DemonstrationsrechtDer Protest gegen das hessische Versammlungsgesetz wird lauter

Der Entwurf liegt auf dem Tisch, die Kritik daran gleich mit: Der hessische Landtag stimmt in kommender Sitzung über das sogenannte Versammlungsfreiheitsgesetz ab. Am Samstag findet in Wiesbaden eine Demonstration dagegen statt.

Eine Polizeikette steht Demonstrierenden entgegen. Es weht eine Pace-Fahne.
Kritiker:innen sagen, dass das neue Gesetz der Polizei mehr Befugnisse auf Demonstrationen einräumt. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jochen Tack

Mehr Freiheit und mehr Demonstrationskultur? Oder mehr Repressalien und Befugnisse für die Polizei? In der Sachverständigenanhörung im Innenausschuss vor gut einem Monat hatte Clemens Arzt jedenfalls wenig Anstrengungen unternommen, um seine Abneigung gegen den hessischen Entwurf eines Versammlungsfreiheitsgesetz zu verbergen. Schon der Name „Versammlungsfreiheitsgesetz“ sei ein „Euphemismus“, sagte der Staats- und Verwaltungsrechtler. Das Recht sich zu versammeln sei ein Grundrecht – ein neues Gesetz bräuchte es dafür nicht. Schon gar nicht eines, das in Teilen verfassungswidrig sei.

Das kritisierte nach der Expertenanhörung im Februar auch der rechtspolitische Sprecher der Linkspartei, Ulrich Wilken: Das neue Versammlungsgesetz schaffe zu große Hürden für Versammlungen und betrachte Proteste vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Gefährlichkeit. „Der Begriff Versammlungsfreiheitsgesetz ist für den vorgelegten Entwurf unangebracht – besser würde Gefahrenabwehrgesetz passen.“

Demo gegen Gesetz angekündigt

Inzwischen regt sich auch in der Bevölkerung erster Protest. So ruft eine „Arbeitsgruppe gegen das hessische Versammlungsfreiheitsgesetz“ für Samstag um 13 Uhr zur Demonstration in Wiesbaden vor dem Hauptbahnhof auf. Im Netz solidarisieren sich unter anderem Antifagruppen, die Partei „Die Linke“ und Fridays for Future Frankfurt. Ihre Forderung: Das Gesetzesvorhaben sofort stoppen. Der Gesetzentwurf würde „zu einer erheblichen Behinderung von einer bunten und vielfältigen Versammlungs- und Demonstrationskultur führen“, heißt es in einer Pressemitteilung. In der Frankfurter Rundschau entgegnet hingegen Lukas Schauder, Mitglied des Innenausschusses im Landtag für die Grünen: Der Arbeitskreis habe einen „etwas flexiblen Umgang mit der Wahrheit“. Die Grünen sind Teil der schwarz-grünen Landesregierung, welche das Gesetz durchsetzen will.

Sicher ist: In acht Bundesländern gibt es bereits ein Versammlungsrecht auf Länderebene. Seit der Föderalismusreform 2006 ist das grundsätzlich möglich. Die Berliner als auch die Schleswig-Holsteinische Umsetzung gelten gemeinhin als beispielhaft für eine Vertrauenskultur zwischen Demonstrierenden und Staat. Die bayrische Version von Versammlungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht im April 2022 in Teilen gekippt – vor allem wegen grundrechtswidriger Überwachungsmaßnahmen. Auch in Nordrhein-Westfalen war das neue Versammlungsgesetz stark umkämpft, es gab über Monate Proteste, am Ende bekam die damalige schwarz-gelbe Regierung das Gesetz mit einigen kosmetischen Korrekturen durch den Landtag. Auch gegen dieses Gesetz läuft eine Verfassungsbeschwerde. Nun ist es also das Bundesland Hessen, das die Grenzen der Verfassung austestet. Oder etwa nicht?

Sachverständige haben grundrechtliche Bedenken

Umstritten ist unter anderem das Thema Videoüberwachung. Der Gesetzentwurf gestattet Übersichtsaufnahmen. Bei größeren Demos (ab rund 100 Menschen) darf die Polizei eine Demonstration präventiv abfilmen, um den Überblick über das Geschehen zu wahren. Ob die Demo draußen oder drinnen stattfindet, spielt dabei keine Rolle. Übersichtsaufnahmen legitimieren die Polizei allerdings nicht dazu, die Demo aufzuzeichnen, Daten zu speichern und einzelne Demoteilnehmer:innen zu identifizieren – eigentlich.

In der Anhörung wies Rechtsprofessor Clemens Arzt darauf hin, dass es heute technisch keine reinen Übersichtsaufnahmen mehr gebe: man könne alles immer „heranzoomen und herausdestillieren“. Übersichtsaufnahmen seien ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Danach haben Menschen das Recht, selbständig zu entscheiden, wem gegenüber sie welche Informationen preisgeben. Durch die Videoüberwachung sei das nicht mehr gewährleistet, die Folge sei eine „sehr hohe Abschreckungswirkung“, sagte Arzt. Denn Demonstrierwillige könnten aus Angst vor staatlicher Überwachung vom Demonstrieren abgehalten werden.

Abschreckungspotentiale

Abschreckungspotential birgt laut einigen Expert:innen auch Paragraph 11 im Gesetzentwurf. Dort wird die Anwesenheit von Polizei während der Versammlung geregelt. Laut dem Grundrechtekomitee darf die Polizei darauf basierend Zivilbeamte entsenden, ohne dass sich die Beamten zu erkennen geben müssten. Für die Entsendung brauche es im neuen Gesetz auch keine konkrete Gefahr: Eine anlasslose Überwachung, „verfassungsrechtlich inakzeptabel“, meint Michèle Winkler von der Bürgerrechtsorganisation. Die Versammlungsfreiheit zeichne sich durch Staatsferne, nicht durch Staatsanwesenheit aus.

