Automatisierte GesichtserkennungWie das Vermummungsverbot Menschen und Grundrechte gefährdet

Es gibt gute Gründe, auf Versammlungen das Gesicht zu verhüllen. Filmende Neonazis und Polizist*innen zum Beispiel – und die wachsende Bedrohung durch automatisierte biometrische Identifikation. Amnesty International, die Gesellschaft für Freiheitsrechte und die Humanistische Union fordern ein Ende des pauschalen Vermummungsverbotes.

Eine Polizeiperson mit einer Videokamera
Die Menschen, die diese Person aufnimmt, dürfen sich nicht vermummen. Und mit aktueller Gesichtserkennungstechnologie lassen sie sich problemlos identifizieren. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / blickwinkel

An der „Packstation“ vor dem Bahnhof Oranienburg stehen Ende September etwa zwei Dutzend junge Menschen. Sie sind hauptsächlich schwarz gekleidet und akkurat frisiert. Dem Anschein nach weitestgehend Träger von Y-Chromosomen. Einer hält eine Flagge hoch, schwarz-weiß-rot mit Adler, zwei tragen ein Banner, auf dem steht: „Es gibt nur zwei, Geschlechter“.

Etwa fünf Meter vor dem Banner steht eine männlich gelesene Person im Minirock. Die ruft: „Ihr Nazis“. Die Angesprochenen antworten gut gelaunt „Ja“ und „Genau“ und grölen im Chor: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“. Einer der Nazis hält sein Handy in Brusthöhe auf den Mensch im Minirock gerichtet, er filmt scheinbar auch die fünf, sechs anderen Personen, die seiner Gruppe gegenüberstehen.

Beide Parteien sind wegen des CSD Oberhavel hier, einer Queer-Pride-Demo im brandenburgischen Oranienburg. Die Rechtsradikalen wollen dagegen protestieren. Ihnen gegenüber stehen Unterstützer*innen der Vielfaltsdemonstration. Einige tragen FFP2-Masken.

Feindesliste per Gesichtersuchmaschine

Nach dem Bundesversammlungsgesetz ist es verboten, zum Schutz der Identität auf Freiluftversammlungen das Gesicht zu verhüllen. Bis zu ein Jahr Haft droht der entsprechende Paragraf an. Allein das Mitführen von Vermummungsutensilien kann eine Geldbuße von bis zu 500 Euro nach sich ziehen. Das sogenannte Vermummungsverbot ist schon immer verfassungsrechtlich umstritten. Mit den neuen technischen Möglichkeiten zur biometrischen Identifikation wird es zur Gefahr für die Demokratie.

Frei zugängliche Gesichtersuchmaschinen verweisen, wenn man eine Aufnahme einer Person hochlädt, auf andere Bilder des gleichen Menschen im Internet. Und da steht dann oft auch der Name dabei, oder die Arbeitsstelle oder zum Beispiel ein Verein, in dem sich die Person bewegt. Extrem praktisch, wenn man eine Feindesliste aufbauen will, oder politische Gegner privat angreifen. Und extrem bedrohlich, wenn man gerade als männlich gelesene Person im Minirock einer Bande Neonazis gegenübersteht.

Lena Rohrbach, Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty International, sagt: „Es gibt Bereiche in Deutschland, da muss man sehr viel Mut haben, noch auf eine queere Demo oder eine Demo gegen Rassismus zu gehen. Und es ist verständlich, wenn Menschen sich da lieber bedecken möchten. Es muss grundsätzlich möglich sein, anonym zu demonstrieren, um sich vor staatlicher Überwachung, aber auch vor Racheakten durch einzelne gesellschaftliche Gruppen wie zum Beispiel Rassistinnen und Rassisten zu schützen, insbesondere da wo menschenrechtsfeindliche Kräfte zunehmend an die Macht kommen.“

„Relikt überkommener Gesinnungspolitik“

Zum Problem könne auch die Identifizierung durch ausländische Geheimdienste werden. „Es gibt Fälle von Menschen, die bei der Heimreise in den Iran festgenommen wurden, weil sie hier auf einer Demonstration waren“, sagt Rohrbach.

