Seit dem Spätsommer ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Arne Semsrott, Projektleiter und quasi Chefredakteur von FragDenStaat. Dabei geht es um amtliche Dokumente aus laufenden Strafverfahren, die die Transparenzinitiative im August veröffentlicht hatte. Obwohl die Betroffenen der Veröffentlichung zustimmten und persönlichen Daten geschwärzt wurden, betrachtet die Staatsanwaltschaft die Enthüllungen als illegal.
Mit der Veröffentlichung beabsichtigte die Initiative, unverhältnismäßige Ermittlungsmaßnahmen gegen Aktivist:innen der „Letzten Generation“ zu beleuchten. Eigentlich will man meinen, Missstände aufzudecken gehöre zum journalistischen Alltag dazu – doch die Freigabe amtlicher Dokumente aus Strafverfahren ist nach § 353d Nr. 3 StGB eine Straftat.
Kalkulierter Rechtsbruch
Kritik an der Strafnorm besteht schon seit vielen Jahren. Den in Absatz 3 geregelten Untertatbestand hält etwa das Fachmedium „Verfassungsblog“ für besonders problematisch. Der Abschnitt setzt Medienschaffende und Pressevertreter:innen einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung aus, wenn sie vorzeitig Dokumente aus Strafverfahren offenlegen.
Dieses Risiko nahm Arne Semsrott bei der Veröffentlichung der Beschlüsse bewusst in Kauf – schon allein, weil laut FragDenStaat ein derartiges Veröffentlichungsverbot „in Bezug auf die freie Berichterstattung der Presse jedoch verfassungswidrig“ sei und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße.
Gegenüber der Süddeutschen Zeitung argumentiert Semsrott, dass durch die strikte Anwendung von § 353d Journalist:innen nicht so frei berichten können, „wie das für unsere Demokratie gut wäre“. Ähnlich sehen dies die Autor:innen vom Verfassungsblog: Die Entfernung dieser Norm aus dem Strafgesetzbuch sei gerechtfertigt, da sie sowohl verfassungs- als auch völkerrechtswidrig sei.
Diese Argumentation dürfte nun einem juristischen Stresstest ausgesetzt werden. Wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) heute bekannt gab, unterstützt sie Semsrott bei dem laufenden Verfahren und reichte eine Stellungnahme bei der Staatsanwaltschaft Berlin ein. Letztlich geht es darum zu überprüfen, ob die Strafnorm verfassungswidrig ist und gegen die Pressefreiheit verstößt.
„Journalist*innen müssen über laufende Strafverfahren berichten können, ohne selbst ins Visier der Strafverfolgung zu geraten“, sagt Benjamin Lück, Verfahrenskoordinator bei der GFF. Die Strafandrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedeute ein zu hohes persönliches Risiko, so der Jurist: „Bundesjustizminister Marco Buschmann hat eine Entschlackung des Strafgesetzbuches angekündigt – da gehört auch diese Norm auf den Prüfstand!“
Déjà-vu! Dass die Polizei einen Klimagerechtigkeitsaktivisten wegen „verbotene Mitteilungen über die Gerichtsverhandlungen“ mit einem weiterem Verfahren überzieht, hatten wir hier doch auch schon 2022.
https://netzpolitik.org/2022/pimmelgate-sued-augsburger-polizei-ueberzieht-klimaaktivisten-mit-weiterem-verfahren/
Wie ging das eigentlich aus?
Zur Verteidigung der Nicht-Grundrechte „Verdrängung von unangenehmen Informationen“ und „Verhinderung von überlebenswichtigen politischen Veränderungen“ scheinen Polizei und Justiz in Deutschland keine halben Sachen zu machen.