Diesen Monat wird BKA-Chef Jörg Ziercke in den Ruhestand gehen. Doch er hat die Gelegenheit nicht ausgelassen, gegenüber der dpa nocheinmal seine Agenda hinsichtlich mehr Überwachungs- und Datenspeicherungsbefugnissen zum Besten zu geben und sich über die derzeitigen „Einschränkungen“ zu beschweren.
Durch die Debatte über Bürgerrechte und Datenschutz spüren wir einen hohen Rechtfertigungsdruck bei der Frage, was der Staat darf und was nicht.
Das führt dann beispielsweise laut Ziercke dazu, dass etwa mangels Vorratsdatenspeicherung 70 % der Internetkriminalitätsfälle nicht aufgeklärt werden könnten.
Man solle seiner Meinung nach nicht mehr über Datenmissbrauch in den Behörden an sich nachdenken, sondern über Kontrollinstrumente. Zum Beispiel ein Richtergremium, dass über den Einsatz von Maßnahmen der Vorratsdatenspeicherung, der Online-Durchsuchung oder der Quellen-Telekommunikationsüberwachung entscheiden soll. Schön und gut, aber mit Blick auf die Vergangenheit will man solchen Gremien, die nur zu gerne Blankogenehmigungen ausstellen, keine wirkliche Kontrollfunktion beimessen.
Aber Kontrolle hin oder her, Ziercke bringt auch nochmal den Bundestrojaner zur Sprache:
Eine derartige Software wird derzeit von uns entwickelt, sie muss aber hohen Anforderungen hinsichtlich Datenschutz und IT-Sicherheit sowie speziellen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügen.
„Man solle seiner Meinung nach nicht mehr über Datenmissbrauch in den Behörden an sich nachdenken, sondern über Kontrollinstrumente.“
Finde ich gar nicht schlecht. Zu glauben das Dinge zwar technisch möglich sind aber alleine aus moralischen/ethnischen/gesetzlichen Gründen nicht gemacht werden…der Zug ist vielerorts bereits abgefahren. Nicht immer, nicht überall, aber eher mit steigender Tendenz als mit fallender.
Da sind Kontrollinstrumente realistischere Alternativen.
Ich bin skeptisch, wenn eine Staatssicherheitsbehörde einen Vorschlag macht, wie sie mehr Befugnisse bekommen könnte. Grundsätzlich klingt „Kontrollinstrument“ gut, weil es suggeriert, dass man dadurch die Einschränkung von Grundrechten, die ein Notwehrrecht des Einzelnen gegen des Staat sind, kontrollierbar wären. Sind sie aber nicht. Nicht nur hier, auch international hat die richterliche wie auch parlamentarische Kontrolle versagt und das Prinzip ist auch nicht reparierbar. Wenn Zierke sowas fordert, dann nur weil er weiss, dass das die Blankoerlaubnis für Überwachung darstellt. Schon aus Gründen der Arbeitsminimierung werden die Richter alles durchreichen und falls es doch mal eine Ablehnung gibt, wird die dann als Beweis rangezogen, dass das Prinzip funktioniert.
Umgekehrt wäre richtig, fast alles wird abgelehnt und das was durchkommt, muss richtig begründet sein, weshalb die Einschränkungen der Grundrechte in dem Fall gerechtfertigt sind. Jeder einzelne Richter in diesem Gremium müsste ein Rechtsgutachten verfassen, warum er die Einschränkung für richtig hält und das auch nicht pauschal, sondern auf den Einzelfall bezogen. Der Aufwand etwas durchzureichen muss bürokratisch deutlich über der Ablehnung sein. Dazu müssen die Beamten, die den Antrag stellen, auch noch von ernsthafter Strafe (mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe, damit die Beamtenlaufbahn zu Ende ist), bedroht sein, wenn sie falsche Beweise vorlegen, die zu einer Anordnung führen, die sich im Nachhinein als rechtswidrig herausstellt.
Grundrechte sind das wohl höchste rechtliche Gut, was ein Rechtsstaat zu verteidigen hat, deswegen müssen die Hürden auch extrem hoch sein, genauso wie die Sanktionen. Ein Richterkremium und ein Beamtenapparat, der tun und lassen kann, was er will, weil die Sachen entweder durchgewinkt werden oder hinterher keine Sanktionen gegen die Beteiligten stattfinden, ist letztlich keiner, weil Teile der menschen über dem Gesetz stehen.
Genau so sehe ich das auch.
Wir haben Kontrollinstrumente. Die nennen sich Gesetze und Urteil, und daran haben sich alle, auch BKA-Präsidenten und BND-Mitarbeiter zu halten. Ja, auch im Himmel.
Was fehlt ist die konsequente Ermittlung gegen und Strafverfolgung von Leuten, die Anzüge tragen und gegen Gesetze verstoßen.
Die meisten Gesetze sind bereits voll von Ausnahmen/Einschränkungen, können nicht mit den neusten Entwicklungen mithalten oder werden (gezielt) vom Gesetzgeber schwammig formuliert. Bis rechtliche Klarheit herrscht vergehen oft Jahre. Und selbst dann gibt es oft noch Interpretationsspielraum. Ich sage ja nicht, dass das BKA sich dieses Kontrollinstrument aussuchen sollte und wie genau das Ganze aussehen sollte weis ich auch nicht. Aber genauso wie man sagen kann unsere Kontrollinstrumente haben versagt, kann man auch sagen unsere Gesetze/Gesetzgeber haben in dieser Sache „versagt“.
„Grundrechte sind das wohl höchste rechtliche Gut, was ein Rechtsstaat zu verteidigen hat, deswegen müssen die Hürden auch extrem hoch sein,“
Ich denke in vielen Fällen musst du verschiedene Rechte eher gegeneinander abwägen was sehr viel komplizierter werden kann.
Das Richter Anträge besser prüfen sollten stimme ich aber zu.
Den Richtervorbehalt gibts im Strafverfahren doch bei vielen Zwangsmassnahmen. Was immer ich dazu auf verschiedenen Blogs von Strafverteidigern gelesen habe, existiert der Vorbehalt eigentlich nur auf dem Papier und grundsätzlich wird hier einfach 99.9% der Anträge durchgewunken.
Es scheint mir, als komme Ziercke die Internetkriminalität ganz recht. Je höher die Kriminalitätsrate ist, um so einfacher lässt sich Überwachung ohne Anlass rechtfertigen.
Und niemand denkt mehr darüber nach, wie sich Internetkriminalität verhindern lässt.
Zum Beispiel
E-Mail: Würde jeder GPG einsetzen, so würde Spam, Phishing usw. eingedämmt.
Würden Webseiten nicht auf Javascript bestehen, so würden >90% der Sicherheitslücken wegfallen (weil man ohne Nachteile das Zeuchs abschalten könnte).
Würden Webseiten nicht an X Clouds, Scriptingseiten, Werbebanner usw. delegieren, so könnte RequestPolicity für „Dummuser“ nutzbar sein.
Würden Sicherheitslücken öffentlich gemacht, so könnte man sich schützen.
Würden international Regeln zum Datenschutz geschaffen …
und so weiter…