Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu personenbezogenen Daten und Suchmaschinen sorgt noch immer für Aufregung. Wir haben verschiedene Spezialexperten™ angefragt, ihre Meinung zum Urteil und Erwiderungen auf gängige Argumente auszuführen. Diesmal von Joe McNamee, Direktor von EDRi. Dieser Beitrag erschien zuerst in englischer Fassung auf der Website von EDRi, Hier ist jetzt die deutsche Übersetzung zu lesen:
Als der Europäische Gerichtshof über den Fall „Google Spanien“ urteilte, stürzte sich die Presse auf die Entscheidung als ein Beispiel für das „Recht auf Vergessen“. Der Guardian erklärte, Google müsse Links zu zwei Seiten der La Vanguardia-Website löschen und dass Rechtsexperten sagten, das Urteil könne den Startschuss für Löschanträge geben. Ebenso erklärte die BBC, dass dem EuGH zufolge Links zu ‚irrelevanten‘ und veralteten Informationen auf Anfrage gelöscht werden sollten. Diese schockierende Geschichte verbreitete sich in beeindruckender Geschwindigkeit um die Welt. Einziges Problem: Die Geschichte war zwar schockierend, aber trotzdem nicht wahr.
In Wirklichkeit, wie der Gerichtshof in seiner Presseerklärung und nicht weniger als fünfzehn Mal in seinem Urteil erklärte, beschränkt sich dieses nur auf Fälle, in denen Suchanfragen auf Basis des Namens des Klagenden ausgeführt werden. An keiner Stelle wird von dem Gerichtshof das Löschen von Inhalten vorgeschlagen. Der Gerichtshof urteilte, dass Google Situationen korrigieren sollte, in denen eine Suchanfrage mit dem Namen eines Individuums „inadäquate, irrelevante oder nicht länger relevante, oder übermäßige“ Suchergebnisse hervorbringt. Das Gericht verwies auf Googles Behauptung, das Entfernen von Seiten von seinem Index wäre unverhältnismäßig, und widersprach dieser Ansicht weder implizit noch explizit.
Die falsche Presseanalyse scheint zumindest teilweise von Google angeheizt worden zu sein. Die BBC berichtete, dass die Firma angedeutet hatte, Surchergebnisse über Individuen, die irrelevant oder veraltet seie, zu löschen. Diese Analyse wurde von zahlreichen Presseagenturen wiederholt. Der Telegraph berichtete über die Geschichte unter der Überschrift „EU urteilt: Google muss deine Daten löschen, wenn du dazu aufforderst“, und, separat, dass Google alle sieben Sekunden eine Anfrage bekäme, „Informationen zu unterdrücken“. Bloomberg berichtete (eingebunden in einen Telegraph Artikel), dass Menschen Google dazu auffordern können, sensible Informationen von Internetsuchergebnissen zu entfernen. Der eingeladene Experte fügte hinzu, Daten könnten für immer vom Internet entfernt werden, und Google würde die Daten aus seinem System löschen.
Seltsamerweise gibt es wenige direkte Zitate von Google zu diesem Thema. Reuters beschränkte sich darauf, namenlose „Quellen“ innerhalb der Firma zu zitieren und berichtete, dass Jeffrey Rosen von der George Washington Universität von Google aufgefordert wurde, mit Reportern zu sprechen, obwohl er keine formelle Verbindung zu Google hat. Ein anderer Akademiker, der zwar mit aber nicht direkt für Google arbeitet, Luciano Floridi, erklärte dass die „Ära frei verfügbarer Informationen in Europa jetzt vorbei“ sei. Wie man irgendwie diese Schlussfolgerung aus dem Urteil ziehen können sollte, wird nicht erklärt.
Kurz gesagt, anscheinend haben Googles eigene Interaktionen mit der Presse ein „Recht auf Vergessen“. Sichtbare Spuren gibt es nur wenige.
