Änderung und Neuinterpretation von Gesetzen wegen „ausländischer Kämpfer“: Lange Liste der Maßnahmen von EU und UN (mit Updates)

Gilles de Kerchove, der "Anti-Terror-Koordinator" der EU. Sein Daseinszweck besteht darin, möglichst weitgehende Gesetzesänderungen für mehr Überwachung auf den Weg zu bringen.
Gilles de Kerchove, der „Anti-Terror-Koordinator“ der EU. Sein Daseinszweck besteht darin, möglichst weitgehende Gesetzesänderungen für mehr Überwachung auf den Weg zu bringen.

Zweifellos sind die in Nordafrika und dem Nahen Osten kämpfenden Djihadisten ein bedrohliches Phänomen. Außer Acht gerät aber, dass wegen dieser als „ausländische Kämpfer“ („foreign fighters“ bzw. „foreign terrorist fighters“) bezeichneten, bewaffneten Missionare im Namen des Korans weitreichende Grundrechtseingriffe auf den Weg gebracht werden. Sie haben eine ähnliche Dimension wie die „Anti-Terror-Gesetze“ nach dem 11. September 2001.

Was die Bundesregierung zur Kontrolle „ausländischer Kämpfer“ und einer „Radikalisierung“ in der Pipeline hat, erläuterte das Bundesinnenministerium im August, im im September und zuletzt im November in Antworten auf Kleine Anfragen. Der CDU/ CSU ist das noch zu wenig, weshalb beide Fraktionen „Eckpunkte für einen besseren Schutz vor Djihadisten und ihren Anhängern in Deutschland“ veröffentlichten. Die Abgeordneten wollen noch mehr Grundrechtseinschränkungen und nennen das „rechtsstaatliche Mittel nachschärfen“. Ähnlich hatte es der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) formuliert, als er im Sommer davon sprach dass „eine Reihe von Maßnahmen von Bund und Ländern notwendig“ sei. Hierfür seien „Rechtsänderungen“ zu erwarten. De Maizière bezog sich auf Gespräche auf Ebene der Europäischen Union und der Vereinten Nationen.

Im September beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 2178, in der eine „akute und zunehmende Bedrohung, die von ausländischen terroristischen Kämpfern ausgeht“ festgestellt wird. Die Resolution und die darin enthaltenen Forderungen waren zuvor bei Treffen der EU-Kommission mit dem US-Heimatschutzministerium und im informellen Treffen der „G6+1“ der sechs einwohnerstärksten EU-Staaten erörtert worden, wo seit sieben Jahren auch die USA teilnehmen.

Im August hatte der Europäische Rat kurze Schlussfolgerungen zu „ausländischen Kämpfern“ verabschiedet. Der Rat postuliert vier prioritäre Bereiche, in denen die EU die Mitgliedstaaten zur Handlung auffordert: Prävention, Ermittlung und Aufspüren von Reisebewegungen, strafrechtliche Reaktion und Zusammenarbeit mit Drittländern. Viele der EU-Maßnahmen gehen auf Initiativen des „Anti-Terrorismus-Koordinators“ (ATK) der EU, Gilles de Kerchove, zurück. Im Oktober legte Kerchove ein „Follow-up“ mit einer Roadmap zu den Ratschlussfolgerungen vom August vor. Ende November folgte das Papier „Ausländische Kämpfer und Rückkehrer: Umsetzung der vom Rat (Justiz und Inneres) auf seiner Tagung vom 9./10. Oktober 2014 beschlossenen Maßnahmen“. Anfang Dezember legte Kerchove ein „Diskussionspapier“ über „Ausländische Kämpfer und Rückkehrer“ vor.

Auch der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) hat ein Strategiepapier mit den EU-Mitgliedstaaten zu „ausländischen Kämpfern“ abgestimmt, das im Oktober in der Anti-Terror-Ratsarbeitsgruppe positiv behandelt und dem Rat für Außenbeziehungen übergeben wurde. Laut der Bundesregierung fasst das unveröffentlichte Papier „die zahlreichen internen wie externen Aspekte“ zusammen und enthält konkrete Handlungsempfehlungen.

Auf dem ersten EU-Innenministertreffen unter italienischer Ratspräsidentschaft wurde im Juli ein „Aktionsplan gegen die Bedrohung durch zurückkehrende Dschihadisten“ verabredet. Laut Medienberichten nehmen daran Deutschland, Frankreich, Belgien, Großbritannien, Italien, Schweden, Spanien, Dänemark und die Niederlande teil. Auf dem gleichen Treffen erneuerten die Minister die „Strategie zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus“. Im Sommer hatte die EU ihre „Überarbeitete Strategie der EU zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus“ verabschiedet. Demnächst soll die Erneuerung der „Strategie für die innere Sicherheit“ beschlossen werden. Auch dort werden etliche Vorschläge zur Bekämpfung „ausländischer Kämpfer“ aufgeführt.

Worin die Absprachen genau bestehen, hatte das Bundesinnenministerium im August auf parlamentarische Nachfrage zunächst knapp umrissen. Mittlerweile ist das ganze Ausmaß von Gesetzesänderungen, weiteren Datensammlungen und neuen Zusammenarbeitsformen sichtbar geworden. Hier die Übersicht [1]:

