Ermittlungen im Spionage-SkandalEuropol ist kein europäisches FBI

Europol könnte aus „Europas Watergate“ gestärkt hervorgehen. Im Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zu Pegasus und anderer Spionagesoftware wird gefordert, dass Europol zu dem Skandal ermittelt. Es gibt jedoch Gründe, warum die Befugnisse der Polizeiagentur beschränkt sind.

Europol-Gebäude in Den Haag
Europol in Den Haag – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Steinach

Während das EU-Parlament den Spionageskandal um Staatstrojaner in einem Untersuchungsausschuss aufarbeitet, wird in der EU auch die Rolle der Polizeiagentur Europol neu diskutiert. Das Mandat des Ausschusses zum Einsatz von Pegasus und gleichwertiger Spionage-Software (PEGA) wurde jüngst bis zum 10. Juni verlängert. Das hat die Konferenz der Präsident:innen des EU-Parlaments in der vergangenen Woche beschlossen. Damit bleibt auch etwas mehr Zeit zur Vorlage des Abschlussberichtes zu dem europäischen Spionageskandal, den die Berichterstatterin Sophie in ’t Veld in einer Vorabversion im November als „Europas Watergate“ bezeichnet hat.

Darin forderte die aus den Niederlanden stammende, linksliberale Politikerin in ’t Veld, dass Europol zu dem offensichtlichen Missbrauch der Spionageprogramme ermittelt. Die Polizeiagentur kann seit jeher mit Ermittlungen beauftragt werden, wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten betroffen sind und die verfolgte Straftat einen grenzüberschreitenden Charakter hat. Denkbar wäre dies in den Ländern Polen, Ungarn, Spanien, Griechenland und Zypern, die in dem PEGA-Bericht an erster Stelle genannt werden. Dort haben die Regierungen mit den Trojanern Pegasus und Predator Oppositionelle, kritische Journalist:innen, Anwält:innen und Aktivist:innen ausgespäht.

Tatbestand der Cyberkriminalität

„Das Mandat von Europol ist in Bezug auf Straftäter:innen neutral“, erklärt Chloé Berthélémy, leitende politische Beraterin bei der Brüsseler Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) auf Anfrage von netzpolitik.org. Das bedeutet, dass die in Den Haag ansässige Agentur auch gegen Regierungen ermitteln könnte. Europol könne außerdem Mitgliedstaaten auf eine grenzüberschreitende Straftat aufmerksam machen, die sie nicht auf ihrem Radar hatten, so Berthélémy. „Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass ein Mitgliedstaat Europol als Mittel zur Untersuchung der Verwendung von Spionagesoftware in einem anderen Mitgliedstaat nutzen würde.“

Der Einsatz von Pegasus und Predator könne in vielen Fällen den Tatbestand der Cyberkriminalität darstellen, was genauso wie Korruption und Erpressung in den Zuständigkeitsbereich von Europol falle, heißt es im Zwischenbericht von in ’t Veld. Die Berichterstatterin betont darin die Forderung nach Europol-Ermittlungen gegen die genannten Regierungen vehement.

Im vergangenen Jahr hat das EU-Parlament einer neuen Verordnung zugestimmt, die Europol noch mehr Kompetenzen verleiht. So ist es der Exekutivdirektorin nach Artikel 6 möglich, „proaktiv“ Ermittlungen vorzuschlagen, auch wenn es sich um eine Straftat handelt, die nur in einem Mitgliedstaat begangen wurde. Europol habe es bei „Europas Watergate“ aber abgelehnt, von den neuen Befugnissen Gebrauch zu machen und eine Untersuchung einzuleiten, kritisiert in ’t Veld. Am 28. September 2022 hat der PEGA-Ausschuss deshalb ein Schreiben an die Europol-Direktorin Catherine de Boelle gerichtet und darin gefordert, dass die Agentur endlich tätig werde.

Schreiben an fünf EU-Mitgliedstaaten

Tatsächlich hat Europol kurz darauf an fünf EU-Mitgliedstaaten geschrieben, die aber ungenannt bleiben. Mit Blick auf die vom Spionageskandal betroffenen Länder dürfte es sich dabei wohl um die Regierungen in Warschau, Budapest, Madrid, Athen und Nikosia handeln. Darin bat de Boelle um Auskunft, ob auf nationaler Ebene „einschlägige Informationen“ für Europol verfügbar sind und ob es laufende oder geplante strafrechtliche Untersuchungen gebe.

