Wenn Polizist:innen interne Missstände in ihren Behörden melden wollen, wird es ihnen noch immer schwer gemacht. Zu diesem Schluss kommt ein Projekt der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) zum Schutz von Whistleblower:innen bei der Polizei. Auch eine ergänzende Studie zeugt von gravierenden Problemen: Potenzielle Hinweisgeber:innen innerhalb der Polizei werden durch unzureichende Meldestrukturen und Angst vor Ausgrenzung durch Kolleg:innen abgeschreckt.
Bereits im Jahr 2019 hat sich die EU auf eine sogenannte Hinweisgeberrichtlinie verständigt. Diese soll Menschen besser schützen, die auf Missstände in Unternehmen, Behörden und anderen Organisationen aufmerksam machen. Erst seit Juli 2023 gilt auch ein Deutschland ein Hinweisgeberschutzgesetz, für die verspätete Umsetzung der EU-Vorgaben musste die Bundesrepublik gerade erst eine Millionenstrafe zahlen. Das Gesetz schreibt unter anderem konkrete Meldewege für Missstände vor und soll so (Rechts-) Sicherheit für Whistleblower:innen schaffen. Organisationen wie das Whistleblower-Netzwerk kritisieren es jedoch als unzureichend.
Zumindest mit Blick auf die Polizei bestätigen die Erkenntnisse der Gesellschaft für Freiheitsrechte und der Studien diese Kritik. Das Hinweisgeberschutzgesetz müsse nachgebessert werden, fordert die GFF. Die Institution Polizei sei noch weit entfernt von einer demokratischen Fehlerkultur und vertrauenswürdigen Meldestrukturen, so das klare Fazit bei einem Pressegespräch am Mittwoch.
500 Polizist:innen geschult
Laura Kuttler von der GFF erzählt bei dem Termin, dass die zahlreichen Berichte über Skandale innerhalb der Polizei und das neue Gesetz vor zwei Jahren den Anlass für das Projekt „Mach Meldung“ bildeten. Es sollte Polizeibedienstete unterstützen, die aktiv gegen Missstände in den eigenen Reihen werden wollen.
Die Liste der Skandale ist in der Tat bis heute lang und reicht von rechtsextremen Chats und Datenmissbrauch über Bestechlichkeit bis zu Sexismus am Arbeitsplatz und rassistischer Polizeigewalt.
Zu tun gäbe es also einiges. Trotzdem berichtet die Juristin nicht unbedingt von offenen Armen, mit denen das Projekt empfangen wurde. Die Polizei gilt als wenig transparente und fehlerfreundliche Organisation. Kritik von außen wird oft als Angriff auf die gesamte Polizei verstanden, Kritik von innen gilt als schädlich für die Geschlossenheit, Korpsgeist verhindert Aufklärung.
Das zeigt das Beispiel einer Polizeianwärterin in Nordrhein-Westfalen, von dem Laura Kuttler erzählt. Während eines Praktikums sei die junge Frau Zeugin extremer Polizeigewalt auf dem LGBTQ-Festtag „Christopher Street Day“ gegen eine unbeteiligte Person geworden. Sie habe die Sache vorschriftsgemäß gemeldet und dabei auch gegen ihren Ausbilder ausgesagt. Der ließ sie dafür beim Praktikum durchfallen, die junge Frau habe erst gerichtlich erstreiten müssen, dass sie das Praktikum wiederholen darf.
„Es war schwierig, da überhaupt reinzukommen“, sagt Kuttler über die herausfordernde Ausgangslage für das Projekt, trotz vieler Gespräche mit Expert:innen und Polizeigewerkschaften. Hilfreich seien Personen gewesen, die ohnehin schon an einem Kulturwandel bei der Polizei arbeiten, zum Beispiel unabhängige Polizeibeauftragte oder Queer-Beauftragte innerhalb der Behörden.
