Wem gehört eine Telefonnummer? Das können über 100 staatliche Stellen von 116 Telekommunikations-Anbietern erfahren, ohne dass die Unternehmen davon bemerken. Dieses automatisierte Auskunftsverfahren wird von der Bundesnetzagentur betrieben und ist auch bekannt als „Behördentelefonbuch“ oder Bestandsdatenauskunft.
Die Bundesnetzagentur veröffentlicht darüber jedes Jahr Statistiken, neben einem kleinen Absatz im großen Jahresbericht diesmal auch direkt auf der Webseite. Dort heißt es:
Im Jahr 2016 wurden 10,26 Millionen Ersuchen über das [automatisierte Auskunftsverfahren] bei der Bundesnetzagentur beauskunftet. Im Vergleich zum Vorjahr wurden damit 2,7 Millionen mehr Ersuchen an die Bundesnetzagentur gestellt und von dieser beantwortet. Das entspricht etwa einem Drittel mehr Ersuchen als 2015.
Wir haben die Zahlen wieder aufbereitet und visualisiert:
10 Millionen: Wem gehört diese Telefonnummer?
Über zehn Millionen Mal haben deutsche Behörden im letzten Jahr gefragt, auf wen eine Telefonnummer registriert ist. Staatliche Stellen wie Polizei, Geheimdienste, Zoll und andere haben also alle drei Sekunden einen Datensatz mit Name, Anschrift und weiteren Bestandsdaten erhalten. Statistisch gesehen von jedem achten Einwohner.
Diese Rufnummernabfragen haben sich innerhalb der letzten acht Jahre mehr als verdoppelt.
Durch das Nutzen von Filtermechanismen gab es im Jahr 2016 bei 10,04 Mio. Rufnummernabfragen von Sicherheitsbehörden lediglich 13,03 Mio. Abfragen an TK-Unternehmen.
Welche Telefonnummern gehören dieser Person?
Die Abfragen gehen aber auch anders herum: Welche Telefonnummern gehören einer bereits bekannten Person? Diese Namensersuchen bleiben mit 230.000 relativ konstant, etwa alle zwei Minuten eine.
Bei einem Namensersuchen ist es notwendig, dass dieses von der Bundesnetzagentur an alle am Verfahren teilnehmenden TK-Unternehmen weitergeleitet wird, da es unbekannt ist, bei wem eine Person welche und wie viele Rufnummern innehat. Somit erzeugen verhältnismäßig wenige Namensersuchen (0,23 Mio.) eine große Anzahl von Weiterleitungen an die TK-Unternehmen (24,93 Mio.), sogenannte Abfragen.
Anti-Terror-Paket verbietet Sicherheits-Empfehlung
Diese Statistiken zeigen, dass Mobilfunk-Kommunikation nicht anonym ist. Im Gegenteil: Smartphones generieren aussagekräftige Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile von allen Personen, die ein solches Gerät herumtragen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik empfiehlt daher die „Verwendung von Prepaid-Karten zur Anonymisierung“:
Ein Kartentausch, der Erwerb von bereits registrierten SIM-Karten oder der Erwerb von Prepaid-SIM-Karten ohne Ausweisprüfung können zur Vermeidung der Identifikation beim Mobilfunkbetreiber genutzt werden. Diese Maßnahme verschleiert wirksam die Identität eines Mobilfunkteilnehmers.
Doch diese Empfehlung ist jetzt nicht mehr möglich. Letztes Jahr hat der Bundestag ein neues Anti-Terror-Paket beschlossen, damit müssen ab Juli Mobilfunk-Anbieter jede SIM-Karte mit einem amtlichen Ausweisdokument registrieren. Das sind genau die Daten, die alle drei Sekunden abgefragt werden.
Noch immer keine Statistiken über IP-Adressen
Parallel dazu wurde die Bestandsdatenauskunft auch auf IP-Adressen ausgeweitet. Seit 2013 dürfen Behörden abfragen, wem eine IP-Adresse zugewiesen ist oder welche IP-Adressen eine Zielperson nutzt. Während beim Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde behandelt wird, hat die Große Koalition in einer geheimen Nebenabrede zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen, dass diese Daten auch ohne Richterbeschluss erfragt werden dürfen.
Über diese IP-Abfragen gibt es leider keine Statistiken. Telefonnummern fragen die Behörden automatisiert über die Bundesnetzagentur an. IP-Adressen werden aber manuell direkt bei den Internet-Zugangs-Anbietern abgefragt. Die Bundesnetzagentur hat die Zahlen über IP-Abfragen also nicht direkt vorliegen. Sie könnte die Statistiken aber sammeln, das ist eine Frage des politischen Willens.