Mathias Hong von der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl sagt hingegen, eine solche Befugnis ergebe sich nicht aus dem Gesetz. Einig sind sich die beiden Parteien in dem Punkt, dass die Anwesenheit von Polizei nur bei einer konkreten Gefahr legitimiert sein darf. Der Entwurf bleibt an dieser Stelle allerdings sehr vage – ein möglicher Freifahrtschein für polizeiliche Überwachung.

Unkonkret und unbestimmt

Zu unkonkret, zu verschwommen, zu unbestimmt: Eine ähnliche Kritik wie bei den Überwachungsmaßnahmen zeigt sich auch bei der Frage, welche Gegenstände Demonstrierende mitführen dürfen. So sieht der Entwurf sogenannte Anordnungsermächtigungen vor, durch welche die Polizei das Mitführen bestimmter Gegenstände bei einer Demonstration künftig unter Strafe stellen kann. Eine Maßnahme, die darauf abzielt, es Teilnehmer:innen künftig zu verbieten, sich unkenntlich zu machen. Häufig ist in diesem Zusammenhang auch vom Vermummungsverbot die Rede.

Das Problem dabei: „Eine Strafe gibt es nur bei Anfangsverdacht“, sagt Verwaltungsrechtler Hong in der Anhörung. Pauschale Anordnungsermächtigungen hebeln dieses Prinzip aus. Das bestätigt auch Clemens Arzt: Um etwa das Tragen eines Schals im Gesicht unter Strafe zu stellen, müsse eine Demonstrierende vorher überhaupt erst gegen Gesetze verstoßen. Die Polizei habe kein generelles „Identitätsfeststellungsrecht“. „Wenn beispielsweise ein kurdischer Oppositioneller in Deutschland demonstriert, möchte er vielleicht aus guten Gründen nicht, dass der türkische Geheimdienst sein Gesicht sieht, wenn er hier in diesem Lande operiert“, sagt Arzt.

Gefahrenabwehr statt Vertrauen

Der Entwurf offenbart, dass die Regierung das Prinzip Skepsis walten lässt. Das wird an vielen Stellen deutlich. Vieles, was den eigentlichen Kern der Versammlungsfreiheit ausmacht, wird mit der Gießkanne sanktioniert. Neben dem Verbot des Mit-Sich-Führens bestimmter Gegenstände, ist die Anmeldepflicht ein Beispiel. Clemens Arzt dazu: Grundsätzlich treffe Veranstalter:innen erst einmal keine Pflicht, eine Demonstration überhaupt anzumelden.

Im hessischen Entwurf gibt es dennoch eine solche Pflicht – verfassungsrechtlichen Bedenken zum Trotz. Allein sieben Ordnungswidrigkeiten verzeichne das Gesetz beim Verstoß gegen vermeintliche Anmeldepflichten. Laut Arzt wird so die grundrechtliche Versammlungsfreiheit „weitestgehend eingeschränkt“.

Ein ähnlicher Vorbehalt zeigt sich darin, dass auch das Verweigern von Polizeianwesenheit ein Bußgeld nach sich zieht. Dabei könnte man meinen, die hessische Landesregierung hätte ihre Lehren aus der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum bayrischen Versammlungsgesetz gezogen. Das Gericht hat dort etliche Bußgeldbestimmungen außer Vollzug gesetzt.

Das neue hessische Versammlungsgesetz soll schon in der kommenden Landtagssitzung beschlossen werden.

5 Ergänzungen

  1. Diese Absicht, Demonstartionen einzuschränken, trägt eindeutig Züge von Totalitarismus.

    Es wäre dringend ein Gesetz erforderlich, das Abgeordnete, die für ein, auch in Teilen, verfassungswidriges Gesetz stimmen santionieren, z. B. durch Entzug des passiven Wahlrechts. Zumindest dann, wenn Sachverständige zuvor die Verfassungswidrigkeit beanstandet haben (Vorsatz bzw. bedingter Vorsatz).

  2. Hessen vorn!!!
    Nach dem Urteil zu Hessendata (Palantir) jetzt der nächste bedenkliche Flop.
    Das weltweit erste Land mit einem Datenschutzgesetz ist ganz schön runtergekommen:
    – Das einzige Land ohne allgemeinen Informatikunterricht
    – Das Land mit dem schlechtesten Informationsfreiheitsgesetz (Alles den Gemeinden zugeschoben)
    – Das Land mit der schlechtesten Ausstattung für einen Landesdatenschuztbeauftragten.
    Von der CDU war das ja zu erwarten. Aber leider zeigt dieser weitere Fall, dass die netzpolitische Kompetenz bei der hessischen Grünen unterirdisch ist. Schade.

  3. Es macht schon sehr traurig und extrem nachdenklich, das user Staat seid der Wiedervereinigung von 1989 mittlerweile alle Überwachungssysteme übernommen hat um unser Volk zu überwachen, einzuschüchtern, zu sanktionieren und zu bestrafen willkommen im DDR Regime im Überwachungsstaat Westdeutschland.

    1. Auch vor 1989 wurde in der BRD abgehört und auch Post überwacht.

      Nach dem Endsieg brauchte man es halt nicht mehr so zu verstecken, die neoliberale wie totalitäre Abrissbirne SPD tat ein übriges.

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