Die Europäische Bürgerinitiative (European Citizens‘ Initiative – ECI) soll EU-Bürgern künftig die Möglichkeit geben, die Politik der EU mit Unterschriftensammlungen direkt zu beeinflussen. Allerdings sieht es im Moment so aus, als ob der viel gepriesene demokratische Meilenstein der EU eher ein nutzloses Kieselsteinchen wird. EU-Kommission und Mitgliedsstaaten sind dabei, die Anforderungen so hoch zu schrauben, dass es wahrscheinlich nur wenige Bürgerinitiativen schaffen werden, die hohen Hürden zu nehmen. Das gilt auch für die Online-Sammlung von Unterschriften. Nach den in der EU derzeit diskutierten Kriterien wäre die in Deutschland so erfolgreiche Online-Petition gegen Netzsperren gescheitert.
Bei einer Anhörung der EU-Kommission zur ECI am Montag in Brüssel waren sich zwar alle darin einig, dass es für Bürgerinitiativen die Möglichkeit zur elektronischen Sammlung von Unterschriften geben soll. Gleichzeitig war aber viel von „Missbrauchsgefahr“ die Rede. Einige Regierungen und selbst Vertreter der Zivilgesellschaft fordern sogar die verpflichtende Benutzung elektronischer Ausweise. Die österreichische Regierung beispielsweise pocht in ihrer Stellungnahmen zur ECI auf „geeignete Sicherheitsvorkehrungen“, um Missbrauch oder Mehrfachunterschriften zu verhindern. Sie propagiert die „Smart Card“, eine Art elektronischer Pass für Online-Abstimmungen, den es in ähnlicher Form auch in Estland gibt und der dort bereits für Online-Wahlen benutzt wird.
Dabei ist die Europäische Bürgerinitiative weder eine Wahl noch eine verbindliche Volksabstimmung, sondern nur ein Aufforderungsrecht. Mit der ECI können Bürger und Bürgerinnen die Kommission künftig auffordern, politisch aktiv zu werden und einen Vorschlag für eine neue Richtlinie, also ein EU-Gesetz, vorzulegen (mehr zur aktuellen Debatte um die ECI habe ich hier auf Englisch zusammengefasst). Die Bürger können aber nicht selbst über die Richtlinie entscheiden, das bleibt vielmehr dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament überlassen. Mehr noch, die Kommission ist nicht einmal dazu verpflichtet, der Aufforderung einer Initiative zu folgen, sondern kann sie auch aus rechtlichen oder politischen Gründen zurückweisen. Die ECI ist also kaum mehr als eine Art Petitionsrecht – und trotzdem werden die Anforderungen so hoch geschraubt wie bei einem verbindlichen Referendum oder einer Online-Wahl.
Selbst der Deutsche Bundesrat findet offenbar, dass es auf europäischer Ebene deutlich höhere Hürden gegen Bürgerbeteiligung braucht als in Deutschland. Das gut funktionierende System für e-Petitionen des Deutschen Bundestags jedenfalls scheint den Ländervertretern nicht zu genügen. In seiner Stellungnahme zur ECI hat der Bundesrat vielmehr schwere Bedenken gegen die Online-Sammlung von Unterschriften angemeldet (von der Bundesregierung gibt es leider keine offizielle Stellungnahme, angesichts der CDU/FDP-Mehrheit im Bundesrat könnte man aber vermuten, dass sie eine ähnliche Position vertritt):
Erhebliche Bedenken ergeben sich vor allem aus der ungeklärten Frage, wie bei Online-Eintragungen aufgrund der technischen Möglichkeiten manipulativen Missbräuchen vorgebeugt werden kann und wie sich die datenschutzrechtlichen Anforderungen einhalten lassen. Die Zertifizierung von Online-Instrumenten sollte daher erst erfolgen, wenn ihre Zuverlässigkeit und ihre Praktikabilität hinreichend geprüft und bestätigt wurden.