Fehlender politischer Wille
Die Bundesnetzagentur sagte uns im Dezember, dass es dafür ein Gesetz bräuchte:
Wenn die Einführung solcher Berichtspflichten für Unternehmen gewünscht wird, bedürfte dies sicherlich einer gesetzlichen Regelung.
Das Justizministerium verwies uns ans Wirtschaftsministerium:
Bitte wenden Sie sich mit dieser Fragestellung an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, das für das Telekommunikationsgesetz und das Telemediengesetz innerhalb der Bundesregierung federführend zuständig ist und die Aufsicht über die Bundesnetzagentur führt.
Das Wirtschaftsministerium sieht keinen Bedarf:
Eine zentrale Statistik für IP-Abfragen ist aus Sicht des BMWi nicht erforderlich. Die entsprechenden Informationen können bei Bedarf über Anfragen bei den Telekommunikationsunternehmen oder Erhebungen bei den Behörden ermittelt werden.
Wir sollen also selbst bei über hundert Firmen oder Behörden nachfragen. Das dürfte wenig Erfolg versprechend sein, da uns die Firmen nicht antworten müssen.
Dabei dürften die Abfragen von IP-Adressen ähnliche Ausmaße annehmen wie die von Telefonnummern. Wir erfahren es nur nicht.
Linke: „Ausmaß ist besorgniserregend“
Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Linken im Bundestag, kommentiert gegenüber netzpolitik.org:
Der deutliche Anstieg der Bestandsdatenauskünfte zeigt den unstillbaren Datenhunger von Polizeibehörden und Geheimdiensten. Und er legt die Vermutung nahe, dass der Großteil der automatisierten Abfragen nicht zur Verfolgung schwerster Straftaten, sondern wegen Bagatellvergehen wie Ordnungswidrigkeiten erfolgt ist. Der Umstand, dass bis heute weder Regierung noch Opposition und Öffentlichkeit die Möglichkeit haben, das Ausmaß der behördlichen Praxis genau zu überprüfen, ist besorgniserregend.
Grüne: „Statistik ist absolut notwendig“
Konstantin von Notz, stellvertretender Vorsitzender der Grünen im Bundestag, kommentiert gegenüber netzpolitik.org:
Eine Statistik der Bestandsdatenabfragen zu IP-Adressen ist absolut notwendig, um die Entwicklung der besonders schutzwürdigen Kommunikation der Betroffenen verkannt nachzeichnen und gesetzlich steuernd eingreifen zu können. Diese Einsicht fehlt bei der Großen Koalition, obwohl durch Statistiken in keiner Weise die Durchführung der Maßnahmen erschwert oder gar behindert wird. Wir werden uns für die gesonderte Ausweisung der IP-Adressdaten in der Statistik einsetzen.
Häh?
„Und er legt die Vermutung nahe, dass der Großteil der automatisierten Abfragen nicht zur Verfolgung schwerster Straftaten, sondern wegen Bagatellvergehen wie Ordnungswidrigkeiten erfolgt.“
“
1. Wer darf Ersuchen stellen?
Berechtigt Ersuchen über das AAV zu stellen sind die in § 112 Abs. 2 TKG aufgezählten Behörden.
…
Behörden, die lediglich Ordnungswidrigkeiten verfolgen sind nicht berechtigt Ersuchen zu stellen.
„
Und Behörden die nicht „lediglich“, sondern *auch* Ordnungswidrigkeiten verfolgen?
Hier ein aktuelles Beispiel:
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/nachrichten-am-morgen-die-news-in-echtzeit-a-1150319.html
Das Verona Pooth Videos von sich publiziert ist ein ganz anderes Problem…
Fazit: Als Beweis für die Handy-Nutzung von Verona wird die Verkehrs- und Bestandsdatenabfrage also für „Bagatellvergehen wie Ordnungswidrigkeiten“ genutzt.
Um meine Verwirrung nach dem Artikel etwas einzugrenzen: Möchte der Autor vorschlagen, das wir die Gesetzeslage ändern, oder möchte der Autor darauf hinweisen, das die Gesetze nicht beachtet werden?
Ich sage im Artikel weder das eine noch das andere. Ich hätte gerne eine Statistik für IP-Adressen. Ob die per Gesetz, Anordnung, Verwaltungserlass, Weisung oder freiwillig kommt, ist mir egal.