  • Entzug von Reisepässen und Personalausweisen: Die UN-Resolution 2178 fordert von den 193 UN-Mitgliedstaaten, auf ihren Hoheitsgebieten die Rekrutierung, den Transport, die Durchreise, Finanzierung, Organisierung und Ausrüstung von Terroristen oder „terrorbereiten Personen“ zu verhindern. Die Forderung könnte unter anderem durch den Entzug von Ausweisdokumenten umgesetzt werden. Das derzeitige deutsche Passgesetz erlaubt dies für Reisepässe im Falle einer „Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit“. So war es in der Vergangenheit bereits in einigen Fällen bei „mutmaßlichen Salafisten“ angewandt worden, inzwischen greifen die Behörden immer öfter darauf zurück. Laut dem Personalausweisgesetz ist das Entziehen des Personalausweises Polizei- und Meldebehörden aber aber nicht erlaubt. Auf einer Sondersitzung beschlossen die Innenminister im Oktober in Berlin, dass unverzüglich Gesetzesänderungen vorzulegen seien. Bund und Länder sollen dann ein vorläufiges Ersatzpapier ausstellen, das nicht zur Ausreise berechtigt. Der Bundesinnenminister nennt dies ein „Grundrechte schonendes und effektives Mittel“. Eine weitere Verschärfung ist in Sicht: Die Anti-Terror-Gesetzgebung soll dahingehend verschärft werden, dass bereits eine geplante Ausreise zur Beteiligung an schweren Gewalttaten im Ausland strafbar wäre. Unklar ist, wie diese Planung nachgewiesen werden soll und ab wann diese als gesichert gilt.
  • Neue Kategorie im Schengener Informationssystem (SIS II): In der EU-Polizeidatenbank soll eine neue Kategorie für „ausländische Kämpfer“ oder „gesuchte Djihadisten“ eingerichtet werden, um diese bei der Ein- oder Ausreise in die EU überhaupt erkennen zu können und dann besonderen Maßnahmen zu unterziehen (etwa einem Reiseverbot). Personen würden dort zur Fahndung ausgeschrieben, auch etwaige Passentziehungen könnten dort gespeichert werden. Alle Mitgliedstaaten sind aufgerufen, die neue Kategorie extensiv und systematisch zu nutzen. Allerdings muss zuvor der entsprechende EU-Ratsbeschluss zum SIS II und die nachfolgende Verordnung geändert werden. Aus dem Bundesinnenministerium verlautet jedoch, dass sich die Maßnahmen auch „unterhalb der Schwelle von Rechtsänderungen“ abspielen könnten.
  • Heimliche Fahndung mithilfe des Schengener Informationssystems (SIS II): Diese „verdeckte Kontrolle“ bzw. „verdeckte Registrierung“ ist im Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) geregelt. Personen und Sachen können von einer Polizeidienststelle ausgeschrieben werden. Bei „Grenzkontrollen und sonstigen polizeilichen und zollrechtlichen Überprüfungen“ wird der ausschreibenden Stelle übermittelt, wann und wo die Kontrolle erfolgte. Die Betroffenen erfahren davon nichts. Auch der Anlass der Überprüfung, Reiseweg und Reiseziel, Begleitpersonen oder Insassen sowie mitgeführte Sachen werden gespeichert. Fahrzeuge können auch unter einem Vorwand durchsucht werden. Schon jetzt steigt die unbemerkte Verfolgung durch das SIS II rapide an. Nun ist geplant, die Maßnahme auch gegen „ausländische Kämpfer“ zu nutzen, eine weitere, deutliche Zunahme ist also zu erwarten. In Deutschland ist dies bereits belegt: Waren im Januar 2014 noch 548 Personen zur heimlichen Fahndung ausgeschrieben, sind es im Oktober bereits 710.
  • Systematische Kontrollen von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten an Außengrenzen: Der Schengener Grenzkodex schreibt fest, dass Angehörige der Schengen-Staaten an den EU-Außengrenzen nicht systematisch kontrolliert werden dürfen. Zulässig ist lediglich eine „Mindestkontrolle“ (Feststellung der Identität, Überprüfung der Echtheit und Gültigkeit des Reisedokuments und Abgleich mit Fahndungsdateien). So steht es auch im „Schengen-Handbuch“. Um „ausländische Kämpfer“ an den Außengrenzen überhaupt feststellen zu können, bedarf es aber systematischer Kontrollen. Eigentlich wäre auch hierfür die Änderung des Schengener Grenzkodex Voraussetzung. Diskutiert wird, ob die Vorschrift stichprobenartiger Kontrollen einfach kreativ zuinterpretiert werden kann. Dann könnten beispielsweise Männer in einem bestimmten Alter aus bestimmten Herkunftsländern kontrolliert werden. Entsprechende Kriterien müssen aber definiert und festgeschrieben werden. Eigentlich würde es sich dann doch um eine systematische Kontrolle handeln. Die Angelegenheit war von der Kommission im Oktober und November mit „Experten aus den Mitgliedstaaten“ sowie im Gemischten Ausschuss und der Ratsarbeitsgruppe Grenzen erörtert worden. Unter dem Titel „Foreign fighters: Application of the Schengen Border Code – Follow-up“ veröffentlichte die Kommission ein „Non-Paper“ mit „informellen Empfehlungen für einen gemeinsamen Ansatz bzw. eine gemeinsame Auslegung“. Laut dem Anti-Terror-Koordinator seien die Mitgliedstaaten einig gewesen, „dass es nicht notwendig sei, den Schengener Grenzkodex zu ändern, um verstärkte Kontrollen von Personen, die das Recht auf freien Personenverkehr genießen, zu erreichen, sondern dass eine gemeinsame Auslegung der bestehenden Vorschriften erforderlich sei“.
  • Systematische Kontrolle der Reisedokumente von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten an Außengrenzen: Bislang werden Ausweisdokumente von Angehörigen der EU bei der Ein- und Ausreise in die EU nur oberflächlich besehen. Es wird lediglich untersucht, ob vorgezeigte Dokumente echt sind. Eine Abfrage polizeilicher Datenbanken erfolgt ebenfalls nicht systematisch. Das soll sich ändern, und ist nach Einschätzung vieler Regierungen auch legal. Möglicherweise wird auch hier phantasievoll uminterpretiert: Systematische Kontrollen könnten etwa nur auf bestimmte Reisewege (etwa die Türkei, die als Transitland vieler „ausländischer Kämpfer“ gilt) fokussieren und könnten auf diese Weise ebenfalls als nicht-systematisch interpretiert werden. Auch hierfür müsste aber eigebtlich der Schengener Grenzkodex geändert werden. Laut dem Anti-Terror-Koordinator seien die Mitgliedstaaten „durch technische Probleme daran gehindert“, die systematische Überprüfung von Reisedokumenten durchzuführen. Demnach treten „starke Verzögerungen beim Verbindungsaufbau“ auf, so dass Wartezeiten für die Reisenden enstehen. Einige Reisedokumente verfügen nicht über eine maschinenlesbare Zone (MRZ), so dass keine Datenbankabfrage durchgeführt werden kann.