SPD-Bundestagsfraktion und Grüne Bundestagspolitiker sehen das in ihren Stellungnahmen zwar anders und verweisen explizit auf Erfahrungen mit Online-Petitionen bzw. das ePetitionssystem des Bundestags. Im Gegensatz zur CDU/FDP sitzen sie aber im EU-Ministerrat nicht mit am Tisch, wenn über die ECI verhandelt wird.
Dazu kommt, dass hohe Hürden für Online-Sammlungen voraussichtlich nicht die einzigen Stolpersteine für eine ECI sind. Nach dem Lissabon-Vertrag der EU muss eine Bürgerinitiative mindestens eine Million Unterschriften sammeln, um erfolgreich zu sein. Derzeit wird ausgedealt, wie genau sich die Million unter den Mitgliedsländern aufteilen soll. Die EU-Kommission hat in ihrem Grünbuch zur ECI vorgeschlagen, dass eine Bürgerinitiative aus mindestens einem Drittel aller Mitgliedsländer (derzeit also aus neun Ländern) eine ausreichende Anzahl von Unterschriften vorlegen muss. Und „ausreichend“ bedeutet: mindestens 0,2 % der Bevölkerung. In Deutschland entspricht das rund 160.000 Unterschriften. Nach diesem Kriterium wäre selbst die so erfolgreiche Online-Petition gegen Zensursula auf europäischer Ebene gescheitert, sie hatte nämlich „nur“ 134.015 Unterzeichner.
Der Ministerrat hat sich offenbar bei einem informellen Treffen am 13. Januar auf ähnlich hohe Schwellenwerte geeinigt. Der Vertreter der spanischen Ratspräsidentschaft, der spanische Europaminister Diego López Garrido, hat bei der Anhörung der Kommission am Montag außerdem zu verstehen gegeben, dass sich die Mitgliedsstaaten zwar auf EU-weite Mindeststandards für die Überprüfung von Unterschriften einigen wollen, für die Details sollen aber weiterhin die Mitgliedsstaaten selbst zuständig bleiben. Im Klartext heißt das: Am Ende läuft es auf 27 verschiedene Onlinesysteme zur Unterschriftensammlung hinaus. Die Österreicher und Esten können ihren elektronischen Personalausweis verlangen. Die Briten, die ja nicht mal einen gedruckten Personalausweis haben, setzen voraussichtlich auf eine weniger voraussetzungsvolle Version. Die deutsche Bundesregierung upgradet womöglich das ePetitionssystem, je nachdem, was die – von der Bundesregierung mitverhandelten – europäischen Mindeststandards dann so zulassen und was politisch opportun erscheint.
In der Konsequenz heißt das: Die EU ist gerade dabei, das zentrale Tool für transnationale Kampagnen und Unterschriftensammlungen, das Internet, entlang nationaler Grenzen zu verhackstücken. Bürgerinitiativen können so keine europaweite Unterschriftenkampagne starten, sondern sie müssen mindestens neun nationale Kampagnen mit je unterschiedlichen Anforderungen an die Signaturabgabe auf die Beine stellen. Das gelingt vielleicht den großen und mächtigen Interessengruppen, wie den Gewerkschaften oder einigen Umweltverbänden, die ohnehin in der EU einiges mitzureden haben. Kleinere NGOs oder weniger gut organisierte Bewegungen und Netzwerke dagegen werden es auch mit der ECI nach wie vor schwer haben, in der EU auf ihre Probleme und Forderungen aufmerksam zu machen.
Alles in allem ist die EU gerade dabei, einen vermeintlichen Meilenstein für mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung in Europa so klein zu klopfen, dass am Ende kaum mehr als ein bedeutungsloser Kieselstein herauskommt.
- – Wenn die ECI so kommt, wie sie derzeit diskutiert wird, wird sie für viele ein „totes“ Beteiligungsrecht bleiben: ein Recht, das nur auf dem Papier steht, aber in der Praxis nicht anwendbar ist.
- – Sie wird – im Namen von „Repräsentativität“ und „Missbrauchsverhinderung“ – vor allem starken Interessenverbänden und Lobbygruppen zugute kommen, aber kaum den vielen schwächer organisierten Interessen, die darauf viel mehr angewiesen wären.
