Interview zu Social-Media-Accounts von Amtsträgern und BehördenDie Willkür muss ein Ende haben

Das Sperrverhalten bei amtlichen Accounts ist oft schwer vorhersagbar: Manche richten sich nach einer selbst erfundenen Behörden-Netiquette, manche haben keine Kriterien für Sperrungen. Darunter leidet die Meinungsfreiheit. Jacqueline Neumann erklärt, was sie für die amtliche Nutzung von Kommunikationskanälen auf Facebook und Twitter fordert. Sie kann sich auch eine Antwortpflicht vorstellen.

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Eine Sperre kommt manchmal nicht nur ungelegen, sondern kann gefährlich sein. CC-BY 2.0 Anne Worner

Die Juristin Jacqueline Neumann erklärt im Interview, dass der Gesetzgeber die Grundrechte auch im digitalen Raum stärken müsse. Dabei geht es nicht um die sonst häufig diskutierten Fragen der Einschränkung der Informations- und Meinungsfreiheit durch die Löschpraktiken von Facebook, die Regeln von Twitter oder durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), sondern um eine effektivere Bindung der von deutschen Behörden und Amtsträgern betriebenen Social-Media-Accounts an Recht und Gesetz.

Warum die Regierung ihre Kritiker nicht auf Facebook oder Twitter sperren darf

netzpolitik.org: Frau Neumann, Sie haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie Sperrungen bei Twitter durch Amtsträger, Behörden oder andere staatliche Stellen rechtlich zu bewerten sind. Können Sie kurz erklären, worin sich der Twitter-Account etwa eines Amtsträgers oder einer Behörde von dem einer Privatperson unterscheidet, vor allem wenn es darum geht, andere Accounts zu sperren?

Jacqueline Neumann: Aus rechtlicher Sicht ist die Unterscheidung zwischen amtlichen und privaten Twitter-Accounts zentral. Es sind zwei unterschiedliche Kategorien.

In Kategorie eins fallen Accounts von Ministerien oder Behörden, beispielsweise von Polizeibehörden. Als amtliche Accounts unterliegt ihr Betrieb der Grundrechtsbindung. Damit ist gemeint, dass der zuständige Behördenmitarbeiter die im Grundgesetz garantierten Rechte der Bürger beachten muss, wie zum Beispiel das Recht auf Informationsfreiheit und Meinungsfreiheit, und nicht nach Gutdünken Kommentare löschen oder Nutzer blockieren darf.

Dann gibt es neben den Behörden-Accounts noch zahlreiche Accounts von Amtsträgern, die wie Außenminister Heiko Maas (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf ihrem Twitter-Profil ausdrücklich ihre Regierungsämter nennen. Hier hat man es auch mit eindeutig amtlichen Accounts zu tun. Solche Accounts kann man in der Regel immer dann in die Kategorie eins sortieren, wenn auf dem Twitter-Account das Staatsamt des Betreibers genannt wird, Staatssymbole wie Flaggen oder Wappen dargestellt werden, amtliche Informationen verbreitet werden, der betreffende Account in amtliche Öffentlichkeitsarbeit eingebunden ist oder Personen aus der Pressestelle der Behörde eingesetzt und somit öffentliche Mittel für den Betrieb des Accounts verwendet werden.

netzpolitik.org: Was ist die zweite Kategorie?

Jacqueline Neumann: Der Kategorie zwei sind all die Accounts von Politikern zuzuordnen, die entweder kein Staatsamt haben oder den Account ausschließlich für nicht amtsbezogene Nachrichten nutzen. Hierunter fällt die Kommentierung des letzten Katzenvideos wie auch die Tätigkeit von Amtsträgern für Parteien, Vereine und alle Arten von Nichtregierungsorganisationen.

Zusammengefasst: Der Betreiber eines Accounts aus der ersten Kategorie muss sich bei seinem Umgang mit anderen Accounts an die genannten Grundrechte halten. Dagegen kann der Betreiber eines Accounts aus der zweiten Kategorie andere Accounts blockieren, quasi wie es beliebt.

netzpolitik.org: Ist das Bedienen eines Twitter-Accounts eines Amtsträgers aus Ihrer Sicht eine Amtshandlung, und wenn ja, was folgt daraus?

Jacqueline Neumann: Ja, und zwar nicht nur aus meiner Sicht. Rechtlich betrachtet ist jeder Social-Media-Account eines Amtsträgers oder einer Behörde eine öffentliche Einrichtung virtueller Natur. Zu dieser virtuellen öffentlichen Einrichtung haben grundsätzlich alle Bürger gleiche Zugangsrechte.

Manche Behörden meinen, das Blockieren von Nutzern bedürfe keiner gesonderten Rechtsgrundlage. Unumstritten ist, dass das Blockieren einen Grundrechtseingriff darstellt, wie ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages ausgeführt hat. Der Staat ist auch im digitalen Raum an die Grundrechte gebunden.

Der thüringische Ministerpräsident Ramelow und die Twitter-Sperre

netzpolitik.org: Ist denn immer klar, ob ein Twitter-Account amtlich oder privat betrieben wird?

Jacqueline Neumann: Nein, das ist es nicht. Es gibt so gesehen in Ergänzung zu den zwei genannten Kategorien noch eine weitere Kategorie – ich nenne sie mal Null-Kategorie, wenn der Betreiber meint oder vorgibt, seinen Account privat zu betreiben, ihn jedoch amtlich und dienstlich nutzt. Zu jedem Account muss letztlich geklärt werden – im Zweifel vor Gericht –, ob der Account in Kategorie eins oder zwei fällt. Daraus leiten sich dann ganz unterschiedliche rechtliche Konsequenzen ab. Unterliegt der Betreiber der Grundrechtsbindung, weil amtlich, oder unterliegt er ihr nicht, weil privat? Einen solchen Fall hatten wir 2019 gegen den thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow vor Gericht gebracht. Er hatte zuvor den Account unseres Rechtsinstitutes gesperrt.

Twitter-Porträt Ramelow
Screenshot des Twitter-Profils des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow.

netzpolitik.org: Sie hatten den thüringischen Ministerpräsidenten Ramelow wegen der Twitter-Sperre verklagt. Auf seinem Twitter-Profil sieht man jedoch, dass er sich dort nicht als Ministerpräsident mit amtlichem Account vorstellt, sondern ganz privat als „Mensch“. Warum ist er dort trotzdem nicht nur Privatperson?

Jacqueline Neumann: Eine Selbstbezeichnung als „Mensch“ ist keinesfalls ausreichend für die Einstufung als privater Account. Damit kann man nicht die rechtlichen Konsequenzen eines amtlichen Accounts unterlaufen.

Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, die Steuerfahndung erhält einen dicken Stapel Beweise, dass es sich bei jemandem, nennen wir ihn Herrn Ramelow, um einen Steuerhinterzieher handelt. Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt die Einleitung von Ermittlungen und eine Hausdurchsuchung, was der Richter jedoch ablehnt, weil Herr Ramelow auf seiner Tür einen Aufkleber angebracht hat: „Ich bin Steuerzahler“. Ebenso wenig kann sich ein Amtsträger Recht und Gesetz entziehen, wenn er auf seinem Twitter-Account den virtuellen Aufkleber „Hier bin ich privat“ oder hier bin ich „Mensch“ anbringt.

Amtsträger können sich ihrer Grundrechtsbindung nicht schlicht dadurch entledigen, dass sie vorgeben, ihr Twitter-Konto privat zu betreiben und nicht in amtlicher Funktion.