David Werdermann, Jurist bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), sagt: „Da ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung berührt, wenn man nicht anonym an Versammlungen teilnehmen kann. Das berührt mittelbar auch die Versammlungsfreiheit, wenn man, sei es aus Angst vor Infektionen oder Repressalien sich gehindert sieht, an einer Versammlung teilzunehmen. Es ist in bestimmten Regionen und bestimmten Themen eine reale Bedrohung, dass nach einer Demonstration die Nazis vor der Tür stehen. Das kann Leute davon abhalten, von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen.“

Philip Dingeldey von der Humanistischen Union sagt: „Das Recht auf Anonymität von Demonstrierenden oder Versammelten wiegt höher als etwaige polizeiliche Wünsche nach einer erleichterten Strafverfolgung. Der Zwang, auf einer Demo identifizierbar zu sein, ist ein Relikt überkommener Gesinnungspolitik und war schon im 20. Jahrhundert illegitim. Eine biometrische Identifizierung verschärft diesen Aspekt.“

„Eine provokative, ins aggressive kippende Stimmung“

An den Seiten des Oranienburger Bahnhofsvorplatzes stehen Polizist*innen. Auch sie filmen. Weil „sich mehrere Personen gegenüber der Gegendemo zum CSD aufgebaut hatten, lautstark in Richtung der Gegendemonstration riefen, Transparente hochhielten und sich eine provokative, ins Aggressive kippende, Stimmung aufbaute, sodass die Polizeibeamten den Anschein hatten, dass es hier zu Beleidigungen oder Körperverletzungen kommen konnte“, wie die zuständige Polizeipressestelle auf netzpolitik.org-Anfrage schreibt.

Seit 2008 nutzt das Bundeskriminalamt einen automatisierten biometrischen Abgleich mit Fotos aus erkennungsdienstlichen Behandlungen zur Ermittlung von Straftäter*innen. Künftig sollen Polizist*innen, so das „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung, Bilder von Personen mit Fotos aus dem Internet abgleichen können, um Straftäter*innen, Zeug*innen oder Asylsuchende zu identifizieren.

David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte sagt: „Unter diesen Fotos können auch Bilder von Demonstrationen sein, das erhöht das Eingriffsgewicht des biometrischen Datenabgleichs.“ Eigentlich müsse der Staat gegen die privaten Datenbanken vorgehen, statt eigene aufbauen zu wollen. Da die Möglichkeiten zur biometrischen Identifikation aber immer zugänglicher würde, sei es umso wichtiger, eine Möglichkeit zu schaffen, sich anonym auf Versammlungen zu bewegen. „Das wäre das Mindeste. Es würde die Folgen des unverhältnismäßigen Eingriffs in die Grundrechte zumindest abmildern“, sagt Werdermann.

„Wir haben Sie videografiert“

Auch Lena Rohrbach von Amnesty International sieht „zahlreiche Punkte, die in Frage stellen, ob das Vermummungsverbot menschenrechtlich haltbar und zeitgemäß ist.“ Es sei ein wichtiger Teil von Versammlungen geworden, dass man sie online teilt. „Alleine auf der Straße kriegt man selten die ganze Aufmerksamkeit. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Amnesty teilen deshalb Fotos und Videos ihres Protestes auch auf Social Media. Und diese Materialien dürften nach dem jetzigen Entwurf künftig alle ausgewertet werden“, sagt sie.

Zurück bei der Queer-Pride-Parade: Eine Gruppe Polizist*innen geht auf die maskierten CSD-Unterstützer*innen zu und fordert sie auf, die Masken abzulegen. Der wortführende Polizist erwähnt das Vermummungsverbot und warnt: „Wir haben Sie videografiert.“

Die zuständige Polizeipressestelle schreibt auf netzpolitik.org-Anfrage: „Zu den Versammlungslagen lagen Erkenntnisse vor, dass es aus den Versammlungen zu Störungen – wie Beleidigungen, Körperverletzungen etc. – kommen könnte. Einige Personen verhielten sich gegenüber den Gegendemonstranten und auch den Polizeibeamten provokant und störend. Diese wurden auf ihr Verhalten angesprochen und darauf hingewiesen, dass das Tragen der Maske mit dem Ziel der Identitätsverschleierung verboten ist (…)“ Die CSD-Unterstützer*innen nehmen die Masken ab.

