SPD-Veranstaltung #reclaimyourdata: Konsequenzen aus dem NSA-Skandal und Impulse für eine gute Netzpolitik

reclaimyourdataLetzte Woche veranstaltete die SPD Neukölln eine Diskussionsveranstaltung zum Thema „#reclaimyourdata: Konsequenzen aus dem NSA-Skandal und Impulse für eine gute Netzpolitik“. Davon gibt es einen Video-Mitschnitt von Tilo Jung sowie Berichte von Fritz Felgentreu (SPD) und Tobias Schwarz (Grüne). Hier ein Bericht vom (parteilosen) Gastblogger Heiko Stamer, Bürgerrechtsaktivist im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Der kurze Bericht erhebt keinen Anspruch auf absolute Korrektheit, Neutralität oder Vollständigkeit. Die Meinung ist die des Autors.

Wahlkampf-Veranstaltung in Berlin-Neukölln

Die Veranstaltung fand in den Räumen des Agora Collective in Berlin-Neukölln statt und war mit ca. 70 Personen sehr gut besucht. Dies ist sicherlich auch der großen Aktualität des Themas und den neuerlichen Enthüllungen von Edward Snowden/Glenn Greenwald zum Analysesystem XKeyscore geschuldet. Schließlich hatte vermutlich auch die SPD in ihren Reihen kräftig mobilisiert, denn der Bundestagswahlkampf ist bekanntlich in vollem Gange. Ausrichter der Veranstaltung war der lokale SPD-Bundestagskandidat Fritz Felgentreu, welcher in seinen eröffnenden Worten Edward Snowden Respekt zollte und das Motto #ReclaimYourData sinngemäß mit der Frage verband, ob wir unsere Daten eigentlich auf DVD bei der NSA abholen können.

Auf dem Podium saßen neben dem Moderator folgende Personen: Gesche Joost (Professorin an der Universität der Künste (UdK) Berlin; in Steinbrücks Kompetenzteam für Netzpolitik zuständig; beschäftigt sich u.a. auch mit Genderfragen), Tilo Jung (freier Chef-Redakteur und Journalist, u.a. durch (YouTube-)Formate bekannt wie „Jung & Naiv“) und Yannick Haan (im Forum Netzpolitik SPD-Berlin aktiv). Bereits die Vorstellungsrunde bot einige interessante Einblicke zu den Protagonist*innen (ich verwende im folgenden die Vornamen, wie es auch in der Veranstaltung selbst praktiziert worden ist): Gesche beschäftigt sich in ihrer Forschung an der UdK u.a. mit sog. „wearable computing“, d.h. in Kleidung eingenähte Microchips, die den Alltag verbessern sollen. Außerdem gibt es wohl eine Zusammenarbeit bzw. Unterstützung des SeniorInnen Computer Club (Fischerinsel Berlin), ein Zusammenschluss älterer Menschen, die sich dort mit Computertechnik beschäftigen und voneinander lernen. Tilo ist 27 Jahre alt und in vielen bekannten sozialen Netzwerken aktiv/angemeldet.

Von PRISM zur Vorratsdatenspeicherung


Zuerst wurde vom Moderator die Frage gestellt, wie die Enthüllungen um PRISM etc. ganz persönlich aufgenommen worden sind. Bereits hier wurde sehr schnell der Bezug zur Vorratsdatenspeicherung deutlich: Gesche sprach davon, dass die Enthüllungen einen „Vorhang weggezogen“ hätten und verwies auf die aktuell bekanntgewordenen Ungeheuerlichkeiten von XKeyscore. Ihr „positives Bild“ vom Internet als neues, partizipatives Medium wurde erschüttert. Als Konsequenzen benannte sie:

  1. von der Politik muss endlich deutlich gemacht werden, dass diese Überwachung aufhören muss,
  2. wir sollten Verbündete suchen, um unsere Vorstellungen international auch durchsetzen zu können.

