Pressegespräch zur digitalen Welt: SPD fordert weiterhin Vorratsdatenspeicherung – wir helfen mit Kompetenz

Die SPD fordert weiterhin die Einführung einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten – weil die EU-Richtlinie das vorschreibt. Das haben die Mitglieder im Kompetenzteam Brigitte Zypries und Gesche Joost heute bestätigt. Am liebsten will man das aber ohne E-Mails und ohne Bewegungsprofile – da die Richtlinie das aber vorschreibt, kann man es auch gleich lassen.

Aus echten Vorratsdaten erstelltes Bewegungsprofil.

Heute hat der SPD-Parteivorstand ein Pressegespräch mit Brigitte Zypries und Gesche Joost veranstaltet. Die beiden Mitglieder im „Kompetenzteam“ von Peer Steinbrück haben „Vorschläge, mit denen Verbraucher auch in der digitalen Welt besser geschützt werden können“ präsentiert. Das war im Endeffekt der Antrag „Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten“, der heute im Bundestag beraten wird. Da steht viel Nettes drin, wie:

  • ein Recht auf schnelles Internet für alle
  • Netzneutralität gesetzlich verankern
  • „privacy by default“ und „privacy by design“
  • Weiterverkauf von digitalen Gütern prüfen
  • Privatkopien in der digigalen Welt erhalten
  • massenhafte Abmahnungen von Urheberrechtsverletzungen durch Private eindämmen
  • Eine Kulturflatrate lehnen wir ab.

Ein großer Punkt ist das Thema Grundrechte und Datenschutz, es wird auch die „Datensammelwut des Staates“ kritisiert. In der Woche nach PRISM ließ ich es mir nicht nehmen, die beiden Damen auf die Vorratsdatenspeicherung anzusprechen und wie das mit all dem Datenschutz-Lob und NSA-Kritik einhergeht.

Schauen wir doch zunächst in das „Regierungsprogramm“ genannte Wahlprogramm:

Vertrauliche Kommunikation muss vertraulich bleiben. Ausnahmen kann es nur geben, um schwerste Straftaten zu verfolgen, und auch dann nur unter engsten Voraussetzungen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen. Den Umgang mit Verbindungsdaten werden wir auf die Verfolgung schwerster Straftaten beschränken, die Datenarten und Speicherdauer hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität differenzieren und Regelungen klar, einfach und zukunftsfähig fassen. Die Speicherung von Bewegungsprofilen wird es mit uns nicht geben.

Im Interview mit Spiegel Online sagte die Kompetenz-Beauftragte für Vernetzte Gesellschaft und Netzpolitik Gesche Joost:

Eine generelle Vorratsdatenspeicherung ist kritisch – Ausnahmen kann es nur bei schwersten Straftaten und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geben. Die Speicherung von Bewegungsprofilen lehne ich ab.

Auf meine Frage, ob denn jetzt die anlasslose Speicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten aller Menschen in Deutschland das Problem ist oder „nur“ die Nutzung der Daten für andere Zwecke als „schwerste Straftaten“ antwortete Joost, dass die Daten ja ohnehin anfallen und die Vorratsdatenspeicherung nur dazu da ist, sicher zu stellen, dass die Daten auch da sind, wenn der Zugriff streng eingegrenzt für eine spezifische Straftat notwendig wird.

Die Zusammenfassung eines anderen Journalisten: „Also die Vorratsdatenspeicherung nicht abschaffen?“ Antwort: „Nein, im engen Rahmen des Bundesverfassungsgerichts umsetzen.“

Daraufhin entwickelte sich eine kleine Diskussion. Als erstes wies ich darauf hin, dass nicht erst die Nutzung der Daten, sondern schon die Speicherung zu so genannten „Chilling effects“ führe. Auf die Rückfrage, was das sei, lieferte ich eine kurze Zusammenfassung dieser Selbstzensur aus Angst vor Überwachung. In seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung drückte es das Bundesverfasungsgericht so aus:

Besonderes Gewicht bekommt die Speicherung der Telekommunikationsdaten weiterhin dadurch, dass sie selbst und die vorgesehene Verwendung der gespeicherten Daten von den Betroffenen unmittelbar nicht bemerkt werden, zugleich aber Verbindungen erfassen, die unter Vertraulichkeitserwartungen aufgenommen werden. Hierdurch ist die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.

