Netzpolitik-Interview: Sechs Jahre Free Software Foundation Europe

Vor sechs Jahren wurde die Free Software Foundation Europe (FSFE) gegründet, die zu meinen Lieblingsorganisationen zählt. Georg Greve, Präsidident der FSFE, hat mir mal für ein Netzpolitik-Interview einige Fragen zur Geschichte und Zweck der Organisation beantwortet. (Es gibt auch schon ein älteres Podcats-Interview mit Georg und unregelmässig schreibt er hier mit)

Die amerikanische Free Software Foundation (FSF) ist seit Mitte der 80er Jahre aktiv. Wieso habt Ihr die FSFE gegründet?

Hierfür waren mehrere Faktoren ausschlaggebend. Freie Software ist ein globales Phänomen, in dem Europa eine zentrale Rolle spielt. Dabei hat sich die Gemeinschaft spürbar verändert. Sie ist stark gewachsen und viele Probleme sind politischer geworden. Diese Aufgaben sind durch eine einzelne Organisation kaum weltweit abzudecken, und darüberhinaus ist es wichtig, den Dialog mit einer Gesellschaft in ihrem kulturellen Kontext zu führen. Die politischen Stile in den USA und in Europa sind durchaus unterschiedlich, auch Kommunikation funktioniert anders. Der Versuch, mit einem Ansatz beide Gebiete abdecken zu wollen, kann also nur bedingt erfolgreich sein.

Und schliesslich dachten wir bei der Gründung der FSFE viel über die Rolle der FSF in der Freien Software nach. Das Prinzip einer langfristig orientierten Organisation, die im Zweifelsfall auch unbequeme Wahrheiten ausspricht oder kurzfristig schwierige Entscheidungen trifft, erschien uns sehr wichtig. Es erschien uns insbesondere viel zu wichtig, um diese Funktion einer einzigen Organisation zu überlassen, die obendrein in einem Land angesiedelt ist, dessen Rechtssystem zu extremen Urteilen mit hohen Geldforderungen neigt.

Wir wollten also eine Sicherung der Arbeit durch eine FSF, die aus der europäischen Freien Software Gemeinschaft entspringt und dauerhaft in ihr angesiedelt ist, um den wachsenden Anforderungen an Freie Software gerecht zu werden. Aus diesem Gedanken ist der Gedanke des „FSF Netzwerks“ entstanden, in dem alle FSFs als gleichberechtigte Organisationen nebeneinander stehen. Alle FSFs sind voneinander finanziell, juristisch und personell unabhängig und sind verbunden über Kooperation und gemeinsame Prinzipien. FSFE war die erste FSF ausserhalb der Vereinigten Staaten, im Laufe der letzten Jahre sind noch die FSF India und FSF Latin America hinzugekommen, das Netzwerk umfasst jetzt also vier Organisationen.

Vor zwei Jahren habt wurde die Fellowship-Community gestartet. Was ist das Ziel und hat sie bisher die Erwartungen erfüllt?

Ein Grund für den Start des Fellowship war der Wunsch, mehr Menschen in den Dialog über die Freiheit in der digitalen Gesellschaft einzubeziehen und über eine neue Art der Kommunikation und ansprechenden visuellen Gestaltung auch Leute ausserhalb der „üblichen Verdächtigen“ zu erreichen. Dies ist zum Teil sicherlich bereits gelungen, auch wenn wir im Moment noch weitere Multiplikatoren in anderen Gemeinschaften, beispielsweise bei den Journalisten, Ärzten, Anwälten oder Architekten bräuchten, die uns helfen, ihre Kollegen auf diese Fragen aufmerksam zu machen. Zweitens wollten wir einen einfachen Weg schaffen, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten und die Schwelle zur eigenen Aktivität zu senken.