  • Europäische Fluggastdatensammlung trotz Ablehnung des EU-Parlaments: Die Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten haben den Rat und das Europäische Parlament jetzt aufgefordert, eine europäische Fluggastdatendatensammlung zu PNR-Daten (Passenger Name Records) einzurichten, um verdächtigen Reisebewegungen von „ausländischen Kämpfern“ nachzuspüren. Bei allen Flügen in die EU würden dann sämtliche Daten, die vor dem Flug in Buchungs- und Abfertigungssystemen anfallen, an die Grenzbehörden des Ziellandes übermittelt. Den Mitgliedstaaten steht es frei, Informationen auch bei Flügen innerhalb der EU auszutauschen. Zu PNR-Daten gehören ausführliche Kontaktangaben sowie die Reiseroute, das ausstellende Reisebüro, Kreditkarteninformationen oder Essenswünsche (insgesamt bis zu 60 Datenfelder). Die Informationen sollen mindestens fünf Jahre gespeichert werden. Viele Mitgliedstaaten hatten den Richtlinienentwurf wegen zu hoher Kosten, aber auch aus Datenschutzgründen kritisiert. Der deutsche Bundesrat fordert, das EU-PNR-System nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung zu prüfen, denn die Daten würden „ohne Anlass“ gespeichert. Das Europäische Parlament hatte die Datensammlung nicht weiter beraten, nachdem der Entwurf zur neuerlichen Beratung in den Innenausschuss rücküberwiesen worden war. Trotzdem wollen die Regierungen der Mitgliedstaaten jetzt die Gunst der Stunde nutzen, um die Abgeordneten doch zum Abschluss des Abkommens zu bewegen. So steht beispielsweise der Europol-Direktor mit dem LIBE-Ausschuss „in Gesprächen“ und setzt sich dabei „für die Schaffung eines PNR-Systems der EU ein“. „Arbeiten“ hierzu sollten laut dem Rat noch vor Jahresende 2014 abgeschlossen werden. Erstmals nach der Ablehnung von 2012 wurde das Thema im November im LIBE-Ausschuss behandelt, wieder hagelte es größtenteils Kritik, während konservative Abgeordnete mehr Überwachung durch Sicherheitsapparate forderten. Die deutsche Regierung unterstützt die Einführung eines EU-PNR-Systems ausdrücklich. Im Oktober reiste ATK Kerchove mit der Kommission und dem Auswärtigen Dienst in die Türkei, um die Regierung in Ankara ebenfalls zur Weitergabe von Passagierdaten zu bewegen.
  • Mehr Austausch von „erweiterten Fluggastdaten“: Auch ohne PNR-Abkommen werden vor Abflügen längst Fluggastdaten weitergegeben. Es handelt sich dabei um die sogenannten „erweiterten Fluggastdaten“ (API). Hierzu gehören alle Daten des genutzten Reisedokuments sowie Daten zum Verkehrsmittel (Flugnummer und Airline, Abflug- und Zielort). Diese werden gewöhnlich nur bei interkontinentalen Flügen verarbeitet. Nun wird geprüft, ob die API-Daten auch bei Flügen innerhalb der EU genutzt werden könnten. Sie könnten das EU-PNR-Abkommen insofern ergänzen, als dass der Datentausch bei Flügen innerhalb EU-Mitgliedstaaten dann nicht mehr freiwillig wäre. Entsprechende Prüfungen werden nun vom Netzwerk der Flughafenpolizeien AIRPOL vorgenommen.
  • Änderung des deutschen Passgesetzes zur Weitergabe von „erweiterten Fluggastdaten“: Inmitten der Auseinandersetzungen um den Ausstieg Großbritanniens aus zahlreichen EU-Abkommen im Bereich Innen- und Justizpolitik hat die britische Regierung nun angekündigt, auf der Übermittlung von API-Daten zu bestehen. Zahlreiche europäische Airlines würden dem bereits nachkommen, deutsche jedoch nicht. Daher drohten beispielsweise der Lufthansa Landeverbote. Die Bundesregierung will deshalb das deutsche Passgesetz und das Personalausweisgesetz ändern. Zwar dürfen Beförderungsunternehmen laut dem Passgesetz personenbezogene Daten „aus der maschinenlesbaren Zone des Passes elektronisch auslesen und verarbeiten“, wenn sie aufgrund internationaler Abkommen oder Einreisebestimmungen hierzu verpflichtet sind. Für den Personalausweis, den britische Grenzbehörden für die Einreise als Dokument akzeptieren, ist das nach dem gegenwärtigen deutschen Personalausweisgesetz jedoch nicht erlaubt. Noch ist unklar, welchen Umfang die von Großbritannien geforderten Informationen haben und ob diese auch den biometrischen Teil der Ausweise umfassen. Denn diese dürfen auch nach dem Passgesetz bislang nicht ausgelesen werden. Angeblich hat die Bundesregierung wegen der angedrohten Landeverbote bei der britischen Regierung einen Aufschub erreicht. Man habe die deutsche Rechtslage „erläutert“ und zugesagt, „sich um eine Lösung der Problematik zu bemühen“. Das Auswärtige Amt habe „bereits Signale erhalten, dass der britischen Regierung nicht an einer Eskalation gelegen ist“. In anderen Worten: Hier wird ein heikles Gesetz durchgepeitscht, weil Großbritannien auf EU-Ebene für eine Verschärfung der Überwachung sorgt und dabei Zeitvorgaben macht.
  • Europol-Datensammlung zu „Travellers“: Die EU-Polizeiagentur Europol hat im April einen „Focal Point Travellers“ eingerichtet, in dem „ausländische Kämpfer“ gespeichert werden. Der „Focal Point“ ist in der „Arbeitsdatei zu Analysezwecken“ (AWF) „Counter Terrorism“ angesiedelt und verarbeitet Informationen über die „Anwerbung“ verdächtiger Personen und ihrer Reisebewegungen. Es handelt sich um eine umfangreiche Datensammlung, an der sich einzelne Mitgliedstaaten mit Zulieferungen und Abfragen beteiligen. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) macht dabei mit. Europol verfügt über insgesamt 20 „Focal Points“. Einer davon lautet „islamistischer Terrorismus“, dürfte also teilweise deckungsgleich sein mit dem „Focal Point Travellers“. Außer EU-Mitgliedstaaten nehmen Australien, Norwegen und die Schweiz am „Focal Point Travellers“ teil. Serbien, Mazedonien sowie die US-Grenz- und Zollbehördenbeabsichtigen laut der Bundesregierung eine Teilnahme. Europol und die EU-Grenzagentur Frontex haben im November 2014 eine Vereinbarung über den Austausch personenbezogener Daten geschlossen, die dann dem jeweiligen Verwaltungsrat der beiden Agenturen und anschließend an den Datenschutzbehörden vorgelegt wurde. Diese könnten dann auch für den „Focal Point Travellers“ genutzt werden. Laut dem Anti-Terrorkoordinator wurde zu „ausländischen Kämpfer“ im Oktober 2014 eine Gruppe „DUMAS“ eingesetzt, die von Italien geleitet und von Europol unterstützt wird. Ihr Hauptaugenmerk liege auf „Ausschreibungslisten von Reisenden (Mitvorreiter Österreich), Outreach-Maßnahmen (Mitvorreiter Ungarn und Spanien), bewährte Vorgehensweisen (Mitvorreiter Frankreich, Vereinigtes Königreich), Indikatoren (Mitvorreiter Deutschland, Luxemburg) und Schleuser (Mitvorreiter Spanien, Vereinigtes Königreich)“. Zudem führe Europol eine Machbarkeitsstudie durch, mit der die von dem EU-Netz der Zentralstellen für Geldwäsche-Verdachtsanzeigen (FIU.NET) eingesetzte „Ma3tch-Technologie“ im „Europol-Kontext“ eingesetzt werden könnte. Dadurch könnten „die lokale Quellen hochvertraulicher Informationen durch ein dezentralisiertes Computersystem virtuell vernetzt“ werden, was laut ATK Kerchove eine „Identifizierung von Informationen nach dem Grundsatz ‚Kenntnis nur, wenn nötig‘ in Echtzeit ohne Übermittlung der Informationen an Europol“ ermöglichen würde.