Dann entgegnete ich, dass gar nicht alle Daten der VDS ohnehin anfallen. Zum Beispiel schreibt die Richtlinie vor, dass die Verbindungsdaten jeder einzelnen E-Mail gespeichert werden müssen, also wann wer wem von wo eine Mail geschickt hat. Die ehemalige Justizministerin Brigitte Zypries widersprach, dass das gar nicht in der Richtlinie steht. Wie persönlich versprochen, trägt netzpolitik.org gerne zur weiteren Kompetenzbildung bei und liefert den Beleg, bei dieser Gelegenheit gleich öffentlich. In der Richtlinie 2006/24/EG steht:

Artikel 5: Kategorien von auf Vorrat zu speichernden Daten

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass gemäß dieser Richtlinie die folgenden Datenkategorien auf Vorrat gespeichert werden:

b) zur Identifizierung des Adressaten einer Nachricht benötigte Daten:
2. betreffend Internet-E-Mail und Internet-Telefonie:
ii) die Namen und Anschriften der Teilnehmer oder registrierten Benutzer und die Benutzerkennung des vorgesehenen Empfängers einer Nachricht;

c) zur Bestimmung von Datum, Uhrzeit und Dauer einer Nachrichtenübermittlung benötigte Daten:
2. betreffend Internetzugang, Internet-E-Mail und Internet-Telefonie:
ii) Datum und Uhrzeit der An- und Abmeldung beim Internet-E-Mail-Dienst oder Internet-Telefonie-Dienst auf der Grundlage einer bestimmten Zeitzone;

In Brigitte Zypries eigenem Gesetz, das 2007 diese Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt hat, stand (bis das Verfassungsgericht es gekippt hat):

(3) Die Anbieter von Diensten der elektronischen Post speichern:

1. bei Versendung einer Nachricht die Kennung des elektronischen Postfachs und die Internetprotokoll-Adresse des Absenders sowie die Kennung des elektronischen Postfachs jedes Empfängers der Nachricht,
2. bei Eingang einer Nachricht in einem elektronischen Postfach die Kennung des elektronischen Postfachs des Absenders und des Empfängers der Nachricht sowie die Internetprotokoll-Adresse der absendenden Telekommunikationsanlage,
3. bei Zugriff auf das elektronische Postfach dessen Kennung und die Internetprotokoll-Adresse des Abrufenden,
4. die Zeitpunkte der in den Nummern 1 bis 3 genannten Nutzungen des Dienstes nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone.

Gern geschehen.

Die nächste Kontroverse entzündete sich an der Frage, ob eine Vorratsdatenspeicherung ohne Bewegungsprofile überhaupt möglich ist, wie die SPD das will. Auch hier liefern wir gerne nochmal die Original-Quelle aus der Richtlinie:

Artikel 5: Kategorien von auf Vorrat zu speichernden Daten

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass gemäß dieser Richtlinie die folgenden Datenkategorien auf Vorrat gespeichert werden:

f) zur Bestimmung des Standorts mobiler Geräte benötigte Daten:
1. die Standortkennung (Cell-ID) bei Beginn der Verbindung,
2. Daten zur geografischen Ortung von Funkzellen durch Bezugnahme auf ihre Standortkennung (Cell-ID) während des Zeitraums, in dem die Vorratsspeicherung der Kommunikationsdaten erfolgt.

Gern geschehen.

Die Vorratsdatenspeicherung wird auch Zypries und Joost damit begründet, dass die Richtlinie das vorschreibt und sonst Strafzahlungen drohen. Das ist zwar richtig, eine Teil-Umsetzung ohne E-Mail oder Standortdaten ist aber eben sowenig zulässig und würde ebenfalls zu einer Klage der EU-Kommission führen. Also sollte man einerseits die Richtlinie selbst abschaffen und andererseits nicht umsetzen, bis der Europäische Grichtshof entschieden hat, ob die anlasslose Überwachung überhaupt mit den Grundrechten vereinbar ist.