In ihrem Schreiben habe Europol lediglich gefragt, ob die Agentur den Mitgliedstaaten behilflich sein kann, sagt allerdings die Berichterstatterin in ’t Veld auf Nachfrage. Es gebe jedoch „zahlreiche, ja sehr alarmierende Beweise für kriminelle Aktivitäten“ in den Ländern. Europol lasse also zu, dass Verbrechen nicht untersucht werden, so in ’t Veld.

Allerdings ist Europol die „Einleitung“ von Ermittlungen nicht erlaubt. Dies widerspräche auch dem Geist der EU-Verträge, wonach die Europäische Union keine polizeilichen Maßnahmen auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates durchführen darf, wenn dieser nicht ausdrücklich hierzu einlädt. Das weiß auch die im EU-Parlament erfahrene und geschätzte Politikerin in ’t Veld.

Europol-Bitte könne kommentarlos abgelehnt werden

Mit Jeroen Lenaers stammt der Leiter des PEGA ebenso wie in ’t Veld aus den Niederlanden. Auf Nachfrage bestätigt der Christdemokrat, dass ein Vorschlag von Europol zur Einleitung, Durchführung oder Koordinierung strafrechtlicher Ermittlungen nicht bindend sei und von den betroffenen Mitgliedstaaten ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden könne. Der PEGA-Ausschuss sei aber „zuversichtlich, dass Europol im Rahmen seiner neuen Befugnisse alles tun wird, um die Mitgliedstaaten im Interesse der europäischen Bürger und der öffentlichen Sicherheit in der EU zu unterstützen“, sagt Lenaers.

Nach einer ersten Antwort im Oktober hat Europol am 20. Dezember abermals zu seinen Aktivitäten in Bezug auf Einsätze von Spionagesoftware an das EU-Parlament berichtet. Vier der fünf Mitgliedstaaten haben demnach geantwortet, zu einem bestimmten Zeitpunkt ein strafrechtliches oder gerichtliches Ermittlungsverfahren „im Zusammenhang mit dem mutmaßlich unrechtmäßigen Einsatz von Überwachungssoftware in ihrem Land eingeleitet“, aber teilweise auch schon wieder eingestellt zu haben. Lenaers will jetzt bei Europol um „zusätzliche Klarstellungen“ bitten.

Soweit bekannt ist Europol von einem der betreffenden Staaten bislang nur gebeten worden, zu prüfen, ob in dem Fall relevante Informationen in den Europol-Datenspeichern verfügbar seien. Europol soll außerdem in Zypern die Polizei bei Ermittlungen unterstützt haben. Dabei ging es um forensische Untersuchungen der beschlagnahmten Ausrüstung eines Ex-Geheimdienstlers aus Israel.

Europol mangele es an Rechenschaftspflicht und Transparenz

In ’t Veld geht dies erkennbar nicht weit genug. „Paradoxerweise ermitteln die USA im Gegensatz zu Europol aktiv gegen die Verwendung von Spionageprogrammen in der der EU“, schreibt die linksliberale Politikerin in ihrem PEGA-Zwischenbericht. Im November soll das US-amerikanische FBI dazu auch die Regierung in Athen besucht haben. Diese Befugnisse fordert auch in ’t Veld: „Außerdem sollte die Europol-Verordnung so angepasst werden, dass Europol in Ausnahmefällen auch ohne Zustimmung des Mitgliedstaats strafrechtliche Ermittlungen einleiten kann“, so der Bericht unter der Ziffer 610.

Die Forderung für eine solche Art von europäischem FBI ist nicht neu und wurde aus Deutschland auch von Politiker:innen von SPD, Grünen, FDP und CDU erhoben. Rechtlich wäre dies aber nicht möglich, bestätigte die EU-Kommission in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Der Erweiterung von Befugnissen auf Zwangsmaßnahmen haben die EU-Abgeordneten deshalb in den Verhandlungen um die neue Europol-Verordnung einen Riegel vorgeschoben.

„Wir als Zivilgesellschaft glauben nicht, dass die Verstärkung der polizeilichen Infrastrukturen auf europäischer Ebene politische Probleme lösen wird, die durch die Spionageskandale aufgeworfen wurden“, sagt die Europol-Expertin Chloé Berthélémy. EDRi habe sich deshalb gegen die Ausweitung der Befugnisse von Europol ausgesprochen, da es der Agentur schon jetzt an Rechenschaftspflicht und Transparenz mangele. Die Forderung stärke Polizeisysteme, „die übermäßig auf marginalisierte Gemeinschaften abzielen und diese diskriminieren“.