  • Interpol-Programm gegen „ausländische Kämpfer“: Die internationale Polizeiorganisation Interpol hat laut einer Pressemitteilung ein eigenes Programm zur Verfolgung „ausländischer Kämpfer“ zur Umsetzung der UN-Resolution 2178 gestartet. Eine Resolution unterstreicht die Rolle von Interpol hinsichtlich des „sicheren Kommunikationsnetzwerks“, der Nutzung seiner Datenbanken, seiner elektronischen Sammlung von gestohlenen Reisedokumenten (SLTD) und weiterer „Anstrengungen gegen Terrorismus“ („counter-terrorism efforts“). Die Organisation soll „nationale, regionale und internationale Maßnahmen“ ergreifen, darunter die Ausweitung von Benachrichtigungssystemen und die Verhinderung von Reisen bzw. Grenzübertritten. Das neue Interpol-Programm gegen „ausländische Kämpfer“ basiert auf einer engen Zusammenarbeit mit dem Interpol-Zentralbüro der USA in Washington. Hierfür sei eine Partnerschaft mit dem Nationalen Sicherheitsrat der USA, dem US-Justizministerium und dem US-Heimatschutzministerium begonnen worden. Worin die Kooperation genau besteht bleibt unklar.
  • Mehr Ausschreibungen über Interpol: Interpol bietet seinen Mitgliedstaaten einen multilateralen Informationsaustausch an und betreibt dafür einen gesciherten Kommunikationskanal. Die Organisation richtet auch Tagungen und Arbeitstreffen aus. Über Interpol werden Ausschreibungen verteilt (die sogenannten Buntecken), etwa zur Fahndung (rot), zur Beobachtung (blau) oder zur Warnung vor unliebsamem Verhalten (grün). Mit Stand vom 20. Oktober 2014 sind laut der Bundesregierung 820 „Fahndungsdurchgaben und Buntecken“ von 32 Mitgliedsländern zu „ausländischen
    Kämpfern“ veröffentlicht worden.
  • Verstärkte Zusammenarbeit von Europol und Interpol: Schon jetzt kooperieren die beiden Polizeiorganisationen in mehreren Projekten, seit 2001 besteht ein Abkommen zur operativen Zusammenarbeit. Das US-Militär kam bereits vor mehreren Jahren in Zusammenarbeit mit dem US-Justizministerium auf die Idee, Datentauschringe mit Europol und Interpol zu vermeintlich „identifizierten ausländischen Terroristen“ einzurichten. Verarbeitet werden Personendaten, Fingerabdrücke aus Ausweisdokumenten, Telefonnummern, E-Mail-Adressen und sonstige Kontaktdaten. Interpol ist mit seiner Abteilung „Counter-Terrorism, Public Safety & Maritime Security Directorate“ involviert und ist offizieller Träger des Projekts. Laut einer Pressemitteilung werden Informationen mit Behörden in mehr als 60 Staaten geteilt. Vermutlich ist hierfür die „Fusion Task Force“ (bis 2002: „Interpol Fusion Centre“) zuständig, die von Interpol zum „Kampf gegen Terrorismus“ eingerichtet wurde. Die „Fusion Task Force“ ist mit fast 300 nationalen Kontaktstellen in 145 Interpol-Mitgliedstaaten vernetzt. Auch das BKA hat einen sogenannten „Fusion Contact Officer“ entsandt. Die Zahl der MitarbeiterInnen soll jetzt wegen „ausländischer Kämpfer“ erhöht werden, damit diese „an internationalen Treffen zur Thematik sog. ausländischer Kämpfer, etwa bei Europol, VN, OSZE, NATO und EU“ teilnehmen können. Europol unterhält ebenfalls ein „Fusion Centre“, das mehr mit Interpol zu „ausländischen Kämpfern“ zusammenarbeiten soll. 2013 haben Europol und Interpol einen „Joint Annual Action Plan“ für die Jahre 2013 und 2014 verabschiedet, um die Qualität und Verfügbarkeit von Daten zu verbessern. Eine Ausdehnung der Zusammenarbeit auf weitere Bereiche ist laut der Bundesregierung geplant, etwa durch Assoziierung von Interpol zu weiteren „Focal Points“ bei Europol und einer „besseren Koordinierung bei der einsatzbezogenen Unterstützung“. Die Zusammenarbeit von Europol und Interpol könnte sich intensivieren, nachdem der langjährige BKA-Vizepräsident Jürgen Stock offiziell in das Amt des Generalsekretärs von Interpol eingeführt ist. Stock gilt als Experte für den internationalen Datentausch.
  • Vorgeschriebene Abfrage von Interpol-Datenbanken: Die internationale Polizeiorganisation unterhält eine Datenbank für gestohlene und verlorene Reisedokumente (SLTD-Datenbank), die aber nicht von allen 190 Mitgliedstaaten genutzt wird. Laut Interpol enthalte die Datensammlung 43 Millionen Einträge. Nach dem Verschwinden des malaysischen Flugzeugs MH370 und dem Bekanntwerden, dass zwei Personen mit als verlustig gemeldeten Pässen an Bord gelangten, schlug Interpol verpflichtende Abfragen dern SLTD-Datenbank durch Grenzbehörden vor. Damals ließ sich die Forderung nicht durchsetzen, zur Bekämpfung „ausländischer Kämpfer“ ging das sehr plötzlich: Eine Arbeitsgruppe zur Ausgestaltung erarbeitete Empfehlungen, die auf dem Treffen der EU-Innenminister Anfang Oktober in „Schlussfolgerungen des Rates zur verstärkten Nutzung der Interpol-Datenbank für gestohlene und verlorene Reisedokumente“ und schließlich in einer Interpol-Resolution mündeten. Nun soll die Datenbank bei jeder Suche im Schengener Informationssystem gleichzeitig abgefragt werden. Auch die Internationale Zivilluftfahrt Organisation (ICAO) prüft, ob entsprechende Empfehlungen verabschiedet werden.
  • Abfrage von Interpol-Datenbank auch durch Private: Interpol beabsichtigt, dass unter dem Namen „I-Checkit“ auch Privatfirmen das SLTD-Register gestohlener oder verlorener Dokumente abgefragen können, etwa wenn ein Bankkonto eröffnet, ein Auto gemietet oder in ein Hotel eingecheckt wird. Hierzu hatte Interpol die Meldung lanciert, „ausländische Kämpfer“ würden mittlerweile auch Kreuzfahrtschiffe nutzen, um unerkannt in die Türkei reisen zu können, allerdings keine Belege dafür präsentiert. Erste Tests von „I-Checkit“ haben mit Fluglinien wie AirAsia und nicht näher benannten Hotels stattgefunden. Die Interpol-Generalversammlung hat die Fortführung der Tests beschlossen und angeregt, das Verfahren auf eine „große Bandbreite anderer Partner“ auszudehnen. Qatar Airways kündigte an, als erste an „I-Checkit“ teilnehmen zu wollen. Laut der Bundesregierung sind „zwei Verfahrensvarianten zur Umsetzung“ vorgesehen: Entweder wird im Trefferfall eine Nachricht an die betroffenen Nationalen Zentralbüros und das private Unternehmen generiert. Das Unternehmen erhält ein „grünes“, „gelbes“ oder „rotes Licht“ als Rückmeldung. Das gelbe Licht zeigt an, wenn eine Überprüfung nicht möglich war, etwa wenn ein Mitgliedsland nicht an „I-Checkit“ teilnimmt. In einer zweiten Variante erhalten nur die betroffenen Nationalen Zentralbüros, nicht aber das private Unternehmen eine Mitteilung über Treffer. Auch „Mischvarianten“ sind möglich. Die Ergebnisse der Pilotphase sollen auf der Generalversammlung 2015 vorgestellt und dann über den Fortgang des Projekts entschieden werden. Ein „Roll Out“ ist für 2016 geplant. Die Bundesregierung steht dem Vorhaben nach eigener Aussage kritisch gegenüber und beteiligt sich zunächst nicht.