Aus den Daten, die die Deutsche Telekom aufgrund des Gesetzes von Zypries gespeichert hat, konnte sehr wohl ein Bewegungsprofil erstellt werden, wie das Projekt Verräterisches Handy von Malte Spitz eindrucksvoll gezeigt hat:

verraeterisches-handy

Dazu Frau Zypries nur: „Ja, aber der war ja immer online.“ Genau! Willkommen „in der digitalen Welt“.

Es bleibt also weiterhin dabei: Wer SPD wählt, wählt nicht nur ein Leistungsschutzrecht (das auch heute verteidigt wurde), sondern auch die Vorratsdatenspeicherung.

14 Ergänzungen

  1. „Eine weitere Beschränkung der Zulässigkeit der Privatkopie wäre kontraproduktiv und ist in der Praxis nicht durchsetzbar. Sie darf auch – im Rahmen des rechtlich Erlaubten – nicht durch Nutzungsbedingungen und Lizenzvereinbarungen eingeschränkt werden.“

    Da kennt die SPD mal wieder die Gesetze nicht, die sie zudem selbst erlassen hat. Zur Beschränkung der Privatkopie braucht es keine Lizenzvereinbarungen, Dank des von ihr unter Schröder eingeführten §95a UrhG tut es dazu nämlich bereits eine entsprechende „technisch wirksame Schutzmaßnahme“.

    http://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__95a.html

    Das einzige was hier „erhalten“ werden soll, ist die Abozcke der Bürger durch die Medienindustrie, die absurderweise trotzdem weiterhin Kopierabgaben für alle möglichen Arten von Geräten und Speichermedien erheben darf. Das hat man damals „leider leider“ vergessen mitzustreichen und soll jetzt natürlich „erhalten“ bleiben.

    Man muss also weiterhin auf seine externe Festplatte „Kopierabgaben“ zahlen, während es einem gleichzeitig verboten wird seine gekauften DVDs darauf zu kopieren und das findet ihr auch noch toll??

    1. Bzgl. Kopierabgaben irrst Du Dich: Die Privatkopie ist erlaubt, gerade WEIL sie durch diverse Abgaben (beispielsweise auf Leermedien) kompensiert wird.

      1. Die Privatkopie ist erlaubt …

        … sofern keine Kopierschutzmechanismen umgangen werden. Da aber mittlerweile jede DVD und jede Musik CD mit Abspielschutz ausgestattet ist, bleibt sie faktisch verboten. Die Urheberrechtsabgabe wurde aber weder reduziert, noch abgeschafft.

      2. „Bzgl. Kopierabgaben irrst Du Dich: Die Privatkopie ist erlaubt, gerade WEIL sie durch diverse Abgaben (beispielsweise auf Leermedien) kompensiert wird.“

        Das ist nur eine Ausrede der Medienlobby. Wenn ein Künstler meint, er müsse für seine nicht- kopiergeschützten Werke extra „kompensiert“ werden, dann kann er dafür ja mehr Geld verlangen als für solche mit Kopierschutz.

        Es ist umgekehrt aber nicht zu rechtfertigen warum der Bürger per Gesetz gezwungen wird Abgaben zu leisten, die Urheber aber ihrerseits freiwillig entscheiden können sollen, ob dann auch privat kopiert werden darf oder nicht.

        Entweder den Zwangsabgaben steht dann auch ein uneingeschränktes Recht auf die Privatkopie gegenüber oder sie gehören abgeschafft!

  2. Da steht viel nettes drin, aber weil’s die SPD ist, ist es scheiße – nicht wahr, netzpolitik.org?

    1. Nee, es ist Scheisse, weil es einfach Scheisse ist. Ob die Scheisse rot, schwarz, grün oder gelb ist, macht es noch lange nicht zu besserer oder schlechtere Scheisse. Frau Z. hat sich aber in meinen Augen schon mit Scheisssprüchen wie diesem hier als völlig inkompetent bewiesen:

      „Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert.“

      Ist doch scheisse alles …

    2. Der Antrag kann so nett sein, wie er will. Ein Antrag der Opposition in der vorvorletzen Sitzungswoche ist nur für die Öffentlichkeit, nicht für eine konkrete Umsetzung.