Das Vermummungsverbot sägt an wichtigen Säulen der Demokratie

Das Vermummungsverbot kann Menschen in Gefahr bringen, wenn sie ihre demokratischen Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausüben. FFP2-Masken schützen Leben, auch als Anonymisierungsinstrument.

Lena Rohrbach von Amnesty International sagt: „Jede Restriktion der Versammlungs- und der Meinungsfreiheit ist ein Einschnitt in diese Menschenrechte. Das heißt, sie muss einem legitimen Ziel genügen und sie muss verhältnismäßig sein. Eine pauschale Einschränkung wie das Vermummungsverbot ist nicht verhältnismäßig.“

Jede Überwachungsmaßnahme gehe mit Einschüchterungseffekten einher, die Menschen davon abhalten können, ihre Grundrechte zu nutzen. „Und die Versammlungsfreiheit und die damit eng verbundene Meinungsfreiheit sind einfach total wichtige Säulen der Demokratie. Das sind jenseits von Kreuzchen machen die zentralen Möglichkeiten für Bürger*innen und Bürger ihre politische Meinung auszudrücken.“

Die Versammlungsfreiheit für die Zukunft schützen

In anderen Ländern würden Demonstrierende bereits per biometrischer Massenüberwachung identifiziert. „Meine Kollegin aus dem Bereich Russland sagt: ,Früher war das Risiko, bei einer Demonstration verprügelt zu werden. Heute ist das Risiko, dass die russischen Behörden Wochen nach einer Demonstration plötzlich bei dir vor der Tür stehen, weil sie dich mit biometrischer Technologie identifiziert haben.“ Auch in Deutschland gäbe es ein Erstarken menschenrechtsfeindlicher, populistischer Kräfte. „Deshalb ist es wichtig, das Recht auf Versammlungsfreiheit auch für die Zukunft zu schützen“, sagt Lena Rohrbach.

Das Vermummungsverbot wurde, gleichzeitig mit dem Verbot der „Schutzbewaffnung“ in den 80er-Jahren eingeführt, als Reaktion auf Autonome mit Motorradhelmen, die sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Zunächst galt es nur in gewalttätigen Menschenmengen und wenn die Polizei zuvor zum Ablegen der Vermummung aufgefordert hatte, dann wurde die Vermummung generell zur Straftat heraufgestuft.

Auch in der aktuellen Rechtsprechung gibt es die Annahme, dass das Auftreten Vermummter die Bereitschaft zur Gewalt und zur Begehung von Straftaten indiziere. David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte sieht das durch die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie widerlegt: „Da gab es teilweise ein Vermummungsgebot. Alle mussten FFP2-Masken tragen. Und die Demonstrationen sind nicht regelmäßig eskaliert, obwohl die Leute vermummt und nicht identifizierbar waren“, sagt er. Die Corona-Pandemie habe gezeigt dass das Verbot in dieser Pauschalität nicht erforderlich sei.

Vermummt und trotzdem friedlich

Philip Dingeldey von der Humanistischen Union sagt: „Von Demonstrationen mit vermummten Personen geht nicht per se ein höheres Gefahrenpotenzial aus. So haben auch Demonstrationen während der Pandemiejahre gezeigt, dass Versammlungen nicht alleine durch die Vermummung, wie das Tragen einer Atemschutzmaske, gefährlich werden, sondern diese in der Regel friedlich ablaufen.“

Es ist es auch heute noch erlaubt, die Maske zum Schutz vor Infektionen auf Versammlungen zu tragen. „Bei Personen, die einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sind, ist es total plausibel, dass man die aus gesundheitlichen Gründen trägt. Aber bei anderen Personen könnte ich mir vorstellen, dass Polizei und Justiz das als Schutzbehauptung zurückweisen“, sagt David Werdermann.