  • Aufspüren und Bekämpfen von „Terrorismusfinanzierung“: Kriminalpolizeien wie das BKA unterhalten sogenannte „Financial Intelligence Units“ zur Ausforschung verdächtiger Finanzströme. Auf diese Weise sollen auch terroristische Netzwerke aufgespürt werden. Genutzt werden die Vorratsdatenspeicherungen von Finanzdaten, die von Banken und Kreditinstituten geführt werden müssen. Im Falle der „ausländischen Kämpfer“ sind vor allem Finanzströme in Syrien von Interesse. Laut dem früheren Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar diene das Argument eins „Kampfes gegen den Terrorismus“ oft„als eine Art Türöffner zu den Kontodaten“. Abfragen würden „oftmals ohne Begründung und ohne Nachricht an den Betroffenen“ durchgeführt. Die nun angekündigten Verschärfungen im „Kampf gegen Geldwäsche“ hinsichtlich einer „Terrorismusfinanzierung“ könnten also zur weiteren Zunahme entsprechender Abfragen führen. Tatsächlich erklärte die Bundesregierung diese Woche, es seien „Fälle bekannt geworden“, in denen „Beschuldigte aus dem islamistisch-terroristischen Spektrum“ Sozialhilfeleistungen bezogen haben. Die konkrete Verwendung der Gelder zur Finanzierung terroristischer Aktivitäten könne nicht im Detail nachgewiesen werden. Dies gelte auch für die Nutzung von anonymen Geldkarten zur „Verschleierung der digitalen Transaktionswege“. Eine weitere Ausweitung von Abfragen auch bei Sozialbehörden ist also zu erwarten.
  • „Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung“ innerhalb der Financial Action Task Force (FATF): Die G7-Staaten hatten 1989 die Bedeutung von Finanzermittlungen erkannt und hierfür die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) gegründet. Sie gehört zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und hat derzeit 36 Mitglieder, Deutschland gehört zu den Gründern. Die Organisation entwickelt Standards zur Bekämpfung von Geldwäsche, aber auch der Finanzierung von Terrorismus und Waffenhandel. Unter anderem analysiert die FATF veränderte Methoden. Ihre „40 Empfehlungen“ enthalten auch eine „proaktive Strafverfolgung“. Wie die EU regt auch die FATF die Einrichtung neuer, übergreifender „nationaler Zentren“ aus mehreren Behörden an. Sie sollen in jedem Mitgliedstaat als Kontaktstelle zur Entgegennahme, Analyse und Weitergabe von Meldungen über verdächtige Transaktionsmeldungen dienen. Im Oktober 2014 hat die FATF ein Papier zur Bekämpfung des „Islamischen Staat“ veröffentlicht. Demnach sollen Staaten auch dann Ermittlungen zur „Terrorismusfinanzierung“ vornehmen, wenn eine direkte Verbindung zu einem „terroristischen Akt“ fehlt. Auf „robuste Weise“ sollen Sanktionen gehen Personen und Organisationen verhängt und die Betroffenen schnellstmöglich auf entsprechenden Listen geführt werden. Der „Islamische Staat“ soll am Zugang zu internationalen Finanzmärkten gehindert werden. Regierungen müssten Systeme errichten, um ankommende und abgehende Anweisungen zur Auszahlung von Geldbeträgen transparent zu machen. Werden deren InhaberInnen als verdächtig eingestuft, dürfen Behörden die Anweisungen konfiszieren. Sämtliche Empfehlungen waren im November Thema auf einer Konferenz in Bahrain. Auch die Bundesregierung will die FATF-Empfehlungen umsetzen: Im Oktober hieß es, bis Ende des Jahres sei beabsichtigt einen Gesetzesentwurf zur „Strafbarkeit für das Waschen eigener Erträge durch Vortatbeteiligte“ vorzulegen. Im Bereich der „Terrorismusfinanzierung“ soll bis Ende 2014 ein Entwurf eines eigenständigen Straftatbestands der „Terrorismusfinanzierung“ ausgearbeitet werden.
  • Stärkere Nutzung des „Programms zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus“: Das zwischen der EU und den USA abgeschlossene „Programm zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus“ (TFTP) ist eher bekannt unter dem Begriff „SWIFT-Abkommen“: Seit 2010 existiert der erneuerte Vertrag zum transatlantischen Datentausch von Finanzdaten des belgischen Finanzdienstleisters SWIFT. Das US-Finanzministerium erhält auf Anfrage Informationen über internationale Finanztransaktionen, Stammdaten, Post- oder Mailadressen der KontoinhaberInnen oder deren Telefonnummern. Damit können dann andere Vorratsdatenspeicherungen nach „Kreuztreffern“ durchsucht werden. GegnerInnen des EU-US-Abkommens hatten als Alternative die Errichtung eines gleichlautenden EU-Systems, dem TFTS, gefordert. Die EU-Kommission kommt nach einer Studie zu dem Schluss, dass ein neues, europäisches System zur Analyse von Finanzdaten keinen Mehrwert habe. Stattdessen sollten europäische Strafverfolgungsbehörden ihre Abfragen (europäischer!) Finanzströme lieber weiterhin über die USA ausführen. Im Zuge der Kontrolle „ausländischer Kämpfer“ kommt dem TFTP aus Sicht der Kommission eine erweiterte Bedeutung zu. Die Mitgliedstaaten sollen das Programm umfassend nutzen. Entsprechende Abfragen zu „transnational agierenden Terroristen“ sind bereits gestiegen und hätten angeblich zu Ermittlungserfolgen geführt.
