Eigentlich hatten wir uns schon mit dem Sommerloch abgefunden, aber dann passierte in dieser Woche doch gar nicht so wenig. Auf EU-Ebene und in den USA gerieten Politiker:innen mit Facebook aneinander. Überall auf der Welt wurde durch Gerichtsurteile und Verhaftungen die Meinungs- und Pressefreiheit erneut eingeschränkt. Und in einigen Themen ist die Politik so tatenlos, dass es uns langsam gruselt: unter anderem beim Thema Gesichtserkennung und missbräuchlichen Datenbankabfragen durch die Polizei.
Aber es gab auch positive Nachrichten, zum Beispiel schützen uns Gesichtsmasken vor, ja genau, Gesichtserkennungstechnologie! Und das freie PinePhone weckt Hoffnungen auf sichere Kommunikation via Smartphone. Hier kommt unser netzpolitischer Wochenrückblick.
Die Politik kämpft gegen Datengier und Monopole
Kann die chinesische Regierung nun auf Daten von TikTok-Nutzer:innen zugreifen oder nicht? Wegen dieser Frage prasselt auf die Videoplattform Kritik von vielen Seiten herab, Indien hat die App bereits aus seinen Stores geschmissen, die USA überlegen noch. Eine einfache Antwort gibt es nicht, aber klar ist: TikTok gehört zum chinesischen Konzern ByteDance, der im Zweifel der Parteilinie folgt. Was mit Nutzer:innendaten passiert, die TikTok an chinesische Partnerunternehmen weitergibt – unabhängig davon, wo seine Server stehen – darauf bleibt das Unternehmen bis heute eine eindeutige Antwort schuldig.
Während die USA noch überlegen, wie sie nun mit TikTok umgehen sollen, bestellte der US-Kongress seinerseits in dieser Woche die Chefs der großen Vier – Google, Apple, Facebook und Amazon – zur Videokonferenz. Seit einem Jahr wälzen die Abgeordneten mehr als eine Million Dokumente, um zu prüfen, wie sich die Monopolstellung der Tech-Konzerne begrenzen lässt. Die Republikaner:innen nutzten den Termin aber auch, um sich zu beschweren: Das Silicon-Valley unterdrücke konservative Stimmen im Netz. Die vier Super-CEOs nickten brav.
Auch der EU ist Facebooks Monopolstellung ein Dorn im Auge. Die Wettbewerbsaufsicht ermittelt gegen den Konzern und hat im Zuge ihrer Ermittlungen Hunderttausende interne Dokumente angefordert. Womit sie auf Widerwillen stößt, obwohl das soziale Netzwerk doch selbst dafür bekannt ist, massenhaft Daten zu sammeln. Facebook hat also gegen die EU-Kommission geklagt, gibt sich öffentlich aber gleichzeitig so, als wolle es die Ermittlungen keinesfalls behindern.
EU: Datensammelei und Abschreckungsmanöver
Ihrerseits Klage erhoben hat die EU-Kommission am Europäischen Gerichtshof gegen die spanische Regierung – weil diese offenbar nicht die Richtlinie zur Verwendung von Fluggastdatensätzen umgesetzt hat. Umfangreiche Datensätze, die die Fluggesellschaften bei Buchung und Boarding von Passagieren erhält, sollen an zentralen Stellen gesammelt werden – was bei der Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität helfen soll. Die Kommission plant sogar eine Ausweitung der Datenerhebung, obwohl dem EuGH mehrere Klagen gegen die massenhafte Datenspeicherung vorliegen.
Ausweiten will die EU-Kommission außerdem die Möglichkeiten der Polizeiagentur Europol, verschlüsselte Kommunikation auszulesen. Künftig soll die dafür eingerichtete „Entschlüsselungsplattform“ Supercomputer der Europäischen Union nutzen. Nach EU-Angaben soll durch das Auslesen verschlüsselter Nachrichten unter anderem der sexuelle Missbrauch von Kindern bekämpft werden. Eine Studie soll es zudem Internetanbietern erleichtern, Kommunikation auszulesen und kriminelle Inhalte zu melden.
Gegen Cyberangriffe von außen wehrt sich die Europäische Union nun erstmals mit Sanktionen gegen Personen und Einrichtungen aus Russland, China und Nordkorea. Diese werden beschuldigt, an dem versuchten Cyberangriff auf die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) sowie an den als „WannaCry“, „NotPetya“ und „Operation Cloud Hopper“ bekannten Angriffen beteiligt gewesen zu sein. Mit den Sanktionen will die EU „böswillige Cyberattacken“, die sich gegen ihre Einrichtungen oder Mitgliedsstaaten richten, verhindern und Angreifer:innen abschrecken.
Die Polizei und unsere Privatsphäre
Sanktionen müssen Polizist:innen, die unbefugt persönliche Daten abfragen, in Deutschland wohl allzu selten fürchten. Zuletzt häuften sich die Berichte über Drohschreiben an Politiker:innen der Linken, die mit NSU 2.0 unterschrieben waren. Die darin enthaltenen persönlichen Daten waren von hessischen Polizeicomputern abgefragt worden. Dass das keine Einzelfälle sind, zeigte sich spätestens Anfang der Woche, als herauskam: Wegen unbefugter Datenbankzugriffe wurde seit 2018 in mehr als 400 Fällen gegen Polizeibedienstete ermittelt.
