Global Digital CompactLightlinien fürs Internet

Auf UN-Ebene wird derzeit der Global Digital Compact verhandelt. Die internationale Übereinkunft soll Leitlinien für das Internet und dessen Regulierung definieren. Der aktuelle Entwurf sorgt bei zivilgesellschaftlichen Organisationen allerdings für wachsende Kritik – auch an der Bundesregierung.

United Nations Trusteeship Council chamber in New York City
Hier wird heute die Zukunft des Internets verhandelt: die Trusteeship Council Chamber der UN in New York City. CC-BY-NC-SA 4.0 MusikAnimal / Wikimeida

In New York verhandeln derzeit die Vereinten Nationen, wie das Internet von morgen aussieht. Regeln soll dies der sogenannte Global Digital Compact (GDC). Doch das Rahmenwerk wird aktuell fernab der medialen Öffentlichkeit und meist hinter verschlossenen Türen besprochen.

Der GDC wird kein völkerrechtlicher Vertrag sein, aber er soll die Leitlinien formulieren, an denen sich Länder global orientieren. Denn wie das Internet verwaltet wird, welche Grundprinzipien gelten, ist nichts, was eine einzelne Regierung regeln könnte. Und es ist auch nichts, was allein Regierungen festlegen können. Bis heute spielen nichtstaatliche Organisationen bei der Internetverwaltung eine große Rolle. Etwa die technische Community, die selbstverwaltet dafür sorgt, wie das Netz verwaltet wird.

Das ist auch einer der Punkte, den diese Community und zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren: Der aktuelle Entwurf für einen GDC richte die bisherige Verwaltung des Internets neu aus und zentralisiere sie. Außerdem seien Menschenrechte nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem weise er noch etliche Leerstellen auf und fiele damit hinter bestehende UN-Regulierungen zurück.

Kein eigenes Statement aus Deutschland

Der GDC geht auf eine Initiative von António Guterres zurück. Im September 2021 veröffentlichte der UN-Generalsekretär den Bericht „Our Commons Agenda“, in dem er unter anderem für den GDC wirbt. Die Übereinkunft soll festlegen, wie digitale Technologien weltweit verantwortungsvoll und im Sinne des Gemeinwohls eingesetzt werden können.

Damit ist der GDC Teil eines umfassenderen UN-Prozesses, dem Summit for the Future. Auf diesem Zukunftsgipfel sollen die UN-Mitglieder im September dieses Jahres einen rechtlich nicht bindenden „Pakt für die Zukunft“ beschließen.

Die Bundesregierung könnte sich, gemäß ihrer internationalen Digitalstrategie, korrigierend in die Verhandlungen einbringen. Allerdings sieht sie sich – zum großen Bedauern der Zivilgesellschaft – vor allem in einer neutralen Vermittlerrolle.

Sie bereitet das Treffen im September gemeinsam mit Namibia vor und moderiert es. Aus diesem Grund hat das federführende Auswärtige Amt kein eigenes Statement für das Verfahren verfasst. Außerdem werde, so ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage von netzpolitik.org, „die Gesamtposition der EU von der EU-Delegation in New York in die Verhandlungen eingebracht. Deswegen hat Deutschland auch kein gesondertes nationales Statement abgegeben. Deutschland hat aber in den Verhandlungen maßgeblich an der EU-Positionierung zum GDC mitgewirkt.“

„Eine offene, freie und sichere Zukunft für alle“

Laut Entwurf strebt der GDC „eine offene, freie und sichere Zukunft für alle“ an. Dafür sieht er unter anderem neue Regeln für die Verwaltung des Internets vor. Er steht damit in einer Reihe mit und zugleich teilweise im Widerspruch zum Net Mundial+10, dem Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS+20) und dem Internet Governance Forum (IGF). Alles Veranstaltungen, die sich mit der Zukunft des Netzes beschäftigen.

Der sogenannte Zero Draft des GDC liegt seit Ende April vor und wird heute in der UN in dritter und zugleich letzter Lesung verhandelt. Er ist das Resultat zwei Jahre andauernder Konsultationen mit Vertreter:innen von Regierungen, der Zivilgesellschaft und anderen Interessensgruppen – die sogenannte Multi-Stakeholder-Gemeinschaft.

