Die Pimmelei geht offenbar weiter: Nach einer höchst umstrittenen Hausdurchsuchung bei dem Klimaaktivisten Alexander Mai, der einen AfD-Politiker indirekt als Pimmel bezeichnet hatte, ermittelt die Polizei nun erneut gegen den Aktivisten. Der Grund für das zweite Verfahren: Mai habe „verbotene Mitteilungen über die Gerichtsverhandlungen“ veröffentlicht. So steht es in der polizeilichen Vorladung, die netzpolitik.org einsehen konnte.
Für Mai und seine Mitstreiter:innen ist das Vorgehen der Polizei ein naiver Versuch, die Klimabewegung einzuschüchtern. „Der Staatsschutz merkt selbst, dass er nichts gegen mich in der Hand hat“, teilt Mai in einer Pressemitteilung des Augsburger Klimacamps mit. „Deswegen versucht er, uns mit langer und harter Repression unterzukriegen.“
Zur Vorladung am vergangenen Mittwoch sei der Aktivist nicht gegangen. „Die Polizei hält mich wohl für einen Idioten, der gegen sich selbst aussagen geht“, so Mai gegenüber netzpolitik.org. Das zuständige Polizeipräsidium hat sich bisher nicht zum zweiten Verfahren gegen den Aktivisten geäußert.
Pimmel-Kommentar führt zu Razzia
Der 26-jährige Klimaaktivist aus Augsburg hatte im Oktober vergangenen Jahres einen Zeitungsbeitrag unter einem Facebook-Post des AfD-Politikers Andreas Jurca verlinkt.
Das Vorschaubild des Zeitungsartikels zeigt den Schriftzug „Andy, Du bist so 1 Pimmel“.
Der Schriftzug spielt auf die sogenannte Pimmelgate-Affäre an: Ein Twitter-Nutzer hatte den Hamburger Innensenator Andy Grote als Pimmel bezeichnet und damit eine vielbeachtete Hausdurchsuchung ausgelöst. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat das Verfahren allerdings seit Monaten eingestellt.
Jurca, AfD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Augsburg, fühlte sich von der indirekten Pimmel-Bezeichnung via Artikel-Link offensichtlich ebenfalls beleidigt und hat Mai angezeigt – und fand in der Augsburger Polizei offenbar dankbare Vollstrecker.
Rund ein halbes Jahr nachdem Mai diesen Kommentar verfasst hatte, durchsuchte die Abteilung „Staatsschutz“ der Augsburger Polizei das Haus des Aktivisten. Dabei haben die Polizist:innen private technische Geräte beschlagnahmt, darunter den Arbeitslaptop des Mathe-Studenten und IT-Entwicklers.
Das Vorgehen der Polizei ist laut dem Klimaaktivisten völlig unverhältnismäßig. Besonders brisant ist etwa, dass Mai nicht seine Anwältin informieren durfte. Im polizeilichen Durchsuchungsprotokoll steht ebenfalls, dass die Abteilung „Staatsschutz“ dem Aktivisten diese Kontaktaufnahme verweigert hatte. Vor einigen Tagen haben Aktivist:innen des Augsburger Klimacamps aufgrund dieses „unprofessionellen und provokanten Verhaltens“ der Polizei eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht.
Aktivist:innen machen Repression öffentlich
Die Abteilung „Staatsschutz“ verfolge nach Angaben der Augsburger Klimabewegung seit mehr als zwei Jahren die Aktivitäten der Bewegung. Die Razzia bei Alexander Mai sei nicht die erste unverhältnismäßige Hausdurchsuchung der Polizei bei Klimaaktivist:innen gewesen. Allerdings hätte die Bewegung zuvor stattgefundene Razzien nicht veröffentlicht, da sie nicht von ihren eigentlichen Inhalten ablenken wollte, erklärt Mai. „Die Hausdurchsuchung bei mir hat das Fass aber zum Überlaufen gebracht.“
Mai und andere Klimaaktivist:innen haben diesen eklatanten Vorfall auf einer extra dafür angelegten Website namens pimmelgate-süd.de öffentlich gemacht. Sie haben auf der Website über das damals noch laufende Verfahren informiert und mehrere Dokumente veröffentlicht, etwa den Durchsuchungsbeschluss. Die Klimabewegung hat sich damit ein zweites polizeiliches Verfahren eingefangen. Die Augsburger Kriminalpolizei ermittelt nun wegen verbotenen Mitteilungen über die Gerichtsverhandlungen gegen Mai.