- – Weil sie transnationale Kampagnen erschwert, wird sie auch wenig dazu tun, eine europäische Öffentlichkeit zu befördern.
- – Schließlich wird die ECI zu einer Ungleichbehandlung der europäischen Bürgerinnen und Bürger führen, weil solche aus Ländern mit restriktiveren Systemen für die Unterschriftensammlung es schwerer haben werden, ihre Unterschrift abzugeben, als andere.
Die Kommission hat angekündigt, dass sie in einigen Monaten ihren endgültigen Entwurf für die ECI vorlegen will. Danach hängt es am Ministerrat und am Europäischen Parlament, wie genau die ECI am Ende ausgestaltet sein wird. Die endgültige Fassung der ECI soll bis Ende des Jahres verabschiedet sein.
Einen großen Dank für diesen ausführlichen Beitrag!
Ein paar von uns Eurobloggern (Jon Worth, Eurosocialiste, Europaeum und ich) werden auf der re:public ’10 einen Workshop organisieren, bei dem wir genau die Frage diskutieren und Strategien entwerfen wollen, wie man trotz der Hürden auch bottom-up erfolgreich eine Europäische Bürgerinitiative starten kann.
Hoffe, wir finden wenigstens ein paar Antworten und gute Ideen damit dieses Instrument auch tatsächlich effektiv eingesetzt werden kann…
Schöner Beitrag. Wäre sonst vollkommen an mir vorbei gegangen.
Wäre das alles nicht so traurig, würde in mir eine gewisse Genugtuung entstehen, wie die Leute, die in der Europäischen Union die Realisierung des Traums nach einem friedlichen, gemeinsamen und demokratischen Europas gesehen haben und über jegliche Kritik erhaben waren, nun langsam aber sicher erkennen, daß es sich dabei lediglich um einen bürokratischen Moloch handelt, der hauptsächlich von Selbsterhaltung und Machtgier getrieben ist. Ach, wie wurden doch die Gegner des Lissabon-Vertrags verbal niedergemetzelt, wo er doch soviel Demokratie bringt! Wo ist sie denn geblieben? Hohle Versprechen, heiße Luft, wie man an dem Artikel nun wieder deutlich sehen kann.
Ich will ja nicht verneinen, daß es vielleicht unter den EU-Bürokraten und -Politikern auch welche gibt, die diesen Traum noch träumen und versuchen, ihn umzusetzen. Aber für mich sind diese in der ziemlichen Minderheit, und sie werden es nicht schaffen, zumindest, solange das Verhältnis der Bürger zur EU so unkritisch und blauäugig ist und sie sich alles gefallen lassen. Wenn es offenbar nicht möglich ist, die EU wieder abzuschaffen und durch etwas vernünftiges zu ersetzen, so muß meiner bescheidenen Meinung nach zumindest versucht werden, die Macht wieder in die Länder zurückzuführen, wo sie näher am Volk ist, und die Funktion der EU auf die allernötigsten Bereiche zu beschränken.
Klaus
Man soll den Tag nicht vor dem Abend verdammen. Wie schon geschrieben muss das Ding noch durch das Europäische Parlament. Und da sitzen durchaus wiederum SPD und ähnlich denkende Parteien aus anderen Ländern drin – vor allem eben gewählte Parlamentarier. Dazu kommt noch dann je nachdem ggf. eine von irgendwem eingereichte Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der Ungleichbehandlung.
Der Vergleich mit der Zensursula-Petition hinkt im Übrigen. Ein Petitionsaufruf, der international erfolgt, wird ein ungleich größeres Medienecho haben.
Klingt bisher (wiedermal) nach Angst vor zuviel Staatseinmischung bei der Regierung.
