Der Koalitionsvertrag der schwarz-rot-grünen Koalition in Sachsen-Anhalt ist öffentlich. Er bringt in Sachen Netzpolitik, Informationsfreiheit und Grundrechte einige positive Entwicklungen.
In Koalitionsverträgen ist erfahrungsgemäß Vorsicht bei den Formulierungen geboten: es macht einen großen Unterschied, ob da „wollen“, „sollen“ oder „werden“ steht. Die ersten beiden Formulierungen haben mehr den Charakter von Absichtserklärungen, während ein „werden“ schon deutlicher ist, aber auch nicht garantiert, dass ein Vorhaben umgesetzt wird.
Freie Netze, WLAN, Störerhaftung
Der Koalitionsvertrag (PDF) erwähnt „Freifunk“ mehrfach als förderungswürdig. In weiten Teilen entsprechen die Erwähnungen aber dem einstimmig angenommenen Landtags-Antrag (PDF) vom September 2015.
Weiter heißt es: „Die Koalitionspartner wollen die umfassende Abdeckung des öffentlichen Raums und öffentlicher Verkehrsmittel mit W-LAN.“ Bezahlt werden soll dies aus dem Verkauf von Mobilfunklizenzen. Und weiter: „Wir wollen dazu aktiv mit der engagierten Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, gerade auch den zahlreichen Freifunk-Initiativen, und diese in ihrem wichtigen Engagement unterstützen, z.B. durch die Bereitstellung öffentlicher Liegenschaften.“
Die große Frage wird sein, ob sich die Erwähnungen im Koalitionsvertrag auch in konkreten Projekten und vor allem Haushaltsmitteln niederschlagen werden.
Zudem will man sich für Rechtssicherheit und gegen die Störerhaftung einsetzen: „Wir setzen uns auf Bundesebene für die Abschaffung der Störerhaftung für die privaten und kommunalen Anbieter freier Netzzugänge ein.“ Die sachsen-anhaltinische CDU stellt sich als Teil der Regierungskoalition damit gegen die noch vorherrschende Linie der Bundes-CDU. Das ist positiv: Unaufhaltsam zerbröselt die Störerhaftung und wird hoffentlich demnächst Geschichte sein.
Informationsfreiheit
„Das Informationszugangsgesetz wird zu einem Informationsfreiheitsgesetz weiterentwickelt werden“, sagt der Koalitionsvertrag.
Das klingt konkret. Es ist aber unklar, was der Unterschied zwischen den beiden Begriffen ist. Dass die Gebühren für IFG-Anfragen gesenkt werden, ist überfällig, sie sind momentan die höchsten in ganz Deutschland. Wohlwollend ist die Passage im Koalitionsvertrag als Ausbau der Informationsfreiheit zu deuten. Eine wirkliche Weiterentwicklung wäre ein Transparenzgesetz gewesen, wie es beispielsweise in Hamburg existiert.
Breitbandausbau / Netzausbau
Im Koalitionsvertrag heißt es zu diesem Thema: „Deswegen werden wir die Kommunen unterstützen, Unternehmen, Privathaushalte und öffentliche Institutionen bis Ende 2018 mit schnellen Internetanschlüssen – mindestens 50 Mbit/s möglichst auf symmetrischer Basis und dort, wo schnelles Internet existentiell notwendig ist, wie beispielsweise in Gewerbegebieten und Industriezentren, mit mindestens 100 Mbit/s zu ertüchtigen.“ Dabei setze man auf einen Ausbau nach dem Grundsatz Glasfaser vor Kupfer und Funk. Und man unterstütze zudem Freifunk.
Auch hier gilt: symmetrisch, Glasfaser, schnelles Internet – das klingt alles gut. Bis aber feststeht, wieviel Geld im Haushalt dafür eingestellt wird, bleibt auch dies erstmal eine Absichtserklärung.
Internetüberwachung
Über das gemeinsame Telekommunikationsüberwachungszentrum heißt es:
„Die Koalitionspartner bekennen sich zur Errichtung eines Gemeinsamen Kompetenz- und Dienstleistungszentrums der Polizeien der Länder Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auf dem Gebiet der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung.“ In diesem Absatz kommt auch der etwas unklare Satz: „Der Ausweitung von Kompetenzen zur Kryptoforschung wird eine Absage erteilt. Dem Innenausschuss des Landtages ist fortlaufend über die Umsetzung der Forschungsklausel zu berichten.“ Er bezieht sich vermutlich auf §4, Absatz 6 des Staatsvertrages zum Dienstleistungszentrum.
In Sachen „Hasskriminalität“ sagt der Koalitionsvertrag:
„Die zunehmende Zahl so genannter Hasskriminalität im Netz ist für uns Anlass, die polizeiliche Strafverfolgung und Prävention in diesem Bereich zu verstärken. Wir werden deshalb Polizistinnen und Polizisten aus Sachsen-Anhalt nach dem Vorbild anderer Bundesländer auf „Internetstreife“ schicken, um eine verbesserte Strafverfolgung zu erreichen.“
Falls es sich dabei tatsächlich nur um anlassunabhängiges Surfen von Polizeibeamten (Internetstreife) handelt, so das Bundesverfassungsgericht, sei das grundsätzlich kein Grundrechtseingriff. Sobald aber „kreative“ Methoden, Fake-Accounts oder automatische Datenauswertungen hinzukommen, scheint der Begriff der „Streife“ fehl am Platze.