  • Maßnahmen gegen „terroristische Onlineaktivitäten“: Vor ihrer Oktober-Sitzung trafen sich die Innenminister der EU-Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission mit den Internetkonzernen Twitter, Google, Microsoft und Facebook. Ziel eines informellen Abendessens war, „Instrumente und Techniken“ zu entwickeln, um „terroristischen Onlineaktivitäten“ entgegenzutreten. Laut der Bundesregierung sei es um „Internetbezogene Sicherheitsaufgaben im Kontext der Beziehungen zu Großunternehmen der Internet-Branche“ gegangen, auch „Verfahrensanforderungen“ seien erörtert worden. Außer „Möglichkeiten der Verhinderung der Verbreitung von Hinrichtungsbildern für Propagandazwecke“ sei auch die Nutzung von Accounts in sozialen Netzwerken durch „Terrororganisationen“ Thema gewesen. Laut dem Anti-Terror-Koordinator geht es darum die „Kapazität Europas, für das Entfernen illegaler Inhalte zu sorgen, auszubauen“. Das Personal einer solchen „europäischen Stelle“ solle aus „Vertretern sowohl des öffentlichen als auch des privaten Sektors“ bestehen. Das Treffen im Oktober habe der „Vertrauensbildung und Schaffung von Transparenz“ gedient. In Großbritannien ist hierzu beispielsweise die „Counter Terrorism Internet Referral Unit“ (CTIRU) beaufragt, „illegale terroristische Inhalte zu ermitteln und an Partner aus der Wirtschaft zu melden“. Die Niederlande und Frankreich haben laut Kerchove „nationale Systeme geschaffen, mit denen – auf der Grundlage verschiedener Ansätze – dieselben übergeordneten Ziele verfolgt werden“. Diese sollen geprüft werden, „um interessierten Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, sie sich in geeigneter Weise unter angemessener Beachtung des lokalen Kontextes und des nationalen Rechtsrahmens zu Nutze zu machen“. unter Federführung der Niederlande wird eine „Europäische gemeinsame Initiative zu Internet und Terrorismusbekämpfung“ („European Joint Initiative on Internet and Counter Terrorism“, EJI-ICT) betrieben, die „gemeinsame Strategien gegenüber der Wirtschaft“ ausarbeiten und mit ihr zusammenarbeiten soll, um inkriminierte Inhalte „unter Einsatz einer Palette von Instrumenten, darunter auch Maßnahmen der Strafverfolgung, zu verringern“. Inzwischen hat hierzu ein weiteres „Arbeitstreffen“ von Innenministerien aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg stattgefunden. Konkrete Inhalte sind unklar. Allerdings gehe es laut der österreichischen Innenministerin Mikl-Leitner vor allem darum, dass „terroristische Inhalte möglichst rasch aus dem Internet genommen werden, um keinen Keim zu säen“. In der gleichen Pressemitteilung ist davon die Rede, dass Mikl-Leitner hierzu das „Google Entwicklungszentrum Zürich“ besucht habe, das als der „größte Entwicklungsstandort der Firma außerhalb der USA“ beschrieben wird. Die Innenministerin habe sich dort angesehen, „an welchen Entwicklungen Google-Experten arbeiten, um verhetzende Inhalte zu erkennen“. Auch auf dem G6-Treffen europäischer InnenministerInnen war das Thema mehrmals auf der Agenda. Zusammen mit Ministerien aus den USA und Kanada wurde ein „strukturierter Dialog mit den großen Netzbetreibern“ verabredet. Diese sollen laut dem deutschen Innenminister Inhalte von sich aus sperren oder löschen („aus eigenem Interesse diese Quelle des digitalen Dschihad dadurch austrocknen, dass sie solche Inhalte selbst aus dem Netz entfernen“). Die Konzerne sind vom „eigenen Interesse“ offensichtlich nicht überzeugt, denn es handele sich laut dem Minister noch um einen „dringenden Appell“. Die Generalversammlung von Interpol beschloss Anfang November ebenfalls, stärker gegen eine „terroristische Nutzung“ des Internet vorzugehen. Damit wird wohl der neue „Global Complex for Innovation“ (IGCI) beauftragt, den Interpol derzeit in Singapur errichtet. Der Komplex soll ähnlich wie Europol neue, digitale Ermittlungstechniken entwickeln. Das IGCI sollte ursprünglich noch dieses Jahr in Betrieb genommen werden, wird aber nach einer zunächst symbolischen Feier im Oktober erst im April 2015 seine Arbeit aufnehmen.
  • Gegenpropaganda als „Strategische Kommunikation zur Terrorismusbekämpfung“: Die EU-Kommission stellt 1 Million Euro bereit, um die Mitgliedstaaten bei einer „strategischen Kommunikation zur Terrorismusbekämpfung“ zu unterstützen und schuf ein „EU-Beratungsteam für strategische Kommunikation in Bezug auf Syrien“. Mitgliedstaaten sollen sich dem „Netzwerk des EU-Beratungsteams“ anschließen und auf dessen Erfahrung und Fachwissen zurückzugreifen. Die fünf Innenministerien aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg verabredeten, noch 2014 einen „Workshop zur Erarbeitung von Präventionsvideos“ in Wien zu veranstalten. Auch Deutschland will sich ausweislich einer Mitteilung des Innenministeriums Österreichs daran beteiligen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtete im November über eine Forderung des Bundesinnenministers, „der Propaganda von Islamisten mit einer Aufklärungsoffensive zu begegnen“. „Islamisten wie jene von der Terrormiliz“ hätten „bei der Propaganda im Internet erheblichen Vorsprung“. De Maizière wirbt dafür, die „öffentliche Propagandahoheit dieser Szene“ durch „eine Art Gegenoffensive“ zu kontern. Diese Aufgabe könnte demnach von der Bundeszentrale für politische Bildung übernommen werden. Im November forderte der EU-Anti-Terror-Koordinator, die Umsetzung der überarbeiteten „Strategie der EU zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus“ zu beschleunigen. Die entsprechenden Leitlinien stünden „kurz vor der Annahme“. Die Kommission wolle hierzu „in Kürze“ mit der Schaffung eines „Exzellenzzentrums für Prävention“ im Rahmen des EU-Aufklärungsnetzwerks gegen Radikalisierung (RAN) beginnen. Der Schwerpunkt der Arbeit des Zentrums liege darauf, Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung von konkreten Vorhaben auch in Bezug auf das Internet zu unterstützen.
  • Nutzung des „Globalen Forums zur Bekämpfung des Terrorismus“: Auf Initiative der USA haben mehrere Staaten und supranationale Organisationen 2011 das „Global Counterterrorism Forum“ (GCTF) eingerichtet. Zu den Gründern gehört auch Deutschland, zur Eröffnung reisten Angehörige des Auswärtigen Amts und des Bundesinnenministeriums an. Ziel ist die Identifizierung dringender Maßnahmen zur Abwehr von „Terrorismus“ und „gewalttätigem Extremismus“. Das GCTF soll Lösungen erarbeiten und „Ressourcen“ zu ihrer Umsetzung bereitstellen. Mittleweile hat das GCTF in Abu Dhabi ein „Kompetenzzentrum zur Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus“ ins Leben gerufen. Sein Zweck wird mit „Training, Dialog, Zusammenarbeit und Forschung“ angegeben. Unter Federführung der Niederlande und Marokkos wurde ein Arbeitsschwerpunkt „ausländische Kämpfer“ eingerichtet. Die Mitglieder des GCTF werden jetzt aufgerufen, die Zusammenarbeitsformen verstärkt zu nutzen. Über das GCTF kann auch mit anderen „Schlüsselländern“ zusammengearbeitet werden. Hierzu gehören Libyen, Algerien, Ägypten, Jordanien, Libanon, Marokko, Tunesien, die Türkei und der Irak.

