Gemeinnütziger JournalismusDie letzte Gelegenheit ist jetzt

Gemeinnütziger Journalismus soll anerkannt werden, doch bisher plant das Bundesfinanzministerium das per Erlass zu regeln. Das reicht nicht aus, es braucht mehr als eine Interpretationshilfe für Finanzämter. Ein Kommentar.

Ein schwarz-weiß-Foto von Zeitungsaufsteller mit verschiedenen großen Zeitungen
Es braucht mehr Vielfalt in der Medienlandschaft. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Flipboard

Was in Deutschland als gemeinnütziger Zweck anerkannt ist, regelt die Abgabenordnung. „Förderung der Unterhaltung und Pflege von Friedhöfen“ ist einer der Punkte, „Förderung des Tierschutzes“ ein anderer. Daneben: Sport, Modellflug, Kleingärtnerei. Die Liste ist lang, doch es fehlt: Förderung des Journalismus.

Gemeinnütziger Journalismus, so der aktuelle Stand, ist bisher nicht ohne Umwege möglich. Wenn der journalistische Fokus zu anderen Zwecken passt, geht es schon irgendwie: Kunst und Kultur, Volksbildung oder Verbraucherschutz zum Beispiel. Das aber schließt viele journalistische Initiativen aus – ein breites lokaljournalistisches, gemeinwohlorientiertes Angebot findet da nur schwer einen Platz. Über anderen schwebt jederzeit ein Damoklesschwert, dem Anti-Desinformations-Blog Volksverpetzer wurde das gerade erst zum Verhängnis.

Die Ampel-Koalition war zu Beginn der Legislatur angetreten, das zu ändern. Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus schaffen, lautete der Plan. Lange passierte nichts Sichtbares, nun soll eine Änderung im „Anwendungserlass zur Abgabenordnung“ das Versprechen einlösen. Doch das reicht nicht aus.

Eine Interpretationshilfe schafft keine Rechtssicherheit

Der Anwendungserlass ist wie eine Interpretationshilfe zum Steuerrecht. Er soll sicherstellen, dass die Regeln der Abgabenordnung von allen Finanzämtern einheitlich angewendet werden. Dort soll künftig laut KNA stehen, dass nicht gewinnorientierte Journalismus-Organisationen „in der Regel die Förderung der Bildung“ verfolgen, „indem sie insbesondere durch Wissensvermittlung, Aufklärung sowie Nachrichtenaufbereitung oder -beschaffung der Allgemeinheit journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote zur Verfügung stellen“.

Diese „norminterpretierende Verwaltungsvorschrift“ bindet die Finanzbehörden, aber nicht die Gerichte. Im Zweifel, wenn es hart kommt, lässt es sich darauf also nicht berufen. Auch ist ein Erlass zwar schneller beschlossen als ein Gesetz, aber im Zweifel auch schneller wieder gestrichen. Angesichts der aktuellen politischen Stimmung bereitet das Sorgen.

Man könnte auch sagen: Es ist unwahrscheinlich, dass sich mit der nächsten Bundestagswahl das politische Klima in eine progressivere Richtung verschiebt. Und das Zeitfenster für eine rechtssichere(re) Verankerung schließt sich bald. Diese Gelegenheit dürfen SPD, Grüne und FDP nicht einfach verstreichen lassen, wenn sie sich um eine Faschismus-resiliente Gesellschaft bemühen. Sie schreiben sich auf die Fahnen, etwa mit dem besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts für eine wehrhafte Demokratie vorzusorgen. Doch beim Thema Journalismus belassen sie es beim halbherzigen Abhaken des Vorhabens.

Das wird dem Ernst der Lage nicht gerecht, doch noch ist es nicht ganz zu spät: Der Bundestag kann dies im parlamentarischen Verfahren zum Jahressteuergesetz noch ändern. Das wird bis auf weiteres die letzte Gelegenheit sein, und er täte gut daran, die zu nutzen.

Wo ist eigentlich das Problem?

Wir brauchen unabhängigen, vielfältigen Journalismus, gerade da, wo er sich auf herkömmlichem Weg nicht mehr finanzieren lässt. Menschen vor allem in ländlichen Regionen sollten sich auch ohne Paywall darüber informieren können, wen sie als Bürgermeister:in wählen können. Und Leser:innen sollten nicht dafür zahlen müssen, um sich über das Gebaren von Politiker:innen zu erkundigen oder einfach nur dafür, um zu erfahren, wie lange die Ortsdurchfahrt gesperrt bleibt.

Wer nicht konsequent fördert, dass es auch da Informationsangebote mit journalistischen Standards gibt, wo der Markt für die Verlage unattraktiv wird, nimmt in Kauf, dass die „Informationen“ auf anderem Weg fließen. Etwa in hetzenden Telegram-Gruppen, wo niemand mehr vermeintliche Skandalmeldungen überprüft. Oder auf Video-Kanälen, die ihre Reichweite exponentiell mit dem gestreuten Hass steigern. Gemeinnütziger Journalismus muss ermöglicht und dann auch gefördert werden.

Die Frage, ob sich gemeinnützige Organisationen politisch äußern dürfen, soll im Gegensatz zum Journalismus laut Entwurf zum Jahressteuergesetz übrigens direkt in der Abgabenordnung geregelt werden. Es soll künftig kein Problem mehr sein, wenn eine gemeinnützige Organisation „außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt“. In der Erläuterung heißt es dazu, dass etwa „Karnevals- oder Sportvereine sich vereinzelt für Frieden oder gegen Rassismus engagieren“ dürfen, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden.

Aber wir brauchen nicht nur vereinzelte oder gelegentliche Aufrufe zu Demonstrationen. Wir brauchen nicht nur als gemeinnützig interpretierten und geduldeten Journalismus. Wir brauchen ein klares Bekenntnis und klare Rückendeckung für das Engagement für eine freie, offene Gesellschaft und gegen faschistische Umtriebe. Überall und immer wieder.

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