In der Anlage zu unserer Klage gegen den Ministerpräsidenten hatten wir entsprechende Belege für eine amtliche Nutzung des Twitter-Accounts beigefügt. Damit hätte eine mögliche Verteidigung von Ramelow, dass er seinen Account bereits im Februar 2009 – vor dem Amtsantritt als Ministerpräsident – eingerichtet hatte und nur privat nutze, nicht gegriffen.

Netzpolitischer Präzedenzfall?

netzpolitik.org: Warum hatte Ramelow Sie gesperrt?

Jacqueline Neumann: Den genauen Grund kenne ich nicht. Als der Ministerpräsident unseren Instituts-Account gesperrt hat, lag offenkundig und nachweisbar kein Verstoß gegen eine Netiquette oder gar gegen Strafgesetze oder das Grundgesetz vor. Im Gegenteil, wir hatten ja den Ministerpräsidenten auf einen Verfassungsbruch durch seine Regierung aufmerksam gemacht. Konkret hatten wir anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Weimarer Verfassung versucht, ihn an seine Amtspflicht zu erinnern, die grundgesetzwidrigen Dauerzahlungen an die Kirchen in Form der Staatsleistungen zu beenden – also rein sachliche Kritik. Die Details kann man gern in der aktuellen Ausgabe der „Vorgänge – Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik“ nachlesen.

netzpolitik.org: Wie hat Ramelow sein Sperrverhalten begründet? Und wie ging die Klage aus?

Jacqueline Neumann: Der Ministerpräsident begründete weder die Sperrung noch hob er sie trotz mehrfacher Nachfrage und öffentlicher Kritik auf. Ein außergerichtlicher Einigungsversuch scheiterte trotz gegenteiliger Ankündigung seiner Staatskanzlei noch am Fristtag. In einem ähnlich gelagerten Fall hatte der Staatsminister im Außenministerium, Niels Annen, seine Blockade gegen einen Journalisten der Jerusalem Post in diesem Stadium wieder aufgehoben. Nicht so der Ministerpräsident.

Abgesehen von der Durchsetzung unserer Interessen sahen wir daher die Möglichkeit, einen netzpolitischen Präzedenzfall zu schaffen, und reichten Klage ein. Diese lag dann einige Monate in Thüringen vor Gericht. Sodann erklärte sich das aus unserer Sicht für die Angelegenheiten des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zuständige Verwaltungsgericht Weimar jedoch für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an ein für die Privatperson Bodo Ramelow zuständiges Amtsgericht, womit zunächst weitere Wochen ins Land gingen. Bevor es jedoch zu einer Gerichtsentscheidung kam, entsperrte der Ministerpräsident unseren Account wieder. Damit war unser Schutzbedürfnis entfallen und einer abschließenden gerichtlichen Klärung die Grundlage entzogen. Die Klage musste beendet werden.

Ramelow selbst teilte lediglich zwischenzeitlich über Twitter mit, dass das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen habe, weil der Ministerpräsident auf seinem Account auf staatliche Insignien verzichte und sich dort als „Mensch“ bezeichne. Inhaltlich oder zu seinem Verhalten äußerte er sich nicht.

(Update: Der Ministerpräsident äußert sich in den Kommentaren mit einer anderen Darstellung.)

netzpolitik.org: Immerhin hatte er die Sperre zurückgenommen, vielleicht gar aus Einsicht?

Jacqueline Neumann: Man könnte ihm zugutehalten, dass er es zunächst juristisch vielleicht nicht besser wusste oder aus einem Impuls heraus unseren Account sperrte. Andere Nutzer, die ebenfalls von Ramelow gesperrt worden waren, nachdem sie unseren Tweet retweetet hatten, gaben aber an, von ihm nicht wieder entsperrt worden zu sein. Daran sieht man: Die Meinungsfreiheit stirbt scheibchenweise.

Mit Blick auf die Art und Weise, wie er die Sperre zunächst aufrechterhielt, und dass er als erfahrener twitternder Politiker die Plattform seit über zehn Jahren gezielt politisch nutzt, liegt wohl eher ein rechtsstaatlich äußerst bedenkliches Verhalten des Ministerpräsidenten vor, das eine gerichtliche Bewertung verdient gehabt hätte.

netzpolitik.org: Aber durch das Aufheben der Sperre konnte der Rechtsweg nicht beschritten werden?

Jacqueline Neumann: Ja, und ein solches Politikerverhalten kann derzeit leider noch reüssieren. Man kann, wie Ramelow oder Annen den Exit nehmen und entsperren, bevor vom Betroffenen ein Gerichtsurteil erwirkt werden kann. Mit der Entsperrung ist dem Betroffenen das Rechtsschutzbedürfnis entzogen. Es ist machbar, nach ein paar Tagen den missliebigen Account erneut zu blockieren und den Schweinezyklus erneut zu starten. Nicht jeder Bürger kann juristisch und finanziell so dagegenhalten wie unser Rechtsinstitut. Und auch uns war es am Ende nicht möglich, zu einer Gerichtsentscheidung zu kommen.

Der Fall Ramelow zeigt, dass es für manche Politiker attraktiv zu sein scheint, einen Graubereich zu schaffen. Die für unsere Grundrechte toxische Kombination besteht darin, unter dem Deckmantel eines privaten Accounts einen amtlichen Account zu führen und andere Accounts nach eigenem Belieben willkürlich und ohne Rechtsschutz sperren zu können.

Ich finde, dieser Graubereich sollte gesetzlich geschlossen werden. Es geht um die großen Grundrechtsfragen der Informationsfreiheit, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit und die Vereinbarung der Spielregeln im Verhältnis von Bürger und Regierung auf den wichtigen Social-Media-Plattformen.

Verlässliche Daten über die Anzahl von Sperren sind bislang Mangelware

netzpolitik.org: Die letzte Auskunft der Bundesregierung dazu, wie viele Ministerien und Bundesbehörden auf Twitter andere Accounts sperren, ist bereits zwei Jahre alt und gibt 268 blockierte Accounts an. Können Sie einen Trend ausmachen, ob diese Sperrungen zu- oder abnehmen?

Jacqueline Neumann: Eine systematische und aktuelle Erfassung des Sperrverhaltens der Bundesregierung ist nicht bekannt. Die Bundesregierung antwortete jedenfalls auf die Anfrage der Opposition, dass die Bundesressorts selbständig über die Kriterien für Sperrungen entscheiden. Als allgemeine Kriterien nannte die Regierung die Verhinderung der Verbreitung strafrechtlich relevanter Inhalte oder einen Verstoß gegen die Netiquette. Letzteres deutet auf Gutdünken hin, ist also rechtsstaatlich inakzeptabel.

Denn es ist so: Private Unternehmen dürfen sich im Rahmen der Privatautonomie eigene Regeln und AGBs geben. Staatliche Behörden haben keine Privatautonomie und dürfen das nicht. Der Staat und seine Repräsentanten dürfen ihre Verpflichtung auf die Grundrechte nicht durch Netiquette-AGBs einschränken. Noch dazu sind die Theorie und Praxis sogar innerhalb der Bundesregierung sehr unterschiedlich. Manche Behörden zeigen große Transparenz, andere wiederum kaum. Zudem sollte man auch die Behörden in den Ländern und Kommunen in den Blick nehmen. Denken wir nur an all die Accounts, die von Polizeibehörden unterhalten werden. Aktuelle verlässliche Daten über die Anzahl von Sperren und Trends sind bislang also Mangelware.

netzpolitik.org: Sollte die Bundesregierung die Daten zu Sperrungen offenlegen?

