KabinettchefEU-Kommission plant „keinen neuen Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung“ – derzeit

Angeblich plant die EU-Kommission keinen neuen Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung. Das behauptet zumindest die Vertretung der EU-Kommission in Deutschland. Stattdessen sollen Mitgliedsstaaten ihre eigenen Gesetze machen dürfen – was aber ebenfalls gegen EU-Recht verstößt.

Vertretung der EU-Kommission in Berlin.

Die Vertretung der EU-Kommission in Deutschland meldet auf ihrer Webseite: EU-Kommission plant keinen neuen Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung

Dies hat Martin Selmayr, der Kabinettchef von Kommissionspräsident Juncker, dem deutschen Justizminister Heiko Maas auf Nachfrage bereits am 2. März telefonisch mitgeteilt.

Diese Meldung klingt super, zum Jubeln ist es aber noch zu früh.

„Ich kann nicht in die Zukunft gucken“

Erstens wollen wir gerne eine Bestätigung direkt aus Brüssel, daran arbeiten wir.

Update: Eine Sprecherin der Generaldirektion für Migration und Inneres (HOME) bestätigt gegenüber netzpolitik.org:

Yes I confirm, the Commission is not preparing any new initiatives on Data Retention. And this position was given to the German Justice Minister when he called the President’s Head of Cabinet on 2 March.

Dass die Kommission derzeit keine neue Initiative vorbereitet, bedeutet aber noch keine endgültige Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung. Nach der angekündigten Konsultation kann durchaus ein Neuanlauf folgen. Wir haben nochmal nachgefragt, ob das nur für jetzt oder für die gesamte Legislaturperiode gilt.

Update: Ein Sprecher der Kommission in Berlin kommentierte gegenüber netzpolitik.org auf unsere Nachfrage:

Auf absehbare Zeit wird es da nichts geben. Aber man kann nie wissen, welche Ereignisse das wieder auf die Tagesordnung bringen. Ich kann nicht in die Zukunft gucken.

Update: Die Sprecherin der DG Home in Brüssel „kann nicht sagen“, ob das nur für den Moment oder für die gesamte Legislaturperiode gilt. Den Satz „Ich bräuchte eine Glaskugel“ wollte sie uns nicht freigeben, daher schließt sie sich dem Berliner Sprecher an: „Ich kann nicht in die Zukunft gucken.“

Keine Notwendigkeit für EU-Initiative?

Zweitens steht in der Meldung auch:

In ihrer Orientierungsdebatte zur künftigen Sicherheitsagenda nach den Anschlägen von Paris hatte die Europäische Kommission am 21. Januar unter anderem über die Vorratsdatenspeicherung gesprochen. Die Kommissionsmitglieder waren sich einig, dass die Mitgliedstaaten unter Wahrung der vom EuGH genannten Grundsätze in diesem Bereich aktiv werden können. Für eine neue EU-weite Initiative der Kommission besteht demnach keine Notwendigkeit.

Wir hatten das Protokoll dieser Sitzung recherchiert und kamen nach der Analyse zu einem anderen Fazit: Kommission prüft neue Richtlinie – und Ausweitung auf Social Media

Da steht nirgends, dass „kein neuer Anlauf geplant“ ist – im Gegenteil. Avramopoulos bestätigt nicht nur „laufende Diskussionen, ob es einen neuen Gesetzesvorschlag geben soll“, sondern legt sogar eine Roadmap fest: er will eine „breit angelegte Konsultation“ starten und evaluieren, ob es einen neuen Gesetzes-Vorschlag braucht – das alles im Laufe des kommenden Jahres. Der Innenkommissar betont zwar einen „vorsichtigen und angemessen Ansatz“, aber zugleich auch die aus seiner Sicht „entscheidende Rolle, die Vorratsdaten im Kampf gegen den Terrorismus spielen können“.

Nationale Regelungen unberührt?

Drittens steht in der aktuellen Meldung:

Der Europäische Gerichtshof hatte am 8. April 2014 die geltende europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt. Nationale Regelungen bleiben davon unberührt, solange sie mit den Grundprinzipien unter EU-Recht, wie der sogenannten ePrivacy Richtlinie, im Einklang stehen.

Es stimmt, dass nationale Regelungen EU-Recht entsprechen müssen. Die ePrivacy-Richtlinie sagt in Artikel 15 aber, dass Rechtsvorschriften, die in Datenschutzrechte eingreifen, „notwendig, angemessen und verhältnismäßig“ sein müssen. Das kann eine flächendeckende, anlasslose Massendatenspeicherung aber niemals sein, wie auch diverse höchste Gerichte in Mitgliedsstaaten und auf EU-Ebene geurteilt haben.