Bei Versammlungen unter freiem Himmel darf man sein Gesicht nicht mit dem Ziel unkenntlich machen, es unkenntlich zu machen. Aber es gibt viele Gründe, die bei guter Argumentation und im passenden Einzelfall von Polizei und Gerichten als Rechtfertigung für eine Vermummung auf Versammlungen akzeptiert werden.

Welche Masken wann erlaubt sind

Verschiedene Gerichte haben bereits als rechtmäßig anerkannt: Tiermasken gegen die Patentierung vom Leben, Totenkopfmasken gegen den Krieg, Strahlenschutzanzüge gegen Atomkraftwerke, Politiker*innen-Masken, Fetischmasken auf dem Christopher Street, Bettlaken, in die sich Aidskranke verhüllen um gegen ihre Registrierung zu demonstrieren und Guy-Fawkes-Masken bei Versammlungen gegen Telekommunikationsüberwachung. Es kann auch erlaubt sein, sein Gesicht vor dem Wetter zu schützen.

Vom Vermummungsverbot ausgenommen sind „Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste.“ Also auch Fasching, beziehungsweise Karneval. Lena Rohrbach sagt: „Von der Religionsfreiheit abgedeckt ist auch das Tragen eines Hijab aus religiösen Gründen.“

Laut dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages gilt das Vermummungsverbot nicht, wenn sich jemand hinter einem Transparent verbirgt, es gilt nicht für Polizist*innnen, Passant*innen oder fliegende Händler*innen und auch nicht, wenn die Identität einer Person bereits bekannt ist.

Die Maske hilft auch gegen Angst vorm Arbeitgeber

Legal sei auch, sein Gesicht zu verhüllen, um seine Identität vor gewaltbereiten politischen Gegner*innen zu verschleiern, so der wissenschaftliche Dienst, oder auch gegenüber ausländischen Geheimdiensten. „Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Identität eines Versammlungsteilnehmers haben nur die Polizei und die Versammlungsbehörde“, schreiben die Autor*innen.

Die Rechtsprechung sieht allerdings anders aus. Laut dem Oberlandesgericht Karlsruhe ist es unerheblich, ob die Identität gegenüber den Strafverfolgungsbehörden verschleiert werden soll oder gegenüber Gegendemonstrant*innen oder zum Beispiel auch dem Arbeitgeber. Lena Rohrbach von Amnesty International sagt: „Eine Freundin von mir arbeitet für einen SPD-Abgeordneten und hat an einer Demo teilgenommen, die sich explizit gegen eine SPD-Maßnahme richtete. Die wollte da verständlicherweise gerne unerkannt bleiben. Es gibt viele gute Gründe für eine Maskierung.“

In der Hälfte der Bundesländer gilt noch das Bundesversammlungsgesetz. Die andere Hälfte hat inzwischen eigene Versammlungsgesetze erlassen. Die meisten bilden das Bundesversammlungsgesetz sehr genau nach, einige haben das Vermummungsverbot so konkretisiert, dass es nur eine Vermummung verbietet, die das Ziel hat, die Identität gegenüber der Polizei zu verschleiern.

Wo man sich gegen Identifizierung durch Gegendemonstrant*innen maskieren darf

In Berlin sollte man heil davonkommen, wenn man eine Maske aufsetzt, wenn aus der Gegendemo heraus gefilmt wird. In Hessen ist die Vermummung ebenfalls nur illegal, wenn sie sich gegen die „hoheitliche“ Identifizierung richtet. „Zielrichtung ist also die Verhinderung der Identifizierung durch die Behörden, nicht durch Dritte“, schreibt das hessische Innenministerium auf netzpolitik.org-Anfrage.

In Schleswig-Holstein ist die Vermummung nur eine Ordnungswidrigkeit, die mit maximal 1.500 Euro geahndet wird.

Nordrhein-Westfalen schränkt das Vermummungsverbot so ein, dass eine Vermummung nur illegal ist, wenn sie eine Identitätsermittlung zum Zwecke der Strafverfolgung verhindern soll. Dabei ist allerdings die Maskierung strafbewehrt ohne dass vorher per Anordnung konkretisiert wird, was denn nun alles unter Vermummung fällt.