Jacqueline Neumann: Jede Behörde weiß, wie viele und welche Accounts sie auf Twitter gesperrt und welche Kommentare sie auf Facebook gelöscht hat. Zwar haben richtigerweise die Speicherung und Auswertung von Daten der Twitter-Follower enge Grenzen. Aber Daten darüber, wie viele Accounts und aus welchen Gründen sie gesperrt wurden, sollte die Öffentlichkeit erfahren und in einer freiheitlichen Demokratie diskutieren dürfen.

Als Bürger oder private Organisation ist man auf die Mitwirkung und Offenheit der Behörden angewiesen – und auf effektive parlamentarische Kontrolle und Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz. So hatte der Regierende Bürgermeister Berlins im letzten Jahr laut einer Informationsfreiheitsgesetz-Anfrage von seinen 11.400 Twitter-Followern knapp neunzig Accounts blockiert. Es handelt sich dabei nicht notwendigerweise um neunzig Bürger, sondern es sind wahrscheinlich auch Bots oder Mehrfach-Accounts darunter. Unklar ist, warum die Sperrungen erfolgten.

Aus dem Bereich der Polizeibehörden hatte allein die Hamburger Polizei nach eigenen Angaben über fünfhundert Twitter-Accounts blockiert. Diese Zahl ist allerdings schon über zwei Jahre alt und nicht weiter qualifiziert.

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Das BSI betreibt vier Twitter-Accounts, darunter die Allianz für Cyber-Sicherheit.

Es wäre auch sinnvoll, die internen Richtlinien zum Betrieb der Social-Media-Accounts systematisch auszuwerten und mit einer einheitlichen Rechtsgrundlage zu versehen. In Einzelfällen hat das Informationsfreiheitsgesetz bereits Licht ins Dunkel gebracht. So kann man die Richtlinien für die Twitter-Nutzung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bei FragDenStaat nachlesen. Inhaltlich sind diese BSI-Richtlinien übrigens ein positives Beispiel. Eigentlich wäre aber eine umfassende und regelmäßige Berichterstattung eine Aufgabe von Bund und Ländern.

netzpolitik.org: Wie werden Sperrungen typischerweise begründet?

Jacqueline Neumann: Im Fall Ramelow erhielten wir wie gesagt keine Begründung. Grundsätzlich kann es rein logisch nur vier Begründungskategorien geben, dass eine Behörde einen anderen Facebook-Kommentar löscht oder einen anderen Twitter-Account blockiert. Erstens ein Gesetzesverstoß, zweitens ein Verstoß gegen Netiquette, drittens einen wie auch immer motivierten Willen und Wunsch des Betreibers, sich eine Bubble zu schaffen, beispielsweise wenn die Behörde sich gestört fühlt oder nicht mit unliebsamer Kritik konfrontiert sein möchte, und schließlich viertens ein menschliches oder technisches Versagen.

Klar ist: Nur ein Gesetzesverstoß rechtfertigt einen dauerhaften Eingriff in das Grundrecht der Informations- und Meinungsfreiheit. Problematisch ist die verbreitete Praxis, dass staatliche Stellen eigene Netiquette und interne Richtlinien entwerfen. Hier stellen sie eigene hausgemachte Regeln auf, teilweise in Orientierung an den Inhalten der AGB der genutzten sozialen Netzwerke, in denen sie Straftatbestände wie „Beleidigung“ mit rechtlich unbestimmten Begriffen wie „Hass“ und „Provokation“ vermischen und diese Gemengelage zum Maßstab für Grundrechtseingriffe machen.

Wenn Behörden die „Provokation“ als Kriterium für eine Sperrung und damit den Eingriff in die Grundrechte eines Nutzers heranziehen, missachten sie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Denn Meinungsäußerungen dürfen zweifelsfrei provozieren. Problematisch ist nicht zuletzt, dass die Nennung der Gründe für Grundrechtseingriffe vorenthalten werden kann und die Behörden nicht systematisch dem zuständigen Parlament oder der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen.

„Im Zweifel für die Meinungsfreiheit“

netzpolitik.org: Eine Sperrung bedeutet ja noch keinen Ausschluss von der Möglichkeit, Twitter-Inhalte zu lesen, wohl aber von der Möglichkeit des Kommentierens durch den von der Sperrung betroffenen Account. Sollten offizielle Accounts von Bundesbehörden und Amtsträgern jede Art von Kommentierung zulassen?

Jacqueline Neumann: Nein, jede Art von Kommentierung sollte nicht zugelassen werden und ist es auch nicht. Die zulässige Grenze des Meinungsaustausches und damit auch der Kommentierung ergibt sich aus der Verfassung und den Gesetzen. Um es klar zu sagen: Die Meinungsfreiheit hat ihre Grenze in Normen des Strafrechts und im allgemeinen Persönlichkeitsrecht anderer Nutzer, und es ist gut, wenn Strafverstöße wie Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung unterbunden werden.

Insgesamt scheint mir, dass auf dem „Neuland“ des Internets in der Politik und der Justiz noch das Verständnis dafür wachsen muss, dass es vor dem Grundgesetz gleichgestellt sein muss, ob sich ein Bürger in einer analogen Diskussion mit einem Amtsinhaber oder einer Behörde oder in einer virtuellen Diskussion auf einem Twitter-Kanal befindet.

Für eine kritische Meinungsäußerung wurden wir zwar von Ministerpräsident Ramelow auf Twitter gesperrt. Es wäre jedoch kaum denkbar, dass ein Mitglied unseres Instituts für dieselbe Meinungsäußerung vom Ministerpräsidenten oder den Saaldienern bei einer Podiumsdiskussion aus dem Veranstaltungsraum geworfen worden wäre. Um dieses Verständnis zu fördern und im Sinne der Bürger abzusichern, halte ich die Überlegung für interessant, dass ergänzend zu den strafrechtlichen Verboten die gesetzlichen Regelungen zur Erteilung eines Hausverbots in analogen Einrichtungen auf virtuelle Einrichtungen übertragen werden. Dann könnte der Ministerpräsident oder eine Behörde einen Account nur dann sperren und ein digitales Hausverbot erteilen, wenn sie darlegen, dass ansonsten die Öffentlichkeitsarbeit nachhaltig gestört würde und eine Gefahr wiederholter Beeinträchtigungen bestünde.

netzpolitik.org: Wo sehen Sie konkret die Grenzen der Meinungsfreiheit?

Jacqueline Neumann: Im Zweifel für die Meinungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Grundrecht immer sehr hochgehalten und gesagt, dass bei Staatsschutznormen besonders sorgfältig zwischen einer Polemik und einer böswilligen Verächtlichmachung unterschieden werden muss. Hintergrund ist, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit in der Geschichte hart erkämpft werden musste, um das Recht der Kritik der Bürger an den Regierenden und den Mächtigen zu schützen.

In jedem Fall darf es keine Rolle spielen, ob der Tweet von der Behörde oder dem twitternden Amtsträger als begründet oder grundlos, emotional oder rational, wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird. Alle Äußerungen, mit denen wertend Stellung bezogen wird und die kein Strafgesetz verletzen, sind vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst. Äußerungen verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie aus Sicht des Adressaten scharf und überzogen vorgetragen werden.

Da die Meinungsfreiheit konstitutiv für unsere freiheitliche Demokratie ist, müssen Beschränkungen auch verhältnismäßig sein. Eine Blockade auf Twitter kann deshalb nur die ultima ratio sein.

Mal abgesehen von dem gänzlich indiskutablen Sperrverhalten eines Ministerpräsidenten Ramelow scheint es mir, dass insbesondere aus dem Gebiet der Behörden-Netiquette ein unguter Mischmasch aus rechtlich relevanten und rechtlich irrelevanten Kriterien für Sperrungen angeführt wird. Darin kann die Meinungsfreiheit untergehen.

netzpolitik.org: Wie würden Sie das Problem auflösen, dass sich Behörden jeweils ihre eigenen Standards basteln?

