Bundesregierung will Zensursula-Gesetz – aber es nicht anwenden?

Spiegel Online meldet gerade: „Schwarz-Gelb rückt von Internetsperren ab“. Es geht darum, das Zugangserschwerungsgesetz aus der großen Koalition, dem immer noch die Unterschrift des Bundespräsidenten fehlt, endlich auszufertigen. SpOn schreibt:

„Die gegenwärtige Bundesregierung beabsichtigt eine Gesetzesinitiative zur Löschung kinderpornografischer Inhalte im Internet“, heißt es in dem fünfseitigen Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt. Die Regierung will also ein Gesetz, aber ein anderes.

Man werde sich bis dahin „auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes ausschließlich und intensiv für die Löschung derartiger Seiten einsetzen, Zugangssperren aber nicht vornehmen“, heißt es in der Stellungnahme des Bundeskanzleramts, die auf eine gemeinsam abgestimmte Position von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zurückgeht. „Die damit gemachten Erfahrungen werden in die Gesetzesinitiative einfließen.“

Wenn man das nüchtern liest, wollen sie also die Unterschrift von Bundespräsident Köhler, aber mit dem Versprechen, dass es vorläufig keine Anwendung der Sperr-Elemente geben wird. Damit wäre das Zensursula-Gesetz durch.

Später kann dann ja (wie vermutlich ursprünglich geplant) die Evaluation ergeben, dass sie diverse Seiten nicht löschen konnten und die Sperren daher sinnvoll sind, wenn auch in beschränkten Ausnahmefällen. Auf EU-Ebene wird ohnehin in diesem Kontext gerade diskutiert (Art. 14), dass man nur Seiten außerhalb der EU sperren lassen möchte.

Ohne ein sauberes Aufhebungsgesetz ist das daher alles noch nicht wirklich glaubwürdig, auch wenn die FDP und der neue Innenminister sich jetzt von SpOn feiern lassen.

34 Ergänzungen

  1. Dr. Stöcker von Spon hat heute auf dem Bitkom-forum Kommunikations- und Medienpolitik auf eine Studie der Universität Cambrigde verwiesen die unter http://www.cl.cam.ac.uk/~rnc1/takedown.pdf zu finden ist. In der empirischen Studie wird gemessen wie schnell nach einer notice and takedown notification reagiert wird.
    Für 2007 ergibt sich eine durchschnittliche Reaktionszeit von 4,7 Stunden für phishing content, was als durchaus schnelle Reaktion zu werten ist. Bei Kinderpornographischen Inhalten ist die durchschnittliche Reaktionszeit bei 562 Stunden also etwas 3 Wochen.
    Die Studie zu lesen lohnt sich, denn es ist ganz klar, dass
    abstract:
    „We consider a number of notice and take-down regimes for Internet
    content. These differ in the incentives for removal, the legal framework for compelling
    action, and the speed at which material is removed. By measuring how
    quickly various types of content are removed, we determine that the requester’s
    incentives outweigh all other factors, from the penalties available, to the methods
    used to obstruct take-down.“

    man könnte daraus folgern, ein neues Gesetz wird nicht gebraucht sondern eher ein anderes Anreizsystem, verpflichtende Reaktionszeiten z.B.

  2. Hihi, was für ein Service: da denk ich mir gestern Abend noch, dass ich zu müde bin, mir den Artikel noch durchzulesen, da erinnert einen gleich netterweise das Morgenmagazin im ZDF, das noch nachzuholen ;)

  3. Ich habe ein extrem ungutes Gefühl, wenn die Regierung ein vom Parlament beschlossenes Gesetz einfach nicht anwenden will. Man muss diesen Vorgang aus rechtsstaatlicher Perspektive betrachten. Ein Grund zu feiern ist das nicht, auch wenn es in diesem Fall ein sympatischer Gedanke ist.

  4. Es ist einfach ein unwürdiger Vorgang erst ein Gesetz zu verabschieden um sich anschließend davon zu distanzieren. Nun kann man genau sehen, dass es der Mehrheit der Abgeordneten der letzten Legislaturperiode herzlich egal war, für was sie da eigentlich genau stimmen.

