Die anlasslose Verarbeitung von Fluggastdaten ist rechtswidrig, hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden entschieden. Für einen derart tiefen Eingriff in die Privatsphäre brauche es Anhaltspunkte für terroristische Bedrohungen auf bestimmten Flugrouten, so das Gericht in seinem Urteil vom 6. Dezember. Eine Totalüberwachung sämtlicher Flüge, wie sie das Fluggastdatengesetz vorsehe, sei daher unzulässig.
Begleitet von scharfer Kritik wurde das Gesetz im Jahr 2017 beschlossen und setzt eine EU-Richtlinie um. Demnach müssen Reiseanbieter eine lange Liste von Daten über jeden international Fliegenden an Polizeibehörden weiterleiten, unter anderem die gesamte Reiseroute, Anschrift, Telefonnummer oder den gebuchten Sitzplatz. In Deutschland gleicht das Bundeskriminalamt (BKA) diese Daten mit polizeilichen Datenbanken ab.
Gegen diese Massenüberwachung geklagt hatten der ehemalige Beamte des EU-Parlaments, Emilio De Capitani, und der Generalsekretär der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Malte Spitz. Die beiden flogen jeweils auf innereuropäischen Strecken beziehungsweise von der EU aus in Drittstaaten und von dort zurück. Dabei hat das BKA ihre Daten ausgewertet, ohne einen Treffer zu landen.
Wegweisendes EuGH-Urteil
Bereits im Juni hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese verdachtsunabhängige Datenspeicherung in die Schranken gewiesen. Zwar hat das Gericht die sogenannte PNR-Richtlinie (Passenger Name Records) nicht grundsätzlich gekippt, allerdings geurteilt, dass die verdachtsunabhängige Datenspeicherung auf das „absolut Notwendige“ beschränkt werden müsse. So brauche es etwa eine „reale und aktuelle oder vorhersehbare“ terroristische Bedrohung, um die Datenauswertung EU-rechtskonform zu machen.
„So, wie das Bundeskriminalamt massenhaft und anlasslos Fluggastdaten verarbeitet, geht es nicht“, sagte Malte Spitz auf Twitter kurz nach der Urteilsverkündung Anfang Dezember. Die GFF hatte die Klagen koordiniert. Solche Daten würden ans BKA weitergegeben, zentral gespeichert und von Software gefiltert, so die GFF weiter. Sie könnten von zahlreichen Behörden angefordert werden, die von der Massenüberwachung des internationalen Flugverkehrs profitieren würden.
Massenüberwachung ohne Rechtsgrundlage
Dafür fehle dem BKA jedoch eine grundrechtskonforme Rechtsgrundlage, heißt es im Urteil der Wiesbadener Richter:innen. Die Gefahr einer terroristischen Bedrohung habe das BKA nicht nachweisen können. Ebenso fehle die Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung bei Flügen in Nicht-EU-Staaten. So müssten die EU-Länder die schweren Straftaten benennen, wegen derer die Flugpassagiere einer so weitgehenden Datensammlung ausgesetzt würden. Einen solchen Straftatenkatalog enthalte das Fluggastdatengesetz aber nicht.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof und eine Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht sind möglich. Sollte das Urteil aber Bestand haben, kommt auf die Ampelkoalition, die ohnehin schon bei der Vorratsdatenspeicherung und bei der Chatkontrolle im Clinch liegt, eine weitere Gesetzesänderung mit Sprengkraft im Bereich Massenüberwachung zu.
Erneut dürfte die Bruchlinie zwischen dem Bundesjustizministerium und dem Bundesinnenministerium verlaufen. Während Innenministerin Nancy Faeser (SPD) etwa den Spielraum, den das EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gelassen hatte, möglichst im Sinne der Ermittlungsbehörden ausreizen möchte, sprach Justizminister Marco Buschmann (FDP) von einem guten Tag für die Bürgerrechte.
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