Digitalisierung: Bitte nur mit Datenschutz!

Die unabhängigen Datenschutzbehörden finden klare Worte zur Politik der Bundesregierung: Der geplante Einsatz von intelligenter Videoüberwachung? „Verfassungswidrig“! Der Kurs beim Thema Datenschutz? „Besorgniserregend“!

Datenschützer warnen vor dem verfassungswidrigen Einsatz intelligenter Videoüberwachung. – Public Domain Rishabh Varshney

Seit etwa einem halben Jahr sprechen sich führende Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung immer offensiver gegen Datenschutz aus. Unter dem Slogan „Datenreichtum statt Datensparsamkeit“ propagierten unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Infrastrukturminister Alexander Dobrindt, das Prinzip Datenschutz sei veraltet und stehe dem wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands im Weg. An die Stelle klarer Regeln soll nach ihrem Willen eine nebulöse „Datensouveränität“ treten. Gegen diese eins zu eins vom Industrieverband Bitkom übernommene Rhetorik wandte sich in deutlichen Worten nun die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder (DSK).

In ihrer „Göttinger Erklärung“ [PDF] drückten die Datenschutzbeauftragten ihre Sorge über den Kurs der Bundesregierung aus:

Es befremdet sehr, wenn Mitglieder der Bundesregierung und andere Stimmen in der Politik in letzter Zeit immer wieder betonen, es dürfe kein Zuviel an Datenschutz geben und das Prinzip der Datensparsamkeit könne nicht die Richtschnur für die Entwicklung neuer Produkte sein. Stattdessen wird für eine vermeintliche Datensouveränität geworben, deren Zielrichtung aber im Unklaren bleibt.

Digitalisierung kann nur mit Datenschutz gelingen

Die DSK betonte, Datenschutz sei ein Grundrecht wie die Meinungsfreiheit oder die Eigentumsgarantie. Er schütze die Menschenwürde, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und sei auch für Teilhabe und Chancengleichheit relevant. Alle gesetzlichen Regelungen und Geschäftsmodelle hätten dies zu respektieren. Datensouveränität könne nur zusätzlich zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung greifen und dieses nicht ersetzen.

Dem Vorhaben der Bundesregierung, ein Eigentumsrecht an Daten zu schaffen, erteilten die Behörden eine klare Absage:

Die Konferenz betont, dass Informationen über Personen keine Ware sind wie jede andere und nicht allein auf ihren wirtschaftlichen Wert reduziert werden dürfen. Gerade in Zeiten von Big Data, Algorithmen und Profilbildung bieten die digitalen Informationen ein nahezu vollständiges Abbild der Persönlichkeit des Menschen. Mehr denn je muss daher die Menschenwürde auch im digitalen Zeitalter der zentrale Maßstab staatlichen und wirtschaftlichen Handelns sein. […] Datenschutz stellt kein Hindernis für die Digitalisierung dar, sondern ist wesentliche Voraussetzung für deren Gelingen.

Die Datenschützer forderten deshalb die nachhaltige Förderung datenschutzkonformer IT-Produkte und -Verfahren. Datenschutz müsse zum Qualitätsmerkmal der europäischen Digitalwirtschaft gemacht werden.

Keine Rechtsgrundlage für Einsatz intelligenter Videoüberwachung

Auf ihrer gestern zu Ende gegangenen Frühjahrstagung sprach sich die DSK darüber hinaus gegen den Einsatz sogenannter „intelligenter Videoüberwachung“ [PDF] aus. Diese Technik kann sowohl Menschen mit biometrischer Gesichtserkennung automatisiert identifizieren als auch „abweichendes Verhalten“ erkennen:

Damit wird eine dauerhafte Kontrolle darüber möglich, wo sich konkrete Personen wann aufhalten oder bewegen und mit wem sie hierbei Kontakt haben. Ermöglicht wird so die Erstellung von umfassenden Bewegungsprofilen und die Verknüpfung mit anderen über die jeweilige Person verfügbaren Daten.

Wie wir berichteten soll die Technik noch in diesem Jahr am Berliner Südkreuz getestet werden. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu automatisierten Kennzeichen-Scannern stellten die Datenschützer fest, dass es keine Rechtsgrundlage für ihren Einsatz zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gebe. In einer Pressemitteilung [PDF] teilte die Vorsitzende der DSK, die niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel, mit:

Wenn der Einsatz dieser Technik nicht von vorn herein verfassungswidrig sein soll, muss der Gesetzgeber die Voraussetzungen ihrer Verwendung ganz genau regeln.