      Den kritisieren wir aber gar nicht, sondern die Vorratsdatenspeicherung. Und das schon immer, egal von wem.

  3. Und das ist die Opposition, meine Damen und Herren. Der gleiche Schmu, nur eben in grün.
    Ich vermisse die echte Opposition, also diejenige(n) Partei(en), die nicht nur schwungvolle Reden hält (halten), sondern auch passend zu diesen Reden abstimmt (abstimmen). Upps, gibts ja schon. Aber diese Partei wird ja seit einigen Jahren aus den Länderparlamenten heraus gewählt und wird es schwer haben im Bundestag zu bleiben (momentan knapp 6%). Wenn diese Partei draußen ist, wird es richtig langweilig: CDU/FDP legen ein Gesetz vor, SPD/Grünen halten Oppositionsreden, stimmen dann unter Bauchschmerzen dafür. Geile Demokratie!

    1. Aber der Deutsche will es doch so. Er will doch gar nicht regiert werden. Die da oben sollen ihren Mist machen und mich in Ruhe lassen. Das ist der Gedankengang des Michels. Und dann kommt so eine Kreatur wie die Merkel eben bei raus. Ursache und Wirkung.

      1. Öhm, genau das machen sie ja nicht, uns in Ruhe lassen. Sie wollen uns überwachen, wo immer es geht. Eher ist es so … mach mit mir, was du willst, so lange ich es nicht mitbekomme und es im Falle eines Falles nur den Nachbar betrifft. Bei dem Versuch, anlasslos alle Autokennzeichen zu scannen war jedenfalls gleich was los, die Scanner hat man aber halt auch gesehen.

        „Netzneutralität gesetzlich verankern“ Unglaubwürdig, Telekom ist immer noch klassisches SPD Land (ehemals Post).

        „massenhafte Abmahnungen von Urheberrechtsverletzungen durch Private eindämmen“ Wenn man den dafür zuständigen Herrn im SPD-Kompetenzteam fragt (der übrigens einer der GFs der Ruhr 2010 war, in dessen Rahmen es zu den 21 Toten auf der Loveparade 2010 kam, aber ist eine andere Baustelle, außer, dass die SPD im Landtag mehrfach einen Untersuchungsausschuss dazu verhinder hat), dann wird er vermutlich sagen, dass wir viel mehr Abmahnungen brauchen und härtere Gesetze. Frau Z. ist es auch zu verdanken, dass die Streitwerte bei Abmahnungen heraufgesetzt wurden auf 5000,01 EUR (Geringfügigkeitsschwelle), das nenn ich Kompetenz.

        Im übrigen war die nationale Umsetzung VDS laut einer gewissen Frau Z. die Minimalumsetzung der Richtlinie, weniger geht nicht, da man dann von Brüssel verklagt wird, mehr ist aber immer verfassungswidrig, da schon die Minimalumsetzung verfassungswidrig war. Die anlasslose Speicherung, wer wann mit wem wo telefoniert hat mit direktem Staatszugriff wird immer verfassungswidrig sein, ebenso die anlasslose staatliche Speicherung meiner E-Mail-Verteiler und wer mir von wo E-Mails geschickt hat, anlasslose Speicherung von Bewegungsprofilen wird immer verfassungswidrig sein, da bleibt nichts mehr übrig.

        Dass bei einer Flatrate (Trottelkom lässt grüßen), die meisten Daten eh _nicht_ gespeichert werden (dürfen), weiß diese Kompetenzfrau natürlich auch nicht.

  4. „Dazu Frau Zypries nur: “Ja, aber der war ja immer online.”“ ;DDD Man Brigitte, Smartphones sind immer online, immer noch nicht verstanden? Wir habens dir doch schon 100 mal erklärt, jahrelang.

  5. Nicht nur hier schreiben, schickt Zypries auch eine GoogleSMS mit dem Link ;-)

    Die Frau ist der gelungene Gegenentwurf der SPD zum Friedrich. Aber warum soll man auch sein EIGENES Gesetzt kennen ?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.