Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu personenbezogenen Daten und Suchmaschinen sorgt noch immer für Aufregung. Wir haben verschiedene Spezialexperten™ angefragt, ihre Meinung zum Urteil und Erwiderungen auf gängige Argumente auszuführen. Diesmal Jan Schallaböck, der beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) zu Identitätsmanagement- und Datenschutztechnologien im Rahmen nationaler und internationaler Forschungskonsortien und -netzwerke arbeitet und forscht:
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in letzter Zeit zwei vielbeachtete Entscheidungen zum Thema Datenschutz gefällt. Während seine Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung, die auch einige Schwächen der Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur gleichen Frage korrigiert, in der Zivilgesellschaft allgemeinen Jubel ausgelöst hat, gibt es zur jüngeren Entscheidung, die unter der Überschrift „Recht auf Vergessen“ rezipiert wird, gibt es allerdings von vielen Seiten kritische, bisweilen auch polemische Stimmen.
Der Sachverhalt und das damit zusammenhängende Urteil lassen sich schnell skizzieren: Ein Spanier (genaugenommen: die spanische Datenschutzbehörde) war gegen Google vorgegangen, weil eine Suchanfrage nach seinem Namen einen Link auf einen Zeitungsartikel zum Ergebnis hatte, in dem es um eine 16 Jahre zurückliegende Pfändung gegen den Kläger ging.
Nach den Vorgaben europäischen Datenschutzrechts ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten unter anderem dann zulässig, wenn das berechtigte Interesse der datenverarbeitenden Stelle gegenüber dem Interesse des Betroffenen überwiegt. Das Gericht diese Abwägung vorgenommen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Interesse des Betroffenen überwiegt, sich nicht mit einem lange erledigten Fehltritt konfrontiert zu sehen. Das Interesse von Google diesen Datensatz anzuzeigen muss dagegen zurücktreten. So weit, so schlüssig.
Eine Suchmaschinenanfrage ist keine Archivrecherche
Ein Kernpunkt der Kritik an dem Urteil ist, dass das Gericht das Suchergebnis als rechtswidrig bewertet und nicht die Veröffentlichung des ursprünglichen Artikels. Abstrahiert man das Urteil, könnte das heißen, dass eine rechtmäßige Veröffentlichung über eine Suchanfrage nach einem Namen unter Umständen nicht auffindbar sein soll. Kann das richtig sein?
Ja. Eine Suchmaschinenanfrage ist nicht dasselbe wie eine Archivrecherche. Bei der Google-Anfrage werden nahezu sämtliche im Internet offen verfügbaren Inhalte im Zusammenhang mit einem Namen zusammengeführt. Es entsteht ein umfassendes Dossier, mitunter sogar ein weitreichendes Profil einer Person. Mit einer Archivrecherche ist das nicht möglich. Hier kann allenfalls der vergleichsweise kleine, im Archiv verfügbare Bestand zusammen geführt werden. Es bedarf zudem meist einer ungefähren Vorstellung davon, was man sucht. Quantitatives schlägt hier in Qualitatives um. Es handelt sich also nicht um denselben Lebenssachverhalt, entsprechend bedarf es vielleicht auch einer anderen Regelung.
Die grundlegende Frage ist: sollte man mit publizierter Information immer alles machen dürfen? Ein solcher Grundsatz ist einfach und daher verlockend, trifft aber nicht auf alle Fälle zu. So werden die meisten Menschen wohl zustimmen, dass private und staatliche Überwachungsmechanismen, die alle möglichen Quellen abgrasen, um mittels Korrelationsanalysen Listen von Menschen herzustellen, die wahrscheinlich insolvent, schwul oder narzistisch gestört sind, nicht wünschenswert sind. Diese Möglichkeiten bietet das Netz derzeit.
Nach allem was wir hören, existieren solche Programme und Algorithmen und werden genutzt. Das Recht muss das aber durchaus nicht goutieren. Es widerspricht übrigens auch dem datenschutzrechtlichen Prinzip der Zweckbindung, das seit Jahrzehnten anerkannt ist. Entsprechend sind eben diese Anwendungen und Prozesse nicht oder nur eingeschränkt zulässig – man könnte das als prozessorientierten Datenschutz bezeichnen.
Rechenmaschinen können nicht gut abwägen
Was hier im Einzelnen zulässig sein soll und was nicht, ist leider schwierig abzugrenzen. Das Urteil schreibt eine Abwägung vor. Hier kommt ein zusätzliches Problem ins Spiel: Maschinen können nicht gut abwägen, sie können nur rechnen. Wollen wir uns aber mit Rechenmaschinen das Leben erleichtern, brauchen wir berechenbare Sachverhalte. Die Entscheidung, ob etwas verarbeitet werden darf, muss automatisch gefällt werden können. Recht und Technik müssen hier zusammenspielen.
