Unser Wochenrückblick wird auch als wöchentlicher Newsletter verschickt. Hier könnt Ihr Euch anmelden.
Nochmal GroKo, was bedeutet das für die Netzpolitik?
Bald wird feststehen, wie die SPD-Mitglieder zu einer Neuauflage der großen Koalition stehen. Wie sie sich entscheiden, hängt auch von den Inhalten im Koalitionsvertrag hab. Wir setzen daher unsere Reihe fort, in der wir netzpolitische Fragestellungen im Koalitionsvertrag analysieren. In dieser Woche haben wir uns angeschaut, wie es um Transparenzbemühungen steht. Das Fazit: Es bleibt neblig. Wichtige Vorhaben wie ein Lobbyregister, ein Transparenzgesetz und besserer Whistleblower-Schutz haben es nicht in das Papier geschafft. Und dass Horst Seehofer in Zukunft für die meisten Transparenzthemen zuständig sein soll, stimmt nicht besonders optimistisch – immerhin gibt es in Bayern nicht einmal ein Informationsfreiheitsgesetz.
Auch überprüft haben wir die Vorhaben von Union und SPD im Hinblick auf Verbraucherschutz. Sie geben viele hehre Versprechen und wenig konkrete Pläne. Immerhin: IT-Hersteller könnten stärker für Sicherheitsmängel haften und kollektive Klagen gegen Missstände einfacher werden. Bei personenbezogenen Daten soll Merkels Mantra vom „Rohstoff des 21. Jahrhunderts“ jetzt Regierungslinie werden.
Upload-Filter gefährden Netzkultur und Wikipedia
Einer der begrüßenswerten Punkte im Koalitionsvertrag ist die Ablehnung von Upload-Filtern zur Urheberrechtsdurchsetzung. Das hat sich aber wohl nicht bis zum deutschen CDU-Abgeordneten Axel Voss herumgesprochen, der im EU-Parlament für die Urheberrechtsreform zuständig ist. Er legte einen Vorschlag vor, der weiterhin Upload-Filter vorsieht und die Dominanz von großen Internetunternehmen sogar noch verschärfen könnte.
Die vier großen Plattformbetreiber Facebook, Youtube, Twitter und Microsoft haben für „terroristische“ und „extremistische“ Inhalte bereits Upload-Filter eingerichtet. Die Europäische Kommission drängt nun auch andere Unternehmen, die dafür genutzte zentrale Datenbank zu füttern und erwägt, einen Gesetzgebungsprozess zu initiieren, der ihre Nutzung für „eindeutige“ terroristische Inhalte verpflichtend machen würde.
Wir haben noch einmal erklärt, warum es eine Gefahr für die Netzkultur und Wikipedia wäre, sämtliche Inhalte vorab zu filtern und warum Kritiker eine Zensurinfrastruktur befürchten.
Interview zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Wenn es um das Thema Zensur geht, ist auch die Diskussion um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) nicht weit. Wir haben den Juristen Mathias Hong interviewt, der vorschlägt, bei rechtswidrigen Inhalten auf Plattformen lieber die kommerziellen Anbieter in die Pflicht zu nehmen, statt eine staatliche Überwachungs- und Interventionsmaschine aufzubauen.
Auch wenn das NetzDG erst einmal nur fordert, strafrechtlich relevante Inhalte zu löschen, lässt sich der Trend erkennen, dass Twitter und Co. nicht nur in Deutschland vermehrt Nutzer komplett sperren. In Kalifornien will ein Betroffener dagegen vorgehen und Twitter als öffentlichen Raum definieren. Die Beiträge des Nutzers sind rassistisch und nicht gutzuheißen, die dahinterliegende Thematik ist jedoch eine interessante Grundsatzfrage.
Unterstützung für wir-sind-afd.de und Signal
Eine Person, die hingegen gegen Rassismus kämpft, bekam in Deutschland eine große Welle der Solidarität zu spüren. Der Betreiber der Seite wir-sind-afd.de sammelt dort rechtsextreme, rassistische und menschenverachtende Äußerungen von AfD-Politikern. Die Rechtsradikalen schickten Mattes eine Unterlassungserklärung, er unterschrieb sie nicht und verlor eine Klage vor dem Landgericht Köln. Er könnte jedoch in Berufung gehen. Ein Crowd-Funding mit dem Ziel, ihn bei den Gerichtskosten zu unterstützen, brachte in kurzer Zeit 50.000 Euro.