Vorschlag: Europol-Datei für Nutzung von Staatstrojanern

Wie könnte Europol also in „Europas Watergate“ weiter tätig werden, auch ohne hierzu FBI-ähnliche Kompetenzen zu erhalten? „Europol könnte die Bestimmung nach Artikel 6 nutzen, um politischen Druck auf die Mitgliedstaaten auszuüben, damit diese Ermittlungen zur Verwendung von Pegasus einleiten“, sagt Berthélémy. So sieht es auch Patrick Breyer, der für die Piratenpartei Deutschland im EU-Parlament sitzt: „Um politisch Druck zu machen gegen Machtmissbrauch und Ausspionieren politischer Gegner und Kritiker sollte Europol als unabhängige europäische Behörde unbedingt in allen Ländern die Einleitung von Ermittlungen fordern, in denen der Verdacht einer Straftat besteht.“

Wir veröffentlichen alle Protokolle vom Staatstrojaner-Untersuchungsausschuss

Bei Europol könnte außerdem eine Datenbank eingerichtet werden, in der die 27 Mitgliedstaaten jede Nutzung eines Staatstrojaners vermerken sollen, schlägt in ’t Veld vor. Europol soll den „Spyware-Missbrauch durch Regierungen“ außerdem in seinen jährlichen Bericht zur Bewertung der Bedrohung durch das organisierte Verbrechen im Internet (IOCTA) aufnehmen. Auskunftsfreudig ist die Agentur in der Sache aber nicht: Europol habe keinerlei Kenntnis, welche EU-Mitgliedstaaten derzeit Staatstrojaner einsetzen, erklärte der Vizevorsitzende der Agentur jüngst in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage.

Ob Europol die richtige Adresse für mehr Transparenz in Sachen Staatstrojaner ist, bleibt zudem fraglich. Denn die Agentur hat laut einer weiteren Antwort selbst die „auf dem Markt verfügbaren Produkte“ für staatliche Trojanerprogramme sondiert. Europol bietet außerdem zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen zum Aushebeln oder Umgehen von Verschlüsselung an. Eigene Trojaner darf Europol in den EU-Mitgliedstaaten aber nicht einsetzen, da auch dies eine hoheitliche Zwangsmaßnahme darstellt, die nur Behörden des jeweiligen Landes erlaubt ist.

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2 Ergänzungen

  1. Was noch fehlt im Artikel: Europol ist eine freidrehende Organisation, die facto ohne jede demokratische Kontrolle selber entscheidet, was sie tut.

    Selbst wenn man die Wikipedia-Artikel, die angestrengt versuchen, die Governance, also die Aufsichtsstrukturen, zu entschlüsseln, mehrfach konzentriert durchliest, erschließt sich nicht, wem Europol eigentlich Rechenschaft schuldig ist.
    Es gibt da eine ganze Reihe von Gremien, die irgendwie mit beaufsichtigen, irgendwie aber auch ohne Zustimmung und Mitarbeit anderer Gremien eigentlicht nichts entscheiden können.
    Die Gremien wiederum sind meist mit je einem Vertreter jedes Mitgliedslandes besetzt und zusätzlich mit Vertretern von Parlament, Kommission oder anderen EU-Gremien.

    Die aktuelle Europol-Chefin Catherine De Bolle etwa musste zunächst vom Europol-Verwaltungsrat – einem Gremium mit je einem Vertreter pro Mitgliedsland und einem Vertreter der Kommission – vorgeschlagen und dann vom Rat der Europäischen Union – einem anderen Gremium mit je einem Vertreter pro Mitgliedsland – gewählt werden.

    Angenommen, Frau de Bolle sammelte jetzt illegalerweise Daten. Dann müsste man sich zunächst beim Europäischen Datenschutzbeauftragten beschweren, der ermitteln müsst. Bestätigte der den Verdacht und würde Frau de Bolle die Datensammelei freiwillig einstellen, müsste sich die Mehrheit der Vertreter der 27 Länder plus der Kommission im Verwaltungsrat darauf einigen, Frau de Bolle ab zu setzen. Diesen Vorschlag müsste dann die Mehrheit der Vertreter der 27 EU-Länder im Rat der Europäischen Union bestätigen. Das Parlament beaufsichtigt zwar irgendwie mit, ist aber in den Gremien nicht vertreten.

    Selbst bei schlimmstem Amtsmissbrauch wäre es sehr langer Weg, bis ein Europol-Direktor suspendiert oder ersetzt werden könnte.

    Eine demokratische Kontrolle stellt man sich anders vor.

    Das so eine Organisation in Deutschland polizeiliche Befugnisse haben soll – was für ein Albtraum!

    1. Europol ist vorsätzlich so aufgesetzt worden und wird stetig ausgebaut.

      Natürlich wurden alle Warner als Verschwörungstheoriker abgetan, übrigens gerade auch von den europabegeisterten bürgerlichen Linken.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.