Eine mögliche Lösung wäre dabei beispielsweise ein neues Element in der HTML-Auszeichnungssprache, mit der Webseiten beschrieben werden, das verhindert, dass Namen und ähnliche Angaben von den Suchmaschinen gespeichert werden. Die Verpflichtung ein solche „noindex-tag“ zu verwenden, müsste dann jene Publizierenden treffen, die auf Auffindbarkeit in Suchmaschinen setzen. Hier ist die Aufgabe auch aus vielerlei Gründen besser verortet.
Hiergegen kann man – zu Recht – einwenden, dass das Recht die technische Möglichkeit der Verarbeitung nicht ausschließt. Das Recht verkommt zu „snake oil“. Es entstehen Gatekeeper (und Akteure, die sich nicht gar an das Recht gebunden fühlen), die die Informationen mit erhöhter Exklusivität auswerten können. Letzteres ist auch ein Problem für die Demokratie. Es muss daher das, was als richtig (und als Recht) anerkannt wurde, auch in Technologie übersetzt werden. Hierfür brauchen wir perspektivisch neue technische Ansätze, nämlich ein durchsetzungsstarkes Privacy by design.
Private Rechtsdurchsetzung stärken
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass eine effektive Rechtsdurchsetzung nur denjenigen zugute kommt, die sich eine solche leisten können. Dem könnte man entgegenhalten: Die private Rechtsdurchsetzung ist im Datenschutzrecht eher zu schwach ausgeprägt. Es grenzt an eine Absurdität, dass urheberrechtlich geschützte Wirtschaftsinteressen effektiver durchgesetzt werden können, als das im Datenschutzrecht verbürgte Persönlichkeitsrecht.
Es ist einer der Konstruktionsfehler des derzeitigen Datenschutzrechtes, die Durchsetzung der Einhaltung im wesentlichen bei Datenschutzbehörden zu verorten – die zwangsläufig daran scheitern müssen, weil es einfach derart viele Datenverarbeiter gibt. Was dringend erforderlich wäre, ist ein pauschaliertes Mindestschmerzensgeld bei Datenschutzverstößen, kombiniert mit einem Verbandsklagerecht. Dann wäre dem Problem des viel beschworenen „Umsetzungsdefizits“ schnell beizukommen. Die Unternehmen sähen sich dann deutlich veränderten Risikoabwägungen gegenüber, würden sich dagegen versichern wollen und auf Druck der Versicherer ihre Verarbeitungsprozesse anders entwickeln.
Journalisten müssen regelmäßig abwägen, ob sie Personen, die in ihren Recherchen aufgetaucht sind, namentlich erwähnen. Hierfür gibt es über Jahre entwickelte Grundsätze. Diese Aufgabe kann gesellschaftlich nur durch abstrakte Vorgaben gelöst werden, die Einzelfallabwägung kann und sollte nicht durch staatliche Einrichtungen durchgeführt werden. Eine staatliche Aufsichtsbehörde mit der Aufgabe der Abwägung öffentlicher Informationsinteressen für jeden Einzelfall wäre nicht nur unpraktisch und geradezu monströs, Sie wäre auch kaum mit den Vorgaben aus Artikel 5 des Grundgesetzes, etwa der Presse- und Meinungsfreiheit, zu vereinbaren.
Kritisieren kann man das Urteil jedoch insoweit, als das Gericht für die Abwägung wenige konkrete Kriterien nennt, wann ein Suchmaschinenbetreiber einen Eintrag löschen muss und wann nicht, so dass ein nicht unerheblicher Auslegungsspielraum bleibt. Das Gericht hat eine Linie vorgegeben, die Suchmaschinenbetreibern nahelegt, im Zweifel zu löschen.
Gegen Gelöschtes wird vermutlich selten geklagt. Es ist daher nicht zu erwarten, dass viele Gerichte in die Verlegenheit kommen, sich mit einer differenzierteren Auslegung zu befassen. Diese Konkretisierung müsste der Gesetzgeber nachliefern, auch dadurch, dass er den Löschpflichten Indizierungspflichten gegenüberstellt. Eine solche rechtliche Vorgabe zu einer Suchmaschinenneutralität zu formulieren ist wichtige aber auch eine schwierige Aufgabe.
Markteintrittshürden können sinnvoll sein
In der Tat sorgt eine stärkere Verrechtlichung wohl stets auch für Markteintrittshürden. Für ein kleines Startup wird der Aufbau einer Rechtsabteilung in der Regel nicht oberste Priorität haben. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Entscheidung viele aufstrebende, junge Wettbewerber für Google vom Markt gefegt hat. Die Markteintrittshürden für Suchmaschinen sind aus vielerlei Gründen bereits jetzt erheblich. Monopolen muss man anders begegnen – ein Vorbild könnte man sich im Kartell- oder im Medienaufsichtsrechts suchen.
Für Suchmaschinen, die sich auf Personensuchen spezialisieren wollen, mag es nun nahezu unmöglich geworden sein, sich zu etablieren. Aber auch jenseits der vom Gericht festgestellten Rechtslage ist es gesellschaftlich vielleicht wünschenswert, dass für solche Angebote ein paar Hürden existieren.