Dies ist sicherlich zu einem hohen Mass gelungen. Es gibt an vielen Orten regelmässige Fellowship-Treffen und letztes Jahr gab es das erste internationale Fellowship-Treffen in Bozen. Es haben etliche Leute über das Fellowship ihren Weg in die FSFE gefunden, in einem Fall wurde dies sogar zum Beruf: Shane Coughlan, der Koordinator der kürzlich in Zürich gestarteten „Freedom Task Force“ kam über das Fellowship mit der FSFE in Kontakt und hat so seine Anstellung gefunden.

Ein weiterer Grund war natürlich auch die Notwendigkeit, die Arbeit der FSFE zu finanzieren. Obwohl freiwillige Arbeit sicherlich zu einem grossen Teil das Fundament der FSFE ausmacht, und nicht hoch genug bewertet werden kann, lassen sich nicht alle Aufgaben auf freiwilliger Basis mit ausreichender Konstanz und Qualität gewährleisten. Fellows unterstützen die Arbeit der FSFE mit einem selbst bestimmten Beitrag von empfohlenen 120 EUR und minimal 60 EUR pro Jahr und haben so beispielsweise die Arbeit von Ciaran O’Riordan möglich gemacht, der in Brüssel beispielsweise gegen Softwarepatente oder die ausufernde Kriminalisierung von privaten Urheberrechts- oder Patentverstössen im Rahmen von „IPRED2“ aktiv war.

Gerade der letzte Punkt ist ebenfalls wichtig, wenn es um die Frage des politischen Gewichts geht. Je mehr Menschen die Arbeit freiwillig und mit ihrem Beitrag unterstützen, um so mehr Aufmerksamkeit können wir von Politikern einfordern. Und da ist es schon ein Unterschied, ob man sagt „wir haben 10.000 Leute auf einer Mailingliste“ oder „wir haben 10.000 Leute, denen unsere Arbeit so wichtig ist, dass sie diese jährlich mit einem nicht nur symbolischen Beitrag unterstützen.“ Daher sind wir insgesamt sehr glücklich mit dem Fellowship, und diese Einschätzung wird anscheinend auch von vielen Unternehmen geteilt, die verschiedene Hardware und Bücher für die diesjährige Fellowship-Verlosung bereitgestellt haben.

Am 1 April 2007 werden diese Gadgets — darunter unter Anderem auch ein Trolltech Greenphone — unter allen aktiven Fellows verlost. Ein Dankeschön für die gute Arbeit der letzten Jahre von den Unternehmen, das wir gerne an unsere Fellows weiterreichen, denn das Fellowship hat einen wesentlichen Anteil an unserer Arbeit.

Was sind Bedrohungen für die Entfaltung von Freier Software?

Die Bedrohungsszenarien haben sich in den letzten Jahren immer weiter verfeinert und sind letztlich mit den Bedrohungen für die Freiheit im Informationszeitalter identisch. Es gibt Versuche, diese Freiheit über eine Kombination aus juristischen, technischen und politischen Richtungen zu beschneiden — oft aus finanziellen Motiven.

Das juristische Feld bewegt sich im Rahmen der aktuellen Gesetzgebung, wo vor allem Urheber- und Patentrecht zunehmend grosse Schwierigkeiten für die Weiterentwicklung der Technologie darstellen. Nicht ohne Grund wird von einer „Patent-Verminung“ gesprochen, die beispielsweise im Gebiet von Multimedia-Software extrem ist. Generell gilt, dass so teilweise ganze Gruppen und Unternehmen von der Weiterentwicklung eines Sektors ausgeschlossen sind, was durchaus beabsichtigt ist.

Ein Beispiel hierfür ist das Microsoft Monopolverfahren, in dem Microsoft auf Urheber- und Patenrechte pocht, um Protokolle und Interoperabilitätsinformation geheim zu halten. Protokolle selber sind im Wesentlichen willkürliche Festlegungen auf bestimmte Konventionen. Diese sind nicht selber wertvoll, müssen aber exakt bekannt sein und eingehalten werden, damit Software unterschiedlicher Hersteller perfekt miteinander interagieren kann. Der Wert von Software liegt dabei in der Software selber, also der Implementation.