Die Anonymität von Polizist:innen möchten Polizeigewerkschaften aber in jedem Fall wahren, und auch um die Sicherheit der Bürger:innen macht sich die Politik nach der Recherche von netzpolitik.org zur Technologie der Gesichtserkennung beim polnischen Unternehmen PimEyes Sorgen. Der Druck auf die Bundesregierung und die EU für eine gesetzliche Regulierung oder gar ein Verbot dieser massenhaften Ansammlung biometrischer Daten steigt. Axel Voss, der im Sonderausschuss für künstliche Intelligenz des EU-Parlaments viel bewegen könnte, lässt bislang allerdings offen, was er gegen den drohenden Datenmissbrauch durch Unternehmen wie PimEyes unternehmen wird.
Gegen Gesichtserkennung hat sich die Stadt San Francisco schon im vergangenen Jahr abgesichert, indem sie eine international beachtete Verordnung gegen Überwachungstechnologie verabschiedete. Diese erschwert es städtischen Behörden, solche Technologien anzuschaffen. Die dortige Polizei hielt es aber offenbar nicht für nötig, sich an diese Verordnung zu halten. Sie beschaffte sich Zugang zu privaten Kameras im städtischen Raum und überwachte so die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt.
Presse- und Meinungsfreiheit weltweit bedroht
Im Zuge dieser Proteste kam es in Seattle zu einem problematischen Gerichtsurteil zugunsten der Polizei: Sie hatte mehrere Medien aufgefordert, Fotos und Videomaterial zur Strafverfolgung freizugeben – und bekam in Teilen Recht. Dass Medienhäuser Material zur Verfolgung von Straftaten herausgeben müssen, könnte dafür sorgen, dass sie in Zukunft nicht mehr auf Demonstrationen willkommen sind – eine starke Einschränkung der Pressefreiheit.
Meinungsfreiheit bei Protesten und im Internet ist ein schützenswertes Menschenrecht. Die ägyptische Regierung interessiert das allerdings kaum. Gleich sechs junge Frauen verhaftete ein Gericht in Kairo in dieser Woche zu mehrjährigen Gefängnis- und hohen Geldstrafen. Ihr Vergehen: Sie veröffentlichten Videos auf TikTok, in denen sie zu Popsongs singen und tanzen.
Auch in Hongkong ist die Meinungsfreiheit der Bürger:innen stark bedroht – vor allem, seit die chinesische Regierung ein umstrittenes Sicherheitsgesetz verabschiedet hat. Darauf reagiert die EU jetzt, indem sie den Export von Überwachungstechnologie einschränkt, die gegen die Hongkonger Bevölkerung eingesetzt werden könnte. Zudem will die EU Asylverfahren für politisch Verfolgte aus Hongkong vereinfachen.
Vergessen und Erinnern im Netz
Der Wunsch, vergessen zu werden, kommt wohl nicht allzu häufig vor. Aber der Europäische Gerichtshof hat jedem und jeder EU-Bürger:in das Recht darauf zugesichert – wenn es um veraltete Informationen im Netz geht. In dieser Woche hat der Bundesgerichtshof auf Grundlage dessen entschieden, dass von Fall zu Fall geschaut werden muss, ob ein:e Kläger:in sein Recht auf Vergessenwerden tatsächlich geltend machen kann.
Niemals vergessen werden die Verbrechen der Nazis im Dritten Reich. Genau deswegen will Google offenbar das tschechische Spiel „Attentat 1942“ nicht im deutschen Play Store zulassen. Das Spiel enthält zwar verbotene Symbole der NS-Diktatur. Es ist jedoch seit 2018 als Desktop-Version in Deutschland erlaubt, denn es handelt sich um ein ernsthaftes, von Historiker:innen entwickeltes Spiel. Der Entwickler steht vor einem Rätsel.
Da war ja noch was…
… ach ja, Corona. Die Gesichtsmaske gehört neben Haustürschlüssel, Geldbeutel und Smartphone inzwischen zu den Dingen, die wir sehr ungern zu Hause vergessen. Dass sie nicht nur vor dem Virus, sondern auch vor Gesichtserkennung schützt, hat jetzt eine Studie in den USA herausgefunden. Allerdings füttern Forschende und Überwachungsunternehmen ihre Computer schon jetzt mit Datensätzen maskierter Menschen – der Schutz könnte in dieser Hinsicht also von kurzer Dauer sein.
Apropos Schutz: Da sollte ja eigentlich auch die Corona-Warn-App helfen. Über deren technische Mängel haben sich in den vergangenen Tagen die Berichte gehäuft. Woran es bei den Herstellerfirmen hapert, steht in unserem Kommentar.
Und sonst so?
Schnelles Internet – in vielen Regionen Deutschlands leider immer noch Fehlanzeige. Dass sich daran wenig geändert hat, obwohl die Bundesregierung Milliarden in den Breitbandausbau stecken will, zeigen aktuelle Zahlen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Viele Fördermittel bleiben unangetastet.
Die Bundeswehr steht in diesen Tagen wieder oft im Fokus – allerdings fand der Erstflug ihrer neuen Drohne in Israel auf Twitter weniger Beachtung. Es ist die erste von insgesamt fünf beorderten Drohnen, die auch zur Bewaffnung geeignet sein sollen. Über diese Option muss der Bundestag allerdings noch entscheiden.
Wer sich Sorgen um seine Privatsphäre und persönliche Daten macht, scheiterte bislang wahrscheinlich vor allem bei der Suche nach einem Smartphone, das wirklich Sicherheit bietet. Mit dem PinePhone erscheint ein vielversprechender Kandidat. Ob es auch alltagstauglich und für Anfänger:innen geeignet ist, haben wir den passionierten Linux-Nutzer Andreas Paetsch gefragt.
Wir wünschen euch ein schönes Wochenende.
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