Jacqueline Neumann: Durch ordentliche Verfahrensregeln. Die deutsche Justiz hat sich von den Verwaltungsgerichten bis hoch zum Bundesverfassungsgericht wiederholt zu inhaltlichen Fragen der Öffentlichkeitsarbeit von Behörden im Internetzeitalter geäußert. So darf eine Behörde via Twitter informieren, sofern sie dies inhaltlich richtig, sachlich und neutral tut.

Jedoch liegen noch keine verlässlichen und transparenten Verfahrensregeln für die Behörden vor. Eine wie auch immer von den amtlichen Account-Betreibern ausgestaltete Netiquette reicht nicht aus. Geeignete gesetzliche Vorgaben wären von den Landtagen für die Landesbehörden und vom Bundestag für die Bundesbehörden zu erlassen. Darin sollte geregelt sein, wer unter welchen Voraussetzungen von wem wie lange gesperrt werden darf, wann eine Überprüfung der Sperrung stattzufinden hat und welche Rechtsschutzmöglichkeiten dem Betroffenen zur Verfügung stehen. Auch stellt sich die Frage einer Anhörungs- und Begründungspflicht durch die Behörde, wenn gesperrt werden soll. In einem Rechtsstaat bedürfen die Eingriffe der Exekutiven in die Grundrechte der Bürger einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Das hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont.

netzpolitik.org: Sehen Sie neben solchen Verfahrensregeln zur Stärkung der Informations- und Meinungsfreiheit noch weitere Ansatzpunkte zur Verbesserung?

Jacqueline Neumann: Ich finde es spannend, dass in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union das Grundrecht auf eine gute Verwaltung verankert ist. Die EU-Verwaltung ist verpflichtet, schriftliche Anfragen der EU-Bürger zu beantworten. Dasselbe gilt für juristische Personen wie Nichtregierungsorganisationen, Verbände und Unternehmen. Dieses EU-Recht umfasst aber nicht die deutsche Verwaltung – leider. Dergleichen kann man sich in Deutschland bislang nur wünschen.

Übertragen auf die amtliche Nutzung von Kommunikationskanälen auf Facebook und Twitter könnte es sogar eine gute Praxis für deutsche Behörden werden, die über diese Kanäle eingehenden Anfragen auch zu beantworten. Ich weiß, dass viele Behörden großartige, bürgernahe Öffentlichkeitsarbeit leisten. Es ist nicht nur informativ, sondern macht geradezu Freude, bestimmten Accounts zu folgen, und zu sehen, wie schnell und wie sachlich kompetent sie antworten.

Jedoch hat selbst ein Verfassungsressort wie das Bundesjustizministerium hier viel aufzuholen. Als Beispiel: Im November 2019 schaltete das Ministerium ein Testimonial mit dem Vorsitzenden des Islamverbandes ZMD im Rahmen der Regierungskampagne „Wir sind Rechtsstaat“. Unser Rechtsinstitut stellte noch am Tag der Veröffentlichung sieben sachliche Klärungsfragen auf der Ministeriumsseite bei Facebook und Twitter, die wiederum ein großes Nutzerinteresse hervorriefen. Bei rund zweitausend Nutzerreaktionen auf den Facebook-Post allein auf der Ministeriumsseite dürfte der Dialogbedarf dem Ministerium nicht entgangen sein. Der Post erhielt sogar die meisten Kommentare im gesamten Jahreszeitraum. Das ist kein Wunder, da er zentrale Fragen unseres Rechtsstaatsverständnisses thematisierte. Das Ministerium ist mehrfach täglich in den sozialen Medien aktiv, auch mit aufwendig produzierten Inhalten und investiert offensichtlich erhebliche Ressourcen in die Öffentlichkeitsarbeit. Auf wiederholte sachliche Anfragen von uns und anderen kam hingegen keinerlei Antwort – bis heute nicht. Die einzige sichtbare Reaktion des Ministeriums auf die Diskussion war ein pauschaler Hinweis auf die eigene Netiquette. Letztlich bin ich erstaunt, wie wenig die Wogen hochschlugen und wie sachlich die User blieben. Viele User wurden offenbar erst durch den Hinweis auf die Netiquette etwas unduldsam.

netzpolitik.org: Fänden Sie eine Antwortpflicht angemessen?

Jacqueline Neumann: Ja, mir geht es bei diesem Punkt darum, inwiefern staatliche Stellen verpflichtet sind, den Bürgern auch auf Social Media auf sachliche Fragen zu antworten. Aus Gründen begrenzter Kapazitäten kann nicht auf alle Fragen geantwortet werden, aber es wäre sicherlich realisierbar, auf die Top-Frage des Jahres oder die zehn Top-Fragen des Monats zu antworten und darüber zu berichten.

Bekanntlich können die Debattenverläufe auf digitalen Plattformen eine wahlentscheidende Rolle spielen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist eine Plattform wie Facebook für die Verbreitung von politischen Ideen und die Teilhabe an der demokratischen Willensbildung sogar von „überragender Bedeutung“. Die Aktivitäten und Social-Media-Monatsberichte des Bundeswirtschaftsministeriums zeigen, was bereits jetzt alles von einem Bundesressort geleistet und problemlos offengelegt werden kann.

Der Twitter-Account von Donald Trump

netzpolitik.org: Account-Sperrungen durch Amtsträger werden etwa in den Vereinigten Staaten als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit gewertet, wie ein Berufungsgericht letztes Jahr für den Account von US-Präsident Donald Trump entschied. Gibt es vergleichbare Fälle hier in Deutschland?

Jacqueline Neumann: Soweit ich das überblicke, gibt es in Deutschland auch nach dem Ende der Causa Ramelow noch kein vergleichbares Urteil und insbesondere keine höchstrichterliche Entscheidung.

Das Interessante an der Gerichtsentscheidung zum Twitter-Account des US-Präsidenten ist, dass das Gericht das Argument von Trumps Anwälten, dass er seinen Account bereits vor dem Amtsantritt eingerichtet habe und er die Sperrungen als Privatperson und nicht als Präsident vornehme, nicht gelten ließ. Die Richter bewerteten Trumps Twitter-Account als öffentlich, da er diesen nachweislich für amtliche Mitteilungen nutze. Bei der Einordnung des Ramelow-Accounts wären die amerikanischen Richter sicherlich zu dem gleichen Urteil gekommen.

netzpolitik.org: Wie bewerten Sie die Diskussionen um die aktuellen rechtlichen Vorschläge Trumps, um Eingriffe in die Meinungsfreiheit auf Twitter zu verhindern?

Jacqueline Neumann: Der US-Präsident schlägt vor, das Haftungsprivileg von Twitter und anderen Plattformbetreibern zu beschränken, wonach diese für die von Nutzern veröffentlichten Inhalte nicht verantwortlich sind. Zudem sollen die Unternehmen weniger Eingriffe in Nutzerbeiträge aufgrund ihrer internen Standards vollziehen.

Auch in Deutschland ist die Diskussion um das Haftungsprivileg im Gange. Zudem diskutieren wir die Frage, ob Plattformbetreiber ebenso wie der Staat alle grundrechtlich geschützten Meinungsäußerungen zulassen müssen. Oder ob sie in Form von AGBs Kommunikationsstandards für ihre Nutzer festlegen dürfen. Dürfen sie Äußerungen kennzeichnen, die vielleicht als falsch zu bewerten sind? Dürfen sie Kommentare verbieten und löschen, die provozierend und bei manchen Nutzern unbeliebt sind, aber von der Meinungsfreiheit gedeckt sind?