Ja Staatseinmischung – denn der Staat sind alle Einwohner eines Landes (oder eines Länderverbundes) nicht nur die gewählten Vertreter. Bloß das Stimmvieh nicht bestimmen lassen was für es am besten ist
Die Vermutung liegt nahe, dass Österreich das ganze leider nur als Plattform für seine eigenen eVoting-Pläne missbraucht. Man will das ganze dann natürlich so wahlähnlich wie möglich gestalten, damit man zu Hause argumentieren kann:
„Schauts her, die EU machts uns vor, also machen ma des bei uns gleich auch so, stellts euch doch bitte ned so an, aber wirklich“
Letztes Jahr hatte man ja bereits versucht, die Wahlen zur Österreichischen Hochschulschülerschaft (= sowas wie asta-Wahlen) per Ministererlas zum Betatest für eVoting in Österreich umzufunktionieren, was aber glücklicherweise sehr schnell zu einem Eigentor mutierte.
Ganz schön dreist, wie hier mit den Hoffnungen der Bürger nach mehr Demokratie umgegangen wird.
@KlausM: Ja, es stimmt, die EU kommt häufig als bürokratischer Moloch daher und, ja, sie wird häufig von Machterhalt getrieben. Das ist bei der ECI teilweise auch nicht anders – aber eben nur teilweise.
Die geplanten hohen Hürden für eine Bürgerinitiative (Unterschriften von mindestens 0,2% der Bevölkerung in 9 Mitgliedsländern) speisen sich zum einen aus der Angst, die Kommission könnte bei niedrigeren Anforderungen mit Inititativen überflutet werden, zum anderen aus einem grundlegenden Misstrauen gegen die Bürger. Vielen ist das Schweizer Referendum zum Minarett-Verbot noch gut in Erinnerung. In Deutschland gibt es aus Misstrauensgründen ja bis heute keine Volksinitiative, geschweige denn einen Volksentscheid auf Bundesebene.
Gerade bei der Online-Sammlung von Unterschriften spielt aus meiner Sicht aber auch Unwissenheit in der EU eine große Rolle: In der EU-Institutionen weiss einfach keiner so recht, welche Möglichkeiten es gibt, Unterschriften online zu sammeln, und welche Vor- und Nachteile die jeweils haben. Auch über die Frage, was es eigentlich für europaweite Kampagnen heißt, mit 27 verschiedenen Systemen arbeiten zu müssen, hat sich offenbar noch keiner so richtig Gedanken gemacht.
Das gilt übrigens nicht nur für die Brüsseler Bürokraten, sondern auch für viele Vertreter der Zivilgesellschaft. Bei der Anhörung der Kommission am Montag haben viele NGOs Online-Abstimmungen gefordert, manche mit elektronischem Personalausweis, viele ohne. Fundiertes Wissen darüber hatte aber offenbar keiner. Leider.
Bleibt also nur zu hoffen, dass die Kommission sich noch externe Experise holt oder dass spätestens im Parlament mehr Wissen da ist, wenn es über die ECI entscheidet.
@ Julien Frisch @ KlausM: Noch ist nichts entschieden, Stefi hat ja nur den aktuellen Diskussionsstand berichtet und auch darauf hingewiesen, dass es an Ideen fehlt und auch Angst da ist im Apparat. Anstatt zu lamentieren oder sich schon auf sehr hohe Schwellen einzustellen sollte man daher *jetzt* noch versuchen, coole, möglichste gut ausgearbeitete und -argumentierte Vorschläge zu entwickeln. Das kann an dem Vorschlag der Kommission noch ein wenig drehen, es kann aber vor allem dem Parlament helfen, eine Linie zu finden, die uns am Ende besser gefällt. Mit Telekom-Paket, SWIFT und ACTA sieht man schön, dass sich die MEPs durchaus in der Rolle gefallen, bürgernäher zu sein als die anderen Institutionen. Ich helfe gerne, das in den Prozess einzuspeisen. Dazu braucht es aber Expertise und gute Zuarbeit von aussen. Wir können das im EP nicht alles alleine machen, dazu sind gerade zu viele Fronten offen. Und sogar EDRi.org ist mit einem Angestellten in Brüssel damit überfordert, weil der eben /alles/ betreuen muss.
