Der Innenausschuss des Europaparlaments hat vor einer Stunde seine erste Abstimmung über die Richtlinie zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung beendet. Dabei ging es auch um die heftig umstrittenen Internetsperren.
Das Ergebnis, das mit breiter Mehrheit und in Anwesenheit des ungarischen Ratsvorsitzes angenommen wurde, dient nun als Mandat für die Verhandlungen mit Rat und Kommission. Es war also nur der erste wichtige Zwischenschritt. Aber eben wichtig, weil er den Korridor definiert, in dem es jetzt weiter geht.
Im Vergleich zum Vorschlag von Innenkommissarin Cecilia „Censilia“ Malmström und den anfänglichen Stimmungen im EP für EU-weit verpflichtende Sperren ist das Ergebnis nicht perfekt, aber ein recht fetter Etappensieg.
- Websperren sind in der EU nicht verpflichtend.
- Alle Bezüge zu „Selbstregulierung“ und damit privater Zensur sind draußen.
- Alle Bezüge zu „nicht-gesetzgeberischen Maßnahmen“ oder anderen rechtsfreien Räumen sind draußen.
- Wenn EU-Mitgliedsstaaten dennoch sperren wollen (und einige tun das ja bereits), dann nur auf gesetzlicher Grundlage, mit Rechtsweg für Betroffene und nur das absolut Nötigste.
- Gesperrt werden darf nur noch, wenn das Löschen sich als „unmöglich“ erwiesen hat. Damit ist es de jure vorbei damit.
Der Richtervorbehalt ist leider nicht drin gelandet, weil Konservative und ein Teil der Liberalen die Abstimmung über einen mündlichen Änderungsantrag dazu verhindert haben. Der Text kann aber so gelesen werden, dass es ohnehin einen Richter braucht.
Wer ein wenig von der Party nach der Abstimmung mitbekommen will, sollte mal auf Twitter nach „#Censilia“ suchen.
Ich werde die Tage mal eine Auswertung schreiben, was gut und weniger gut gelaufen ist hierbei. Aber ich möchte jetzt schon mal inständig darum bitten, an MOGiS zu spenden und Christian Bahls zu danken wegen der ganzen Brüsselreisen im letzten Jahr. Und an EDRi zu spenden und Joe McNamee zu danken, weil er sich in Brüssel echt ein Bein ausreisst wegen dieser Richtlinie.
Der angenommene Text lautet folgendermaßen (das Fettgedruckte sind die Änderungen im Vergleich zum Vorschlag der Kommission):
Article 21
Measures addressing websites containing or disseminating child pornography or child abuse material
1. Member States shall take the necessary legislative measures to obtain the removal at source of Internet pages containing or disseminating child pornography or child abuse material. Internet pages containing such material shall be removed, especially when originating from an EU Member State. In addition, the EU shall cooperate with third countries in securing the prompt removal of such content from servers in their territory.
2. When removal at source of Internet pages containing or disseminating child pornography or child abuse material is impossible to achieve, Member States may take the necessary measures in accordance with national legislation to prevent access to such content in their territory. These measures must be set by transparent procedures and provide adequate safeguards, in particular to ensure that the restriction is limited to what is necessary and proportionate, and that users are informed of the reason for the restriction. Content providers and users shall be informed of the possibility to whom to appeal under a judicial redress procedure.
2a. Any measure under paragraphs 1 and 2 shall respect fundamental rights and freedoms of natural persons, as guaranteed by the European Convention of the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, the EU Charter of Fundamental Rights and general principles of Union law. Those measures shall provide for prior authorisation in accordance with national law, and the right to an effective and timely judicial redress.
2b. The European Commission shall submit to the European Parliament an annual report on the activities undertaken by Member States to remove child sexual abuse material from Internet pages.