Diese Fragen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der juristischen Literatur unterschiedlich beantwortet worden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich hierzu noch nicht abschließend geäußert. Unstreitig ist, dass Plattformbetreiber aufgrund ihrer Marktmacht und Bedeutung für die politische Debatte mittelbar auch an die Grundrechte gebunden sind. Würde man eine ähnlich starke Grundrechtsbindung wie seitens des Staates annehmen und den privaten Unternehmen die Festlegung von Kommunikationsstandards untersagen, könnte dies in der Tat zu einer Liberalisierung und weniger Sperrungen führen. Denn der Großteil der Sperrungen erfolgt auf der Grundlage der eigenen Standards der Unternehmen. Damit würde jedoch die grundlegende Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft aufgeweicht, die für die Marktwirtschaft und unsere Rechtsordnung erstrebenswert ist.

Es gibt seit längerem auch den Vorschlag, die übereifrige Löschung oder Sperrung rechtskonformer Inhalte mit ebenso empfindlichen Strafen zu belegen wie die ausgebliebene Löschung oder Sperrung rechtswidriger Inhalte. Wenn dieser Vorschlag in eine Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) einbezogen würde, hätten die Betreiber von Social-Media-Plattformen einen Anreiz, nicht zu viel zu löschen, und würden nicht „im Zweifel gegen den Angeklagten“ entscheiden. Wobei sich dann, ebenso wie bei der Frage der Etablierung eines Put-Back-Verfahrens, die Frage stellt, ob neben den Maßnahmen aufgrund des NetzDG nicht auch die Maßnahmen der Unternehmen aufgrund der eigenen Standards davon umfasst werden müssten.

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Jacqueline Neumann.

Aktuell steht auf EU-Ebene mit dem „Digital Services Act“ insbesondere eine Neuregelung der Haftung für Plattformbetreiber und der Aufbau einer zentralen EU-Regulierungsbehörde an. Der öffentliche Konsultationsprozess läuft noch bis September 2020. Daher frage ich mich, ob die deutsche Politik nach den durchwachsenen Erfahrungen mit dem NetzDG nicht besser auf eine europäische Lösung setzen sollte, wenn schon keine Einigung mit den USA möglich scheint, auch um eine weitere Rechtszersplitterung im Internet zu vermeiden. Das französische Verfassungsgericht erklärte kürzlich das dem NetzDG vergleichbare französische Gesetz für teilweise verfassungswidrig. Begründet wurde dies auch mit der Gefahr des Overblockings. Die Frage der Vereinbarkeit des NetzDG mit Verfassungs- und Europarecht steht immer noch aus, um es freundlich auszudrücken.

netzpolitik.org: Vielen Dank für das Interview!


Jacqueline Neumann ist promovierte Juristin. Sie gründete 2017 das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) und ist Kuratorin der Giordano-Bruno-Stiftung. Das ifw ist erreichbar unter info(at)weltanschauungsrecht.de und auf Facebook und Twitter.

19 Ergänzungen

  1. Anstatt eigene Reichweiten-Ökonomie auf sogenannten Sozialen Medien in eigener Sache zu betreiben, sollten sich verantwortungsbewusste Politiker darum kümmern, dass diese Plattform-Konzerne endlich mal ihre Steuern in der Höhe hier bezahlen müssen, wie es jeder andere auch muss. Darüber hinaus haben diese Konzerne eine monopolistische Marktmacht entwickelt, die jetzt endlich ihre wettbewerbsrechtliche Zerschlagung erfordert.

    Wer als Politiker mit seiner Teilnahme an Facebook, Twitter & Co. auch noch dazu beiträgt, dass diese US-Monopolisten ihre Marktmacht weiter steigern können, ohne dabei hier nennenswerte Steuern zu zahlen, der hat wenig Glaubwürdigkeit, wenn es um Belange von Meinungsfreiheit und Bürgerrechte geht.

    PolitikerInnen, verabschiedet Euch aus der unwürdigen amerikanischen Social Media Selbstvermarktung!

  2. Könnt ihr bitte zur heutigen Pressekonferenz Lambrecht, den neuen EU und DE Entwürfen zur Zensur gewalttätiger und Fake-Posts was schreiben, hab da nen ganz ungutes Gefühl. Gewalt, Mord, naja ok. Dann machen wir auch gleich RTL dicht ;) Aber Fake“news“ fallen doch auch unter Meinungsfreiheit oder? Und das der Seehofer ne Identitatsnummer I’m Netz gefordert hat, hat auch kein großen Wind gemacht, findet ihr nicht? :D

  3. Meiner Meinung nach sollten Ämter, Behörden und Politiker überhaupt nicht über Facebook, Twitter, Instagram o.ä. kommunizieren, da diese nichts anderes als private Unternehmen sind. Für mich ist jede Person, die auf Twitter postet, eine Privatperson. Dementsprechend muss ich diese Person nicht ernst nehmen, dementsprechend hat sie aber auch das Recht auf Sperrung unliebsamer Antworten. Wenn unsere Politiker*innen denn unbedingt über weitere digitale Kanäle kommunizieren wollen, die über diejenigen Medien hinausgehen, deren Job die journalistische Berichterstattung ist, dann sollen sie gefälligst eine öffentlich-rechtliche Plattform dafür schaffen. Erst dann kann ich eine solche Kommunikation als amtlich/behördlich ernst nehmen, und erst dann kann sie auch den entsprechenden Regeln unterworfen sein.

    1. Deine Meinung sei Dir belassen, aber statt „Politiker“ wolltest Du vermutlich „Amtstraeger“ schreiben? Ein Politiker ist in diesem Kontext erstmal eine Privatperson, erst die Ausuebung eines Amtes aender das…der ganze Artikel handelt davon.

      1. Leider war es mir nicht möglich, früher auf Ihren Einwurf einzugehen.
        Mit „Politiker“ meinte ich natürlich eine Person, die ein politisches Amt ausübt. Beim juristischen Begriff des „Amtes“ bin ich mir jetzt nicht ganz sicher, hier gemeint ist damit das Ausüben einer Funktion innerhalb einer Partei (Vorsitz, ***-politische*r Sprecher*in, …) oder innerhalb eines Parlaments (mindestens Abgeordnete*r). Wie sich ein politisch aktiver Mensch als Privatperson verhält, hat damit gar nichts zu tun, was völlig selbstverstädnlich ist und Ihren Einwurf entweder pedantisch oder herablassend wirken lässt. Wie sie schreiben, der ganze Artikel handelt davon, warum sollte ich etwas anderes meinen? Haben Sie denn auch inhaltlich etwas zu meiner Meinung zu sagen? Denn ich bin bei diesem Thema wirklich sehr an einem offenen und lebhaften Diskurs interessiert.

  4. Dieser Artikel basiert auf Angaben die leider nicht stimmen!
    Ich habe im Verfahren vollumfänglich Recht bekommen und mein Twitter Account ist erkennbar meine Privatsphäre!
    Schade das hier weiterhin die Unwahrheit gesagt wird und die Niederlage erneut verdreht wird.
    Hier die Leitsätze aus dem Verwaltungsgerichtsstreit, bei dem versucht wurde das Amt des Ministerpräsidenten mit meinen persönlichen Sozial Media Kanälen zu vermischen!
    „Das Gericht ist der Auffassung, dass für das vorliegende Verfahren der Verwaltungsrechtweg nicht gegeben ist. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit (§ 40 Abs. 1 VwGO) liegt nicht vor, weil Herr Ramelow bei der Nutzung des Twitter-Accounts nicht als Ministerpräsident in Wahrnehmung seines Amtes handelt, sondern den Account als Privatmann betreibt.
     
    Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Abgrenzung auf die äußeren Umstände abzustellen (Urteil vom 16.12.2014, 2 BvE 2/14, Juris Rdnr. 70). Insbesondere kommt es darauf an, ob bei der Nutzung auf Staatssymbole oder Hoheitszeichen zurückgegriffen wird und ob ein Einsatz von Sach- oder Finanzmitteln feststellbar ist, die dem Betreffenden aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen (a.a.O., Rdnr. 72, ebenso Urteil vom 27.02.2018, 2 BvE 1/16, Juris Rdnr. 68).
     
    Im vorliegenden Fall bezeichnet sich Herr Ramelow auf der Webseite ausdrücklich als „Mensch“ und vermeidet die Angabe seines Regierungsamtes (https://twitter.com/bodoramelow?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Eauthor, Abruf am 28.05.2019).
     
    Im Hintergrund, z.B. auf dem Photo am oberen Seitenrand, findet sich lediglich eine Landschaftsdarstellung; auf Staats- oder Amtssymbole wird verzichtet. Es ist auch nicht ersichtlich, dass bei der Nutzung des Account auf öffentliche Mittel zurückgegriffen wird. Vielmehr verweist die angegebene Webseite http://www.bodo-ramelow.de in den Kontakt- und Impressumangaben (https://www.bodo-ramelow.de/service/kontakt/) auf eine private Adresse (hier eine Adresse der DIE LINKE Thüringen) und nicht etwa auf die Thüringer Staatskanzlei. Dass Herr Ramelow auf dieser Website auch über sein Regierungshandeln berichtet, gibt dem Auftreten insgesamt keinen hoheitlichen Charakter.“

    1. selbst für Politikermaßstäbe ist es erbärmlich, den Verweisungsbeschluss als materiellrechtliche Entscheidung in der Sache verkaufen zu wollen.

      1. Dieser Kommentar ist wirklich seltsam. Das Verwaltungsgericht hat die beantragten Anträge schlicht abgewiesen und inhaltlich vollumfänglich entschieden. Was soll da eine „Verweisung“ sein? Im Beschluss führt das Gericht aus, falls sich der Antragsteller mit dem Inhaber des Twitter Accounts Bodo Ramelow auseinandersetzen möchte, wäre dafür natürlich das Amtsgericht zuständig. Damit ist der Klageansatz der GBS und die gestellten Anträge des von der GBS beauftragten Rechtsanwalt Steinhöfel abgewiesen worden. Die Thüringer Staatskanzlei war beklagt und deshalb wurde ja das dafür zuständige Verwaltungsgericht durch die GBS angerufen. Die Leitsätze der Abweisung habe ich hier vorgestellt und darauf Bezug genommen.
        Zu keinem Zeitpunkt war der Account ein amtlicher oder gar dienstlicher! Noch deutlicher, wie es das Verwaltungsgericht festgestellt hat, kann man es garnicht herausarbeiten. Den Worten des Gericht ist nichts hinzuzufügen!
        PS: das Verfahren vor dem Amtsgericht hat RA Steinhöfel geführt und anschließend durch „Rücknahme“ erledigt. Offensichtlich wegen Erfolglosigkeit.

    2. Man müsste erst gar nicht über juristische Spitzfindigkeiten debattieren, wenn man vorher darüber nachgedacht hätte, was unreflektiertes Mitmachen bei globalen Steuerhinterziehern und Marktmonopolisten für die eigene Glaubwürdigkeit im Hinblick eines Verständnisses von Gemeinwohls bedeutet.

      Hier mal ein kostenloser Tweet und dort noch ein kostenloser Tweet bei einem US-Konzern. Wem nützt das?

      Liegt der Nutzen bei unbedarften Usern ohne Hoheitssymbol, oder doch eher auf Seiten einer auf Tracking basierten Werbewirtschaft oder bei den Analyticas, die sich dafür interessieren, welche Kunden als „Follower“ (Follower folgen Führern!) einem Privatmann hinterher klicken, der auch noch als linker Ministerpräsident das Geschäftsmodell von US-Monopolisten befeuert?

      Wer als Linker seine Sympathisanten zu „Followern“ degradiert und sie der Verfolgung (Tracking) und Ausbeutung (Analytics) von US-Monopolisten preis gibt, der braucht dringend Nachhilfe im Bereich linker Medienkompetenz, die sich am Gemeinwohl orientieren sollte.

      1. Sie können ein Buch darüber schreiben, umgedreht wird später :).

  5. Korrigiert mich, aber wenn „das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit an das fuer die Privatperson Ramelow zustaendige Amtsgericht verwiesen hat“, dann hat das Verwaltungsgericht damit festgestellt, dass Ramelow nicht als Amtsperson sondern als Privatperson unterwegs war. Es hat also genau die Aussage getroffen, um die es geht. Die Klage gegen die Privatperson waere dann ohnehin sinnlos, der kann sperren, wen er will.

    So gesehen schwaches Interview?

  6. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Ramelow,

    zu Ihrem Kommentar (7. Juli 2020 um 15:19 Uhr) fünf Punkte:

    1.
    Ich verwehre mich gegen Ihre Behauptung, dass ich im Interview die „Unwahrheit“ gesagt hätte. Ihre Darstellung des Prozessverlaufs in der Kommentarspalte widerspricht nicht meiner Darstellung im Interview. Im Interview sage ich: „Sodann erklärte sich das aus unserer Sicht für die Angelegenheiten des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zuständige Verwaltungsgericht Weimar jedoch für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an ein für die Privatperson Bodo Ramelow zuständiges Amtsgericht …“ und weiter „Ramelow selbst teilte lediglich zwischenzeitlich über Twitter mit, dass das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen habe, weil der Ministerpräsident auf seinem Account auf staatliche Insignien verzichte und sich dort als „Mensch“ bezeichne.“ Das ist genau der Verweisungsbeschluss, den Sie in Ihrem Kommentar zitieren. Ein Urteil gab es in der Sache nicht, weil Sie uns entsperrt haben und die Klage daraufhin beendet wurde (wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses). Auch das steht korrekt im Interview.

    2.
    Dass ich eine andere Rechtsauffassung als Sie oder das Verwaltungsgericht Weimar in seinem Verweisungsbeschluss vertrete und diese im Interview öffentlich äußere, werden Sie mir im Rahmen der Meinungsfreiheit zugestehen müssen. Bei der Wahrnehmung dieses Grundrechts habe ich nichts „verdreht“.

    3.
    Warum hatten Sie eigentlich den Twitter-Account des ifw gesperrt? Und im laufenden Verfahren entsperrt? Spätestens jetzt und hier wäre doch eine gute Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen und den Eindruck der Willkür zu korrigieren.

    4.
    Warum hat die Staatskanzlei den Rechtsstreit für Sie geführt, wenn es sich doch – aus Ihrer Sicht – um Ihren persönlichen Twitter-Account (Ihre „Privatsphäre“) handelt?

    5.
    Abgesehen von Ihrer persönlichen Betroffenheit: Es geht in dem Interview nicht nur um Sie und Ihren Fall. Die Relevanz des Themas auf der Sachebene ist weit größer: Sehen Sie nicht auch rechtspolitischen Handlungsbedarf bei der Stärkung der Meinungsfreiheit und der Grundrechte im digitalen Raum?

    Mit freundlichen Grüßen

    Jacqueline Neumann

    1. Sie sind Juristin und fragen mich, warum die Staatskanzlei das Verfahren geführt hat? Wirklich? Das ist ihre Frage?
      Weil der Rechtsanwalt Steinhöfel diesen Klageweg gewählt hat und diese Anträge so gestellt hat. Sie wollen beweisen, dass mein Account ein amtlicher sei und haben damit vollumfänglich verloren. Sage ich jetzt mal als Nichtjurist.

