5 vor 12 (plus 2): Dialoge, Netzsperren, Urheberrecht

In Ihrer FAZ-Kolumne stellt Constanze Kurz die Frage, wie ernst der Politik der Dialog mit den Netzbewohnern ist:

Ist die Einsicht, dass netzpolitische Entscheidungen mit den stets undefiniert gebliebenen Netzbewohnern gemeinsam erarbeitet werden sollten, ernstgemeint? Ja und nein. Angehörige einiger Ministerien und viele einzelne Abgeordnete gehen mit offenem Interesse und auch technischer Neugier an die Gespräche mit der neuentdeckten Spezies des homo reticuli. […] Wie sehr soll sich der Staat in den digitalen Lebensraum einmischen, wo hat er sich herauszuhalten? […] Die ungebrochene Bunkermentalität der Sicherheitspolitiker, kombiniert mit der traditionellen Empfänglichkeit für Einflüsterungen der Industrielobbyisten, machen einen heftigen, neuen netzpolitischen Schlagabtausch unausweichlich.

Keine Ahnung, ob es gleich ein „heftiger Schlagabtausch“ werden muss, aber bei einer Sache bin ich mir ziemlich sicher, liebe Politiker: Wenn es einen Dialog geben sollen, dann sollte er offen und aufrichtig geführt werden. Mit geheucheltem Interesse kommt Ihr gerade im Netz nicht weiter. Dann lasst es besser ganz, das spart uns allen Zeit.

# Politischer Diskurs: Die Heuchelei der Netzversteher (Constanze Kurz, FAZ)

Für Irritationen sorgte gestern eine Meldung der Wirtschaftswoche, die EU-Kommission wolle Netzsperren im Internet durchsetzen. In der „unveröffentlichten Empfehlung“, die der Wiwo vorliegt, geht es allerdings nicht um Kinderpornographie, sondern vor allem um die Durchsetzung von Urheberrechten. Gesperrt werden soll der Zugang zu illegal verbreiteten Inhalten. Und zwar im Rahmen einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“ durch die Provider.

Auch diese Idee ist freilich alles andere als neu. Wenn ich Markus richtig verstanden habe, bemüht sich das Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie schon länger um eine freiwillige Kooperation der Provider. Bisher erfolglos. Und wie ausschaut, wird sich daran auch nichts ändern.

An diesem Donnerstag treffen sich Vertreter der Musik-, Film- und Buchindustrie sowie die Internet-Provider bei Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle in Berlin. Es ist nicht die erste Runde dieser Art. Seit 2008 kamen die Beteiligten schon rund ein Dutzend Mal zusammen, um eine Selbstverpflichtung zu diskutieren, illegale Seiten zu blockieren – bisher ohne Erfolg.

Sollte am Donnerstag keine Einigung erzielt werden, wären die Gespräche gescheitert, sagte Matthias Leonardy, Geschäftsführer der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU). Der Piratenjäger: „Danach halte ich die Chance, dass wir eine gemeinsame Lösung finden, für gleich null.“

# Brüderle ruft zum Krisengipfel gegen Internetpiraten (Wiwo)

Und sonst? Der Ausschuss für Fragen der Europäischen Union, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten, der Rechtsausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen für die Bundesratssitzung am 7. Mai ein klares Bekenntnis zur Strategie „Löschen statt Sperren“. „Löschen und Sperren“ ist nur als Fallback vorgesehen, falls man sich nicht einigen kann. Das ist, in dieser Klarheit, ein durchaus erfreuliches Statetment. Ich bin gespannt.

Weniger erfreulich ist hingegen die Meldung, dass die EU ein Netzwerk aus Kinderschutzorganisationen fördert, um dieses Pro-Netzsperren-Lobbying betreiben zu lassen, wie Daniel Breuss unter Berufung auf einen Artikel von Peter Meller bei Computerworld.com schreibt. Überraschend wäre es allerdings nicht. Auch in Deutschland sind einige Kinderschutzorganisation mehr oder weniger direkt z.B. von der Förderung durch das Familienministerium abhängig. Und wer beißt schon gerne die Hand, die einen füttert?

# Bundesrat empfiehlt „Löschen statt Sperren“ mit Fallback (PDF, ab Seite 5)
# EU zahlt 300.000 Euro für Pro-Netzsperren-Lobbying (Daniel Breuss, diepresse.com)
# EuroDIG-Teilnehmer bevorzugen Löschen statt Websperren (Monika Ermert, Heise Online)

Mehr als unschön ist auch das Verhalten der Blogging-Plattform Posterous, von Nutzern gesetzte Links heimlich in Affiliate-Links umzuwandeln. Kostenloses Angebot hin oder her, das ist in dieser Form einfach eine Sauerei.