    Mich persönlich freut ungemein, dass Fr. Von der Leyen diese Niederlage jetzt mit sich herumträgt. Ihr Prestigeprojekt will eigentlich niemand, noch nichteinmal ihre eigene Partei :D

  5. Dieses Gesetz muss weg. Herr Köhler sollte es auf keinen Fall unterzeichnen. Das den Versprechungen der Regierung nicht zu trauen sind, zeigt sich grad in letzter Zeit (Stichworte Nacktscanner, Steuersünder-Datei). Was soll man von Hehlern erwarten, die glauben mit geeigneter Rhetorik könnte man das Volk manipulieren. In einem Jahr wissen die nichts mehr von ihren Zusagen, das Gesetz auszusetzen.

    Außerdem wird es Zeit für UvdL zurück zu treten. Sie ist einfach nur unfähig.

    Deutschland brauch keine neuen Gesetze, es brauch neue Politiker, die bereit sind den Willen des Volkes zu respektieren. Bestehende Gesetze müssen angewendet werden, die Verfolgungsbehörden müssen angemessen ausgestattet werden – dann kann man auch Verbrecher jeder Art verfolgen.

  6. Ich hoffe bloss unser Bundespräsident fühlt sich genauso vera****t wie wir und lässt sich nicht verleiten doch noch zu unterschreiben!

    Ich würde mich jedenfalls an seiner Stelle inzwischen gewaltig verschaukelt vorkommen, wenn ich unter den Umständen dieses Gesetz jetzt doch noch unterschreiben soll…

  7. Mir fehlt in den bisherigen Kommentaren (allgemein, auch außerholb dieses Blogs) zu diesem Manöver eins ganz besonders:

    Die Rede von einer Gesetzesinitiative zur Löschung ist doch völlig widersinnig! Genauso könnte man eine Gesetzesinitiative zur Verfolgung der Brandstiftung ankündigen. Ach, die gibt es schon? Tja, genauso ist es mit dem Löschen. Siehe § 59 Abs. 3 des Rundfunkstaatsvertrags

    Mannomann….

  8. Lest euch doch nur mal die Überschrift durch: „Bundesregierung will Zensursula-Gesetz – aber es nicht anwenden?“

    Warum will die Bundesregierung dann das Gesetz.

  9. Ich sehe grade die Meldung beim Petitionssystem und es paßt zum Thema:

    Am 22. Februar berät der Petitionsausschuss ab 13:00 Uhr zwei Petitionen zum Thema Internetsperren in einer öffentlichen Sitzung. Nähere Angaben folgen.

  10. Hey, ich bin hier der FDP-Bashing-Meister, aber so schön argumentativlos war mir das bisher nicht gelungen. ;)

  11. Zuerst möchte ich anmerken, dass Frage und Antwort unter demokratischen Gesichtspunkten veröffentlicht gehören. Weder BP noch Regierung handeln als Privatpersonen. Im übrigen gehört die Frage des BP an das Parlament gerichtet, das das Gesetz verabschiedet hat.
    Nach den bisherigen Informationen aus SPO wird um Unterschrift des BP gebeten, und die weitere Behandlung des Gesetzes erläutert. Seit wann machen wir Gesetze mit „side-letters“?
    Immer noch nicht geklärt ist, ob das Gesetz ansich zustande gekommen ist. Schliesslich wurde in der 1. Lesung ein ganz anderes Gesetz vorgestellt.
    Und was ist mit den Providerverträgen? M.W. sind sie nicht gekündigt, somit immer noch in Kraft.
    ich glaube, es wird noch einen kräftigen Hickhack geben. Und die Rolle von Leuthäusser? Sie trägt wohl den Text an den BP mit? Na, da scheint ja auf die FDP das nächste Gewitter zuzukommen.

  12. youtube.com/watch?v=vGuXVzgZ1uA

    Ich verweise hier auf Angela Merke sagt die Wahrheit:

    Man kann sich nicht darauf verlasse, dass das, was vor den Wahlen gesagt wird, auch wirklich nach den Wahlen gilt. Und wir müssen damit rechnen, dass das sich in verschiedenen Weisen sich wiederholt

  13. Ich will und werde mich in den allgemeinen Tenor contra FDP nicht einreihen, denn ich denke, dass der eingeschlagene Weg gangbar ist und am Ende ein sinnvolles Ergebnis stehen wird. Und dieser Ergebnis steht nach meiner Einschätzung nicht deswegen, weil die CDU es auf einmal verstanden hat, sondern weil die FDP einen für alle gangbaren Weg aufgezeigt hat, der zum richtigen und wünschenwerten Ziel führen wird. (Und bevor die Frage/Mutmaßung kommt: nein, ich bin kein klassischer FDPler)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.