Tilo machte klar, dass die Enthüllungen zur Überwachung durch NSA und GCHQ keine Auswirkungen auf seine Internetnutzung gehabt haben und auch nicht haben sollten. Einige, früher eher als Verschwörungstheorien abgetane, Vermutungen hätten sich bestätigt. Die Problematik (warum sich z.B. kein umfassender Protest bildet) sieht er u.a. in einer Verteidigungshaltung („Ich hab es ja sowieso schon gewusst.“) und mangelnder Vermittlung („Die Bevölkerung muss es kapieren.“). Auch machte er die Aussage, dass die aufgedeckten Programme „umfangreicher als die Stasi“ wären, wobei sich hier – ob des Vergleichs – auch etwas Widerspruch auf dem Podium und im Publikum regte.

SPD als „Partei für Vorratsdatenspeicherung“

Schließlich betonte er, dass „auch die SPD wie alle anderen Parteien mit drin steckt“, d.h. in ihrer Regierungszeit zumindest im Kanzleramt/Innenministerium Anhaltspunkte für diese flächendeckende Überwachung gehabt haben müsste. Hierauf kam Jannick an die Reihe, der gleich feststellte, dass die SPD als „Partei für Vorratsdatenspeicherung“ gesehen wird, und die Vorratsdatenspeicherung-ablehnenden Leute aus der SPD-Netzpolitiksparte dafür dann häufig „Prügel abbekommen“. Zur Erklärung verwies er, dass die SPD in dieser Frage eine sehr heterogene Partei ist, also anders als z.B. Grüne, Linke oder Piraten, und dass netzaffine SPD-Leute alles versuchen, um den Kurs in Sachen Vorratsdatenspeicherung zu ändern, bisherige Versuche (Parteitagsantrag) aber erfolglos waren.

Nun lenkte die Moderation die Diskussion zur Frage, wie es um das Verhältnis von PRISM und Vorratsdatenspeicherung (sicherlich auch durch den kürzlich veröffentlichten Artikel von Sascha Lobo) steht. Yannick sah hier Ähnlichkeiten aber auch Unterschiede, so dass die Situation differenziert zu betrachten wäre. Dabei erwähnte er, dass bei der Vorratsdatenspeicherung der Zugriff auf die Daten nur bei konkretem Verdacht und nur mit Richtervorbehalt möglich wäre. (Ich habe das später in der Diskussion hinsichtlich des unbegrenzten Zugriffs der Geheimdienste bzw. verschiedenen EU-Ausprägungen der Vorratsdatenspeicherung richtiggestellt.)

„Window of Opportunity“ gegen EU-Richtlinie

Gesche sah in diesem Zusammenhang ein „Window of Opportunity“, welches jetzt genutzt werden müsste, um die EU-Richtlinie zu kippen. Auch hegte sie die Hoffnung, dass der EuGH mit seiner anstehenden Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung diese Position unterstützen könnte. Sie erwähnte auch, dass es der EU-Kommission bisher nicht gelungen ist, stichhaltige Beweise für die Effizient und Verhältnismäßigkeit der Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie zu liefern. Genauso wie Jannick sieht sie aber erhebliche Unterschiede zwischen Vorratsdatenspeicherung und PRISM, wobei sie einerseits die „anlasslose Speicherung“ anführte und andererseits auf „full take“ und den unreglementierten Zugriff mittels XKeyscore abstellte. Schließlich betonte sie, dass Datenschutz schon immer ein wichtiger Punkt (auch in Bezug auf Netzpolitik allgemein) gewesen ist, und konterkarierte damit unausgesprochen eine ältere Aussage vom ehemaligen SPD-Innensenator Körting, der auf dem 9. Bundeskongress der Gewerkschaft der Polizei am 13.11.2006 geäußert hatte: „Datenschutz ist kein Wert an sich“.

BND-Zentrale einnehmen

Tilo lenkte die Debatte wieder in einen etwas größeren Kontext und sah es als legitime Forderung an, nicht nur mit 200 Menschen vor der neuen BND-Zentrale zu demonstrieren, sondern sie mit 200.000 Menschen quasi einzunehmen. „Wir brauchen keine Geheimdienste“ war seine stärkste These, die wegen angeblicher Themenfremdheit beim Moderator aber keine Begeisterung hervorrief. Außerdem forderte Tilo eine Art „internationale Gauck-Behörde“, die die Datensammlungen der Geheimdienste aufklären und den Menschen Zugang zu diesen Informationen gewähren soll.