  7. Sind die Repräsentanzen der Behörden etc. auf den sozialen Medien denn tatsächlich „richtige“ Behördenaccounts? Sie sind ja lediglich Gästeaccounts auf einer social media-Plattform, welche entsprechende Privatunternehmen besitzen, und Tweets etc. sind ja nicht unbedingt so etwas wie offizielle Veröffentlichungen auf der Homepage.

    Eine Internetsperre oder ein Ausgrenzen von der Homepage der Behörde etc. würde meiner Ansicht nach ein deutlicher Verstoß gegen die Informations- und Meinungsfreiheit sein, aber die Möglichkeit nicht mehr bei social media direkt dort zu kommentieren? Das halte ich für zweifelhaft, es besteht ja auch keine Pflicht für Behörden etc. social media-Accounts zu haben (wodurch die Möglichkeit dort direkt drunter zu kommentieren garnicht erst entstehen würde). Es besteht ja weiterhin unabhängig davon die Möglichkeit sich bei social media und woanders über die Behörde auszutauschen und für ein Kontaktieren der Behörde gibt es auch andere Wege als social media.

    Ich würde mich im Falle eines Blocks nur von einem social media-Account nicht unbedingt in meiner Freiheit eingeschränkt sehen, wobei der juristische Sachverhalt natürlich anders liegen kann. Da auf social media, inbesondere wenn der Account einfach nur von einer Person betrieben wird, ein extremer Aufwand entstehen würde jegliche Belästigungen etc. zu lesen, und unter anderem sinnvolle Fragen dabei untergehen würden, kann ich auch nachvollziehen warum ein Block ggf. angebracht sein kann.

    Im Interview erwähnt Frau Neumann auch ein größeres Beispiel („Unser Rechtsinstitut stellte noch am Tag der Veröffentlichung sieben sachliche Klärungsfragen..“). Relevantes Thema, klar. Hab drauf geklickt, die erste „sachliche Klärungsfrage“ lautete zusammengefasst ob der angeschriebene Muslim auf dem Boden des Grundgesetzes oder der Scharia stehe. Und auf diesem Niveau geht es weiter. Banalste Suggestivfragen die praktisch lediglich den Vorwurf reproduzieren, dass die Person als Muslim nicht zu „unseren“ Werten stehen kann. Und die angeblich sachliche User-Diskussion besteht dann anscheinend dort darin den Stock aufzunehmen und Muslimen vorzuwerfen, dass selbst wenn diese die Grundgesetzfrage mit ja beantworten, dass lediglich der Täuschung diene bis sie „die Mehrheit haben“ (zitiert vom Userkommentar). Bei einem entsprechenden Niveau überraschen ggf. Blocks dann auch weniger, auch Amtsträger und Behördenmitarbeiter sind Menschen mit begrenzter Zeit und Nerven.

    Eine Lösung habe ich nicht parat, eine Ausgrenzung sollte vermieden werden aber ich glaube ein gewisses Mindestniveau ist auf social media auch nicht vollständig ohne Moderation durch Blocks und Ähnliches (auch zum Schutz der übrigen User) zu erreichen.

  8. Zu dem Kommentar von Laika (8. Juli 2020 um 01:05 Uhr):

    1.
    Den juristischen Sachverhalt habe ich im Interview dargestellt und dabei insbesondere auf das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages verwiesen. Danach stellt Blockieren einen Grundrechtseingriff dar. Selbstverständlich gibt es keine Pflicht für Behörden, Social-Media-Accounts zu betreiben, aber wenn eine Behörde einen Account einrichtet, ist sie bei dem Betrieb des Accounts an das Grundgesetz und unseren Rechtstaat gebunden. Das ist juristisch unumstritten. Eine gute, ausführlichere Darstellung dieses Themas bieten u.a. aktuelle Artikel von Tobias Mast auf Verfassungsblog: https://verfassungsblog.de/entgrenztes-gezwitscher; oder von Friedrich Schmitt hier auf Netzpolitik: https://netzpolitik.org/2020/soziale-medien-warum-polizeibehoerden-nicht-beliebig-twittern-duerfen

    2.
    Dass die Meinungsfreiheit Grenzen hat, und eine Moderation stattfinden darf, bestreite ich im Interview nicht. Im Gegenteil. Ich fordere ja gerade Regeln, aber dabei sollte es sich um einheitliche Verfahrensregeln handeln. Die Überlegung aus dem Interview: Im Rechtsstaat brauchen wir auch für den digitalen Raum gesetzliche Vorgaben, wer unter welchen Voraussetzungen von wem wie lange gesperrt werden darf, wann eine Überprüfung der Sperrung stattzufinden hat und welche Rechtsschutzmöglichkeiten dem Betroffenen zur Verfügung stehen. Amtliche Sperrungen oder Kommentarlöschungen dürfen in einem Rechtsstaat nicht nach Gutdünken erfolgen.

    3.
    Die Kritik aus dem zitierten Beispiel richtet sich nicht gegen „die Person als Muslim“, sondern adressiert konkret die Auswahl des Vorsitzenden des Islamverbandes ZMD, Aiman Mazyek, als „Rechtsstaatsbotschafter“ durch das Bundesjustizministerium bei einer Regierungskampagne. In dieser Funktion wurde der Islamverbandschef Mazyek aufgefordert, zu erläutern, inwiefern seine „Islamische Charta“ im Einklang mit dem Grundgesetz steht. Fragen 3 und 4 beziehen sich beispielsweise auf die Anerkennung von Frauenrechten. Das sind keineswegs „banalste Suggestivfragen“ oder ein vorgeworfener „Stock“. Aber ich jedoch kann akzeptieren, wenn Sie das so bewerten. Hingegen wissen wir von Frauenrechtsorganisationen und Ex-Muslimen, dass diese Fragen aus Sicht vieler Betroffener nicht banal, ja geradezu existentiell sind.

    Das ifw forderte keineswegs, dass Herr Mazyek Glaubensüberzeugungen aufgibt oder mit all seinen Überzeugungen auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen habe. Es ist das Recht eines jeden Bürgers, auch Überzeugungen zu haben und zu vertreten, die nicht im Einklang mit der Verfassung sind. Das ist bekanntlich nicht auf religiöse Überzeugungen beschränkt. Nur sollte, so finde ich, ein „Rechtsstaatsbotschafter“ der Regierung deutlich auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und das kampagneführende Ministerium auf sachliche Fragen eingehen.

    Der von Ihnen zitierte Userkommentar ist mir nicht bekannt, und nicht
    mir oder dem ifw zuzuordnen. Die Auswahl des Islamverbandschefs und die
    Notwendigkeit der Aufklärung wurde übrigens nicht nur von uns, sondern
    beispielsweise auch von einem Bundesminister und führenden
    CDU-Politikern u.a. im Handelsblatt gegenüber dem Bundesjustizministerium thematisiert.

    Die 7 Fragen leitete das ifw aus früheren und aktuellen Äußerungen und
    Aktionen des „Rechtsstaatsbotschafters“ ab, und richtete sie u.a. hier
    direkt an das Ministerium: https://twitter.com/ifw_recht/status/1192714504460746753. Weitere Details hier: https://hpd.de/artikel/nichts-sehen-nichts-hoeren-nichts-sagen-18088 Es ging uns hier primär um die Rolle des Staates und die Stärkung (bzw. Vermeidung der Aushöhlung) des Rechtsstaates.

    Ich hoffe, hiermit den Hintergrund des Beispiels etwas erhellt zu haben
    und würde mich freuen, die Diskussion zu dem eigentlichen
    netzpolitischen Thema in diesem Punkt, nämlich zu den möglichen
    Antwortpflichten von Behörden, weiterzuführen.

