkenntnisse:
Vor allem aber bemüht sich die Bundesregierung gar nicht hinreichend, der Macht des transnationalen Konzerns und seiner Subunternehmen Einhalt zu gebieten oder auch nur das Löschzentrum in Berlin zu besichtigen, das von der Bertelsmann-Tochter Arvato betrieben wird und bei dem es Medienberichten zufolge erhebliche Missstände gibt. Facebook kann bislang schalten und walten, wie es will – und das im Wahljahr 2017, in dem Rechtspopulisten und Neonazis massiv mit Fake-News Stimmung machen.
Anstatt sich mit dem Praktiken in den Löschteams zu beschäftigen, tat die Bundesregierung etwas anderes: Im März stellte Maas einen Entwurf zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vor, das die Problematik der Löschung rechtswidriger Inhalte regeln soll. Zu dem Entwurf und späteren Änderungen gab es massive Kritik. In einer gemeinsamen „Deklaration für die Meinungsfreiheit“ warnt ein breites Bündnis von Wirtschaftsverbänden, netzpolitischen Vereinen, Bürgerrechtsorganisationen sowie Rechtsexperten vor katastrophalen Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit. Denn löschen Facebook und Co. nicht, drohen hohe Bußgelder. Dadurch ist ein voreiliges, proaktives Löschen aus Angst vor Strafe zu befürchten, das auch unproblematische Inhalte einschließt.
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