Durch das Verändern und anschliessende Geheimhalten von Protokollen kann aber leicht Herrschaftswissen geschaffen werden. Dieses Herrschaftswissen soll nun durch Urheberrechte und Patente legitimiert und bewahrt werden. Mehr Erklärungen finden sich beispielsweise in unseren offenen Briefen zu Softwarepatenten.

Technologische Bedrohungen unserer Freiheit gibt es beispielsweise im Bereich des „Digitalen Restriktions-Management“ (DRM), bei dem eine dritte Partei mehr Kontrolle über die informationelle Infrastruktur erhält, als deren Besitzer. Mein Computer, mein Fernseher und mein Videorekorder unterliegen der Fernsteuerung durch eine mir nicht bekannte Person oder Gruppe, die nach Regeln entscheidet, die mir teilweise nicht bekannt sind und die keiner demokratischen Kontrolle unterliegen. Unsere eigenen Interessen sind in dieser Hinsicht zweitrangig. Das mag für Fernseher und Videorekorder harmlos klingen. Letztlich erfordert DRM jedoch den zumindest teilweisen Verlust der Kontrolle über jeden einzelnen Computer, was alle Anderen auf meinem Computer gespeicherten Daten betrifft: Bankdaten, persönlichen Briefe, Fotos, Kalender und Termine, Gesundheitsinformationen usw usf.

Dies ist nicht nur technologisch ein Alptraum und Bibliotheken fürchten zurecht einen gigantischen Informationsverlust, es untergräbt auch die Kreativität und die Prinzipien unserer Demokratie. Dies wäre ein sehr hoher Preis, um das überholte Geschäftsmodell der sogenannten „Verwertungsindustrie“ zu retten, was ironisch wäre, kann sie es doch mit dem Umsatz der Computerindustrie nicht mal annähernd aufnehmen.

Politisch schliesslich sehen wir massive Versuche, das Urheber- und Patentrecht weiter zu verbreitern und gleichzeitig die Sanktionen zu erhöhen. Ausserdem gibt es immer wieder Versuche, bestimmte Teile der digitalen Gesellschaft durch Gesetzgebung zu regulieren, was oft eher den Interessen der proprietären Monopolisten dient. Hier sind insbesondere Offene Standards ein zentrales Element und eine zentrale politische Forderung, wobei ein Offener Standard letztlich mehrere Kriterien erfüllen muss: Öffentliche und verfügbare Dokumentation, freie Implementierbarkeit sowohl in finanzieller wie in juristischer Hinsicht und Definition und Pflege in einem öffentlichen und zugänglichen Gremium.

Idealerweise sollte er auch über eine Referenzimplementation in Freier Software verfügen, damit alle Umsetzungen des Standards entweder direkt auf diese zurückgreifen können, oder aber zumindest die Möglichkeit haben, ihre eigene Umsetzung beliebig gegen die Referenz zu testen. Gerade in diesem Gebiet werden wir in Zukunft wohl noch etliche heisse Debatten sehen, speziell im Gebiet der Büroanwendungen. Der Zusammenstoss zwischen den Offenen Standard „Open Document Format“ (ODF) und dem proprietären „Office OpenXML“ (OpenXML) von Microsoft im letzten Jahr hat uns da einen Vorgeschmack gegeben. Offene Standards hebeln den oben beschriebenen Mechanismus aus. Daher ist Microsoft im Moment bemüht, Offene Standards zu umzudefinieren, dass sie den Mechanismus weiter erlauben.

Dies ist die Motivation hinter dem Versuch, OpenXML als ISO Standard zertifizieren zu lassen, und wenn Microsoft Erfolg hat und es schafft, dies als Präzedenzfall zu installieren, wird die langwierige Arbeit für Offene Standards um viele Jahre zurückgeworfen werden, zum Nachteil der Gesellschaft und aller Computernutzer.

Welchen Stellenwert hat Freie Software in einer sich entwickelnden Wissensgesellschaft?