So vielfältig wie die Beteiligten, so breit ist auch das Themenspektrum, das sie eingebracht haben: Es ging genauso um digitale Inklusion wie um Datenschutz, Sicherheit und KI. In Vorbereitung der GDC-Verhandlungen gab es, so erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gegenüber netzpolitik.org, „diverse Beteiligungsgelegenheiten für die Multi-Stakeholder-Gemeinschaft“. Der vorliegende Entwurf bietet aus Sicht des Ministeriums nun „eine solide Grundlage für die weiteren GDC-Verhandlungen“.

GDC droht Multistakeholder-Ansatz zu schwächen

Doch die technische Community ist unzufrieden. Sie hat maßgeblich dafür gesorgt, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten ein interoperables Internet entwickeln konnte, etwa indem sie Protokolle entwickelt und Infrastrukturkomponenten pflegt. Ihre Vertreter:innen hatten bereits im Vorfeld der Beratungen die Befürchtung geäußert, dass der GDC diese offene, interoperable Struktur des Internets gefährde.

Die Kritik an dem GDC-Prozess ist seitdem nicht verstummt, sondern in den vergangenen Monaten noch lauter geworden. So sieht Konstantinos Komaitis das bisherige Multi-Stakeholder-Modell, „auf der Kippe“. Komaitis ist Experte in Fragen der Internetverwaltung und hat im Konsultationsprozess knapp 180 Einreichungen gesichtet und analysiert.

Er befürchtet, dass die UN die Regulierung des Internets übernehme, was die Mitsprache der Zivilgesellschaft, der technischen Community, von Forschenden und Unternehmen beschneiden würde. „Der GDC wirkt wie ein von oben gesteuerter Prozess“, so Komaitis, „ohne die Anforderungen des bestehenden Internets oder die Arbeitsweise der Internetgemeinschaft zu berücksichtigen.“

Technische Community kommt unter die Räder

Die Wikimedia Foundation hatte bereits im vergangenen September zusammen mit zahlreichen Vertreter:innen der deutschen digitalen Zivilgesellschaft kritisiert, dass der Bericht von UN-Generalsekretär Guterres „widersprüchliche Botschaften“ aussende. „Einerseits betont er die generelle Bedeutung des Multi-Stakeholder-Ansatzes in der globalen Digitalpolitik, andererseits spielt die digital-technische Community im Trilog aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Regierungen keine eigenständige Rolle mehr.“

Infolgedessen geraten im GDC-Entwurf bewährte Institutionen unter die Räder, warnen auch superrr.lab, European Center for Not-for-Profit Law (ECNL) und epicenter.works. Statt entsprechend dem Vorschlag von Guterres neue Strukturen wie ein Digital Cooperation Forum zu schaffen, sollte der GDC vielmehr bestehende Körperschaften einbeziehen. Um den Ansprüchen des GDC gerecht zu werden, könnten diese stärker als bisher Menschenrechtsexpert:innen aus der Zivilgesellschaft einbinden.

Auch aus Sicht des Youth Internet Governance Forum Germany hängt die Zukunft des Internet Governance Forum (IGF) „aktuell am seidenen Faden“. Dort diskutieren Interessensvertreter:innen aller Staaten vor allem politische Fragen der Internetverwaltung. „Der GDC bietet die Chance, das IGF substanziell weiterzuentwickeln“, so Sophia Longwe vom Youth Internet Governance Forum Germany gegenüber netzpolitik.org. „Diese Gelegenheit wird in der derzeitigen Entwurfsversion aber nicht genutzt.“

Das offene Internet als Gemeingut

Eine breitere Einbindung der Zivilgesellschaft gewährleiste auch, dass das Internet offen und öffentlich reguliert bleibe, schreibt Komaitis. Doch auch hier greife der GDC-Entwurf zu kurz.

In der Vergangenheit sei viel Wert darauf gelegt worden, das Internet als „offen“, „global“ und „interoperabel“ zu beschreiben. Im Zero Draft fehlen diese Worte im Abschnitt zu „Internet governance“ jedoch, so Komaitis. Stattdessen sei von einem „universellen, freien und sicheren Internet“ die Rede. Das aber seien genau jene Begriffe, die auch das Regime in China verwende.

Um dem Gemeinwohl zu dienen, müsse der GDC die „digital commons“ schützen, wie Wikimedia bereits im Vorfeld der Konsultationen forderte, „also öffentliche Räume, gemeinschaftliche Güter, gemeinwohlorientierte Prozesse und Werte“. Sie würden „grenzenlose Zusammenarbeit, Solidarität und unendlich teilbare Wissensressourcen“ erst ermöglichen.