Die Liste der verbotenen Gegenstände

Die GFF hält das für verfassungswidrig und beruft sich dafür auf einen Beschluss zu Ordnungswidrigkeiten im Landesversammlungsgesetz von Bayern. Sie hat Verfassungsbeschwerde gegen das Versammlungsgesetz von Nordrhein-Westfalen eingelegt. Und diese Beschwerde sei nur beispielhaft, so David Werdermann. Alle acht Bundesländer, in denen noch das Bundesversammlungsgesetz gilt, hätten das gleiche verfassungsrechtliche Problem und müssten deshalb dringend verfassungskonformes Landesrecht schaffen, so Werdermann.

Hessen und Berlin fordern mit ihren Landesversammlungsgesetzen eine konkrete Liste der verbotenen Gegenstände von der Versammlungsbehörde. Der entsprechende „Beschränkungsbescheid“ wird, so die Polizei Berlin auf netzpolitik.org-Anfrage, meist vor der jeweiligen Versammlung der Versammlungsleitung zugestellt, könne aber auch spontan angepasst werden. Einen beispielhaften Beschränkungsbescheid wollte die Polizei Berlin nicht herausgeben.

Das hessische Innenministerium schreibt: „Die behördliche Anordnung gibt der von ihr betroffenen Person die Möglichkeit, die davon erfassten Gegenstände abzulegen oder auf andere Weise der Vollziehung der Anordnung zuvorzukommen.“ Das ist schon ein Fortschritt.

Vermummungsverbot nur im begründeten Einzelfall

Die für diesen Text interviewten zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern, das Vermummungsverbot noch weiter zurück zu nehmen. Lena Rohrbach von Amnesty International sagt: „Es darf kein pauschales Vermummungsverbot geben. Es müsste so geregelt sein, dass ein Vermummungsverbot nur im Einzelfall angeordnet werden kann, wenn es wirklich unerlässlich ist zur Abwendung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung – wenn es seitens der Personen zu Straftaten gekommen ist oder mit sehr guten Gründen davon ausgegangen werden kann, dass erhebliche Straftaten auf dieser Demonstration begangen werden.“

David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt die Position. Er sagt: „Vernünftig wäre es, das Vermummungsverbot so auszulegen, dass es nur gilt, wenn Straftaten begangen werden oder drohen. Im Idealfall müsste es vorher von der Polizei angeordnet werden. Dann kann man sich entscheiden, ob man die Maske abnimmt oder die Versammlung verlässt, weil man seine Anonymität nicht aufgeben will. In jedem Fall hätte man die Sicherheit, dass man sich vor der polizeilichen Anordnung nicht strafbar macht.“

Die Humanistische Union würde das Vermummungsverbot abschaffen. Ein Kommentar des UN-Menschenrechtsausschuss zur Versammlungsfreiheit fordert ebenfalls ein Recht auf einen anonymen Versammlungs-Besuch.

Die einen Videos werden umgehend gelöscht, die anderen vielleicht nie

Laut Oberlandesgericht Karlsruhe steht das Vermummungsverbot all den vernünftigen Gründen zur Maskierung allerdings gar nicht entgegen. Denn Versammlungsleitende dürfen Ausnahmen vom Vermummungsverbot bei der Versammlungsbehörde beantragen. Das ist dann so ziemlich das Gegenteil vom Grundrecht auf anonymen Versammlungsbesuch.

Ein derartiger Antrag wird wohl in den allermeisten Fällen abgewehrt. Vielleicht hätten es die antifaschistisch orientierten CSD-Unterstützer*innen in Oranienburg dennoch mal versuchen sollen, einen Vermummungsantrag zu stellen. Jetzt müssen sie mit der Unsicherheit leben, ob die politischen Gegner später Fotos und Videos durch Biometriesysteme jagen und irgendwann mal zum Hausbesuch vorbeikommen.

Zumindest von der Polizei haben sie nichts zu befürchten. „Die Situation beruhigte sich, ohne dass Straftaten begangen wurden“, schreibt die zuständige Polizeipressestelle. Die polizeilichen Videoaufnahmen seien umgehend gelöscht worden.

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