@Ralf
Ich meinte das gar nicht pessimistisch: Die Hürden sind in jedem Fall hoch, schließlich muss man in jedem Fall eine Million Menschen aus einer Reihe von Mitgliedsstaaten dazu bringen, sich für ein bestimmtes Thema zu interessieren und innerhalb einer bestimmten Frist dazu bekommen, auch tatsächlich dafür zu real oder digital zu unterschreiben.
Sehr schön, dass Du daran erinnerst.
Allgemein gesprochen spricht wenig dagegen, die technischen Hürden abzusenken.
Der Trick ist nicht, dass das Quorum wirklich erreicht wird, sondern dass irgendwelche Prozesse angestossen werden, zum Beispiel Anhörungen, Pflichtstellungnahmen, Erstattung von Reisekosten usw. Dabei ist vor allen Dingen wichtig, dass während der Kampagne die Schriftsätze noch angepasst werden können. Ich bin dafür, eine informelle Sammlung zu machen, die bei mutmaßlichen Erreichen des Quorums von der Behörde falsifiziert werden muss, auch im Wege der Stichprobe, falls die Behörde den Vorschlag nicht ohnehin aufnimmt.
Ausserdem sollten delegative Konzepte berücksichtigt werden. Die SPD hat doch z.B. um die 350 000 Mitglieder. Wenn die Parteien eine Art Generalvollmacht ihrer Mitglieder bekämen bzgl. Parteitagsresolutionen, dann hätte wir ein Vorschlagsrecht der Parlamentsfraktionen durch die Hintertür. Man kann sehr kreativ sein, denn hier geht es um sehr wichtige institutionelle Kompetenzen und „technische“ Hürden. Verifikation von Stimmen ist eine gewaltige bürokratische Hürde.
„Erhebliche Bedenken ergeben sich vor allem aus der ungeklärten Frage, wie bei Online-Eintragungen aufgrund der technischen Möglichkeiten manipulativen Missbräuchen vorgebeugt werden kann […]“
Ja, da haben die allerdings recht. Am besten wäre, man erlaubt nur Offline-Unterschriften, da kann man wenigstens nicht einfach einen falschen oder den Namen von jemand anderem eintragen. Palmface.
Die Verifizierung ist eine Gefahr insgesamt, und der Verifizierungsfetisch aufgrund imaginierter Missbräuche ist der Sargnagel des Vorschlags. Wenn man Verifizierung den Bürokraten überlässt, hat man ein vollkommen unbrauchbares Instrument.
Wohlgemerkt, hier geht es doch nur darum, dass man eine Art Massenpetition hat aufgrund derer eine Art schwaches Initiativrecht vorliegt, ein Vorschlag, der von der Kommission aufgegriffen werden darf/kann. Wenn ich eine Petition einreiche muss ich doch auch mich nicht vorher ausweisen.
Ich habe einen pragmatischen Vorschlag: Man muss sich elektronisch registrieren, und man überweist einen symbolischen Betrag oder eine Spende von seinem Konto auf ein Konto der Initiative. Die Kontonummer kann dabei einem registrierten Bürger zugeordnet werden.
Der andere Vorschlag ist Stichprobe. Wenn z.B. 2 Mio Datensätze vorgelegt werden, reicht es 500 zufällige zu überprüfen. Die Last der Verifizierung sollte bei der Kommission liegen. Wenn von den zufälligen 500 Datensätzen 2% fehlerhaft, verstorben oder doppelt sind, macht das überhaupt nichts, wenn sagen wir einmal das Quorum nur bei 1 Million Unterschriften lag und durch Vorliegen von 2 Millionen Datensätzen übererfüllt wurde.
Des Weiteren sollte die Kommission nicht daran gehindert werden, eine Initiative auch dann anzunehmen, wenn sie keinen Erfolg hatte die notwendige Unterstützerzahl zu erreichen.
Eines wurde vielleicht noch vergessen, oder ich habe es übersehen:
Falls ein Land, das von einem Sachverhalt besonders betroffen ist, eine Petition starten wollte, hätte es keine Chance. Eine Reihe anderer Länder müssten mit einem bestimmten Quorum mitziehen. Warum sollten sie das tun?