Die Voraussetzung dafür sei „eine gemeinsame Anstrengung von Regierungen, politischen Entscheidungsträgern und der Zivilgesellschaft zum Schutz von Online-Räumen im öffentlichen Interesse“, betonte Wikimedia in einem offenen Brief vor wenigen Wochen.

Friederike von Franqué, Referentin für EU- & internationale Regelsetzung bei Wikimedia Deutschland, bedauert gegenüber netzpolitik.org, dass solche öffentlichen, gemeinwohlorientierten und von Communitys selbstverwalteten Räume – von Franqué zieht das Bild „digitaler Parks“ heran – beim GDC nicht im Zentrum stehen. „Hier erhoffe ich mir konkrete Maßnahmen, um noch die Kurve zu kriegen“, so von Franqué.

Organisationen warnen vor Ende der politisch neutralen Internetverwaltung

Gegen Überwachung und Ausspähung

Gravierende Leerstellen sehen zivilgesellschaftliche Organisationen im GDC-Entwurf auch beim Thema Überwachung. Tatsächlich kommt der Begriff in dem 13-seitigen Papier bislang nur ein einziges Mal vor.

Privacy International verweist auf Lücken bei der biometrischen Videoüberwachung, dem Handel und Einsatz von Spyware wie Pegasus oder Predator sowie der Ausspähung durch Konzerne.

Die NGO mit Sitz in London fordert, Menschenrechte stärker im GDC-Entwurf zu verankern. Dies würde das Recht auf Privatsphäre im digitalen Raum stärken und zugleich den Risiken neuer Technologien wie der sogenannten künstlichen Intelligenz begegnen.

Auch Helene Hahn, Referentin für Internetfreiheit bei Reporter ohne Grenzen sagt gegenüber netzpolitik.org, dass sich der GDC deutlich zum Recht auf Verschlüsselung und Anonymität bekennen muss. Ebenso sollten das Recht auf Privatsphäre und der Datenschutz eine größere Rolle spielen. „Darüber hinaus sollte ein globales Moratorium für den Verkauf und die Nutzung von Spionagesoftware wie Pegasus und Predator aufgegriffen werden“, so Hahn. „Fließen diese Punkte nicht ein, fällt der Global Digital Compact weit hinter bestehenden UN-Richtlinien zurück.“

Bereits im Mai vergangenen Jahres wiesen mehr als 50 zivilgesellschaftliche Organisationen aus aller Welt – unter ihnen Amnesty International, AfricTivistes und Article 19 – auf die menschenrechtlichen Auswirkungen unrechtmäßiger gezielter Überwachung hin. Sie forderten ebenfalls ein „unverzügliches Moratorium“ für Spyware und eine strengere rechtliche Regulierung privater Überwachungsunternehmen.

Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen

Dass der GDC insbesondere Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen soll, fordert Reporter ohne Grenzen (RoG). Reine Anreizmechanismen, wie sie der Entwurf bislang vorsieht, reichten nicht aus, damit Tech-Konzerne und Plattformanbieter die Menschenrechte achteten.

„Menschenrechte müssen umfassend mit konkreten Maßnahmen und Verpflichtungen von Staaten sowie internationalen Unternehmen adressiert werden“, sagt Helene Hahn. „Die wichtige Rolle unabhängiger Medien für eine informierte Gesellschaft wurde gänzlich vergessen. Und immer mehr Regierungen greifen das freie und offene Internet an, indem sie Nachrichten zensieren, massenhaft Daten abgreifen und digitale Kommunikation überwachen“, so Hahn. „Darauf findet der Global Digital Compact keine klaren Antworten.“

Außerdem sollte der GDC Medien dazu verpflichten, Menschen einen sicheren Zugang zu verlässlichen und pluralistischen Informationen zu geben. „Ohne starke Garantien für das Recht auf Information und Journalismus wird dieses Dokument der demokratischen Herausforderung nicht gerecht werden“, sagt Antoine Bernard, Direktor für Advocacy und Assistance bei RoG.

Nachhaltig auch im Digitalen

Schließlich sei die nachhaltige Gestaltung digitaler Infrastrukturen, Produkte und Ansätze bereits im Bericht von António Guterres zu kurz gekommen, wie Wikimedia schon im September vergangenen Jahres kritisierte. Zwar enthalte der Bericht Referenzen zur 2030 Agenda und damit zu den Nachhaltigkeitszielen der UN. Außerdem hat er ein eigenes Kapitel mit entsprechenden Zielen und Handlungsempfehlungen. Ein roter Faden, der sich durch das gesamte Dokument zieht, sei aber nicht erkennbar.

