Die letzte Piratin im EU-Parlament„Man kann auch mit wenigen Leuten etwas verändern“

Wir sprechen mit Markéta Gregorová, der derzeit einzigen Abgeordneten der Piraten im EU-Parlament, über ihre Pläne für die nächsten fünf Jahre. Sie wird ihre Arbeit zur Äußeren Sicherheit fortsetzen, besonders zur Ukraine und zu China – und will die Chatkontrolle im Blick behalten.

Markéta Gregorová steht an einem Geländer mit Ausblick über eine Stadt.
Markéta Gregorová, geboren in Most im Nordwesten Tschechiens. CC-BY-SA 2.0 Wikimedia Commons

Markéta Gregorová sitzt seit 2019 für die tschechische Piratenpartei im Europäischen Parlament. Die Piraten haben bei der Europawahl vor einigen Monaten drei ihrer vier Sitze verloren, darunter den einzigen deutschen. Nur Gregorová zog wieder ins Parlament ein, wo sie wieder in der Fraktion der Grünen sitzen wird.

netzpolitik.org: Wie fühlt es sich an, die derzeit einzige Piratin im Parlament zu sein?

Markéta Gregorová: Natürlich ist es ein bisschen einsam. Wir haben viele Entscheidungen mit mehreren Personen getroffen, nicht nur mit Abgeordneten, sondern auch mit ihren Teams. Dutzende von Leuten konnten zum Beispiel bei der Recherche helfen. Das ist nicht mehr so. In dieser Hinsicht wird es ein bisschen einsam, und natürlich gibt es eine Menge Verantwortung für die gesamte Piratenbewegung auf europäischer Ebene. Aber ich habe immer noch mein großartiges Team, und ich kann mich immer noch mit den früheren Abgeordneten und der Partei beraten. Das hält sich die Waage.

netzpolitik.org: Wie viel Veränderung bedeutet das Wahlergebnis für Sie?

Markéta Gregorová: Wir waren vorher zu viert, also mussten wir Kompromisse eingehen, wer in welchen Ausschuss geht. Das musste ich jetzt nicht mehr. Ich war vorher hauptsächlich im Handelsausschuss, und dort bleibe ich auch. Ich gehe auch in den Industrieausschuss, wo mein Kollege Mikuláš Peksa bisher saß, und in den LIBE, den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, wo Patrick Breyer bisher saß. Ich werde einen Großteil der Dossiers übernehmen, an denen er zuvor gearbeitet hat.

Wer möchte an der Chatkontrolle arbeiten?

Es wird viele Dossiers zu digitalen Rechten geben – die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und die berühmte Chatkontrolle. Ich erweitere also mein Spektrum, bleibe aber im Bereich der Sicherheit, insbesondere der externen Sicherheit, auf die ich mich bisher konzentriert habe.

Ich freue mich darauf, an der Neufassung der DSGVO zu arbeiten, denn ich halte sie für eine der besten Gesetze, die in den letzten 10 Jahren von diesem Haus ausgegangen sind. Wenn es noch Raum für Verbesserungen gibt, wäre es mir eine Ehre, daran mitarbeiten zu dürfen.

Im Handels- und im Industrieausschuss möchte ich mich auf die Beziehungen zu China konzentrieren, weil sie unsere Sicherheit, die globale Sicherheit, unsere Abhängigkeiten und unsere strategische Autonomie stark beeinflussen werden. Ich habe das Gefühl, dass viele Leute das verschlafen. China hält Russlands Kriegswirtschaft seit zwei Jahren über Wasser, und wir tun so, als könnten wir wie gewohnt weitermachen. Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird.

netzpolitik.org: Patrick Breyer war der Schattenberichterstatter der Grünen für das Thema Chatkontrolle. Werden Sie diese Verantwortung übernehmen?

Markéta Gregorová: Nun, das ist noch nicht entschieden. Ich erkläre gerade sozusagen mein Interesse.

netzpolitik.org: Und freuen Sie sich darauf, daran zu arbeiten?

Markéta Gregorová: Auf keinen Fall. Weder vom Inhalt her noch von dem, was drumherum passiert. Glücklicherweise hat Patrick es geschafft, die Position des Parlaments erheblich zu verbessern, aber dann gab es den anhaltenden Streit mit dem Rat, der natürlich bisher noch nicht dazu abgestimmt hat. Das ist eine positive Nachricht. Aber es sieht so aus, als ob das ganze nur ein schlafendes Problem ist, das darauf wartet, aufzuwachen und uns alle wieder zu belästigen. Ich freue mich überhaupt nicht darauf, daran zu arbeiten, und ich hoffe, dass es weiterschläft oder irgendwie aus dem Weg geräumt wird.

Wir werden sehen, abhängig natürlich von der neuen Kommission, wer das Dossier übernehmen wird. Ich bin sehr gespannt auf die Befragung der zukünftigen Kommission.