Naja es hat doch einen gewissen Sinn solche Standards (es hat doch gewissen Sinn das man die Unterschriften verfiziert, wie sonst wollt ihr beweisen das sie echt sind?) schafft.
Ich bin auch der Meinung das ein EU-gleicher Standard besser und logischer wäre als viele einzelne aber Politik heißt eben das man Kompromisse aktzeptieren muss.
Und die Mindestgrenze von Unterschriften macht meiner Meinung nach durchaus Sinn. Denn irgendwie muss man ja die Spreu vom Weizen trennen. Wie sonst wollt ihr sicherstellen das die Petionen ernst genommen werden?
Bei der ECI geht es aus meiner Sicht nicht um die grundsätzliche Frage, ob Unterschriften verifiziert werden sollen oder nicht, ob es also überhaupt irgendwelche Standards geben soll. Sondern es geht um die Frage, wie diese Standards genau aussehen sollen. Auch beim Petitionsserver des Bundestags kann man nicht einfach so unterschreiben. Andererseits braucht man aber auch keinen elektronischen Personalausweis dafür.
Der Vorschlag von A. Rebentisch, die Unterschriften stichprobenartig zu überprüfen, wird auch in der EU diskutiert und hat aus meiner Sicht viel für sich. So können nämlich die Schwellen fürs Unterschreiben relativ niedrig gehalten werden, gleichzeitig erhöht sich durch Stichproben-Überprüfungen aber die Glaubwürdigkeit von Bürgerinitiativen. Gegner einer ECI können dann nicht mehr ohne weiteres behaupten, die eine Million Unterschriften seine nur durch Fälschung (Fantasienamen, Dopplungen, nicht Wahlberechtigte etc.) zusammengekommen.
Ich bin allerdings sehr dagegen, dass die Kommission die Verifikation der Unterschriften vornimmt, wie A. Rebentisch das vorschlägt. Wollen wir wirklich, dass die Kommission die gesammelten Wählerdaten aus der EU bekommt PLUS die Datensätze darüber bekommt, wer in Europa wann welche ECI unterstützt hat? Die Verifikation selbst sollten lieber die Behörden der Mitgliedsländer durchführen – aber eben nach gemeinsamen EU-Standards.
Verdächtig ist doch bereits, wie uns die demokratischen Regeln von oben aufgedrückt werden. Keiner der Bürokraten fragt mal nach, wie wir es gern hätten. Da wäre doch eine Abstimmung angebracht.
„die Kommission ist nicht einmal dazu verpflichtet, der Aufforderung einer Initiative zu folgen, sondern kann sie auch aus rechtlichen oder politischen Gründen zurückweisen.“
Das ist eine Farce. Völlige Willkür. Es ist ein tyrannisches Haus mit dünnem demokratischen Anstrich, der schon abblättert, bevor er aufgetragen ist.
@rumpelpumpel Es gab eine öffentliche Online-Konsultation zur ECI, wo JEDER sich hätte einbringen können. Die Regeln werden halt am Ende von Rat und Parlament beschlossen werden, aber gefragt hat man uns sehr wohl. Es gab ja auch die Anhörung am Montag, von der Stefi hier berichtet.
Dass es insgesamt nur eine Initiative ist und kein europaweiter Volksentscheid ist halt erstmal so. Weiteres können wir politisch vielleicht fordern, wenn die ECI erstmal gut läuft. Das es nur eine iInitiative ist heisst aber eben im Umkehrschluss, dass die Beteiligungsschwellen viel niedriger sein müssen als bei einem Volksentscheid, und dass eine Verifikation aller Beteiligten sowie hohe Quoren nicht nötig sind.
Mit dem Unterschied, Ralf, dass es dem Bürger eine Art schwaches Vorschlagsrecht gibt. Dem Parlament fehlt das. Die Kommission hat ein starkes Vorschlagsrecht. Ein Initiativrecht des Parlamentes ist nicht vorgesehen im Lissabonregime. Es wäre gut, wenn man diese im Vertrag vorgesehene Vorschlagsinitiative so ausweiten kann, dass die Dachorganisationen der großen Volksparteien wie z.B. die PES oder andere Massenorganisationen aufgrund ihrer Mitgliederzahl ein delegatives Initiativrecht erhalten, sofern dies demokratisch von den Mitgliedern beschlossen wurde. In jedem Fall ist das Verfahren so aufwendig, dass es sich lohnt die Hürden so niedrig wie möglich zu setzen, und Delegation zuzulassen.