Es gibt einen wichtigen Punkt der angesprochen muss bezüglich der Weisheit des Gerichts, es gänzlich in Googles Verantwortung zu lassen, welchen Beschwerden stattgegeben werden sollte und welchen nicht. Wie dem auch sei, Google löscht keine Daten. Google wurde nicht dazu aufgefordert. Daten zu löschen. Die betreffenden Websiten sind weiterhin über die Google-Suche zu finden. Auf der anderen Seite löscht Google Hunderte Millionen Suchergebnisse weltweit auf der Grundlage von US-Recht und hat ein Abkommen mit dem Weißen Haus, um weltweißt Strafmaßnahmen vorzunehmen, außerhalb der Rechtsstaatlichkeit, gegen Online-Dienste die verdächtigt werden, gegen amerikanisches Recht zu Geistigem Eigentum zu verstoßen. Außerdem hat es ad-hoc-Vereinbarungen auf nationaler Ebene, Suchergebnisse ohne Rechtaufsicht zu entfernen. Merkwürdigerweise wurde diesen Aktivitäten nie dieses Level an Medienaufmerksamkeit gewidmet.
Als Ergebnis dieses Urteils werden keine Seiten gelöscht. Das Urteil schafft kein „Recht auf Vergessen“. Nichts wurde vergessen, außer der Wahrheit – der einen Sache, wo niemand das Recht hat zu vergessen.
Weitere Kommentare zum EuGH-Urteil:
Leonhard Dobusch: Zuviel des Guten – Privatisierte Rechtsdurchsetzung auf dem Vormarsch
Thomas Stadler: Vorrang des Datenschutzes vor Meinungs- und Informationsfreiheit
Jan Schallaböck: Recht auf Vergessen – Technik und Recht müssen zusammenarbeiten
Rigo Wenning: Das Gericht hat Recht, aber das Ergebnis ist falsch
Zensur auf der Schiene des Datenschutzes. Herzlichen Glückwunsch!
:-(
*plonk*
Und so ein Kommentar unter einem Artikel, der explizit darlegt, dass gerade dies, im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung, NICHT der Fall ist.
$Staat befielt $Firma, dass sich der Webserver bei $input_predicate anders verhalten soll.
Nein, nein, das hat „überhaupt“ nichts mit Zensur zu tun. Und es ist auch ganz bestimmt kein Dammbruch…
Nein, ist es auch nicht, das wird, wie ebenfalls im Artikel steht, schon seit Jahren praktiziert. Und der Schutz der Grundrechte eines Individuums ist im Vergleich zum Schutz der Verwertungsinteressen einer Industrie der deutlich bessere Anlass.
Richtig, laut Urteil sind nur Suchergebnisse welche in direkter Verbindung zu einer (Klar)namensuche stehen betroffen.
D.h. mit anderen oder mit leicht modifizierten Suchworten werden die vermeintlich „gelöschten“ Links weiterhin ganz normal angezeigt. Das wurde bisher von keinem der sog. Experten in TV+Radio erwähnt, sogar im Netz bis auf wenige Kommentare Fehlanzeige.
Ich möchte nicht wissen, wieviele Anträge in der falschen Hoffnung gestellt wurden, dass die Links nun aus der Datenbank verschwinden bzw. „vergessen“ werden.
ja, das möchte man wirklich nicht wissen
Statt über ein „Recht auf Vergessen“ staatliche Informationshoheit herstellen zu wollen, sollten wir lieber über ein „Recht auf Anonymität“ nachdenken. Anonyme Bewerbungen zum Beispiel, oder das Recht, den Vor- und Nachnamen auf Wunsch ändern zu lassen.
Google war schon immer groß darin die Öffentlichkeit für die Konzerninteresse einzuspannen.
Danke für diesen Artikel!
Es ist tatsächlich unglaublich und beängstigend, was Google an Fanbois-Hirne spritzt, um solcherart verdrehte „Presse“ zu seinen Gunsten zu bekommen. Ich nehme aber an, es sind die üblichen Verdächtigen. Millionen-Dollar-Marketing und Lobbying …