Nach dem PR-Desaster um die neuen Nutzungsbedingungen hat die Netzwerk-Plattform Facebook jetzt eine Reihe von Neuerungen veröffentlicht. Unter anderem sind das folgende:
- Die Nutzungsbedingungen heissen jetzt „Rights and Responsibilities“ (etwa: „Rechte und Pflichten“). Sie werden ergänzt durch die „Facebook Principles“ (Facebook-Prinzipien), die eine Art von Rechte-Charta der Nutzer darstellen.
- Sie werden bis zum 29. März im Entwurf zur Debatte gestellt und sollen aufgrund des Nutzer-Inputs überarbeitet werden.
- Die Nutzer können über Änderungsvorschläge abstimmen, wenn mehr als 7000 der geschätzten 175 Millionen Nutzer einen Kommentar zu einer Änderung abgeben.
- Die Ergebnisse solcher Abstimmungen werden von Facebook als bindend angesehen, wenn mindestens 30% der Nutzer (ungefähr 52,5 Millionen) sich daran beteiligen.
- Die bisher vorgeschriebene außergerichtliche Einigung im Falle von Streitigkeiten zwischen Facebook und den Nutzern wird durch ein Verfahren vor den Gerichten (an Facebooks Sitz in Kalifornien) ersetzt.
Nach den bisherigen Reaktionen wird dies alles von Leuten von der Electronic Frontier Foundation, von Privacy International, und vom Electronic Privacy Information Center als sehr guter Schritt in die richtige Richtung bewertet. Ich bin da etwas skeptischer, weil z.B. das Mindestquorum von 30% der Nutzer ziemlich sicher nie erreicht werden wird und Facebook sich weiterhin das Recht vorbehält, auch ohne Ankündigung oder Abstimmung Änderungen an den Nutzungsbedingungen vorzunehmen.
Der Ansatz, für solche quasi-öffentlichen Räume im Netz eine Art Konstitutionalisierung einzuführen, geht aber auch nach meiner Meinung in die richtige Richtung. Sprachlich und konzeptionell ist das alles nämlich ein interessanter Sprung in Richtung einer „Verfassung“ für soziale Netzwerke. Es gibt eine Grundrechte-Charta, es gibt bindende Abstimmungen, es gibt den ordentlichen Rechtsweg. Das sind einige der zentralen Elemente moderner Verfassungen. Diese Sicht wird auch von Facebook selber bestätigt. Chris Kelly, der Chief Privacy Officer von Facebook, nennt die neuen Nutzungsbedingungen explizit „constitutional documents“, also „Verfassungsdokumente“. Auf die Tatsache, dass die Firma Facebook quasi eine Regierungsfunktion im Verhältnis zu ihren Nutzern hat, haben Online-Forscher wie Fred Stutzman schon vor einiger Zeit hingewiesen.
Was jetzt noch fehlt, wären natürlich Wahlen, also die direkte Vertretung der „Bevölkerung“ in den Entscheidungsprozessen des Unternehmens. Bislang ist nur ein handverlesener „Nutzerrat“ vorgesehen. Dass man hier das Prinzip noch nicht ganz verstanden hat, zeigt auch die aktuelle Stellungnahme von Gründer Mark Zuckerberg:
„History tells us that systems are most fairly governed when there is an open and transparent dialogue between the people who make decisions and those who are affected by them. We believe history will one day show that this principle holds true for companies as well, and we’re looking to moving in this direction with you.“
Während eine Demokratisierung auch von privaten Unternehmen nicht verkehrt ist, zumal wenn sie wie Facebook soziale Räume bereitstellen, muss irgendjemand Herrn Zuckerberg noch erklären, dass Demokratie mehr bedeutet als nur ein Dialog. Aber wie gesagt, mit dieser Entwicklung geht Facebook in eine interessante Richtung. Mal sehen, wann sich die Konkurrenz einen Schritt weiter traut.