Am Ende sei es gelungen, mehr als 500 Polizist:innen zum Thema weiterzubilden. „Bei jeder Schulung war mindestens eine Person dabei, die selbst entsprechende Situationen erlebt hat“, berichtet die Juristin. Diese Personen hätten sich gewünscht, dass sie damals bereits über Whistleblowing Bescheid gewusst und entsprechende Meldestrukturen vorgefunden hätten.
Wer Meldung macht, muss Konsequenzen fürchten
Dass selbst diese neuen Strukturen unzureichend sind, davon zeugen interviewbasierte Untersuchungen der Soziolog:innen Daniela Hunold und Roman Thurn von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, die gemeinsam mit der Psychologieprofessorin Anja Berger die qualitative Studie erstellt haben. Viele Polizist:innen wüssten beispielsweise gar nichts von den neuen Meldewegen. Statt einer breit angelegten Informationskampagne habe es meist nur einen Hinweis im Intranet der Polizei gegeben – ein Missstand, der nicht zuletzt dem Justizministerium seit Langem bekannt ist.
Zudem seien die Strukturen oft zu kompliziert, weil sie auf teilweise schon bestehende Meldestrukturen draufgesetzt worden seien. An wen man sich mit welchem Fall wenden soll, sei vielen nicht klar, so die Polizeiforscher:innen. Darüber hinaus seien die vom Gesetz vorgeschriebenen internen Meldestellen, die eigentlich besonders niedrigschwellig sein sollen, häufig doch bei externen Stellen angesiedelt, etwa dem Innenministerium oder dem Vertrauensanwalt des Bundeslandes. Das könne aufgrund des großen Hierarchieunterschiedes abschreckend wirken.
Das größte Problem aber bleibt wohl die anhaltende Sorge vor der Ausgrenzung durch Kolleg:innen und Vorgesetze, so Professorin Daniela Hunold. „Sie haben Angst, als Netzbeschmutzer stigmatisiert zu werden.“ Es fehle das Vertrauen in das Funktionieren der Strukturen und darin, dass man bei einer Meldung tatsächlich anonym bleiben könne.
Teilweise komme auch Angst vor straf- oder dienstrechtlichen Konsequenzen hinzu. Diese Sorgen sind offenbar berechtigt: Wenn Beamt:innen nach Meldungen versetzt würden, so Hunold, seien es in der Regel nicht die Polizist:innen mit dem Fehlerverhalten, sondern diejenigen, die sich darüber beschwert hätten.
Nur wenig Polizist:innen trauen sich
In der Praxis führe das dazu, dass nur wenige Polizist:innen Fehlverhalten melden und sich „gegen die vielzitierte Polizeifamilie stellen“, ergänzt Laura Kuttler von der GFF. Wer schlechte Erfahrungen mit Whistleblowing mache – und das seien ausnahmslos alle ihr bekannten Fälle – habe in der Praxis oft nur zwei Alternativen: „Entweder sie resignieren, passen sich an das System an und machen Dienst nach Vorschrift – oder sie verlassen die Polizei.“
Die Aussagekraft der qualitativen Studie sei allerdings begrenzt, bedauert Daniela Hunold. Auch hier hielt sich die Begeisterung der Polizei über die Initiative wohl in Grenzen. Man habe nur 19 qualitative Interviews führen können, viele Behörden und Einzelpersonen hätten die Anfragen abgelehnt – unter Verweis auf fehlende Zeit. Mit Berlin und Schleswig-Holstein hätten nur zwei der zehn angefragten Bundesländer überhaupt an der Untersuchung teilgenommen.
Dabei würden Polizeien durchaus auch selbst davon profitieren, wenn sie eine offene Fehlerkultur und funktionierenden Hinweisgeberschutz zur Priorität machen würden, sagt Hunold. Sie erlebe in der Ausbildung viele motivierte Nachwuchskräfte, die etwas verändern wollten. „Allerdings brechen viele von ihnen vor dem Abschluss ab. Je näher sie der Praxis kommen, desto desillusionierter sind sie, weil sie ihre Werte nicht durchsetzen können.“
“Diskurs über Denunziantentum muss aufhören“
Es brauche deshalb nicht nur vereinfachte Meldewege, wirklich unabhängige Meldestellen und bessere Information darüber, sondern einen Kulturwandel bei der Polizei, so die Forscherin. Sie spricht sich für eine offenere Fehlerkultur und eine Stärkung demokratischer Strukturen innerhalb der Polizei aus. Das sei in der streng hierarchischen Organisation auch eine Führungsaufgabe.