Ah. Sieht so aus, als das es da einen Wettbewerb im Türenzuhalten gäbe:
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Freiwillige-Vorratsdatenspeicherung-Vodafone-will-nicht-Farbe-bekennen-3735227.html
„Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff hat nach längerem Streit entschieden, dass ein Bericht zu Kontrollbesuchen bei Vodafone mit Angaben zur IP-Adressen-Protokollierung freigegeben werden kann. Der Provider wehrt sich dagegen nun aber gerichtlich.“
im übrigen benötigt eine auslesung der mobilen Kommunikation immer einen richterlichen beschluss oder eine noch höhere anordnungsbefugnis. es handelt sich ausschliesslich um schwere und schwerste straftaten, wenn andere mittel keine aussicht auf erfolg haben oder hatten.
Keine Ahnung, welche „Auslesung der mobilen Kommunikation“ du meinst, aber erkennbar nicht die Bestandsdatenauskunft, um die es in diesem Artikel geht. Die geht nämlich komplett ohne Richterbeschluss.
Die Behörden möchten gerne Bescheid wissen wenn es mir in den Gonaden juckt.
Ist das Bestreben des Gesetzgebers jetzt unanständig oder Fürsorge?
Es gibt Dinge, die sind zwar allgemein und selbstverständlich, aber trotzdem höchst privat. Ich habe keine Probleme damit, meine Peinlichkeit mit anderen zu teilen.
Aber ich bestehe darauf selbst entscheiden zu könne mit wem und wann ich das teile.
Nicht dass ich so wichtig oder gar etwas besonderes wäre. Ich hab an sich auch nichts zu verbergen was ich nicht viel lieber mit anderen teilen würde. Aber dieses Abfragen und Lauschen von außen, gräbt zu tiefst am dem was Person und Privat ist, und macht so auch Gemeinschaft unmöglich.
@TuxNix
“ Ich habe keine Probleme damit, meine Peinlichkeit mit anderen zu teilen.“
Ich stimme Ihnen weitesgehend zu.
Ihr oben erwähnter Satz ist ein Problem der Handyaffinität und Socialmedianutzung mit sämtlichen negativen Konsequenzen.
Die Nutzer teilen hemmungslos jeden persönlichen Kram,jede Intimität, selbst Bilder ihrer Darmspiegelungen unverblümt anderen mit,überall und fast jedem, auch wenn jemand an manchen Orten nichts davon wissen möchte.
Bei der Fülle an unbedachter Freigabe von Informationen können Dritte ein genaues Datenprofil von ihnen erstellen.
Nebeneffekt,dieser Offenheit ist, dass Nachrichtendienste dadurch noch weniger Hemmungen haben alles und jeden zu überwachen.
Nach dem Motto :Wer bereit ist alles von sich preiszugeben,der hat sicherlich nichts dagegen, dass wir uns ein „persönliches Bild “ von Ihnen machen und aufzeichnen.
Würden die Socialmedianutzer,Twitterer,Handyjunkies…weniger sorglos mit ihren persönlichen Daten umgehen,dann wäre der Aufschrei bei Bekanntgabe,der bisherigen Überwachungsmaßnahmen größer,deshalb schert es bisher auch kaum einen,nur eine eh kritische Minderheit.
Aufklärung und Sensibilität der Nutzer erschwert den Überwachern, Geheimdiensten ihr schmutziges Geschäft,deshalb meinen Dank an die „Netzpolitikredaktion“
War die Stasi unanständig, oder Fürsorge? Und Ja, ich halte den Vergleich mit der Stasi mittlerweile durchaus für angebracht.
In der Schweiz werden jährich ca 200 000 solche „Telefonbuchabfragen“ gemacht, auf 8 Mio. Bevölkerung. (die IP-Adressen in der Statistik dabei)
Rechnet man den statistischen Anteil der betroffenen Bevölkerung um, wird spannend:
DE: 10e6 / 80e6 = 12.5%
CH: 200e3 / 8e6 = 0.25%
In Deutschland gibt es anscheinend 50 mal mehr Gründe zu überwachen.
Bei 10 Millionen Abfragen pro Jahr müssten die Behörden eigentlich bald die Telefonnummern aller Deutschen selber kennen.
Kann sich niemand vorstellen, dass es für die Feststellung des Inhabers einer Mobilfunknummer auch ganz banale Gründe geben kann? Stellt euch vor, ihr seit Geschädigter einer Straftat, das kann von Unfallflucht über Beleidigung oder Betrug alles sein, vom Täter wisst ihr nur dessen Handy-Nummer. Jetzt geht ihr voller Zuversucht zur Polizei und erhaltet dort die Auskunft, dieses Jahr können wir keine Anfrage mehr starten, die 10 Millionen sind voll …..
Heißt also schnell noch einen Vorrat an Prepaid-SIM-Karten kaufen und mit Fakedaten registrieren (wie gehabt eben)?