Auch der vorliegende GDC-Entwurf fiele in dieser Hinsicht dünn aus, kritisieren superrr.lab, ECNL und epicenter.works. Die Organisationen empfehlen, etwa das Recht auf Reparatur in die Übereinkunft aufzunehmen. Dies könnte die Berge an Elektroschrott verkleinern, indem es Nutzer:innen dazu ermutige, Geräte länger zu nutzen. Und auch die Unternehmen erhielten so einen Anreiz, nachhaltigere Produkte anzubieten.

„Eine bisher verpasste Chance“

Friederike von Franqué von Wikimedia Deutschland glaubt, der GDC-Entwurf wäre besser ausgefallen, wenn sich die Bundesregierung energischer in den Verhandlungsprozess eingebracht hätte. Zwar suchten die Bundesministerien aktiver als in Vorjahren die Beteiligung der Zivilgesellschaft, so von Franqué. Unterm Strich habe die Ampel mit ihrer Zurückhaltung aber eine Chance vertan.

Auch Helene Hahn von Reporter ohne Grenzen kritisiert, dass sich die Bundesregierung öffentlich nicht stärker für Menschenrechte im digitalen Raum und gegen Repressionen gegen Medienschaffende positioniert hat. „Gravierend ist vor allem, dass bislang keine zivilgesellschaftliche Beteiligung beim Summit of the Future im September vorgesehen ist“, sagt Hahn. „Das wird zu schlechteren Ergebnissen führen – das zeigt unsere Erfahrung aus anderen internationalen Prozessen.“

Friederike von Franqué zeigt sich noch vorsichtig optimistisch: „Eine gut vorbereitete Delegation – auch mit Repräsentant:innen aus der Zivilgesellschaft – ist auch dieses Jahr noch möglich.“ Auf Anfrage von netzpolitik.org teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes immerhin mit, dass „eine Entscheidung der Bundesregierung über das Teilnahme-Level beim Gipfel sowie die Zusammensetzung der Delegation“ derzeit noch ausstehe.

2 Ergänzungen

  1. Es geht im Wesnetlichen darum, den staatlichen Einfluß auszubauen. Wer das Internet kontrolliert, kann auch die öffentliche Meinung kontrollieren. Mit dem Siegeszug des Internets ist den politischen Eliten mehr und mehr die Kontrolle der Meinungsbildung in der Bevölkerung abhanden gekommen. Das soll nun korrigiert werden. Alle Ansätze deuten in diese Richtung. Das freie Internet wird sterben. So wie die Grundidee des Internets als Peer-to-Peer netzwerk niemals richtig zum Leben erweckt wurde. Die Provider achten peinlich darauf, daß es sich um ein Provider-Consumer Netzwrek handelt. Beispiel: GF Anschluß mit NAT, ohne öffentliches IPv6 Prefix, ohne öffentliche IPv4, maximale Einschränkung auf Konsum.

  2. Das Erbe von Kurz und Mei-Pochtler für die europäischen Staatsbürger*innen wiegt schwer und wird in die Geschichtsbücher eingehen: die Wandlung der Staatsbürgerinnen in Kunden von großen Konzernen.

    Man könnte auch sagen, sie haben alle an die Konzerne im Rahmen der Pandemie verkauft.

    Nicht umsonst rief McKinsey zur Bio-Revolution der Bio-Ökonomie.

    Digitale Gesundheitsbürgerschaft – Digital Health Citizenship, bei der die EU keinerlei Interessen zeigt, den totalen Zugriff auf den Einzelnen zu begrenzen.

    Schließlich ist evolutionäre Medizin davon überzeugt, dass Gesundheitsdaten allgemeines Gemeingut ist.

    Was soll denn beim gläsernen Menschen denn schon schiefgehen? Macht offensichtlich nichts, obwohl es schon einmal in der Entwicklung von ca 1900 bis 1945 richtig heftig eskaliert ist.

    Schließlich war 2020 die Zeit (remember: Kurz Wahlwerbung 2017: Es ist an der Zeit – für Veränderung) gekommen, mitten am Beginn der schlimmsten Pandemie seit 100 Jahren die Bio-Revolution auszurufen und der biodigitalen Ökonomie einen massiven Vorschub zu leisten.

    https://www.mckinsey.com/industries/life-sciences/our-insights/the-bio-revolution-innovations-transforming-economies-societies-and-our-lives

    Was hätten sie bloß gemacht, wenn dieses Virus nicht gekommen wäre?
    Da hätte die Innovation doch 5x länger gebraucht!

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