Vom Moderator wurde Gesche dann gefragt, wie im Kompetenzteam die aktuelle Stimmung zur Vorratsdatenspeicherung wäre. Daraufhin antwortet sie, dass dieses Thema beim nächsten Treffen (Dienstag) auf der Agenda stände. Als erster Schritt wäre mit Thomas Oppermann abgesprochen, dass auf EU-Ebene gegen die Richtlinie vorgegangen werden müsste (Anm.: also eine ähnliche Position, wie sie zuletzt auch Wolfgang Wieland von den Grünen äußerte), da sonst hohe Strafzahlungen (hunderttausend Euro täglich) drohten. Daraufhin entgegnete Tilo unter Bezugnahme auf Gesches Aussage zum sofortigen Stopp von PRISM, dass PRISM & Co. und die Vorratsdatenspeicherung „zwar verschiedene Töpfe, aber immer noch TÖPFE sind“.

Geheimdienst-Überwachung und Datenschutz-Grundverordnung

Die Diskussion entwickelte sich dann auch in Richtung der Datenerhebung von PRISM/XKeyscore, also von Unternehmen wie Google, Facebook usw., wobei von Gesche dann häufig auf die EU-Datenschutzgrundverordnung als zu nutzendes Instrument verwiesen wurde, wobei dann zu Recht entgegnet worden ist, dass damit nur das Verhältnis zwischen Bürger und Unternehmen, nicht jedoch der Zugriff des Staates geregelt wird (EU-Datenschutzrichtlinie).

Der Moderator brachte dann die geläufige Frage auf, wie denn die „Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“ zu bewerten wäre. Gesche brachte hier den Vergleich zu einem Pendel, welches je nach aktueller Regierung-/Stimmungslage in die eine oder andere Richtung ausschlägt. Insgesamt sieht sie das Internet jedoch als DAS „freiheitliche Medium“ und warnte vor einem „kulturellen Verlust“ durch Einschränkungen, wie sie beispielsweise jetzt durch die Enthüllungen bekannt geworden sind. Auf die Frage, welches Verhältnis die Politik zu potentiell auf US-Servern und bei US-Unternehmen lagernden Daten einnehmen sollte, stellte sie zuerst fest, dass BfV-Präsident Maaßen mit seinem neulichem Statement quasi eine „Bankrotterklärung“ abgegeben habe. Nach ihrer Meinung müsste die Politik versuchen, unsere Grundrechte gerade auch gegenüber anderen Staaten zur Geltung zu bringen, sei es europäisch durch die (zwar von Lobbyismus verwässerte) Datenschutzgrundverordnung oder international durch UN-Gremien bzw. völkerrechtliche Instrumente.

Nicht nur Verschlüsseln für Eliten

Jannick warf dann in der Diskussion ein, dass es „fatal“ wäre, wenn nur eine „kleine Elite verschlüsseln“ und sich damit schützen kann. Tilo verwies auf die Aussagen von Jacob Appelbaum, dass „die Politik genau für solche Fragen zuständig wäre“ und sich nicht einfach der Lage durch Untätigkeit entziehen kann.

Schließlich ging es dann noch um viele weitere Einzelfragen und Netzpolitik im Allgemeinen, wobei auch das Publikum in Form einer quotierten „Fishbowl“ an der Diskussion direkt auf dem Podium beteiligt wurde. Dazu nur einige kurze Stichpunkte, die ich mir noch mitgeschrieben hatte:

  • Gesche: „Privacy by design“ durchsetzen, gerade auch bei Plattformen wie Facebook etc.
  • Jannick: Anders als bei ACTA ist bei PRISM & Co. der „Gegner sehr abstrakt“ und damit für Protestbwegungen schwer zu vermitteln.
  • Jannick: Entwicklung im Netzpolitik-Bereich läuft rasend schnell, d.h. Gesetzgeber kommt nicht hinterher.
  • Gesche: „Marktort-Prinzip“ gegenüber Google, Facebook etc. durchsetzen, d.h. unser Datenschutzrecht muss gelten.
  • Gesche: Bezug zu „Big Data“ wichtig, da solche riesige Datenmengen von Maschinen ausgewertet und interpretiert werden.
  • Tilo: „Zugriff auf Daten haben entweder Unternehmen und/oder Geheimdienste“ (Anm.: Mir ist nicht klar, ob Tilo hier das „und/oder“ bewusst oder unbewusst gewählt hat, allerdings finde ich die These Unternehmen=Geheimdienste im Sinne von Interpretationsmacht über Daten bzw. Asymmetrie der Ressourcen (im Vergleich zu uns) doch sehr spannend und weitergehend diskussionswürdig.)
  • Gesche: Wichtig sind Open Data-, Open Source-, Open Access-Initiativen und die ältere Generation mitnehmen.
  • Gesche: Sehe das Internet als „zentrale Vernetzung der Gesellschaft“, auch im Sinne von Partizipation.