In der Pflicht sieht Hunold auch die Politik, die die Polizei auf diesem Weg unterstützen müsse, statt sie pauschal in Schutz nehmen. „Wir brauchen ein klares und offenes Bekenntnis, dass es auch innerhalb der Polizei Rassismus und Sexismus gibt.“ Aufhören müsse hingegen der „Diskurs über Denunziantentum“, der Hinweisgeber:innen stigmatisiere.
Auch das Hinweisgeberschutzgesetz müsse überarbeitet werden, sagt Juristin Laura Kuttler. Nach zwei Jahren solle es eigentlich eine Evaluation geben, diese müsse unbedingt kommen. Außerdem müsse Deutschland, so wie es auch die EU vorsieht, Schadenersatzansprüche bei Mobbing und anderen nicht materiellen Schäden für Whistleblower ermöglichen. Und: Es müsse sichergestellt werden, dass Polizist wirklich anonym Meldung machen können.
In dem Kontext könnte man BetterPolice e. V. erwähnen, gegründet am 1.2.2025 u.a. von Oliver von Dobrowolski (zuvor bekannt u.a. durch PolizeiGrün e. V.):
https://betterpolice.de/
„In Bezug auf das seit 2023 in Kraft getretene Hinweisgeberschutzgesetz unterstützt BetterPolice das Projekt „Mach Meldung!“ https://www.mach-meldung.org/ der Gesellschaft für Freiheitsrechte und der Alfred Landecker Foundation. Hierbei geht es um eine niedrigschwellige Möglichkeit, internes Fehlverhalten unkompliziert, effizient und rechtssicher zu melden.“ https://betterpolice.de/netzwerk/
„BetterPolice setzt sich für eine gerechtere und demokratischere Polizeiarbeit ein, die auf den Grundwerten von Gleichberechtigung, Konsens und Transparenz basiert.
Der Verein möchte den Dialog fördern, gesellschaftliche Spaltungen überwinden und langfristig bedürfnisorientierte Sicherheitsstrukturen aufbauen, die Konflikten vorbeugen.
Demokratische Werte gegen konservative Dominanz
Die öffentliche Debatte über die Rolle der Polizei wird aktuell stark von fehlgeleiteten Debatten dominiert. BetterPolice bietet eine progressive und inklusive Alternative, die auf Veränderung und gesellschaftliche Beteiligung setzt.
„Die Polizei verfolgt keinen Selbstzweck! Unsere Demokratie braucht eine Polizei, die fest auf den Werten von Grund- und Menschenrechten steht“, betont Oliver von Dobrowolski. „Doch aktuell wird die öffentliche Debatte von rechtskonservativen Stimmen dominiert, sie werden gar als Experten wahrgenommen. Dem wollen wir eine konstruktive Perspektive entgegensetzen.““
https://betterpolice.de/
Und man könnte im Beitrag das erwähnte Projekt Mach Meldung verlinken: https://www.mach-meldung.org/
Ich habe letztens einen jungen Berliner Polizisten gefragt, ob er Gewerkschaftler abholen und in ein Lager bringen würde, wenn sein Chef das befiehlt. Er sagt, er wäre dazu verpflichtet. Ich fürchte, bei der Berliner Polizei ist Hopfen und Malz verloren.
In der Welt außerhalb der Polizei ist das auch nicht viel anders. Entweder wird man nicht Ernst genommen oder es wird versucht die Sache zu vertuschen, ohne irgendwelche Konsequenzen für die Fehlverhalter. Auch hier hat es dann fast immer irgendwelche negativen Konsequenzen für den Hinweisgeber. Und dann steht man vor der Wahl: Den Mißstand dulden und ertragen, oder gehen!