  9. Hi. Öhm, seid ihr sicher, dass der Bodo Ramelow, der hier postet, kein Troll ist? Ich hätte gedacht, der andere Bodo Ramelow, dessen Liste ich in den letzten Jahren in Thüringen gewählt habe, würde nicht „Sozial Media“ oder „beantragte Anträge“ schreiben, weniger Ausrufezeichen verwenden und insgesamt besonnener antworten.

  10. Warum hat Jacqueline Neumann und ihr Institut ausgerechnet den stramm rechtskonservativen und als Medienclown bekannten Anwalt Steinhöfel mit der Vertretung ihrer Klage beauftragt?

    Ihr Institut steht doch auch für Neutralität, da hat es doch irgendwie ein unangenehmes Geschmäckle, einen solch plakativen Konservativen mit Verbindungen zu Neurechten für ihre Klage gegen ein Mitglied der Partei „Die Linke“ zu beauftragen.

    Herr Steinhöfel engagiert sich als Anwalt ja nicht wirklich für „Redefreiheit allgemein“ (sprich: er hat wenig Lust die Redefreiheit von Linken oder von Antifaschisten zu verteidigen), sondern tritt auffallend oft für rechte Hassprediger und Neurechte auf. Als Mandanten hatte er auch schon Akif Pirinçci, Matthias Matussek oder Henryk M. Broder (um nur mal die bekannteren Beispiele zu nennen).

    Wenn sie sich in diese Reihe einreihen, müssen sie sich wohl den Vorwurf gefallen lassen, dass ihre Weltanschauung auch eher rechtskonservativ ist und ihr unermüdlicher Kampf gegen Herrn Ramelow möglicherweise (auch) politisch motiviert ist und sie bei Sperrung durch einen konservativen Politiker weniger Aktionismus an den Tag gelegt hätten.

  11. Antwort auf Karl Mangeder (10. Juli 2020 um 01:53 Uhr) und verschiedene Kommentare von Bodo Ramelow auf der Netzpolitik-Seite sowie auf Twitter und Facebook seit Erscheinen des Interviews

    Ich habe die Kommentare in den letzten Tagen beobachtet. Die Kommentare zum Anwalt und der Überparteilichkeit haben mit den Sachfragen aus dem Interview wenig zu tun. Mit meiner Reaktion auf die Kommentare möchte ich jedoch den Weg frei machen, sich fortan mit den im Interview aufgeworfenen netzpolitischen Fragen zu befassen. Zu den interviewfremden Themen und zum Vorwurf der Lüge:

    a) Behauptung der Lüge
    In den Kommentaren auf dieses Interview hat Ministerpräsident Ramelow gezeigt, dass er zur Diskreditierung meiner Interviewaussagen u.a. Behauptungen der Lüge und Unwahrheit aufstellt („wohl nicht so mit der Wahrheit“, „nun wird gelogen“, siehe auch auf seinem Twitter-Account). Belegt hat er hingegen seine Behauptungen auch nach meiner Widerrede nicht. Sie sind haltlos und hanebüchen und werden von mir auf das Schärfste zurückgewiesen.

    b) Frage der Anwaltsauswahl
    Ich möchte unseren konkreten Entscheidungsprozess bei der Auswahl des Anwaltes kurz schildern: im Frühjahr 2019 haben wir für dieses netzpolitische Verfahren mit grundsätzlicher Bedeutung einen renommierten Medienrechtler gesucht. Anwalt Steinhöfel war u.a. 2019 Sachverständiger vor dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages. Wiederholt hat er gbs-Beirat Hamed Abdel-Samad zur Aufrechterhaltung der Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit in den sozialen Medien vertreten. Neben der Expertise und Erfahrung legen wir zudem Wert darauf, dass wir in politisch herausgehobenen Verfahren – wie hier gegen einen Ministerpräsidenten – keinen Funktionsträger einer politischen Partei beauftragen und dass der Anwalt Mandantschaft aus dem gesamten politischen Spektrum hat. Das hatten wir geprüft und das war hier der Fall. Juristisch ist der Fall nach der Entsperrung unseres Accounts durch Ramelow und die Erledigung der Klage seit über einem halben Jahr abgeschlossen.

    c) Infragestellung der Überparteilichkeit
    Wir haben den Fall nie parteipolitisch etikettiert. Es ist vielmehr so, dass Ramelow den Frame einer parteipolitischen Etikettierung setzte und sich in seiner Öffentlichkeitsarbeit offenbar dem Kampf gegen die von ihm gesetzte Etikettierung widmet – anstelle einer Sachdebatte zur Netzpolitik. Wir zählen mehrere Kommentare, Tweets und Posts des Ministerpräsidenten allein in dieser Woche, in denen er sich für diesen Vorgang Zeit genommen hat, aber die Debatte von der netzpolitischen Sachfrage wegschieben will.
    Zu unserer Überparteilichkeit sagte ich bereits vor 14 Monaten zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Details dieses Rechtsfalles – bevor es überhaupt eine Debatte gab (https://weltanschauungsrecht.de/meldung/twitter-klage-ramelow):
    „Unser Institut für Weltanschauungsrecht arbeitet politisch unabhängig und überparteilich. Es geht uns nicht um politische Stellungnahmen für oder gegen einzelne Politiker wie Ministerpräsident Ramelow (Die Linke). Es geht uns um den säkularen, weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes. Bei diesem Unterfangen kennen wir kein „Links“ und „Rechts“. Ich erinnere an unsere Kritik an all den politisch Verantwortlichen bei Bund und Ländern über das gesamte Parteienspektrum hinweg, deren Untätigkeit oder gar Irreführung bei der Aufklärung des kirchlichen Sexualmissbrauchssystems wir mit deutschlandweit 27 Strafanzeigen und IFG-Anfragen offengelegt haben. Oder an unsere Positionen beispielsweise zum Kreuzerlass des bayrischen Ministerpräsidenten Söder (CSU), zu den Islamunterricht-Plänen von NRW-Ministerpräsidenten Laschet (CDU) und Schulministerin Gebauer (FDP), zu christlich-fundamentalistischen Forderungen von Beatrix von Storch (AfD) bei Schwangerschaftsabbrüchen und Sterbehilfe, zu den Angriffen auf das Neutralitätsgesetz durch den Berliner Justizsenator Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) oder auch zu den im Lobbyismus der kirchlichen Finanzinteressen kaum mehr zu übertreffenden Staatsleistungen-Aussagen des SPD-Kirchenbeauftragten Castellucci MdB und des sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer (CDU).“
    Wir entscheiden also von Thema zu Thema (vom Arbeitsrecht bis Strafrecht https://weltanschauungsrecht.de/schwerpunkte), was die Position des ifw aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist und hängen bei der Positionsfindung weder parteipolitischen Loyalitäten an, noch legen wir bei Politikern, die nicht der Linkspartei angehören „weniger Aktionismus an den Tag“.
    Es hat uns – soweit mir ersichtlich – außer in dem vorliegenden Fall noch nie ein anderer Amtsträger, eine Behörde oder ein Politiker blockiert oder Kommentare gelöscht. Selbstverständlich würden wir in einem solchen Fall unsere Rechte mit gleichem Nachdruck ungeachtet der politischen Couleur geltend machen. Hätte Ramelow nicht gesperrt, wären wir nicht juristisch gegen ihn vorgegangen. Wäre er Mitglied der CSU, wäre unser Engagement nicht geringer gewesen. Jeder, der sich unvoreingenommen mit der Arbeit des ifw befasst, wird dies bestätigen können.

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