Nur wenige der beschriebenen Maßnahmen werden von Bürgerrechtsgruppen überhaupt beachtet, vielfach findet eine kritische Behandlung lediglich in den Parlamenten statt. Eine Ausnahme bildet der Plan zum Aufbau einer EU-Fluggastdatensammlung, der nach heftiger Kritik durch das EU-Parlament 2012 zunächst auf Eis gelegt wurde.

Auf welche Weise die PNR-Vorratsdatenspeicherung trotzdem durch die Hintertür durchgedrückt wird, erklärte die EU-Abgeordnete Sophia in ‚t Veld in der November-Sitzung des LIBE-Ausschusses. Bis vor anderthalb Jahren verfügte lediglich Großbritannien über ein PNR-System. Mittlerweile hat aber die EU-Kommission den Aufbau von 15 weiteren, nationalen Systemen finanziert. Nun wird behauptet, dass diese in einem Zentralsystem „harmonisiert“ werden müssten, die Einführung eines EU-PNR also unentbehrlich sei. Ein Land wie die Niederlande, das kein PNR-System beschaffen will, würde durch eine entsprechende EU-Richtlinie zur Einführung gezwungen.

Einmal eingerichtet dürfte jeder Widerstand zwecklos sein: Gewöhnlich werden Gesetzesverschärfungen, neue Kompetenzen von Polizeibehörden oder neue Datenbanken nicht mehr zurückgenommen. Vielmehr ist eine weitere Ausweitung zu erwarten.