Hoffentlich schlägt nicht am Ende wieder jemand vor, dass Parlament nach Brüssel zu verlegen oder Englisch als Amtssprache einzuführen um Kosten zu sparen. Oder Minarette zu verbieten, Moslems zu missionieren und „Bankster“-Boni zu beschlagnahmen. Und die Esperanto-Freunde nicht vergessen, die zur Folklore jeder europäischen Bürgerkonferenz gehören.
@ A. Rebentisch
Beim ersten Absatz sind wir uns einig: Ein stärkeres Vorschlagsrecht für das EP wäre gut. Deine Idee ist strategisch interessant, geht aber IMHO für die ECI auch erstmal konkret in die Richtung, dass die Schwellen niedrig sein müssen. Eigentlich willst du aber Liquid Democracy auf EU-Ebene, oder? Spannend. ;-)
Beim zweiten Absatz bin ich anderer Meinung. Auch wenn die Leute irgend einen Scheiss vorschlagen: Wenn sich dafür eine Million Leute in Europa finden, die mit ihrem Namen dafür einstehen, dann muss die Kommission sich damit befassen. Bürgernahes Europa heisst halt auch, dass man sich mit dem manchmal komischen Zeug, den die Leute isch ausdenken, auseinander setzen muss. Alles andere würde das Elitenprojekt EU fortschreiben.
@ A.Rebentisch, @Ralf
Ich bin mir nicht sicher, ob ich ein Gruppenvorschlagsrecht für die ECI wirklich gut finden soll. Aus meiner Sicht hätte es zwei Nachteile:
Zum einen würde es darauf hinauslaufen, dass große und ohnehin schon recht einflussreiche Organisationen gegenüber kleineren Gruppierungen bevorteilt würden. Für den europäischen Gewerkschaftsdachverband ETUC beispielsweise wäre es überhaupt kein Problem, die geforderten 1 Mio Unterschriften qua Mitgliederzahl (ca. 60 Mio) zusammenzubekommen. Er könnte jederzeit eine Bürgerinitiative einreichen. Kleinere Organisationen mit weniger Mitgliedern dagegen müßten mehr Aufwand betreiben, um auf ihre Problem und Interessen aufmerksam zu machen. Am schwersten hätten es Organisationen aus den Mitgliedsstaaten, die keinem europäischen Verband angehören – also genau diejenigen, die ohnehin schon große Probleme haben, ihre Interessen in der EU zu artikulieren.
Zum anderen verfehlt ein Gruppenvorschlagsrecht den demokratischen Sinn der ECI. Bei der ECI geht es doch genau darum, dass die EINZELNEN BürgerInnen die Möglichkeiten haben sollen, den politischen Kurs der EU zu beeinflussen (wenn auch nur schwach). Es geht darum, dem „Eliteprojekt“ Europa – so wird die EU bei der BürgerInnen ja häufig wahrgenommen – qua direkter Mitbestimmung die EU den BürgerInnen näher zu bringen und den Touch demokratischer Selbstherrschaft zu geben. Bei einem Gruppenvorschlagsrecht ist das nicht gewährleistet, sondern hängt von den innerdemokratischen Strukturen der jeweiligen Organisationen ab. Viele Organisationen entscheiden häufig per Vorstands- und nicht per Mitgliederbeschluss. Dann sind es wieder nur „die da oben“ oder „die in Brüssel“, die bestimmen, was in der EU läuft. Aber eben nicht die BürgerInnen.
Nur damit kein falscher Eindruck entsteht, auch das noch kurz: Das Parlament hat zwar kein Initiativrecht – das bleibt in der EU alleine der Kommission vorbehalten. Aber es immerhin hat ein Aufforderungsrecht. Nach Art. 225 AEU kann es die Kommission auffordern, einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten. Das Parlament ist also zumindest nicht schlechter gestellt als die BürgerInnen mit der ECI.