Der entsprechende Erwägungsgrund im Vorspann lautet so:
Recital 13
(13) Child pornography, which constitutes child abuse material, is a specific type of content which cannot be construed as the expression of an opinion. To combat it, it is necessary to ensure as quickly as possible the full removal at source of Internet pages containing or disseminating child pornography or child abuse material and to identify the offenders to start procedures against them, as the investigation and prosecution of such crimes should be a priority. Any webpage originating from an EU Member State and containing sexual abuse material of children should be removed. The EU, in particular through increased cooperation with third countries and international organisations and with the help of bilateral or multilateral agreements, should seek to facilitate the effective removal by third country authorities of websites containing child pornography or child abuse material, which are hosted in their territory, as well as concurrent criminal prosecution of persons who placed such content on or distributed it over the internet. In that regard international cooperation between judicial and police authorities should be strengthened and reporting points put in place. However, should despite such efforts the removal at source of Internet pages containing or disseminating child pornography or child abuse material prove impossible to achieve where the original materials are not located within the EU,either because the State where the servers are hosted is not willing to cooperate or because the procedure for removal of the material in the State concerned proves to be particularly long, Member States may take the necessary measures in accordance with national legislation to prevent access to such content in their territory. There should be strengthened cooperation between public authorities, particularly in the interest of ensuring that information regarding websites containing child pornographyor child abuse material is as complete as possible and of avoiding duplication of work. Any suchmeasure must be in accordance with national legislation, respect the rights of the end users, adhere to legal and judicial procedures and comply with the European Convention on Human Rights and the Charter of Fundamental Rights of the European Union. The Safer Internet Programme has set up a network of hotlines whose goal is to collect information and to ensure coverage and exchange of reports on the major types of illegal content online.
(Full Disclosure: Ich arbeite für Jan Philip Albrecht, MEP für die Grünen, und habe in dieser Eigenschaft selber viel an dem Vorhaben mitgearbeitet.)
Unklug solche internen Einschätzungen an die Öffentlichkeit zu geben. Wenn man Erfolg hat, dann muss es ja nicht unbedingt jeder erfahren, bevor es in trockenen Tüchern ist.
@ A. Rebentisch: Ich weiss nicht, was daran intern sein soll. Sogar der Pressedienst des EP hat es schon vor mehr als einer Stunde getwittert.
Was hat es mit dieser neuen Formulierung „child pornography *or child abuse material*“ auf sich? Sieht dieses Papier insoweit Änderungen an den materiell- rechtlichen Vorgaben (Art. 2, 5) vor oder ist das nur Begriffskosmetik?
@ blurks: Das ist einer dieser doofen Formelkompromisse. Anstatt „child pornography“ als völlig unpassenden Begriff komplett zu streichen, hat man sich auf diese Formulierung geeinigt. AFAIK ist das nur Begriffskosmetik. Ich habe aber nur den Teil, der mit Netzsperren zu tun hatte, genauer verfolgt.
Es ist also weiterhin geplant, etliche Pornos mit erwachsenen Darstellern und auch Spielfilme zu verbieten? Ich persönlich halte *das* für den eigentlichen Klopper in der RL. Ist das heutige Ergebnis irgendwo im Volltext zugänglich?
Trotzdem natürlich eine gute Sache, dass zumindest diese Sperrpflicht eher unwahrscheinlich geworden ist. Glückwunsch dazu!
für das „löschung unmöglich“ muss noch irgendeine Mindest-Definition her, ansonsten wird daraus ein „es hat sich nicht nach 10 Sekunden selbst zerstört“.
@ TheK (7): Dieses „Löschung unmöglich“ wird wohl ohnehin keinen Staat daran hindern können, eine Zensurinfratruktur aufzubauen, wenn er das möchte. Solange die RL auch Scheinjugendliche erfasst, nimmt mal halt notfalls US- Mainstreampornoseiten als Vorwand. Die wird man ja tatsächlich nicht gelöscht bekommen.
@blurks: Das ist keine Begriffskosmetik. Die Frage ist einfach, auf welcher Ebene man die Diskussion führen will.