Einen Geldsegen erfuhr auch der Ende-zu-Ende-verschlüsselte Messenger Signal. Der WhatsApp-Mitgründer Brian Acton ermöglichte mit 50 Millionen Dollar die Gründung einer Stiftung. Nun können mehr EntwicklerInnen eingestellt werden und der nicht-kommerzielle Dienst hat eine tragfähige Zukunftsperspektive.
Planwirtschaft im Kapitalismus?
Apropos kommerziell: Auf den 700-Milliarden-Dollar-Marktriesen Amazon passt diese Bezeichnung bestens. Malcolm Harris hat analysiert, dass er dabei jedoch nicht ganz konventionell vorgeht: kaum Profite, keine Dividenden für die Aktionäre und wenig Barvermögen. Stattdessen setzt der Konzern auf immer mehr Wachstum. Ist Amazon auf dem Weg zur konkurrenzlosen Planwirtschaft? Gegen diesen Trend vorzugehen, mahnt mittlerweile sogar die wirtschaftsliberale englische Zeitung Financial Times und empfiehlt dem Staat, eigene Plattformen aufzubauen.
Dem Ärztebewertungsportal jameda fiel seine Kommerzialität jüngst auf die Füße. Der Bundesgerichtshof entschied, es müsse das Profil einer Hautärztin aus Köln löschen, die sich gegen die Plattform gewehrt hatte. Aber nur, weil es eine Premium-Funktion gibt. Damit können kostenpflichtig registrierte Ärzte dafür bezahlen, dass keine Konkurrenten auf ihrem Profil angezeigt werden. Premium-Modelle gegen Geld verletzen eine neutrale Darstellung, so das Gericht.
Blick zu den österreichischen Nachbarn
Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? So könnte man das zusammenfassen, was die österreichische Rechtsaußen-Partei FPÖ diese Woche gemacht hat. Letztes Jahr lehnte sie ein geplantes Überwachungspaket noch als „DDR 4.0“ ab, nun brachte sie das Paket selbst mit nur wenig Änderungen ins Parlament ein und will es schon bis zum Sommer verabschieden. Das hieße: Bundestrojaner für die Polizei, Zugriff auf Videoüberwachung, keine anonymen Prepaid-SIM-Karten und ein schwächeres Briefgeheimnis.
Unterdessen kämpft die rechte Koalition mit ihrer eigenen IT. Zwei regierungskritische Volksinitiativen haben eine Unterschriftensammlung gestartet, doch seit Tagen gibt es Serverprobleme und das Innenministerium kann nicht sagen, wann sie behoben sein werden.
Rechtspopulisten sind auch ein Thema im Jahresreport von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation kritisiert außerdem den Ausbau staatlicher Eingriffsmöglichkeiten in Deutschland und Europa auf Kosten der Menschenrechte und eine daraus folgende „Versicherheitlichung“.
Tipps fürs Wochenende
Wer aufgrund der angekündigten frostigen Temperaturen am Wochenende lieber zu Hause bleibt: Wir legen euch die ARD-Reportage „Das Microsoft-Dilemma“ ans Herz, die sich mit der Monopolstellung des IT-Riesen, mit gezieltem Lobbyismus und der Trägheit von Institutionen beschäftigt.
Falls ihr hingegen unbekümmert einkaufen gehen wollt, lest am besten vorher nicht, wie das Bewegungs- und Einkaufsverhalten von Kunden inzwischen nicht nur online, sondern auch im stationären Handel aufgezeichnet und analysiert wird. Einer Schätzung des Handelsforschers Ulrich Spaan zufolge experimentieren derzeit etwa 20 Prozent der Einzelhändler in Deutschland mit diesen Überwachungsmethoden. Wer am Wochenende Berlin ist, kann am Samstag Abend jedenfalls unbekümmert in die c-base gehen. Dort gibt es einen Workshop zum Thema „Feinstaub selber messen“.
Und wer im noch neuen Jahr nach einer neuen Herausforderung sucht: Digitale Gesellschaft e. V. sucht jemanden, der oder die die Geschäfte der Organisation führt. Wenn ihr Erfahrungen in gemeinnützigen Nichtregierungsorganisationen habt und etwas für digitale Grund- und Freiheitsrechte tun wollt, ist das eine gute Gelegenheit.
In diesem Sinne: Ein schönes Wochenende!
0 Ergänzungen
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.