Der Beitrag gefällt mir gut, vielen Dank Stefanie!
Ich arbeite seit über sieben Jahren an der ECI, bislang allerdings weniger an den Online-Fragen, die sich nun aber womöglich zu einer der entscheidenden Knackpunkte für die reale Praktikabilität der ECI entwicklen könnten. Beim ECI-Hearing letzte Woche gab es dazu jede Menge Anregungen. Meine Frage an Euch Blogger und Fachleute: wäre es Eurer Meinung ein großes Hinderniss, wenn man bei einer Online-ECI neben den persönlichen Daten wie Name, Adresse und Geburtsdatum auch noch die Nummer des Personalsausweises angeben muss? Bei direktdemokratischen Verfahren in Deutschland ist das auf Papier ja nicht üblich, aber für eine tatsächliche und glaubwürdige Verfizierung der ECI-Online-Unterschriften wird dies diskutiert. Meiner Einschätzung nach würden erhebliche weniger Menschen eine ECI unterstützen, wenn sie solch sensiblen Daten online angeben müssten. Vielleicht bin ich da persönlich aber auch nur übersensibel. Vielleicht gibt es ja solche Online-Verfahren, wo dies längst üblich ist und auch funktioniert? Über Infos und Meinungen wäre ich Euch sehr dankbar. In wenigen Wochen will die EU-Kommission mit ihrer Verordnung fertig sein und solcherlei Online-fragen werden darüber entscheiden, ob sich dieses erste ansatzweise direkt-demokratische Element auf transnationaler Ebene wirklich entfalten kann.
@Stephanie: Die Machtverhältnisse sind ganz andere als angenommen. Die angesprochen EU-Gewerkschaften z.B. sind extrem einflussarm in der EU-Ebene und weitgehend mit sich selbst beschäftigt. In der EU entscheidet über die Wirkmächtigkeit eines Verbandes nicht seine Mitgliederzahl, sondern die Unabhängigkeit seines Stabes, Erfahrung und die finanzielle Ausstattung. Europäische Dachverbände sind vorrangig mit der Konsultation ihrer Mitgliedsverbände beschäftigt.
Was fehlt sind parlamentarische Kompetenzen. Im Prinzip ist es ganz egal, wie viele Personen eine Idee haben. Es geht nur darum, dass die Verträge ein Recht vorsehen auf eine Bürgerinitiative. Entweder man gestaltet es so, dass es nie dazu kommt, dass das Quorum erreicht wird, oder man ermöglicht es, biegt die eigentlich untaugliche Lösung um. Parteien und Massenorganisationen können für eine gewisse Qualität bei den Anträgen garantieren, die wichtig ist. Blödsinn wie Sonderregeln für Minarette in der Verfassung werden so vermieden. In jedem Fall ist es eine Heidenarbeit, die in keinem Verhältnis zu anderen Einflussformen steht.
Die Kommission kann immer noch machen was sie will. Das Initiativrecht durch die Bürger ist nur ein Vorschlag zum Vorschlag. Dafür wird ein riesiger Aufwand getrieben. Aber in dem Moment, wo eine Chance besteht, dass Verfahren initiiert werden, wird es schlichtweg interessant.
Eine andere Möglichkeit, die mir gerade einfällt. Es gibt im Parlament die Resolutionen zum Mitzeichnen durch Abgeordnete. Die scheitern meistens, weil das Quorum nicht in den drei Monaten zusammen kommt. Warum soll man nicht auch Bürger solche Resolutionen mitzeichnen lassen, oder erlauben, dass ihre Vorschläge durch Parlamentarier mitgezeichnet und ggf. im Plenum verabschiedet werden? Es ist einfacher z.b. 500 Abgeordnete zu überzeugen als 1 Mio Unterschriften zu sammeln für eine Aufforderung an die Kommission etwas zu regeln.
Chronistenpflicht: Das hier ist am Ende dabei herausgekommen.