Widerstand gegen Kurs der Bundesregierung wächst

Erst vor kurzem hatte sich ein gesellschaftliches Bündnis aus Gewerkschaften und Verbraucherschutzorganisationen ebenfalls explizit gegen den offen betriebenen Anti-Datenschutz-Kurs der Bundesregierung gewandt. In einer Stellungnahme hielten DGB, AWO, vzbv und Co. fest:

Es gibt keinen unauflösbaren Widerspruch zwischen Datenschutz und den modernen Formen der Datenverarbeitung. Die Herausforderung besteht darin, die Chancen der Datenverarbeitung zu nutzen, aber gleichzeitig ihre Risiken zu minimieren. Die bestehenden Grundsätze des Datenschutzes, die in der Europäischen Union Grundrechtscharakter haben, müssen dabei weiterhin Bestand haben: Datenminimierung, Zweckbindung, Betroffenenrechte und Einwilligung.

Bei ihren Plänen für ein neues Datenschutzgesetz ist die Große Koalition indes ein wenig zurückgerudert und hat bei der Aufweichung von Betroffenenrechten nachgebessert. Wie eine Sachverständigenanhörung des Bundestages am Montag zeigte, bleibt der Gesetzesvorschlag jedoch weiter an wichtigen Stellen europarechts- und verfassungswidrig.

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3 Ergänzungen

  1. In die Diskussion einwerfen würde ich gerne die seit Jahren praktizierte Digitalisierung von Briefpost in privaten Scan-Zentren betrieben von der deutschen Post.

    Besteht nicht auch hier die Gefahr, dass die Post durch Auswertungen von Inhalts- und Metadaten zum Nachteil des Versenders Profile und Scorings erstellt und verkauft?

    Beispiel: Einführung der E-Akte für ALG-Empfänger (Hartz IV, „Aufstocker“). Auch bei einer persönlicher Übergabe von Anträgen, Nachweisen, Arbeitsverträgen oder sonstigen vertraulichen Schreiben an die zuständigen Sachbearbeiter wandern diese zunächst aus den hiesigen Jobcentern zum Einscannen in eine zentrale Sammelstelle. Die Betroffenen scheinen sich dessen nicht bewusst zu sein, auch aufgrund einer schlechten und irreführenden Informationspolitik:

    So bringe die digitale Akte einen Zuwachs an Datenschutz mit sich, da keine vertraulichen Dokumente mehr in Büros herumlägen.
    (offizielle Argumentation aus einem Flyer)

    Einen alternativen Kommunikationsweg gäbe es nicht.
    Wer Leistungen aus Steuergeld in Anspruch nehme, müsse sich eben nackig machen.

    Wie lange die digitalisierten Dokumente gespeichert bleiben ist unklar. Vermutlich über 10 Jahre. Eine Löschfunktion sei nicht vorgesehen.

    Auch anderen Behörden, Versicherungen und Krankenkassen sollen die Scan-Dienste der Post bereits in Anspruch nehmen.

    Würde die Post Erkenntnisse aus Auswertungen der Scans verkaufen (Dank Absenkung des Datenschutzsniveaus), oder diese Daten durch einen Hack oder einen Mitarbeiter-Diebstahl entwendet werden, wären die Folgen für den Einzelnen fatal.

    Schon jetzt scheint die Post ziemlich viel über einen zu wissen. Auch durch Datenzukäufe. Erkenntnisse werden zu Profilen verschmolzen und für gezielte Werbung genutzt. Eine Kategorisierung wird Werbepartnern bereits angeboten nach: Einkommen, (politischer) Grundhaltung, Familienstatus.
    Entnommen aus einer Undercover-Reportage zu finden auf Youtube.
    Dort hieß es sinngemäß in einem Verkaufsgespräch:

    „Nennen Sie mir einen PLZ [..] Hier sehen sie nun alle Single-Frauen im Altern von X bis Y.“

    http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/neuer-auftrag-post-oeffnet-und-scannt-briefe-ans-arbeitsamt/1868820.html

  2. Ich würde gern unsere Regierung, das ganze Innen- und Justizministerium dazu verpflichten, Dave Eggers „the circle“ bis zu Ende zu lesen (es ist eine Hochrechnung von Silicon Valley heute zu der gnadenlosen Art von Transparenz&Bewertung, die Frank Schirrmacher „technologischer Totalitarismus“ genannt hat, aber das Lesen des Buches löst sehr individuelle Beklemmungen aus, wie verführbar zum Hexenjagd-Mob wir sind, wenn oberflächliche likes und frowns die Nachdenklichkeit, Besonnenheit, Verantwortung, und das in-Ruhe-lassen verdrängen).

    Denn:
    offenbar gibt es ja die Nachdenklichkeit und Verantwortung in unserer Gesellschaft noch:
    unseren Politikern liegt diese Göttinger Erklärung doch vor!
    => Warum also wissen sie dies nicht zu schätzen?
    Brauchen Politiker denn nicht selbst auch einen geschützten Rückzugsraum, in dem man frei leben kann ( Privatsphäre ) ?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.