Problematische Stigmatisierung
Martina Sulzberger, Anwältin von Mai, ist zuversichtlich, dass dieses Verfahren eingestellt wird. Auch ihr Mandant sieht keinen Grund, weswegen es vor einem fairen Gericht zu einer Verurteilung kommen sollte. Mai erklärt: „Schließlich wurden die veröffentlichten Dokumente ordentlich von uns geschwärzt.“
Im schlechtesten Fall würden zwei kleine Verurteilungen auf ihn zukommen, so Mai. Zum einen wegen der angeblichen Beleidigung, zum anderen wegen der Veröffentlichung der Dokumente. Die beiden Verurteilungen könnten dann zu einem Eintrag im Führungszeugnis führen. Der Mathe-Dozent sorgt sich vor negativen Konsequenzen, vor allem, da er im akademischen Bereich tätig ist. Er erklärt: „Die Stigmatisierung, die man für Einträge im Führungszeugnis in unserer Gesellschaft erfährt, ist natürlich immer problematisch für Aktivist:innen.“
Für Mai war es dennoch die richtige Entscheidung, die Dokumente über die Gerichtsverhandlungen öffentlich bereitzustellen. Schließlich zeige sein Fall, dass man sich nicht einmal mit geschwärzten Dokumenten öffentlich über Übergriffe der Abteilung „Staatsschutz“ beschweren dürfe. Mai schreibt:
Die Öffentlichkeit muss sehen, mit welchen Pimmeleien die Abteilung „Staatsschutz“ der Augsburger Polizei ihre Zeit verschwendet.
Frage nach Verhältnismäßigkeit
Die Augsburger Polizei begründet die Hausdurchsuchung bei dem Klimaaktivisten damit, nachweisen zu wollen, dass Mai der Urheber des Kommentars sei. Die Klimaaktivist:innen sehen den Vorwand der Beweissicherung als unsinnig an. Schließlich habe Mai den Kommentar unter seinem Klarnamen verfasst. Außerdem arbeite die Klimabewegung mit freien und öffentlich zugänglichen Strukturen. „Die Polizei hätte die Informationen auch herausfinden können, ohne meine Geräte zu beschlagnahmen“, sagt Mai.
Auch für die zuständige Anwältin Sulzberger ist es fragwürdig, ob der Link zu einem Zeitungsbeitrag überhaupt eine Beleidigung darstelle. Ein entsprechender Screenshot zeigt, dass der Aktivist den AfD-Politiker nicht persönlich angesprochen hat. Sie bezeichnet das Vorgehen der Polizei als unverhältnismäßig: „Der polizeiliche Fokus auf die Aktivisten des Klimacamps empfinde ich im Allgemeinen als unwahrscheinlich hoch, insbesondere die Ermittlungen des Staatsschutzes.“ Die Aufgabe des Staatsschutzes ist vor allem die Bekämpfung von politisch motivierter Kriminalität.
Hausdurchsuchung bei 15-Jähriger wegen Kreide-Malerei
Das Klimacamp Augsburg ist jüngst mit einem weiteren Vorgehen der Abteilung „Staatsschutz“ an die Öffentlichkeit gegangen. Greenpeace Augsburg hatte im Jahr 2019 konsumkritische Botschaften mit abwaschbarer Kreide in die Innenstadt geschrieben. Diese Aktion diente der Polizei als Grund, um fünf Monate später eine Hausdurchsuchung bei den beiden Hauptverantwortlichen von Fridays for Future Augsburg durchzuführen. Betroffen waren die damals 15-jährige Schülerin Janika Pondorf und der 31-jährige Mathe-Dozent Ingo Blechschmidt.
Die Abteilung „Staatsschutz“ hat wegen Sachbeschädigung ermittelt. Das steht in den Durchsuchungsprotokollen, die gemeinsam mit weiteren Dokumenten zur Hausdurchsuchung auf der Website pimmelgate-süd.de öffentlich einsehbar sind. Laut den Klimaaktivist:innen konnte die Polizei keine Beweise für eine Beteiligung an der Kreide-Aktion finden. Das Verfahren wurde inzwischen eingestellt.