# Posterous ändert Links zu Affiliate-Links (Marcel Weiss, Neunetz.com)

Das Paper zum Urheberrechtsmodell für Europa habe ich leider selber noch nicht lesen können, es klingt aber interessant.

# Wissenschaftler stellen Urheberrechtsmodell für Europa vor (Christiane Müller, Telemedicus)

11 Ergänzungen

  1. Wenn ich Markus richtig verstanden habe, bemüht sich das Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie schon länger um eine freiwillige Kooperation der Provider. Bisher erfolglos. Und wie ausschaut, wird sich daran auch nichts ändern.

    Sicher? Anders als früher ist die nötige Infrastruktur zur Seitensperrung nun vorhanden. Woher kommt deine Überzeugung, dass sie auch diesmal standhaft bleiben?

  2. Wunderte mich über die „Breaking News“ der Wiwo, die gestern die Runde machte. Die BMWI-Runde gibt es seit mindestens letztem Sommer: http://www.netzpolitik.org/2009/bmwi-expertenworkshops-zur-bekaempfung-der-internetpiraterie/ Die Besetzung ist übrigens auch interessant. Während Hollywood & Co mit am Tisch sitzen, war es ein Problem für Verbraucherschützer und Datenschutzbeauftragten, ebenfalls dabei zu sein. Mittlerweile dürfen sie. Und von den Bürgerrechtsorganisationen darf keiner mitmachen.

    Die große Frage ist ja: Warum führt die FDP in einem ihrer Ministerien diese Gespräche weiter, wo doch zumindest Leutheusser-Schnarrenberger gegen 2- und 3-Strikes-Verfahren ist (Von Brüderle hab ich noch nichts gehört). Und ihre Argumente dagegen gelten sowohl für staatliche als auch nicht-staatliche Maßnahmen.

    Hier sollte man mal mehr Druck aufbauen.

  3. tja, constanze hat wohl recht, wenn sie ‚heftig‘ sagt. mit freundlichem geplauder ist nix zu erreichen, ohne geld (lobbyisten) auch nicht. ich wünschte so sehr, ich hätte mich geirrt, als ich dachte, das werde eine kurze vorstellung mit de maizière. daß es nun gleich schäuble 1.½ werden mußte, hätte ich aber auch nicht angenommen.

    und brüderle? an netzpolitik ist kein henkel, und es ist auch nix leckeres zu trinken drin. leider ist es auch kein verein, in dem man rummenscheln und sich leutselig präsentieren kann. ever seen a wirtschaftsminister, der so, ähm, zurückhaltend ist? in schwierigen zeiten wie diesen? das ist doch eine farce.

  4. Den de Maizière sehe ich als Schäuble Nach“ver“folger, welcher sich als Gutmensch gibt, jedoch andere Ziele verfolgt. Denen der staatlichen Aufsichtsperson. Der Netzgemeinde die Hand geben, weils im Moment schick ist, aber dann doch – angelehnt an das ZuErschwGes. – den Hahn zudrehen.

    Dem Wirtschaftsminister darf man nicht zutrauen, für dieses Land etwas zu tun. Ich glaube selbst sogar, an Deutschland ist nichts leckeres zu finden und auch kein Henkel dran.
    Kuschelig wirds nur zuhause sein. Die Zeiten, wie in den 80ern, wo ich mich recht wohl fühlte hier, die sind endgültig vorbei.

    So wichtig die Technik um das Internet ist, verbunden mit der Kommunikation und Austausch von Informationen, so sehr denke ich ist in vielen Staaten das ein Dorn im Arsch.

    Offen hat man sich zu einem Dialog bereiterklärt, nur um dann doch die Mauer der Zensur durchzudrücken? Es geht allein nicht um Urheberrecht, Torrents usw. – die Freizügigkeit des Netzes macht denen da oben Kopfschmerzen. Siehe NRW CDU Affären, egal wie wahr dass alles ist.

    Mehr Druck machen? Wie ? Schlaue Argumente sind angebracht, Themen sachlich gut aufbereiten und zum richtigen Zeitpunkt in Stellung bringen. Nur, wenn du alles richtig gemacht hast, was wird, wenn die Gegenseite sich bedankt und dann doch den Kasten schliesst?