Wahlen wiederum setzen erstens voraus, dass die Leute sich beteiligen und zweitens, dass tatsächlich jeder nur einmal abstimmen kann. Ich für meinen Teil habe kein Interesse Verfassungsgeber für jedes Forum zu sein, wo ich mal poste – wenn ich es wollte, könnte ich es aber ohne Probleme unter 10 Identitäten tun.
Ich sehe das eher so, dass Facebook eine Firma wie jede andere ist, die meinetwegen so handeln kann wie sie will (dabei aber auch mit den Konsequenzen, einem Nutzerschwund, rechnen muss). Wenn diese Firma ihre Kunden involvieren will, dann soll sie das machen.
Allerdings glaube ich nicht, dass sich dieser demokratische Prozess überall durchsetzen kann und sollte. Beim Geschäft ist es oft besser, wenn weniger Menschen die Richtung weißen. Ansonsten verstrickt man sich monatelang in Diskussionen und die Konkurrenz hat die Ziele bereits lange umgesetzt und die Kunden abgeworben.
Echte Demokratisierung wäre ja wohl eher Demokratisierung des Codes (der „Gesetze“ von Facebook) …
Nur mal so als Idee:
Da bestimmt ein guter Teil der Nutzer nur Karteileichen sind, ist gewährleistet, dass die erforderlichen Anteile sicher nicht erreicht werden.
ähh… vollkommener Blödsinn. Man sollte sich nciht vormachen, dass ein privates Unternehmen deshalb besser ist, weil es die Nutzer zu ihrer Meinung befragt (nix anderes ist das).
sinnvoll und nötig ist sowas nur in selbstorganisierenden Netzwerken, z.B. wenn man nen dezentrales p2p-System hat, wo die Nutzer Regeln definieren müssen, um dafür zu sorgen, dass andere das System nicht zu ihren Nutzen ausnutzen. Also z.B. dass man Nutzer bannt, wenn diese nur fremde Ressourcen nutzen, aber keine eigene freigeben.
Und auch dann sollte man die Konvergenz des Systems betrachten. Ist das System stabil, oder kann die „Demokratie“ schnell zerbrechen und somit das System tot machen. Ist es nicht stabil, sollte man erst garnicht versuchen es zu implementieren.
Allerdings ist so ein P2P-System wo jeder nicht nur Dateien, sondern auch Dienste zur Verfügung stellen kann, und somit bestimmte Regeln benötigt noch Zukunftsmusik.
Arne, kannst du das mit der Konvergenz so erklären, dass es auch ein Nicht-Techniker versteht? Würde mich mal interessieren…
Ich sehe hier durchaus gute Gründe, warum Facebook einige (bzw. viele oder fast alle) Leitungskompetenzen an seine User delegieren sollte.
– Ein Social Network nimmt häufig einen bedeutenden Teil des sozialen Lebens seiner Nutzer ein. Auch wenn ein Nutzer mit der allgemeinen Entwicklung des Networks unzufrieden ist, kann er häufig nicht aussteigen, denn er ist auf den Dienst angewiesen.
– Das selbe gilt auch für den Markt insgesagt: Wegen der Netzwerkeffekte gibt es bei Social Networks starke Monopolisierungstendenzen. Ein Social Network wird sich meist nicht deswegen am Markt durchsetzen, weil es gut ist – es wird sich deswegen durchsetzen, weil es zuerst da war. (Keine Regel ohne Ausnahme: StudiVZ. ;-) )
– Ein Social Netzwork bringt nur sehr wenige „eigene“ Leistungen (z.B. dem Programmcode oder dem Webspace, die das Unternehmen zur Verfügung stellt). Der eigentliche Mehrwert für die Kunden ergibt sich aus dem, was andere Kunden über das „Netzwerk“ übermitteln. Insofern ist es nur gerecht, den angeschlossenen Kunden auch einen Teil der Macht über das Netz zu geben.
Ich finde es ganz interessant, dass hier und anderswo Fragen aufkommen, die ich schon in ganz anderem Zusammenhang kenne: aus dem Staatsrecht, bzw. der Politikwissenschaft. Dort ließen sich diese Fragen auch alle lösen, und mir fällt kein Grund ein, warum das nicht bei Facebook nicht gehen sollte.