Liebe Freund*innen von netzpolitik.org,
ich habe ja gedacht, dass er nur blufft. Jetzt hat Elon Musk wirklich Twitter übernommen. Was das netzpolitisch bedeutet, hat mein Kollege Markus Beckedahl hier aufgeschrieben.
Grinsend ist Musk am Donnerstag mit einem Waschbecken in die Konzern-Zentrale spaziert. Das Waschbecken ist ein Wortwitz rund um das englische Wort „sink“. Und es ist mal wieder ein geschickter Hack der Medien, den Musk hier betreibt, denn natürlich berichten nun alle über dieses olle Waschbecken. Vom neuen Twitter-Eigentümer Musk erwarte ich vor allem das: eine Ego-Show.
Meine Sorge über die Zukunft von Twitter hält sich dennoch in Grenzen, denn Twitter ist für mich schon lange kaputt. Ich erlebe Twitter längst nicht mehr als anregenden Marktplatz der Ideen, wo Menschen sich für ihren Humor feiern und respektvoll Argumente erproben. Viel eher erlebe ich Twitter als toxische Arena für Polemik und Provokationen. Angeheizt von Likes und Retweets lassen sich Nutzer*innen zu immer schärferen, teils verletzenden Thesen hinreißen.
Ich habe da eine Weile selbst mitgemacht und an mir beobachtet, wie ich zunehmend nach den virtuellen Belohnungen giere. Manchmal habe ich mit Jagdinstinkt die Twitter-Trends nach Themen durchforstet, auf die ich eindreschen kann. Am besten twittern ließ es sich mit Wut im Bauch. Also habe ich meine eigene Wut kultiviert. Mir war schon klar, dass das vielleicht nicht so schlau ist. Aber ich habe mir gesagt, ich kann ja jederzeit aufhören.
Twitter hat mich mit Likes und Retweets belohnt, während ich meine Zeit in Empörung gesteckt habe. Und in kostenlose Content-Produktion für eine werbefinanzierte Plattform. Na klar habe ich ständig die Twitter-Notifications gecheckt, auch vorm Schlafengehen und nach dem Aufstehen. Wenig überraschend war ich in dieser Zeit leichter gereizt, habe schlechter geschlafen. Als die Pandemie nicht aufhören wollte, habe ich mir irgendwann gesagt: So geht das nicht weiter. Das eigene Wohlbefinden hat Vorrang. Mit dem Empörungstwittern muss Schluss sein.
Seitdem empfinde ich es als sehr erholsam, möglichst wenig auf Twitter unterwegs zu sein. Und Freund*innen rate ich genau das.
Ich glaube, was ich mit meiner überschaubaren Anzahl Follower*innen erlebt habe, das erleben andere noch viel heftiger. Manchmal beobachte ich, wie sich Kolleg*innen über Monate hinweg immer mehr in Rage twittern – während ich sie außerhalb von Twitter als behutsame, differenzierte Menschen schätze. Uff.
Viele befürchten, mit Elon Musk an der Spitze wird es auf Twitter noch krasser. Und Musk weiß das. Am Donnerstag hat er die Werbekund*innen seines neuen Konzerns beschwichtigt: Twitter solle keine „Höllenlandschaft“ werden.
Ich traue Elon Musk nicht zu, Twitter gezielt zu einem weniger toxischen Ort zu machen, im Gegenteil. Im besten Fall verändert sich Twitter zufällig zum Positiven, wenn sich mit der Zeit Funktionen und Gruppendynamiken ändern. Ich werde mir das mit einem gewissen Sicherheitsabstand anschauen – und freue mich, wenn sich die Twitter-Alternative Mastodon weiter mit Leben füllt.
Pick your fights
Sebastian
Du beschreibst da ganz wunderbar meine letzten 3, 4 Jahre auf Twitter.
Btw. bezeichnend fuer Musk ist auch, dass er sich erstmal an die Werbetreibenden wendet und nicht an die Twitter_User:innen.
Es wird da in den naechsten Monaten/Jahre rappeln!