„Es muss einen eigenen Kommissar für Innere Sicherheit geben“

netzpolitik.org: Schweden hat bereits gesagt, dass es Johansson nicht noch einmal vorschlagen wird, also wird in der Kommission auf jeden Fall jemand Neues für den Chatkontrolle-Vorschlag zuständig sein. Theoretisch könnten die Kommission den ganzen Vorschlag einfach zurückziehen, oder?

Markéta Gregorová: Ja, das könnte sie. Es wird davon abhängen, wie von der Leyen die Ressorts der neuen Kommissare aufteilen wird. Derzeit könnte man sagen, dass Johannsson viel mit Migration zu tun hat und nicht viel Zeit für andere Dinge hat. Wird es ein digitaleres Ressort geben? Oder wird das alles wieder unter einer Person zusammengefasst, die sich um die Innere Sicherheit kümmert?

Es ist einfach lächerlich, dass wir immer noch kein System mit weniger Kommissaren haben. Es gab doch einen Reformvorschlag, der 15 Kommissare vorsah, oder? Dann könnten wir über Kommissare mit breit gefächerten Aufgabenbereichen sprechen. Aber wenn man 27 Kommissare hat, wie wir es derzeit noch tun, dann sollten wir sie auf das spezialisieren, was wirklich wichtig ist.

Es muss einen eigenen Kommissar für Innere Sicherheit geben, ohne Migration. Hybride Bedrohungen, Desinformation, Propaganda, ausländische Einmischung. Es geht nicht nur darum, was auf Facebook passiert – es gibt ein riesiges Ökosystem an Problemen. Ich denke, es sollte ein eigenes Ressort dafür geben, und ich weiß, dass es keins geben wird. Und ich habe Angst davor, wer am Ende dafür verantwortlich sein wird und was diese Person tun wird, und ob sie politische Unterstützung vom Rest der Kommission bekommen wird.

„Es geht immer darum, Kontakte zu finden und Netzwerke aufzubauen“

netzpolitik.org: Wie groß ist das Thema digitale Rechte in der EU derzeit? In ihrer großen Rede vor dem EU-Parlament, kurz vor der Abstimmung zu ihrer zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin, hat Ursula von der Leyen zum Beispiel über all ihre großen Vorschläge und Ideen gesprochen. Die Chatkontrolle, das gerade wohl größte Problem im Bereich der digitalen Rechte, war nicht dabei. Woran liegt das?

Markéta Gregorová: Wenn man sehr pessimistisch sein will, konnte man von der Leyen darüber reden hören, als sie über mehr Polizei, Mittel für Europol und die Stärkung der Geheimdienste geredet hat. Aber das geht natürlich gegen die digitalen Rechte. Ich teile die Auffassung, dass es problematisch ist, dass niemand einem so wichtigen Teil unserer Gesellschaft und dem immer größer werdenden Problem der digitalen Oligopole viel Aufmerksamkeit schenkt. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass es die Piratenpartei weiterhin geben sollte. Wie unterscheiden wir uns von den Grünen? Wie unterscheiden wir uns von Volt? Wir stellen dieses Thema in den Vordergrund.

Ich habe kürzlich das Buch Surveillance Valley von Yasha Levine gelesen. Das gibt wirklich einen neuen Blickwinkel auf die Grundlage des gesamten Internets, dass es als Überwachungsprojekt der US-Regierung gegründet wurde und dass wir wirklich für jedes Recht kämpfen müssen, weil sie nicht die Standardeinstellungen sind. Als langjährige Piratin hat mich das an vielen Stellen verletzt. Ich bin seit dreizehn Jahren in der Piratenpartei, nur um jetzt zu lesen, dass wir nie wirklich ein dezentralisiertes, anonymes Internet hatten. Es war immer der Spielplatz von anderen Leuten.

Ich sehe nicht viele Leute aus dem politischen Spektrum, die sich dafür interessieren, aber es gibt immer Leute, die sich dafür genauso begeistern wie wir. Es geht immer darum, diese Kontakte zu finden, Netzwerke aufzubauen und zu versuchen, in Verhandlungen zusammenzuarbeiten. Wie zum Beispiel bei der Chatkontrolle, bei der die Position des Parlaments ganz anders ausgesehen hätte, wenn es nicht ungefähr sieben Leute gegeben hätte, die das unbedingt verhindern wollten. Man kann auch mit wenigen Leuten etwas verändern.

netzpolitik.org: An welchen anderen Themen werden Sie arbeiten?

Markéta Gregorová: Wir haben noch nicht über die Ukraine gesprochen, die immer noch ein großes Thema für mich sein wird. Ich bin dem Handelsausschuss beigetreten, um die Ukraine, Moldawien und andere Länder durch wirtschaftliche Mittel, Handelsliberalisierung und so weiter, zu unterstützen. Im Industrieausschuss geht es um Sicherheitsmaßnahmen, um Munition für die Ukraine. Ich war im vergangenen Monat zweimal in der Ukraine, in Charkiw und an der Ostfront. Das wird auch weiterhin meine oberste Priorität bleiben, wahrscheinlich weil man nicht über Äußere Sicherheit sprechen kann, ohne über die Ukraine und natürlich Russland zu sprechen.

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