Liebe Leser:innen,
in den vergangenen Tagen haben wir uns durch die Zwischenergebnisse der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD geackert. Die entsprechenden Papiere aller 16 Arbeitsgruppen sind inzwischen geleakt. Und wie zu erwarten war, stehen da sehr viele gruselige Dinge drin. Die sich anbahnende schwarz-rote Koalition will die Überwachung massiv ausbauen, Daten ökonomisch nutzbar machen und Grundrechte schleifen. Darüber hinaus sind noch viele Punkte umstritten. Vor allem die Union will es hier noch schärfer, noch restriktiver, noch AfDiger.
Beim Lesen der Papiere fiel mir auch auf, das gerade bei den digitalpolitischen Themen wieder einmal viele Buzzwords vorkommen. Union und SPD träumen von AI-Gigafactorys, einer KI-Offensive mit „100.000-GPU-Programm“ und Quantenhöchstleistungsrechnern. Und der erste Fusionsreaktor der Welt soll bitteschön in Deutschland stehen.
Ich frage mich, warum Politiker:innen glauben, mit solchen Buzzwords um sich werfen zu müssen. Sie betreiben keinen Stand auf einer Verkaufsmesse. Sie sprechen auch nicht auf einer Jahreshauptversammlung zu Aktionär:innen. Sondern sie sind gewählte Volksvertreter:innen, die politische Probleme lösen sollen. Nicht mehr und nicht weniger.
Welche Probleme aber soll eine „AI-Gigafactory“ konkret lösen – zumal anderswo KI-Rechenzentren leerstehen? Und wann genau können wir mit der Fusionsenergie rechnen, die uns schon seit einer gefühlten Ewigkeit verheißen ist? Ich glaube, dass solche Ideenhülsen vor allem bestehende Probleme verschleiern sollen. Dass unsere Straßen, Schulen und Schienennetze marode sind. Dass an allen Ecken Lehrer:innen, Richter:innen und Verwaltungsbeamt:innen fehlen. Dass es vielerorts an Grundlegendem mangelt.
Umso mehr lohnt es sich, genauer zwischen die Buzzwords zu schauen. Dort finden sich dann Formulierungen, die wirklich politische Sprengkraft haben. Wie etwa der schlichte Satz: „Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir hingegen abschaffen.“
Dieser Wunsch der Union findet sich ausgerechnet im Abschnitt „Stärkung der repräsentativen Demokratie“. Und Verhandlungsführer der zuständigen Arbeitsgruppe war ausgerechnet der CDU-Politiker Philipp Amthor. Dessen Augustus-Intelligence-Skandal wurde durch das besagte Gesetz öffentlich. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Dass die Union die demokratische Kontrolle des Staates derart beschneiden will, hat bei Journalist:innen, NGOs und Aufsichtsbehörden für einen Aufschrei gesorgt. „Selten habe ich zu einem Thema innerhalb weniger Stunden so viele Reaktionen bekommen“, schreibt mein Kollege Sebastian. Philipp Amthor versucht derweil zu beschwichtigen und wirft – statt mit Buzzwords – mit Nebelkerzen um sich.
Kommt gut durchs Wochenende!
Daniel
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