Für die Aktivist:innen Pondorf und Blechschmidt waren die Razzien sehr einschneidende Erlebnisse. Schließlich habe die Polizei in ihren „intimen Schutzbereich“ eingegriffen, etwa, indem sie das Tagebuch der Schülerin gelesen hatten. Das habe bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst, so steht es in dem Blogbeitrag. Auch für den Mathe-Dozenten Blechschmidt hat das Vorgehen der Polizei einen starken Eindruck hinterlassen. Er teilt netzpolitik.org mit: „Als der „Staatsschutz“ bei mir und Janika im Kinderzimmer stand, offenbarte er uns zum ersten Mal sein Verständnis davon, wer bei uns in Deutschland als Staatsfeind gesehen wird.“
Dieser Verdacht habe sich mit der Hausdurchsuchung bei Alexander Mai bestätigt, so Blechschmidt. Die Klimakatastrophe sei zwar mit voller Wucht in Deutschland angekommen, aus Sicht der Polizei sei Klimaaktivismus aber weiterhin „staatsgefährdende Sabotage“. Der Klimaaktivist Ingo Blechschmidt sieht es deswegen für notwendig an, über solche Repressionen zu berichten. Er erklärt:
Durch unsere Veröffentlichungen kann sich die Öffentlichkeit ein akkurates Bild davon machen, mit wie viel Energie der „Staatsschutz“ friedlichen Klimagerechtigkeitsaktivismus verfolgt.
Ein Teil von Polizei und StA sieht ihre Hauptaufgabe im Bewahren von Ruhe und Ordnung, damit die Reichen und Maechtigen weiten ihre Privilegien geniessen koennen. Dafuer wird man von der politischen Fuehrung belohnt und beschuetzt.
Die Menge der Menschen wird sich später noch über die Klimaaktivisten beschweren, wenn die Maßnahmen zufällig plötzlich besonders hart mit der Gieskanne überall drüber gestrullt werden.
So kann man auch berechtigten Protest aus der Bevölkerung niederhalten. Genau so machen das auch autoritäre Regierungen.
Wo bleibt der Schrei nach Demokratie.???
Ich finde, man sollte das Kind beim Namen nennen, nämlich „Inlandsgeheimdienst, anstelle dieses Euphemismus „Verfassungsschutz“
Die Mehrheit der deutschen Wähler interessiert sich primär für Auto, Parkplätze, Billigflüge und Niedriglohn-Service. Demokratie ist da nicht so wichtig sondern irgendwie bedrohlich.
Die übersehen alle, dass sie den Armen viel näher als den Reichen sind, aber sie wählen halt für die Reichen.
Diese Demokratie wird absehbar von der Klimakrise beendet, danach sehen wir weiter.
Sie verwechseln „Demokratie“ mit „Rechtsstaatlichkeit“. Letztere ist anscheinend nicht mehr gegeben bei solchen Aktionen…
Wenn „letztere“ nicht mehr gegeben ist, kann „zuvordere“ vielleicht noch gerettet werden?
Nur so ne Idee, ist vielleicht Quatsch.
Polizei „böse“, Klimaaktivist:innen“ gut.
Der Artikel hat ganz klar die Absicht genau diese Sichtweise zu erzeugen.
Das ist alles andere als objektiv, es wird nicht mal versucht, objektiv zu schreiben.
Ich spende gerne für netzpolitik.org, noch lieber würde ich aber spenden, wenn der Objektivität in Artikeln wie diesen mehr Rechnung getragen würde
Haben sie irgendwelche Infos, die diese Aktionen weniger lächerlich erscheinen lassen? Dann bitte heraus damit. Ansonsten ist es halt in diesem Fall Polizei „böse“ wie Sie das sagen oder zu mindest unverhältnismäßig. Muss man dann nicht schon reden.
Es geht nicht um „die Polizei“, sondern speziell um die „Abteilung Staatsschutz“ der Augsburger Polizei. Die Exekutivorgane in Augsburg fallen hier nicht zum erste mal besonders negativ auf. Die Staatsanwaltschaft hat sich erst vor ein paar Jahren nach der klar rechtswidrigen Hausdurchsuchung beim Vereinsvorstand der „Zwiebelfreunde“ eine Watschen eingehandelt (es gibt im Bezug zu diese StA eine ganze Liste an Vorkommnissen auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsanwaltschaft_Augsburg)
SPD Politker nicht AFD!
Die SPD war schon immer der Meinung, dass es innenpolitisch rechts von ihr keine demokratisch legitimierte Partei geben darf.
Scholz hat das in Hamburg auch durchgezogen, um jeden Preis.
Der Bericht ist gut und sinnvoll. Was die Executive da veranstaltet ist so nicht in Ordnung. Bin auch d’accord mit dem Bericht darüber bis auf:
„Die Klimakatastrophe sei zwar mit voller Wucht in Deutschland angekommen“
?????
Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat ja bereits einen beachtlichen „Track record“:
https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsanwaltschaft_Augsburg#%C3%96ffentliche_Kritik_an_der_Arbeitsweise
Ob bei der illegalen Hausdurchsuchung im CCC in Augsburg damals ebenfalls die Staatsanwaltschaft involviert war, konnte ich nicht herausfinden. Die illegale Beschlagnahme von persönlichen Gegenständen und die Sache mit der „Atombombe“ (kleines, rotes Plastikfigürchen) aus dem 3D-Drucker, wurde jedenfalls von der dortigen Polizei behauptet („Delikt „Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“).
https://netzpolitik.org/2018/gericht-urteilt-durchsuchung-bei-zwiebelfreunden-war-rechtswidrig/
Ja, sie war ebenfalls involviert.
An die gerichtlich festgestellte rechtswidrige Durchsuchung der Augsburger Zwiebelfreunde habe ich beim lesen dieses Artikels auch denken müssen und mich gefragt: Was für merkwürdige sicherheits-/ ermittlungsbehördliche Stukturen sind in Augsburg am Werk? Polizeistaat Bayern eben!
Bayern braucht ihn, den Klimawandel.
Du sagst es. Das bayerische Innenministerium fest in der Kralle von ultrarechten CSU-Gesinnungsgenossen von Anbeginn und besonders seit Strauss.
Tim K.: Das ist in Bayern lange, fragwürdige Tradition. Man denke nur an die „Schwarzen Sheriffs“ in München in den 80ern, Anti-Gay- und Aids-Razzien der Bayerischen Polizei unter Strauß/Gauweiler bis weit in die 90er hinein, das gerade mal zwei Jahre alte neue „Polizeiaufgabengesetz“ usw.
Und das alles unter „christlich-sozialem“ Image.
Alles selbst miterlebt dort – leider!
Das PAG wurde schon 2016 mit heißer Nadel gestrickt um es mit dem Paragrafen 129, 129a/b noch besser und restriktiver anwenden zu können. Eine wahre Wonne für einen faschistoiden Unterdrückungssapparat.
Platt Aber Konsequent:
– Früher: Kuchen Essen Sozial.
– National-Sozial
– Christlich-Sozial
– Neuerdings: Markt-Sozial (Kuchen Essen)
Keine Parallelen?
Ihr hier seid keinen Deut besser alws dasa was ihr kritisiert…… Es werden NUR genehme, befürwortende, politisch ins Bild passende „Ergänzungen“ veröffentlicht…..Ich mag zwar netzpolitik und unterstütze auch finanziell, aber es ist genau das gleiche System wie das, was kritisiert wird…..
Verstehe Deine Ergänzung nicht.
@Tom Ich vetstehe Deine Ergänzung ebenfalls nicht.
Wurden denn Ergänzungen von netzpolitik.org unterdrückt? Das interssiert mich jetzt sehr. Dein beitrag legt das nahe. Bislang war ich der Meinung netzpolitik.org sei nicht heise. Dort werden nicht ins Bild passende Beiträge zensiert. Wie steht den netzpolitik.org dazu?
NP veröffentlicht nach eigener Darstellung schon lange nur seitens der Redaktion oder Autor als sinnvoll erachtete Ergänzungen.
Die sichtbare Auswahl erlaubt offensichtlich eine, teilweise kopfschüttelnde, Einschätzung der Ansichten von NP 8)
Grund genug nie eine Arbeit in Bayern anzunehmen und um das Bundesland mit Polieistaatallüren einen fetten Bogen zu machen!
Wer hat da noch Vertrauen in Staat und Poliei?
Mit Rassismus hält sich die Augsburger Polizei auch nicht auf und hat am 26.06.2021 ausschließlich Schwarze Menschen auf dem Rathausplatz kontrolliert. Zivilcourage dagegen wurde vor Gericht bestraft.
Hast Du eine Quelle dazu?
Es ist etwas komplizierter (Grund der Kontrollen: es wurde nach einem(?) Verdächtigen gesucht, der dunkle Hautfarbe hatte):
https://www.staz.de/region/augsburg/blaulicht/fuehrender-augsburger-klimaaktivist-zahlt-strafe-wegen-uebler-nachrede-id241244.html
„Besonders brisant ist etwa, dass Mai nicht seine Anwältin informieren durfte. Im polizeilichen Durchsuchungsprotokoll steht ebenfalls, dass die Abteilung „Staatsschutz“ dem Aktivisten diese Kontaktaufnahme verweigert hatte.“
Wie ist das rechtlich geregelt? Gibt es eine Regelung, dass ein RA kontaktiert werden darf bzw. in welchen Fällen dies nicht erlaubt ist?