Nationale Regelungen können aufgehoben werden

Erst im Januar kam der Juristische Dienst des Europaparlaments zu dem Fazit: Vorratsdatenspeicherung nach EuGH-Urteil auch in Mitgliedstaaten angreifbar

Daher könnte das EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung indirekte Folgen auf die nationalen Maßnahmen haben, da die gleichen rechtlichen Erwägungen herangezogen werden könnten, um die Wirksamkeit der nationalen Gesetze ebenfalls in Frage zu stellen.

Nach dem Urteil haben Mitgliedstaaten ein noch höheres Risiko, dass nationale Gerichte ihre Rechtsvorschriften für nichtig erklären, ähnlich zu dem, wie es bereits in einer Reihe von Mitgliedstaaten geschehen ist.

Bereits im Juli 2014 kam eine Studie zweier Rechtsprofessoren zu einem ähnlichen Ergebnis: Vorratsdatenspeicherung nach EuGH-Urteil: Auch andere Datensammlungen müssen auf den Prüfstand

Das Fazit der Abkehr vom Irrweg Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene muss daher lauten: auch die nationalen Gesetze müssen weg! (Und nicht andersrum.)

Keine deutsche Vorratsdatenspeicherung

Im Koalitionsvertrag steht übrigens zum Thema „Vorratsdatenspeicherung“:

Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH.

Da steht nichts von einer Vorratsdatenspeicherung ohne EU-Richtlinie. Und das ist auch gut so.

Irrweg Vorratsdatenspeicherung beenden

Oder um es mit Heribert Prantl zu sagen: Datenschutz ist kein Gnadenrecht

Der NSA-Skandal gerät in Vergessenheit, die alten Forderungen nach der Vorratsdatenspeicherung ertönen wieder. Aber der Schutz der Grundrechte ist keine Frage der Konjunktur.

4 Ergänzungen

  1. ich bin skeptisch, sowohl was die nachrichten aus brüssel als auch die von deutschen politikern betrifft.

    aus brüssel gab es im dezember die info, dass man eine arbeitsgruppe zur erarbeitung einer neuen VDS-richtlinie aufbaut. das wurde erst vor wenigen tagen noch mal bestätigt:

    https://wiki.freiheitsfoo.de/pmwiki.php?n=Main.20141103Brief-an-Avramopoulos#toc13

    und was deutschland betrifft:

    vor allem herr de maiziere hat das im DLF-interview vom 8.2. mehr als deutlich gemacht, dass man da gerade an was dran ist, siehe hier

    http://www.deutschlandfunk.de/bundesinnenminister-de-maiziere-missbrauch-des-kirchenasyls.868.de.html?dram:article_id=311001

    bzw. kommentiert hier

    https://freiheitsfoo.de/2015/02/22/eine-neue-deutsche-vorratsdatenspeicherung-gesetzgebung-die-de-maizieresche-abkehr-vom-transparenzprinzip-der-politik/

    und herr grosse-brömer hat das am 16.1. ebenfalls schon angedeutet

    http://www.deutschlandfunk.de/vorratsdatenspeicherung-wir-brauchen-dieses-gesetz.694.de.html?dram:article_id=308834

    und nun noch einmal bekräftigt

    http://devianzen.de/20150307antwort-grosse-broemer-vds-anon.jpg

    mein persönliches fazit deswegen:

    die beschwichtigungen sind nebelkerzen.

    die neue EU-VDS-richtlinie braucht noch ein paar wenige jahre. CDU/CSU/SPD werden über kurz oder lang mit einer nationalen regelung vorwegziehen. wie die auch immer im einzelnen aussehen mag – damit rücken die leute ja bislang nicht heraus und verlieren sich lieber in detailfreien allgemeinplätzen … und verhindern so die öffentliche sachdiskussion, deren fehlen sie den kritikern selber gerne anlasten.

  2. Da die Geheimdienste ja sowieso alles speichern braucht man eben keine gesetzliche Grundlage für die VDS mehr. Kann sich die Politik die Diskussion um VDS und Verfassungsgerichtsurteile usw einfach sparen indem man es einfach inoffiziell mach, demokratische Diskussionen sind ja schließlich nur hinderlich.

    1. Danke, aber da steht nicht ganz was du sagst, sondern:

      Die Frage sollte einheitlich auf EU-Ebene geklärt werden, betonte er. Luxemburg wolle sie während der Luxemburger EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2015 aufwerfen.

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