Die Markteintrittshürden für Suchmaschinen sind aus vielerlei Gründen bereits jetzt erheblich.
Das ist nicht wahr. Die Einstiegshürden sind extrem gering. Suchmaschinen haben keine Verträge mit den Benutzern es gibt keine Mindestlaufzeiten, keine Umstellungshürden, keine Kompatibilitätsprobleme mit vorhandenen Geraten etc.
Jeder Benutzer kann jederzeit und kostenlos die Suchmaschine wechseln – wenn er will bei jeder Suchanfrage.
Sobald eine Suchmaschine nach Einschätzung der Benutzer besser ist (in welchem Sinne auch immer) werden sie in kurzer Zeit (fast) vollständig von Google dahin wechseln, so wie damals von Altavista (der damals führenden Suchmaschine) zu Google.
Ich denke du täuschst dich. Ein crawler ist schnell gebaut, aber selbst wenn der nur auf einer Maschine läuft, musst du täglich deine hardware ausbauen um das zu speichern, was der sammelt. Bis da ein halbwegs brauchbarer – sprich konkurrenzfähiger – index zusammenkommt, wird dir jeder cloudanbieter gekündigt haben, wenn du nicht bezahlst. Ohne geld oder illegale platzakquise kommst du nicht weit.
Alleine das Auftauchen des Wortes »Archivrecherche« offenbart, dass der Autor noch nicht richtig im Internetzeitalter angekommen ist, sondern sich noch an die Papierzeitungswelt klammert.
Ist eine Information online veröffentlicht (ohne Zugangsbeschränkung), dann ist sie auch von Suchmaschinen zu finden und auch bitteschön in den Ergebnissen anzuzeigen. Woher soll die Suchmaschine wissen, dass es sich um einen archivarischen Artikel ohne heutige Relevanz handelt?
Es ist Aufgabe der Veröffentlicher, sich um die (Persönlichkeits- und Datenschutz)Rechte derjenigen zu kümmern, über die sie schreiben. Das kann doch nicht einem Dritten, einer Suchmaschine, zugemutet werden, das ist nicht deren Job.
Der Job der Suchmaschine ist es, veröffentlichte Informationen zu durchsuchen und dem Anfrager anzuzeigen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Allenfalls kann sie Kriterien wie das Alter der Informationen (was nicht unbedingt einfach festzustellen ist) in die Gewichtung der Suchergebnisse einfließen lassen.
Das ist der Fortschritt durch diese Entscheidung. Sie zwingt, mehr in die Qualität der Suchetgebnisse zu investieren. Nach wie vor ist es docb so, das Quantität DAS Kriterium der Wertigkeit von Suchergebnissen ist (Anzahl eingehehende Links). Ich denke, Google versucht schon immer, die Suchergebnisse besser qualitativ bewerten zu können, aber nicht erst seit dem auf der letzten republuca gebotenen Beitrag „bullshit“ weiß man, daß dies unter wirtschaftlichen Aspekten eigentlich schnurz ist. Biete den Leuten was sie glauben zu mögen und sie sind zufrieden. Dafür reicht (vergleichsweise billige) quantitative Analyse. Dem selbem Trend folgt auch die in letzter Zeit gern weil erfolgreich Strategie „Visualisierung“ – wenig Information, aber schick und hipp.
Das der Autor recht wenig mit dem zu tun hat, wovon er schreibt – Suchmaschinen – sieht man aber daran, das er den Autoren über Metadatrn oÄ mehr Rechte in die Hand geben will. Metadaten eignen sich perfekt zum Spam, weil sie für normale Nutzer unsichtbar und beliebig einsetzbar sind. Deswegen werden sie von heutigen Suchmaschine kaum beachtet.
Ich denke der Weg geht nur weiter in Richtung künstliche Intelligenz, die dann auch rechtliche Fragen halbwegs sauber entsheiden kann. Jeder Versuche die heutigen Datenmengen manuell zu bewerten, ist doch lächerlich. Das sind dann übrigens auch Markteintrittshürden, denn wer kann sich diese AI wohl leisten und ggf. patentieren?
Das Wort Archivrecherche steht da wirklich, aber:
Eine Suchmaschinenanfrage ist keine Archivrecherche
Ich glaube du hast das Wort keine überlesen.
Es geht also dem Autor genau darum, dass es nicht dasselbe ist.
Und das eine Suchmaschine nur den von dir beschriebenen „Job“ hat, die Zeiten sind schon lange vorbei. Sowohl google selbst filtert die Ergebnisse, nach dem was sie von dir Wissen, aber auch Gerichte haben google schon öfters gezwungen Änderungen vorzunehmen.
Der Artikel ist praktisch identisch zu: „Recht auf Vergessen“: Technik und Recht müssen zusammenarbeiten auf irights.info.
Gibt es da Beziehungen?
Wenn man sich den Autorennamen anschaut könnte man die Vermutung aufstellen, dass beide miteinander verwandt sein könnten.