Das Phänomen der „ausländischen Kämpfer“ soll also Maßnahmen begründen, die längst in der Pipeline sind, aber politisch zunächst nicht durchsetzbar waren. „Extremismus“, „Terrorismus“ oder „Radikalisierung“ sind Container-Begriffe und dadurch geeignet, sie jederzeit politisch neu zu definieren. Dann können sie gegen andere unliebsame Bewegungen in Stellung gebracht werden.

Viele der Vorschläge sind technischer Natur und sollen digitale Analysefähigkeiten einführen oder verbessern. Ihr Nutzen ist aber meistens nicht belegt. Hinzu kommt, dass die wenigen Erfolge digitaler Bewegungen übergangen werden, wenn nun neue Vorratsdatensammlungen entstehen oder die Zweckbestimmung vorhandener Systeme ausgeweitet wird. Es ist also höchste Eile geboten, die feuchten Träume der Innenminister nicht ohne weiteres Realität werden zu lassen.

[1] Die beschrieben Maßnahmen beziehen sich lediglich auf die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden. Zwar wird stets bekräftigt, auch die Geheimdienste müssten mehr kooperieren. Bekannt ist dazu aber wenig, etwa dass auf Ebene der Europäischen Union das Lagezentrum „Intelligence Analysis Centre“ (EU INTCEN) stärker eingebunden werden müsste und hierzu auch mit „Drittstaaten“ kooperiert werden solle. Vermutlich wird aber auch die militärische geheimdienstliche Struktur des „EUMS INT Direktorat“ mehr gefordert.

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6 Ergänzungen

  1. „Diskutiert wurden Filtertechnologien, um Inhalte präventiv zu löschen“.

    Präventiv löschen??? Interessanter Euphemismus für die gute alte Zensur. Innenminister, klar, wer sonst. Und für das „Platzieren von ‚counter-narratives'“ müßte man dann wohl ein Propagandaministerium einführen. Aber vielleicht versucht man’s ja auch mit Liebe und Wahrheit. Klingt gleich viel besser :)

    1. wäre schön, mehr über diesen Punkt zu erfahren. Habt Ihr da noch mehr Docs zu? Das widerspricht ja so ungefähr allem was ich in der Schule unter „Rechtsstaat“ gelernt habe.

  2. Beim Lesen hatte ich zwei Gedanken
    1. haben die Herrschaften schon mal darüber nachgedacht, dass solche Entwicklungen die Ursache dafür sein können, dass Menschen radikalisiert werden (weil man mit legalen Mitteln all das nicht mehr rückgängig machen kann)?
    2. bin ich froh, dass ich so alt bin wie ich bin und das alles nicht mehr ewig mitmachen / untätig ertragen muss.

    1. Na klar. Die Entwicklung bei den letzten Wahlen (FDP raus, Piraten untergegangen, AfD rein) zeigt doch, was das Volk will, da verlässt einen alle Hoffnung. Arbeitslose Honks radikalisieren sich, wandern aus und finden Halt in einem falsch interpretiertem Islam.Politik an der Demokratie und am Volk vorbei. Und wenn dann noch grosse Teile des Volks ihre Wahlentscheidung so treffen, wie zur letzten Bundestagswahl, dann wird es Zeit für eine neue 3-Buchstaben-APO-Nachfolge-Organisation.

  3. „Der CDU/ CSU ist das noch zu wenig, weshalb beide Fraktionen kürzlich “Eckpunkte für einen besseren Schutz vor Djihadisten und ihren Anhängern in Deutschland” veröffentlicht haben.“

    Wie wäre es mal mit Angela Merkel festnehmen? Die war damals in die USA gereißt um dem Terroristen Bush ihre Unterstützung kund zu tun. Festnahme erfolgt aufgrund von StGB 80a.[1]

    [1] http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__80a.html

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