Child abuse material, oder auf Deutsch „Missbrauchsdarstellungen“ holt die Diskussion auf den Boden. siehe auch:
http://scusiblog.org/?p=1091
http://mogis-verein.de/hallo-welt
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/03/25/die-legende-von-der-kinderpornoindustrie/#comment-381928
viele Grüße
Christian Bahls; MOGiS e.V. — Eine Stimme für Betroffenen
(gegründet als MissbrauchsOpfer gegen InternetSperren)
@ Christian Bahls: Die Frage ist, was das Auftauchen dieses Ausdrucks *in des RL* zu bedeuten hat. Wenn man sich da nun tatsächlich auf echtes Missbrauchsmaterial konzentriert (und es nicht mehr mit Scheinjugendlichen und Computeranimationenn in einen Topf wirft), würde ich das natürlich begrüßen. Es würde mich aber auch nicht überraschen, wenn man einfach genau das Material, das bisher als „Kinderpornographie“ bezichnet wurde, aus rhetorischen Gründen umbenannt hätte, ohne inhaltlich irgendetwas zu ändern. Interessant dabei ist auch diese Doppelung „Kinderpornographie und/oder Missbrauchsmaterial“.
@ blurks: Das ist ein Scheinkompromiss. Wir haben hier die Tür aufgestoßen für eine angemessene Sprache und damit auch Denke. Die weiteren Details werden sich in den nächsten Monaten in Brüssel ergeben. Hilf gerne mit wenn du magst. Christian weiß inzwischen wie das geht. ;-)
@ Ralf Bendrath (12): Es wäre schön, wenn sich eine dieser differenzierten Bezeichnung entsprechende Denkweise entwickeln würde. Das ist aber leider nicht zwingend (siehe den Entwurf von Angelilli, der sogar Scheinjugenderotik als „Dokumentation von Kindesmissbrauch“ bezeichnet). Etwas gewonnen ist damit erst, wenn man sich auch inhaltlich wieder auf Rechtsgüterschutz konzentriert und von Gedankenverbrechen entfernt.
Aus anderen EP- Ausschüssen gab es z.B. den Vorschlag, sich in dem Punkt an der Sexualmündigkeit zu orientieren, statt 17- Jährige mit Kleinkindern über einen Kamm zu scheren. Wird das in den Verhandlungen mit dem Rat eine Rolle spielen oder kommt es da nur auf den LIBE- Standpunkt an?
das ist ein herber rückschlag für den rechtsstaat. also haben wir jetzt einen rechtsfreien raum im internet, dabei sind doch websperren alternativlos und grundrechtsschonend. wir werden alle sterben……
csu-uhl heute morgen im bayrischen rundfunk:
\lampedusa darf kein rechtsfreier raum sein\
man könnte nur noch wild um sich schlagen bei so viel verlödheit.
Lieber Herr Bendrath,
mir ist schleierhaft, was Sie für eine Genugtuung darin haben, von allen Sprachfassungen die englische zu verlinken und ausführlich zu zitieren – und nicht zum Beispiel die deutsche:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52010PC0094:DE:NOT
@OG: Herzlichen Glückwunsch zum Kommentar des Tages.
@ OG: Was sie verlinken ist der Entwurf von Malmström von März 2010. Der gestern angenommene Kompromissantrag ist vom letzten Donnerstag und liegt noch nicht auf deutsch vor. Er war bisher nichtmal online verfügbar.
@ralf bendrath (26):
Entschuldigung, das hatte ich übersehen. Meine Kritik bleibt aber insoweit bestehen, als die verlinkte Entwurfsfassung sehr wohl auch in der amtlichen deutschen Fassung vorliegt.
@OG: Die (zitierten fettgedruckten) Änderungen beziehen sich aber nun einmal auf die englische Version.
So etwas hier ist nützlicher:
http://www.europeanvoice.com/article/2011/february/meps-support-blocking-of-child-porn-webbites/70258.aspx