Freie Software und freie Lizenzen
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir wollen freie und offene Software fördern und umfassend in der Verwaltung einsetzen und prüfen, ob dies in die Vorgaben für die öffentliche Vergabe aufgenommen werden kann.“
Der Knackpunkt hier ist das Wort „wollen“. Bis daraus konkrete Projekte werden, ist das eine Absichtserklärung. Das Wort „prüfen“ birgt auch noch sehr viele Stolpersteine. Dennoch gut, dass freie und offene Software Erwähnung finden.
Zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und freien Lizenzen sagt der Koalitionsvertrag:
„Hierzu gehört, dass öffentlich-rechtlich finanzierte Inhalte online abrufbar bleiben; wir werden uns für das Ende der Depublikationspflicht einsetzen. Wir wollen auf die Nutzung freier Lizenzen hinwirken und die Digitalisierung und Öffnung der Archive vorantreiben.“
Verschlüsselung
Der Koalitionsvertrag sagt: „Um die Sicherheit der Daten und unserer IT-Systeme zu erhöhen, wird flächendeckend zur verwaltungsinternen Kommunikation und zum Datenaustausch eine Ende-zu-Ende Verschlüsselung eingesetzt, und alle Kommunikationswege der Bürger mit öffentlichen Stellen müssen auch Ende-zu-Ende verschlüsselt erfolgen können.“
Hier stellt sich die Frage, ob damit Systeme wie DE-Mail gemeint sind oder echte Mailverschlüsselung mit GPG.
Vorläufiges Fazit
Der Koalitionsvertrag enthält gleich mehrere positive Bezüge zu einer zukunftsgewandten Netzpolitik, die dem Land Chancen eröffnen wird. Das ist insbesondere bemerkenswert, weil die CDU als größte Fraktion an der Koalition beteiligt ist. Dass die CDU in Sachsen-Anhalt durchaus offen für Änderungen ist, zeigt nicht nur im netzpolitischen Bereich das Bekenntnis gegen die Störerhaftung oder für freie Software und Lizenzen, sondern auch die Bereitschaft, die langjährige Forderung von Bürgerrechtlern nach Einführung einer individuellen Kennzeichnungspflicht für Polizisten in den Koalitionsvertrag aufzunehmen.
Es bleibt spannend, was von den Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag in den nächsten Jahren Wirklichkeit wird.
Zitat:“Die sachsen-anhaltinische CDU stellt sich als Teil der Regierungskoalition damit gegen die noch vorherrschende Linie der Bundes-CDU.“
Das Buhlen um den Wähler hat begonnen! … ein weiteres Martyrium für die Union, sie muss den Grünen für 4 Jahre den Zugang zu den Pfründen gewähren!
Zitat:“Das ist positiv: Unaufhaltsam zerbröselt die Störerhaftung und wird hoffentlich demnächst Geschichte sein.“
Den Tag sollte man nicht vor dem Abend loben, aufgeschoben, ist noch lange nicht aufgehoben!
Zitat:“„Das Informationszugangsgesetz wird zu einem Informationsfreiheitsgesetz weiterentwickelt werden“, sagt der Koalitionsvertrag.“
Ich führe hier nochmals die Mehrwertsteuer als Vorlage an, SPD 0% + Union 2% + Grüne 0% = 25% Gebührenerhöhung für IFG-Anfragen!
Warum? Nun, damit nicht Hinz und Kunz Anfragen stellen und somit die Tätigkeiten der Behörden blockieren!
Zitat:“Hier stellt sich die Frage, ob damit Systeme wie DE-Mail gemeint sind oder echte Mailverschlüsselung mit GPG.“
… die DE-Mail Variante, versteht sich! Der Verfassungsschutz muss auch schreibenden Zugriff auf die Kommunikation haben, damit terroristische Bemühungen „on the fly“ verhindert werden können/dürfen!
… dann wird aus der „Bombenstimmung“ eine „lebhafte, ausgelassene Stimmung“ … janz Anonym und ohne menschliches Zutun!
… und der Rechts’schreibung wird es auch gut tun!
Hi,
interessant ist auch (etwas versteckt) die Zusage das die Verkehrsdaten quasi als Schnittstelle zur Verfügung gestellt werden.
Koalitionsvertrag Seite 129:
„Die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft bietet viele Möglichkeiten für eine intelligente Mobilität der Zukunft. Das Land wird eine „Landesstrategie Digitalisierung von Schiene und Straße“ erarbeiten. Dabei sind der Personen- und der Güterverkehr als vernetztes System zu betrachten. Teilziele hierbei sind die flächendeckende Verfügbarkeit von Echtzeitdaten für Verkehrsteilnehmerinnen und Teilnehmer im ÖPNV sowie deren Bereitstellung für Dritte. Wir wollen bis 2020 in Kooperation mit den Verkehrsverbünden, anderen Ländern und der Privatwirtschaft eine landesweite E-Ticket-Lösung umsetzen und ein System zur Anschlusssicherung im Öffentlichen Verkehr organisieren.“
Zum IFG/IZG steht noch auf Seite 19
„Wir werden das Informationszugangsgesetz zu einem Informationsfreiheitsgesetz weiterentwickeln. Die Gebühren-Obergrenze wird deutlich herabgesetzt. Ferner wird eine Geringwertigkeitsgrenze von 50 Euro eingeführt. Ein Informationsregister für Landesbehörden wird eingeführt.“
Ergänzung Open Source: Seite 47
„Die Koalitionspartner bekennen sich dazu, die IT-Organisation und -Steuerung des Landes so anzupassen, dass IT-Großprojekte nach einheitlichen Standards durchgeführt und ressortübergreifend gesteuert werden können. Dabei ist die IKT-Standardisierung voranzutreiben und hierbei verstärkt auf offene Standards und Open Source-Lösungen zu setzen.“
Danke für die Ergänzung.