SPD-Netzpolitiker sehen Vorratsdatenspeicherung kritisch

Die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung scheint in der SPD zumindest salonfähig zu werden, obschon gestern sicherlich nicht die Hardliner sondern eher netzaffine SPDler anwesend waren. An die Debatte „Geheimdienste abschaffen!“ wird sich aber noch nicht herangewagt ;-) Gesche Joost machte auf mich einen sehr offenen und konstruktiven Eindruck, so dass die SPD-Netzpolitik bei ihr sicherlich nicht in den falschen Händen liegt. Allerdings antwortete sie auf eine Frage von Tilo Jung, dass sie keinen Listenplatz hat und damit sicherlich nur bei einem vollen Wahlerfolg der SPD ihre Vorstellungen überhaupt umsetzen/einbringen könnte. Falls es also zur großen Koalition kommt, sind alle schönen Worte von gestern umsonst. Die vorsichtige Zielrichtung mit Fokus auf die Abschaffung der EU-Richtlinie ist uns ja auch von anderen Parteien bekannt.

Jannick wünscht sich, dass von unserer Seite nicht immer reflexartig auf diejenigen Leute eingehauen wird, die sich innerhalb der SPD gegen die Vorratsdatenspeicherung engagieren und versuchen die Parteibasis/-oberen zum Umdenken zu bewegen. Ich denke dieser Eindruck kommt auch daher, dass häufig (vielleicht sogar begründet) die Gesamt-SPD für netzpolitischen Unsinn einzelner Spitzenpolitiker*innen in die Verantwortung genommen wird, leider aber oft auch mit parteipolitischem Kalkül. Vielleicht könnte die Zielrichtung der Kritik in Zukunft vermehrt die sich äußernden Personen direkt adressieren, damit den Vorratsdatenspeicherungs-ablehnenden SPD-Genoss*innen zumindest dahingehend der Rücken gestärkt wird.

6 Ergänzungen

  1. Es ist schön zu sehen, dass auch in der SPD Leute gibt, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Sollte die SPD jedoch wieder in Regierungsverantwortung kommen, wird das alles vergessen sein. Sie werden dann auf die Geheimdiensthanseln hören und auf rechte Hardliner setzen. Schneller als man Vorratsdatenspeicherung sagen kann, werden dann neue Memorandum of agreement mit allen möglichen Regierungen untereichnet, welche auf die Grundwerte unserer Gesellschaft scheißen. So kennen wir doch die SPD. Weil so macht es auch die CDU, warum sollte man auch alte Verhaltensmuster ablegen?

  2. Biite hört mit dem Binnen-I auf. Das Ding heißt: Deutscher Senioren-Computer-Club Berlin e.V.

  3. Kompetenzfrau, Beamtin, auf der Gehaltsliste der Telekom und Verfechterin der Vorratsdatenspeicherung, … „in Kleidung eingenähte Microchips“ alles klar, wie wärs noch mit Fingerabdrücken? „Dabei erwähnte er, dass bei der Vorratsdatenspeicherung der Zugriff auf die Daten nur bei konkretem Verdacht und nur mit Richtervorbehalt möglich wäre.“ An welcher Stelle der Richtlinie kann man das nachlesen? „“anlasslose Speicherung”“ Genau das ist die Vorratsdatenspeicherung. „Gesche brachte hier den Vergleich zu einem Pendel, welches je nach aktueller Regierung-/Stimmungslage in die eine oder andere Richtung ausschlägt.“ Nein, weniger Freiheit heißt nicht mehr Sicherheit, und mehr Freiheit heißt nicht weniger Sicherheit. Völlig falsches Bild. Vielleicht hätte die SPD noch Herrn Scholz zum Thema „Fingerabdrücke von 7 Jährigen“ einladen sollen.

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