    Wir verpennen hier in Deutschland mit diesen Hampels die Zeit. Die scheren sich einen Dreck um die Freiheiten im Netz ( aber nicht nur darum ). Diese Leute wollen nur in ihren alten Polstern sitzen bleiben, uns arm, kurz und dumm dazu halten. Vorgefertigte Infos aus staatlicher Hand. Made by Hu.

    Ich halte das Ganze für einen eher globalen Schulterschluss, ausgehend von sehr einflussreichen Leuten, die uns gerne weiter rumschubsen wollen. Obamas Initiative der Netzregulierung war dagegen nur warmer Wind, ernstzunehmen ist da eher der Vorstoss Cesorship Madame aus Schweden. Da passiert auch was. Zum Nachteil aller freiheitsdenkenden Menschen in Europa.

  5. Constanze findet deutliche Worte: Staffelträger des Sicherheitsstaates; ahnungslos-aggressive Grundstimmung der Unionsfraktion; zu groß ist wohl inzwischen die Gewöhnung daran, dass kommerziellen und Strafverfolgerinteressen der Vorzug gegeben wird

    Darum geht es letztendlich immer: kommerzielle Interessen. Deswegen finde ich Tauss‘ Vergleich von der „Netzgemeinde“ mit der Situation der Indianer gar nicht so verkehrt.

    Wenn alles – Bilder, Texte, Code, Musik – in digitale Bits zerlegt wird und – ob urheberrechtlich geschützt oder nicht – durch ein hierarchieloses Netz geleitet wird, was demzufolge absolute Freiheit ermöglicht, ist das ein Alptraum für die kommerziellen Interessen der Rechteindustrie und für kontrollwütige Sicherheitsfanatiker gleichermaßen.

    Darum werden diese Leute erst Ruhe geben wenn sie ein verbliebenes Disney-Kindernetz in kleine bunte Plastikschachteln portioniert haben, die an Supermarktkassen käuflich zu erwerben sein werden. Dieter träumt davon jeden jeden Tag – wetten?

  6. Etwas OT:
    Gibt es bei der FAZ eine Möglichkeit alle Artikel eines Autors sinnvoll zu navigieren?

    Außer ganz stumpf nach dem Namen des Feuilletons zu suchen, finde ich keine komfortable Möglichkeit. Ärgerlich.

    Noch ärgerlicher werden ältere Artikel, auch die von Constanze, welche ich sehr schätze, gegen 2€ Gebühr zur Verfügung gestellt.

    Nicht, daß ich das Dilemma des Presse nicht erkenne und Zahlungen generelle negativ gegenüberstehe, hier hat die FAZ aber mal den Begriff des „Micro“Payments nicht verstanden. Oder wissentlich nicht umgesetzt.

    Die TAZ hat schon freiwillig was von mir überwiesen bekommen, die FAZ wird so aber keinen Heller von mir sehen. *grummel*

  7. @Tharben, Vera: Sagen wir mal, ich bin nicht nur beim CCC regelmäßig verwundert, was die Diskrepanz zwischen demonstrativer Totalopposition und tatsächlicher Gesprächsbereitschaft betrifft. Aber vielleicht muss das ja so.

    @dk: „Navigation“ im Sinne des WWW gibt es bei den Artikeln, die aus dem Print kommen (also FAZ und FAS) im FAZ.net afaik nicht. Hilfreich ist die Archivsuche: http://fazarchiv.faz.net/FAZ.ein

    Allerdings hilft die eben auch nur bis zur Paywall.

    Eine Alternative für Studenten und Hochschulmitarbeiter ist der Zugang über http://business-archiv.faz.net/intranet/biblionet/

    Dank Campus-Lizenz bekommt man so aus vielen Hochschulnetzwerken freien Zugriff auf das FAZ-Archiv (seit 1993?).

  8. @Jo (#7) Vielleicht hat das mit diesem Digitalen zu tun. Es gibt halt nicht ein bisschen 0 und beinahe 1. Der Gegenseite unterstelle ich allerdings Kälkül.

  9. @Tharben: Glaubst du? Ich glaube eher, dass es ein Verhalten aus der nicht-digitalen Welt ist, das im Digitalen an seine Grenzen stößt.

    Kalkül unterstelle ich dabei grundsätzlich allen Beteiligten, sonst müsste ich ihnen ja Naivität unterstellen.

  10. @Jo Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit einerseits, andererseits Kalkül oder Naivität.

    Ich meine, dass die Seite der Netzbefürworter Aufrichtigkeit, Verlässlichkeit und Naivität für sich beanspruchen darf, und dass die Seite der Netzgegner Kalkül für sich beanspruchen sollte. Ich erinnere nur an das taz-Interview mit de Maizière.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.