Freie Software ist zentral in einer Wissensgesellschaft, aus zwei wesentlichen Gründen: Software definiert die Regeln der Wissensgesellschaft, wie es beispielsweise auch Prof Lawrence Lessig in seinem Ausspruch „Code is Law“ auf den Punkt brachte. Der Zugang zu Software entscheidet unmittelbar über den Zugang zu Wissen.

Das macht die Freiheit der Software zu einer essentiellen Vorausetzung der Wissensgesellschaft, da nur so gleiche Rechte und Möglichkeiten gewährleistet werden. Zweitens stellt Freie Software ein bisher nicht gekanntes Reservoir an Wissen dar, aus dem alle Menschen gleichberechtigt schöpfen können. Dies ist wichtig, weil Softwareentwickler ähnlich wie Schriftsteller viel lesen müssen, um selber gut zu schreiben. Es ist auch wichtig, weil nur so gewährleistet ist, dass jeder Mensch die Regeln der Informationsgesellschaft verstehen und mitgestalten kann.

Das bedeutet nicht unbedingt, dass alle Menschen Software entwickeln müssen, ebensowenig wie alle Menschen zu Schriftstellern werden, aber alle Menschen sollten das Recht und die Möglichkeit haben. In einer Wissensgesellschaft sollte es eine freie persönliche Wahl sein, Wissen über die Grundlagen der Wissensgesellschaft zu erwerben.

Freie Software schützt und gewährleistet diese Wahlfreiheit.

Was sind Eure Ziele für die nächsten Jahre?

Wir wollen unsere Tätigkeit geographisch ausbauen, insbesondere auch, indem wir lokale Teams in weiteren Ländern aufbauen und mehr Menschen finden, die sich für diese Themen interessieren. Gerade in Osteuropa werden diese Themen in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen und das Tempo ist dabei teilweise atemberaubend. Darüberhinaus planen wir, unsere ständigen Aktivitäten auf Basis der Europäischen Kommission und Vereinten Nationen weiter auszubauen und die politische Arbeit auf allen Ebenen konsequent fortzusetzen.

In unserer direkten Arbeit für die Freien Software Gemeinschaft spielt die Freedom Task Force eine zentrale Rolle. Als Ansprechpartner für Lizenzfragen, bei Lizenzverletzungen und als Treuhänder erlaubt die FSFE den Projekten, sich auf Projektkoordination und -entwicklung zu konzentrieren.

Ein weiterer Schwerpunkt wird sicherlich die Arbeit um Offene Standards sein und natürlich wollen wir das Fellowship weiter ausbauen, ebenso wie unsere Ausbildungs-Aktivitäten im Rahmen unseres Praktikanten-Programms, das in den letzten Jahren sehr erfolgreich war.

Wie kann man Euch unterstützen?

Zum Einen natürlich durch die freiwillige Mitarbeit, ein Einstieg findet sich auf unserer Webseite. Zusätzlich oder alternativ dazu freuen wir uns über jeden neuen Fellow und wer nur spenden will, kann das natürlich auch tun. Auch Verlinken unserer Webseiten und der Hinweis auf unsere Arbeit ist immer hilfreich. Gute Anlässe finden sich beispielsweise in unserem Newsletter.

Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um Allen zu danken, die unsere Arbeit in den letzten Jahren möglich gemacht und begleitet haben. Wir machen diese Arbeit für die ganze Gesellschaft und auch sehr gerne, doch ohne die Unterstützung wären viele Dinge nicht möglich gewesen.

In diesem Sinne: Vielen Dank!


Bei Heise gab es am Samstag einen netten Artikel zur kurzen, aber intensiven Geschichte: Sechs Jahre Free Software Foundation Europe.

2 Ergänzungen

  1. ptx1981.org: Deinen Kommentar verstehe ich nicht. Das Letzte Interview über Freie Software und der FSFE auf netzpolitik war von mir, warum nicht auch eins mit Georg?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.